Meine liebe Frau! O.U., den 2.12.1940
Bevor ich Dir vom Sonntag erzähle, muß ich
Dir von einem Streich berichten, den wir uns am Samstag geleistet haben und aus
dessen Folgen Du sehen kannst, was für einen prima Chef wir haben und wie der
für unsere Gesundheit besorgt ist. Meine zwei Kameraden und ich waren am
Samstag zu einem Essen eingeladen. Es gab ein echt französisches Essen mit
etlichen Vorspeisen, den nötigen Getränken und als Hauptgang gab es, wie hier
meist üblich, Huhn. Es war aber alles gut angemacht und appetitlich, so daß wir
dem, was so zwischendurch an Getränken gereicht wurde, auch etwas zugesprochen haben. Dann folgten noch die
Nachspeisen, alles genau in der Reihenfolge, wie ich sie Dir früher auch schon
geschrieben habe. Dr. Thomas war nicht gerade sehr gut aufgelegt, so daß wir
den letzten Gang, den Sekt, ausgelassen haben. Wir sind vorzeitig dort
aufgebrochen und trafen so kurz nach Mitternacht wieder daheim ein. Wir haben
dann noch einige Kognaks getrunken, ein weiterer Kamerad, der bei uns auch noch
im Hause wohnt, war auch gerade heimgekommen. Der ist unser Pianist. Für uns
war das Veranlassung, in unser Musikzimmer zu gehen. Dort haben wir vier
gesungen, was in unseren Kräften stand. Da wir ja allein in unserem Hause wohnen,
kannst Du Dir denken, daß wir getan haben, was wir konnten. So gegen 3 Uhr
haben wir uns dann ins Bett begeben, aber nicht ohne unseren Parademarsch im
Flur zu klopfen. Eins möchte ich hierzu noch erwähnen, neben uns wohnt unser
Chef und der ist seit Anfang letzter Woche aus dem Urlaub zurück. Am anderen
Morgen, so gegen 10 Uhr sind wir aufgestanden und haben gerade beraten, ob wir
baden gehen wollen, als es bei uns klingelt was die Klingel hergibt. Mein
Kamerad Graser und ich bekamen Befehl, uns sofort beim Chef zu melden. Also,
schnell fertig gemacht und angetreten. Gewaschen und rasiert waren wir noch
nicht. Unser Chef begrüßte uns auch gleich sehr freundlich und sagte:
„Meine Herrn, ich nehme an, daß sie gut geschlafen
und gefrühstückt haben, ich lade sie ein, sofort mit mir zur Jagd zu gehen“.
Wir haben darauf gesagt, daß uns das eine Ehre sei und den guten Schlaf und das
Essen haben wir bestätigt. Wir sind dann mit dem Wagen raus gefahren und von 11
bis 13 Uhr über Äcker und Felder, durch Busch und über Gräben gestolpert. Ich
muß sagen, es war ein sehr schöner Morgen. So richtig novemberlich. Der Nebel
verwusch das Bild der Landschaft, der Acker war leicht gefroren und die Gräser
zeigten Raureif. Die Sonne stand ganz weiß im Nebel. Interessant war dabei
noch, da wir uns in der Nähe der belgischen Grenze befanden, daß wir uns die
ganze Zeit in der Befestigungslinie bewegten. Bunker die einsam und verlassen
dastanden, das Gelände durchschnitten von tiefen Gräben als Tankfallen. Überall
Stacheldraht. So kriegerisch das alles auch anmutet, es zeigt, nachdem alles
nicht erhalten wird und dadurch teilweise verfällt, wie unnötig und zwecklos
alles war. Doch nun zurück zu unserer Jagd. Ich war erstaunt, wie viele
Rebhühner da waren und was für eine große Anzahl Hasen über die Äcker
hoppelten. Das Jagdglück war uns auch hold, wir brachten fünf Hasen und zwei
Rebhühner mit nach Hause. Unser Chef dachte sich für den Radau der vergangen
Nacht zu entschädigen, doch da war er an der falschen Adresse, bei zwei solchen
Naturburschen war das nur Öl in das Feuer. Wir haben uns auch weidlich gefreut,
als er zu uns sagte: „Ich will nicht hoffen, daß sie in der vergangenen Nacht
so einen Krach vollführt haben“, was wir selbstverständlich sofort verneinten
und sagte, daß seien die anderen gewesen, denn wir sind um 11 Uhr ins Bett
gegangen. Er hat sich immer wieder gefreut und versucht, darauf hinzusticheln,
bis wir ihm sagten, daß dieser Ausflug für uns ein Vergnügen gewesen sei und
wir dies nicht als Strafe betrachten würden und wenn er damit jemand bestrafen
wollen, hätte er ausgerechnet die
beiden Unschuldigen erwischt. Als wir ihm das gesagt hatten, war er geschlagen.
