Samstag, 21. November 2015

Brief 80 vom 17./18.11.1940


Meine liebe Annie!                                                                          O.U., den 17.11.1940 

Ich komme von unserer heutigen Fahrt zurück und bin einigermaßen etwas müde. Wahrscheinlich wird mein Schreiben heute nicht so lang werden. Gestern, nachdem ich vom Baden zurückkam, erhielt ich Deinen lieben Brief vom 13., für den ich Dir wieder meinen besten Dank sage.
Dass wir etwas vertragen können, mag ja schon stimmen, daß wir wegen des Sektkonsums nun gleich Süffel von Dir angeredet werden, ist doch etwas übertrieben.
Diese Einreibung bei Helga anläßlich der Untersuchung wird sich wahrscheinlich auf TBC beziehen. Von den Eltern wirst Du ja nun auch Nachricht bekommen habe. Jörg wird sich aber gefreut haben, daß die Abzüge an seinem Weihnachtsgeschenk  durch die Verringerung der Reparationskosten für die Fensterscheibe nicht gar so groß sind. Wegen der von mir ab gesandten Päckchen gibst Du mir bitte wieder Bescheid. Besonders interessiert es mich, ob die zwei Päckchen, die Du nicht öffnen sollst, eingetroffen sind.
Das Wunschkonzert habe ich zwar nicht gehört, doch habe ich auch so an Euch gedacht. Über den Umfang der Reise und die weiteren Einzelheiten werde ich Dir morgen berichten.
Ich habe meine Briefreihe nicht unterbrechen wollen, deshalb wird mein heutiger Brief etwas kürzer. Sei Du mit den Kindern recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.


Mein liebes Mädel!                                                                     O.U., den 18.11.1940

