Samstag, 21. November 2015

Brief 81 vom 19./20.11.1940


Meine liebe Annie!                                                                       O.U., den 19.11.1940  

In einem meiner letzten Päckchen hatte ich ein Hemd für Kurt mit beigefügt. Das zweite wird dieser Tage folgen. Gestern habe ich bezahlt; auf Kurt entfallen für diese zwei Hemden 5,-RM. Ich bitte, dies zu verbuchen. Er hat somit noch 25,-RM zugut, für die ich Briefmarken kaufen soll. Es tut mir eigentlich weh, für derartige Sachen so viel Geld zu verwenden, er hat aber diesen Wunsch geäußert, ich werde ihm wohl entsprechen müssen. Sonst wüßte ich eigentlich nicht, abgesehen von einer Krawatte, was ich ihm kaufen sollte.
Die Franzosen sind ja bekannt für ihre Zuvorkommenheit und Freundlichkeit. Die verschiedenen Schreiben, die an uns gelangen, geben davon ein aufschlußreiches Bild. Heute fiel mir wieder ein derartiges Schreiben in die Hand, es ist zwar nicht das Stärkste, was ich hier gesehen habe, doch ist es interessant. Also höre:
„Mich an Ihre hohe Gefälligkeit wendend, nehme ich mir die Ehre und die Freiheit, Sie höflichst zu bitten, für mich an der deutschen Oberkommandantur einzutreten für ......“. Ist das nicht höflich? Es kommt zwar auch vielfach daher, daß wörtlich übersetzt wird, doch hängt dies ja mit der Mentalität der Franzosen zusammen.
Das mir gesandte Geld von 26,-RM habe ich mir gestern abgeholt. Es ist für mich zwar etwas umständlicher, als wenn Du mir das Geld gleich direkt zuschickst, aber weit sicherer wie im Briefe. Ich danke Dir bestens für Deine Besorgung.
Den Kuchen habe ich heute früh angefangen. Ich kann Dir nur wieder mein volles Lob aussprechen  und sagen, es ist die wohlbekannte Art, es ist ein Stückchen Heimat.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, doch meinen Standpunkt dazu habe ich Dir ja wiederholt geschrieben und der ist immer noch unverändert. Dieser Tage habe ich auch das Hegaubuch fertig gelesen. Nachdem man einen großen Teil kennt, ist alles so nah und fast vertraut. Es ist direkt eine Erholung und Entspannung zugleich. Die Bilder habe ich hier einigen Franzosen gezeigt, die sagen immer wieder „tres joly“= sehr schön. In der großen Oper ist heute Groß-Variete, das ich mir wieder ansehen werde.
Es ist auf die Dauer nicht gut, wenn man so oft in die Wirtschaft geht. Meistens ist es zwar so, daß ich nichts zu bezahlen brauche, doch die Abende kann man manchmal besser anwenden. Hin und wieder muß ich zwar dableiben, weil man durch das Zusammenarbeiten mit diesen Leuten gewisse Verpflichtungen hat. Je länger man hier ist, desto mehr verbürgert man sich, es wäre in einer Beziehung ganz gut, wenn man hier vielleicht wieder einmal wegkäme. Solche Sachen lasse ich mir aber auch nicht über den Kopf wachsen und werde mit ihnen schon fertig werden, wenn es notwendig sein sollte.
Mein liebes Mädel, sei Du recht herzlich gegrüßt und geküßt, gib unseren beiden Schlawanzern jedem einen kräftigen Kuß und denke Du auch weiterhin an Deinen Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                  O.U., den 20.11.1940

Deinen sowie Helgas Sonntagsbrief mit der Zeichnung von Jörg habe ich heute erhalten. Ich danke Euch herzlich dafür. Einige Briefe, die zwischen dem zuletzt eingegangenen und dem obigen lieben, stehen zwar noch aus. Wie ich aus Deinem Schreiben ersehe, hast Du mit Deinen Händen immer noch Schwierigkeiten. Ist es denn eigentlich schlimm; sonst geh` doch einmal zu einem Arzt. Jörg weiß, was er hat, wenn Du ihm die Haare schneidest, beim Friseur nicht, denn das hat er noch nicht mitgemacht.
Wegen eines Pullovers für Vater werde ich mich einmal umtun. Ich habe letzthin etwas angeboten bekommen, so etwa 6,-RM. Er ist zwar dicht an den Hals raufgeschlossen, aber so viel ich beurteilen kann, war das ordentliche Wolle. Mit dem Gewicht würde es reichen. Wegen des Kaffeepreises ist es schon recht, es genügt. Wenn Du Geld für einen Mantel für mich hast, so teile mir das bitte mit, dann werde ich mich danach umtun, denn vorher hat es ja doch keinen Zweck.
Das abgebrannte Theater diente schon längere Zeit nicht mehr seiner Bestimmung. Es war ja auch nur ein leichterer Holzbau, in dem während des Krieges Hülsenfrüchte und Ähnliches gelagert wurde. Etliche Erbsen und Bohnen sind mit vernichtet worden. Die Ursache war auf  Kurzschluß zurückzuführen, der durch den großen Sturm entstanden sein muß.
Auch über den Brief von Helga habe ich mich sehr gefreut. Ich habe mich nun wegen eines Kleides für Helga befragt und man hat mir geraten, doch lieber einen Stoff zu kaufen. Ich halte dies auch für ratsamer. Du kannst es dann nach Deinem Geschmack herrichten. Jörg hat sie aber in Schutz genommen, wenn sie mir schreibt, daß ich für Jörg keine Hosen aus Blech kaufen brauche.
Für den kommenden Sonntag ist es möglich, daß wir evtl. wieder nach auswärts fahren. Sofern wir daheim bleiben sollten, werde ich selbstverständlich das Wunschkonzert mit anhören.
Bei Dir sind also auch verschiedene Briefe zwischendrin ausgeblieben. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß jetzt, wie mir bekannt geworden ist, die Post mehr wie bisher überprüft wird. Die noch fehlenden Briefe werden wohl nun eingetroffen sein. Das 8. Päckchen aus der ersten Sendung ist wohl noch nicht eingetroffen.
Recht herzliche Grüße und viele Küsse richte ich an Dich und bitte Dich, gleichzeitig unseren beiden Rangen jedem einen herzlichen Kuß zu verabfolgen.  Dein Ernst.

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