Dienstag, 18. Dezember 2018

Brief 502 vom 23./25.12.1943


Mein liebster Schatz!                                                                        23.12.43  
     
Heute jährt sich wieder der Geburtstag meiner Mutter, sie wäre nun auch schon 62 Jahre alt geworden. Das Schicksal hat sie uns früher genommen, so daß wir Kinder sie schon recht bald entbehren mussten. Auch hieran merkt man, wie die Jahre enteilen. Ich kann mich noch gut entsinnen, wie ich an jenem Vormittag meinem Vater Bescheid geben sollte, und ich wusste nicht, wie ich es anfangen sollte.  Alles stürzte so plötzlich damals auf mich ein, daß ich keiner Handlung fähig war. 24 Jahre sind darüber schon vergangen, wenn der Jahresschluss herantritt.
Gestern habe ich meinen Brief für Neujahr abgesandt. Ich hoffe, daß er noch rechtzeitig eintrifft, aber das ist ja alles so unsicher bei den unregelmäßigen Postverbindungen. Ab heute kann ich wieder meinen normalen Briefwechsel beginnen. Denn erst vor kurzem mußte ich ja den Weihnachtsbrief abfassen, der ja etwas mehr Konzentration erforderte, wie die anderen Briefe, bei denen ich meist auf etwas antworten kann, wie zum Beispiel heute auf Dein Schreiben vom 17./18., das ich gestern bekam. Es fehlen zwar noch einige Briefe zwischendrin, aber ich freue mich ja auch so, wenn ich wieder ein Lebenszeichen von Euch erhalte. Als nächstes muß ich Dir gleich mitteilen, daß meine Uhr hier glücklich eingetroffen ist. Der Unteroffizier ist heute aus dem Urlaub zurückgekommen und hat sie mir übergeben. Ich habe ihm einige Zigaretten dafür gegeben, nun geht alles wieder glatt. Dir sage ich nun nochmals herzlichen Dank für die Besorgung. So hat es doch wenigstens geklappt. Das Päckchen Nr. 13 ist also auch wohlbehalten bei Dir angekommen und wie ich lese, hast Du schon eine nützliche Verwendung für die Zitronen gehabt.  Ich habe hier wieder einige mit der Verpflegung bekommen. Damit das Gewicht voll wird, werde ich noch einige dazu kaufen, dann gibt das wieder ein Päckchen für Euch. Heute habe ich an Euch wieder zwei Päckchen abgesandt. Das eine enthält Mandarinen und das andere wieder einmal Feigen. Die Nummern lauten 24/25, dies nur wieder zu Deiner Unterrichtung. Ja Deine Schilderung über unsren Lauser mit meinem Schlafanzug, die ist nett. Da muß ich immer an die Geschichte denken, als ein junger Mann vor Gericht geladen wird. Die Kleidung hängt ihm nur so am Körper herunter, weil ihm alles zu groß ist. Als er vor den Richtern erscheint, fangen die Leute an zu lachen über diese witzige Figur. Die Richter sind über diesen Aufzug empört und fragen ihn, wieso er dazu kommt, in diesem Aufzug zu erscheinen. Er antwortet darauf, daß er doch nur so gehandelt hätte, wie es von ihm verlangt wurde, denn diese Kleidung sei ihm nicht nur hinderlich sondern sogar sehr peinlich. Als er daraufhin gefragt wird, weshalb er dann so erscheine, antwortet er, sie schrieben doch selbst, daß ich in Sachen meines verstorbenen Vaters zu erscheinen habe. Es muß schon putzig ausgesehen haben , wenn ihm die Sachen so am Körper herumhing und er meinte, daß er schon soweit passt.
Bei unseren Beiden wird ja nun die Spannung bald auf ihren Höhepunkt gekommen sein. Ja, man sollte es miterleben können. Aber alles Seufzen hilft hier nichts, und es muß gehen, wie es die Jahre vorher auch gegangen ist. Es ist nur ein kleiner auserwählter Teil, der dieses Glück hat, daheim zu sein.  Meist sind es immer die gleichen, die unter irgendwelchem Vorwand nach hause fahren. Aber es hat auch keinen Zweck, daß man sich darüber ärgert, weil man die ganze Geschichte damit auch nicht ändert.
Heute erlebte ich ein seltenes Zeichen der Gastfreundschaft. Ich hatte mir vorgestern einige Marken gekauft und besuche nochmals den Laden, um mir verschiedene Stücke anzusehen.  die ich vielleicht noch gebrauchen könnte. Als ich mir die Sachen ansehe, kommt ein Junge und sagt, daß die Marken, die ich ansehe, ihm gehören würden. Wir unterhalten uns ein Weilchen und im Laufe des Gesprächs sagt er, daß er daheim noch mehr Marken habe, die ich vielleicht gebrauchen könnte. Wenn ich Lust hätte, dann soll ich doch mit zu ihm nach hause kommen. Ich ging also mit. Als ich dort hinkam, sitzt die Familie beim Essen. Ich entschuldige mich, denn ich war ja überrascht und hätte nicht erwartet, daß die Leute noch essen. Aber ohne viel Umstände baten mich die Leute, ohne mich weiter zu kennen, doch Platz zu nehmen und mitzuessen.  Ich lehnte das erst höflich ab, aber schließlich nötigte man mir doch einige Fische auf und der Junge war eifrig bemüht, mir immer noch mehr aufzureden. Ich konnte mich auch so ziemlich herauswinden und nahm dann nur noch eine süße Speise, eine Art Pudding, an. Ich wurde dann gleich zum Abend eingeladen, und über die Weihnachtstage müsse ich doch auch kommen, aber das kann ich nicht machen, denn man fühlt sich dann in irgendeiner Weise verpflichtet, sich zu revanchieren, was mir nicht möglich ist. So freigiebig man mich auch erst bewirtet hat, so genau war man dann nachher bei der Behandlung der Geschäfte. Das, was man mir angeboten hatte, hat bei weitem mehr gekostet, als was ich bezahlen musste für die Marken, die ich mitnahm. Doch das spielt anscheinend eine unwesentliche Rolle. Ich fand diese Beobachtung recht interessant. Die Leute selbst machten einen anständigen Eindruck und es sah alles wirklich ordentlich aus. Wir Deutschen sind ja in unseren Gewohnheiten ganz anders.
Doch für heute lasse mich bitte schließen mit recht lieben Grüßen an Dich und die Kinder und mit dem herzlichen Wunsch, daß Ihr alle gesund und wohlauf seid. Dein Ernst. 