Zuerst möchte ich Dir von unserer gestrigen Fahrt berichten, die, obwohl wir nur einen Teil von dem gesehen haben, was früher war, einen Einblick in das frühere kulturelle leben Flanderns gegeben hat. Wir fuhren von hier aus mit unserem Wagen nach Douai, wo wir zuerst halt machten. Unter den Einwirkungen des Krieges hatten in erster Linie die Häuser beim Grand Place gelitten. Die waren restlos in sich zusammengefallen. Der Bahnhof, der gleich in der Nähe liegt, war auch sehr mitgenommen. Das Rathaus und einige Kirchen weisen darauf hin, daß die Stadt im Mittelalter eine starke Bedeutung gehabt haben muß. Die schöne Fassade des Rathauses im spätgotischen Stil erbaut, läßt darauf schließen, daß der Fleiß der Bürger und ihr Handel ziemlich viel eingebracht haben muß. Der Charakter der Stadt ist wohl neuer, doch gewinnt man den Eindruck, daß sie in normalen Zeiten ordentlich aussieht. Die beigefügte Postkarte vom „Le Salon Blanc“ „Der weiße Saal“ veranschaulicht einen Raum des Rathauses. Wir sind dann nach Cambrai, das durch die schweren Kämpfe des Weltkrieges bekannt geworden ist, weitergefahren.
Im Krieg 1914/18 war offenbar der größte Teil zerstört, so daß der neu aufgebaute Teil einen ziemlich nüchternen Eindruck hinterläßt. Einige Bauten des Klerus veranschaulichen ganz deutlich, die Einwirkungen, die das früher österreichische Regime hinterlassen hat. Über einem Altar war sogar der Doppeladler verewigt.
Daß es zwischendurch einmal als Revolutionstribunal verwendet wurde, spielt ja dabei keine große Rolle. Wir haben dort verhältnismäßig gut und billig, ausreichend zu Mittag gegessen und sind dann bei strömendem Regen nach Valenciennes rüber gefahren. Diese Stadt hinterläßt durch die großen Zerstörungen einen starken Eindruck. Das ganze Stadtviertel um das Rathaus herum ist restlos zerstört. Einzelne wenige Häuser sind stehen geblieben und machen inmitten der Trümmer einen ebenso trostlosen Eindruck wie die Ruinen. Wir waren auch bald mit unserem Rundgang fertig, denn auch die Kirchenbauten, die schließlich durch ihre Festigkeit und auch durch eine gewisse Rücksichtsnahme vor der Zerstörung verschont wurden, haben uns nicht so beeindruckt, daß wir länger dort bleiben wollten. Als nächstes Ziel steuerten wir St. Amand an. Diese Stadt hat in ihrer Nähe Schwefelbäder, so daß sie als weitere Bezeichnung noch „les-Eaux“ führt. Die Bäder sind zwar geschlossen, doch wir sind noch hinausgegangen und haben in Kenntnis auf die sonstigen Verhältnisse hier in Nordfrankreich keinen schlechten Eindruck bekommen. Nach einer Umleitung, die durch eine gesprengte Brücke bedingt war, kamen wir in den Ort selbst. Am „Grande Place“ waren dann die Bauten, die Du auf den beigefügten Karten siehst. Leider sieht alles durch die Witterungseinflüsse stark mitgenommen aus. Vor dem Kriege hat man den Ansatz dazu gemacht, den baulichen Verfall aufzuhalten, doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Hier sieht man wieder  sehr starke spanische Einflüsse aus dem Baustil. Es war dies einst eine Benediktinerabtei. Der Nebenbau zeigt, daß hier ein ausgedehntes Kloster gewesen sein muß. Wir waren jedenfalls sehr überrascht und waren sehr froh, einen derartig schönen Eindruck zum Abschluß bekommen zu haben. Mit voller Fahrt sind wir von diesem Ort aus nach Haus gebraust. Das Wetter war zum Abend sehr schön geworden und ein herrlicher Sonnenuntergang hat uns für den Regen des Nachmittags entschädigt.
Heute Nachmittag erhielt ich Dein Päckchen vom 11.11. (ist dies schon der Fastnachtskuchen?) mit dem Kuchen. Er ist ganz eingetroffen. Ich danke Dir vielmals für Deine Liebe. Außerdem erhielt ich Deinen Brief vom 15.11. Auch für diesen sage ich Dir wieder meinen besten Dank. Aber Fahrradschlüssel habe ich weder in der Uniform noch im Mantel. Es ist also kein Fehler von mir, wenn Du diese Schlüssel wieder verlegt hast. Habe ich das nicht wieder fein hingedreht?
Bezüglich der blauen Glühbirnen will ich Dir noch gleich mitteilen, daß wir ja im Kaspertheater auch welche haben, die Du verwenden kannst. Wir sind in den letzten Tagen hier in Ruhe gelassen worden, obwohl gestern gutes Flugwetter gewesen war. Ich glaube aber, daß die Engländer in Coventry ziemlich eines auf die Schnauze bekommen haben, daß denen erst einmal der Schnaufer ausgegangen ist.
Ich denke aber, daß die Schläge mit der Zeit immer noch härter werden und daß keine großen Erleichterungen für unsere Gegner zu erwarten sind. Davon bin ich aber fest überzeugt, daß denen die Puste eher ausgehen wird. Bei Kurt bin ich gespannt, wo er landet. Ich hoffe, bald von ihm Bescheid zu erhalten. Es würde mich freuen, wenn ich ihn hier in der Nähe einmal begrüßen könnte. Ich werde also nach alt gewohnter Weise abwarten.
Zu unserer Reise wäre noch nachzutragen, das wird vor allem Dich auch  interessieren, daß das wirken der Merowinger hier ziemlich bedeutsam gewesen sein muß. Die einschlägige Literatur hat dies bestätigt. Das Geschlecht hat doch seinen Ursprung in Meersburg gehabt.
Ich sende Euch, meine Lieben, recht viele herzliche Grüße und Küsse. Dir mein liebes Mädel wie immer dies ganz besonders. Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen