Meine liebe Annie! O.U., den 17.11.1940
Ich komme von unserer heutigen Fahrt
zurück und bin einigermaßen etwas müde. Wahrscheinlich wird mein Schreiben
heute nicht so lang werden. Gestern, nachdem ich vom Baden zurückkam, erhielt
ich Deinen lieben Brief vom 13., für den ich Dir wieder meinen besten Dank
sage.
Dass wir etwas vertragen können, mag ja
schon stimmen, daß wir wegen des Sektkonsums nun gleich Süffel von Dir
angeredet werden, ist doch etwas übertrieben.
Diese Einreibung bei Helga anläßlich der
Untersuchung wird sich wahrscheinlich auf TBC beziehen. Von den Eltern wirst Du
ja nun auch Nachricht bekommen habe. Jörg wird sich aber gefreut haben, daß die
Abzüge an seinem Weihnachtsgeschenk
durch die Verringerung der Reparationskosten für die Fensterscheibe
nicht gar so groß sind. Wegen der von mir ab gesandten Päckchen gibst Du mir
bitte wieder Bescheid. Besonders interessiert es mich, ob die zwei Päckchen,
die Du nicht öffnen sollst, eingetroffen sind.
Das Wunschkonzert habe ich zwar nicht
gehört, doch habe ich auch so an Euch gedacht. Über den Umfang der Reise und
die weiteren Einzelheiten werde ich Dir morgen berichten.
Ich habe meine Briefreihe nicht
unterbrechen wollen, deshalb wird mein heutiger Brief etwas kürzer. Sei Du mit
den Kindern recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Mein liebes Mädel! O.U., den 18.11.1940
Zuerst möchte ich Dir von unserer
gestrigen Fahrt berichten, die, obwohl wir nur einen Teil von dem gesehen
haben, was früher war, einen Einblick in das frühere kulturelle leben Flanderns
gegeben hat. Wir fuhren von hier aus mit unserem Wagen nach Douai, wo wir
zuerst halt machten. Unter den Einwirkungen des Krieges hatten in erster Linie
die Häuser beim Grand Place gelitten. Die waren restlos in sich zusammengefallen.
Der Bahnhof, der gleich in der Nähe liegt, war auch sehr mitgenommen. Das
Rathaus und einige Kirchen weisen darauf hin, daß die Stadt im Mittelalter eine
starke Bedeutung gehabt haben muß. Die schöne Fassade des Rathauses im spätgotischen
Stil erbaut, läßt darauf schließen, daß der Fleiß der Bürger und ihr Handel
ziemlich viel eingebracht haben muß. Der Charakter der Stadt ist wohl neuer,
doch gewinnt man den Eindruck, daß sie in normalen Zeiten ordentlich aussieht.
Die beigefügte Postkarte vom „Le Salon Blanc“ „Der weiße Saal“ veranschaulicht
einen Raum des Rathauses. Wir sind dann nach Cambrai, das durch die schweren
Kämpfe des Weltkrieges bekannt geworden ist, weitergefahren.
Im Krieg 1914/18 war offenbar der größte
Teil zerstört, so daß der neu aufgebaute Teil einen ziemlich nüchternen
Eindruck hinterläßt. Einige Bauten des Klerus veranschaulichen ganz deutlich,
die Einwirkungen, die das früher österreichische Regime hinterlassen hat. Über
einem Altar war sogar der Doppeladler verewigt.