Wie ich schon vorweg genommen habe, für
unser leibliches wohl war etwas getan worden, wenn wir auch mit einem
anständigen Hunger nach Hause gekommen sind. Ich habe mich dann an die
Herrichtung meiner Kleider gemacht, denn die hatten ein Aufbügeln wieder einmal
bitter nötig. Dazu habe ich dann teilweise das Wunschkonzert gehört. Nach
dieser Schilderung wirst Du sicher denken, ich sei, nachdem ich nicht mehr
unter Deinen Schutz stehe, außer Rand und Band geraten und meine guten Sitten
hätte ich ganz vergessen. Zu Deiner Beruhigung kann ich Dir aber mitteilen, daß
dem nicht so ist.
Die Post hat auch mit mir wieder einmal
ein Einsehen gehabt, denn sie überließ mir heute Deine Briefe vom 25., 26., 27.
und 28.11., sowie noch ein Päckchen vom Marinesturm. Ich habe eine ganze Zeit
zu tun gehabt um alles zu verdauen. Trotzdem, es war mir nicht zuviel und ich
habe mich dabei auch nicht übernommen. Nachdem ich Dir heute schon so viel
geschrieben habe, werde ich Dir erst morgen diese Briefe beantworte, denn ich
muß Dir noch eine unangenehme Mitteilung machen. Ungeschickt von mir ist es
nun, daß ich sie mir bis zum Schluß aufgespart habe. Mir gehrt es aber
scheinbar genau so, wie Du mit dem Mistbreiten. Es dreht sich um den Urlaub und
das möchte ich Dir möglichst schonend beibringen, denn ich muß auf Anordnung
meines Chefs doch schon am 22.12. abfahren und bis einschließlich 1.1.41 abends
bleiben. Ich weiß, daß Dir das nicht so einfach ist und bitte Dich, dies Dir
nicht so schwer zu Herzen zu nehmen. Unser Chef hat sich die Liste vorlegen
lassen und hat selbst gesehen, daß ich dabei schlecht wegkommen würde. Er hat
verschiedene kleine Änderungen vorgenommen und nun kann ich doch zu Euch
kommen, vorausgesetzt, daß keine unerwarteten Ereignisse eintreten. Das ist
doch fein. Das ist der offizielle Sonderurlaub für Weihnachten und es langt
sogar noch zu Sylvester. Ich freue mich, daß ich Dir dies noch mitteilen kann.
Ich gebe Euch allen einen recht herzhaften
Kuß, und nehmt dazu noch viele liebe Grüße entgegen. Du mein liebes Mädel
kommst wieder besonders an die Reihe. Dein Ernst.
Meine liebe Annie! O.U., den 3.12.40
Nun kommt die Beantwortung der vielen
gestrigen Post dran. Also der Reihe nach.
Mit dem Geld, was Du mir schicken willst,
werde ich schon auskommen. Ich möchte nicht haben, daß Du Dich wegen mir
restlos verausgabst. Der Tommy hat sich auch einen Mantel machen lassen und hat
dafür etwa 70,-RM bezahlen müssen. Ich hoffe, kaum mehr bezahlen zu müssen. Ob
ich ihn noch bis Weihnachten fertig machen lassen kann, muß ich erst einmal
abwarten.
Daß Du Mundharmonika spielst, wundert mich
nicht sehr, doch bin ich außerordentlich erfreut darüber, denn wenn ich wieder
einmal auf Urlaub kommen sollte, können wir doch unser eigenes Wunschkonzert
veranstalten. Ich lache Dich doch deswegen nicht aus, wenn Du mir Deine Freude
darüber mitteilst, sondern höchstens an.
Die Elsa ist ja sehr anhänglich und es ist
sehr nett, wenn sie Dir immer wieder schreibt. Sie muß doch sehr viel Sympathie
für Dich haben.
Daß Dir Jörg mit so kleinen Arbeiten zur
Hand geht ist sehr erfreulich, und man sieht doch, daß er älter und vernünftiger
wird. Du kannst ihm mein Lob ruhig mitteilen. Verständlich ist ja, daß Helga
nicht immer so mithelfen kann und ich weiß, daß sie auch mit zupackt, wenn sie
Zeit dazu hat.
Wegen der WHW-Briefmarken, laß es nur bei
den 2 Sätzen, das reicht vollauf. Die beiden Päckchen habe ich Dir ja bereits
bestätigt und soviel ich weiß, habe ich das Danken dafür auch nicht vergessen.
Nun komme ich gleich zu meinen Päckchen.
Die Nummern 3 - 7 sind gestern abgegangen und 8 und 9 heute. Weitere sind in Vorbereitung. Meistens sind´s Konserven
und andere Lebensmittel und in einem ist der Pullover für Vater drin. Von den
Sardinen könnt Ihr ja essen, und damit kennst Du Dich ja auch aus. Bei den
anderen Konserven gebe ich Dir Bescheid. Ebenso kannst Du den Liebig Fleischextrakt
verwenden, wenn Du willst, denn es sind davon auch zwei Büchsen da.
Gestern war ich wieder im Theater. Restlos
gelangweilt. Ich weiß, daß man in Bezug auf Lustspiele manchmal sehr weitherzig
sein muß, doch wenn man die
„sprühenden“ Witze so an den Haaren herbeiziehen muß, dann kann einem der Abend
leid tun. Doch das kann passieren, daß einmal eine Niete zwischendurch dabei
ist. Manche Leute freuen sich auch über solche Sachen.
Heute Abend war ich nochmals beim Berliner
Philharmonie Kammerorchester. Ja, so ein Abend ist ganz etwas anderes. Wenn
auch einmal ein Stück dabei ist, das man mit schwerer Musik bezeichnen kann.
Gestern waren wieder Händel, Haydn, Gluck, Strauß und Tschaikowski an der
Reihe. Am besten hat mir die sogenannte Feuerwerkmusik von Händel gefallen und
dann die Teile aus der Abschiedssymphonie von Haydn. Auch das Ständchen des
Leporello von Gluck, das ich zum ersten Male hörte, war in seiner Zartheit ausgezeichnet.
Den Abschluß bildete diesmal der Walzer „An der schönen blauen Donau“ von
Strauß, der vom Dirigenten auch zu den Klassikern rechnet.
Nach der gestrigen Masseneinkunft von
Post, konnte ich ja nicht erwarten, daß das heute so weiter geht. Es ist auch nicht weiter gegangen. Zu den
Geldsendungen möchte ich noch bemerken, daß es vielleicht ungünstig ist, wenn
Du erst am 15. noch eine größere Summe absendest, weil dann zu befürchten ist,
daß es mich nicht mehr rechtzeitig erreicht. Überlege Dir dies selbst einmal
und handle nach Deinem Gutdünken.
Ich sende Dir recht viele herzliche Grüße
und Küsse für heute. Dein Ernst.
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