Daß es zwischendurch einmal als
Revolutionstribunal verwendet wurde, spielt ja dabei keine große Rolle. Wir
haben dort verhältnismäßig gut und billig, ausreichend zu Mittag gegessen und
sind dann bei strömendem Regen nach Valenciennes rüber gefahren. Diese Stadt
hinterläßt durch die großen Zerstörungen einen starken Eindruck. Das ganze
Stadtviertel um das Rathaus herum ist restlos zerstört. Einzelne wenige Häuser
sind stehen geblieben und machen inmitten der Trümmer einen ebenso trostlosen
Eindruck wie die Ruinen. Wir waren auch bald mit unserem Rundgang fertig, denn
auch die Kirchenbauten, die schließlich durch ihre Festigkeit und auch durch
eine gewisse Rücksichtsnahme vor der Zerstörung verschont wurden, haben uns
nicht so beeindruckt, daß wir länger dort bleiben wollten. Als nächstes Ziel
steuerten wir St. Amand an. Diese Stadt hat in ihrer Nähe Schwefelbäder, so daß
sie als weitere Bezeichnung noch „les-Eaux“ führt. Die Bäder sind zwar
geschlossen, doch wir sind noch hinausgegangen und haben in Kenntnis auf die
sonstigen Verhältnisse hier in Nordfrankreich keinen schlechten Eindruck bekommen.
Nach einer Umleitung, die durch eine gesprengte Brücke bedingt war, kamen wir
in den Ort selbst. Am „Grande Place“ waren dann die Bauten, die Du auf den beigefügten
Karten siehst. Leider sieht alles durch die Witterungseinflüsse stark
mitgenommen aus. Vor dem Kriege hat man den Ansatz dazu gemacht, den baulichen
Verfall aufzuhalten, doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Hier sieht man wieder sehr starke spanische Einflüsse aus dem
Baustil. Es war dies einst eine Benediktinerabtei. Der Nebenbau zeigt, daß hier
ein ausgedehntes Kloster gewesen sein muß. Wir waren jedenfalls sehr überrascht
und waren sehr froh, einen derartig schönen Eindruck zum Abschluß bekommen zu
haben. Mit voller Fahrt sind wir von diesem Ort aus nach Haus gebraust. Das
Wetter war zum Abend sehr schön geworden und ein herrlicher Sonnenuntergang hat
uns für den Regen des Nachmittags entschädigt.
Heute Nachmittag erhielt ich Dein Päckchen
vom 11.11. (ist dies schon der Fastnachtskuchen?) mit dem Kuchen. Er ist ganz
eingetroffen. Ich danke Dir vielmals für Deine Liebe. Außerdem erhielt ich
Deinen Brief vom 15.11. Auch für diesen sage ich Dir wieder meinen besten Dank.
Aber Fahrradschlüssel habe ich weder in der Uniform noch im Mantel. Es ist also
kein Fehler von mir, wenn Du diese Schlüssel wieder verlegt hast. Habe ich das
nicht wieder fein hingedreht?
Bezüglich der blauen Glühbirnen will ich
Dir noch gleich mitteilen, daß wir ja im Kaspertheater auch welche haben, die
Du verwenden kannst. Wir sind in den letzten Tagen hier in Ruhe gelassen
worden, obwohl gestern gutes Flugwetter gewesen war. Ich glaube aber, daß die
Engländer in Coventry ziemlich eines auf die Schnauze bekommen haben, daß denen
erst einmal der Schnaufer ausgegangen ist.
Ich denke aber, daß die Schläge mit der
Zeit immer noch härter werden und daß keine großen Erleichterungen für unsere
Gegner zu erwarten sind. Davon bin ich aber fest überzeugt, daß denen die Puste
eher ausgehen wird. Bei Kurt bin ich gespannt, wo er landet. Ich hoffe, bald
von ihm Bescheid zu erhalten. Es würde mich freuen, wenn ich ihn hier in der
Nähe einmal begrüßen könnte. Ich werde also nach alt gewohnter Weise abwarten.
Zu unserer Reise wäre noch nachzutragen,
das wird vor allem Dich auch
interessieren, daß das wirken der Merowinger hier ziemlich bedeutsam
gewesen sein muß. Die einschlägige Literatur hat dies bestätigt. Das Geschlecht
hat doch seinen Ursprung in Meersburg gehabt.
Ich sende Euch, meine Lieben, recht viele
herzliche Grüße und Küsse. Dir mein liebes Mädel wie immer dies ganz besonders.
Dein Ernst.
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