Meine liebste Annie!                                                                                 25.12.43  
       
 Gestern haben wir nun Weihnachten gefeiert. Zum Schreiben bin ich nicht gekommen, den für mich war gestern bis zur Weihnachtsfeier voller Dienst und heute bin ich den ganzen Tag angespannt. Wir haben hier etwas Besonderes zu erledigen, was gerade über die Weihnachtstage gemacht werden soll. Aber ich habe ja so und so nicht von den Feiertagen. Viel macht es mir nicht aus. Aber man kommt nicht so richtig zur Besinnung. Morgen wird es wohl ziemlich gleich sein mit dem Dienst. Aber wahrscheinlich drücke ich mich, denn etwas will ich auch einmal an mich denken.  Doch ich will erst einmal schön der Reihe nach erzählen.  Unsere Weihnachtsfeier fing um 6 Uhr an. Um mich trotz allem noch ein bisschen auf unser Zuhause zu konzentrieren, habe ich mich über die Mittagszeit, das war bis 4 Uhr, an die lieben Sachen gemacht, die Du mir geschickt hast. Erst habe ich einmal Eure Briefe gelesen, die mich sehr gefreut haben. Auch die Kindern haben sehr lieb geschrieben. Als ich dann die Päckchen auspackte, m habe ich mir ein Gläschen Wein dazugestellt und habe dann probiert, was Deine Backkunst machte. Ich kann Dir nur mein uneingeschränktes Lob aussprechen.  Das sind wirklich prima Sachen, die Du wieder gebacken hast. Das ist ja ganz anderes Gebäck, wie Du es sonst machst. Mit reiner Butter hast Du auch gebacken, das schmeckt man gleich heraus. Ich hätte mich bald hingesetzt und hätte mich damit vollgenudelt, aber ich habe ja dann denken müssen, daß wir noch unser Abendbrot bekommen würden, das mit Rücksicht auf das Fest doch ganz ordentlich ausfallen mußte.  Es gab dann Kartoffelsalat, doch dazu haben sie Bratlinge gemacht, die nun nichts Festliches an sich hatten. Ich habe mir dann den Bauch Kartoffeln geschlagen und sagte mir, es sei besser wie nichts. Die Feier selbst war von Kameraden gestaltet worden, die sich ziemliche Mühe gaben. Aber es ist doch alles recht bescheiden. Ich weiß nicht, stelle ich zu große Anforderungen, oder was ist es. Mir war es aber auch so, als hätten die anderen Kameraden das gleiche Gefühl. Die meisten Kameraden brachen dann auch bald auf. Nur dem Umstand, daß ich sitzen blieb, habe ich es zu verdanken, daß ich noch etwas Wein zu trinken bekam. Dadurch war es dann auch etwas später geworden, bis ich in mein Hotel kam. Die ganze Feier war ohne jedes Gefühl aufgezogen worden. Erst bringt man schöne Musik. Schubert und Beethoven. Aber kein Weihnachtslied. Als dann der gesellige Teil anfängt, hat man eine Tanzkapelle aufmarschieren lassen, die ein Schlager nach dem anderen herunterhaut. Das sind dann fröhliche Weihnachten. Bei solchen Entgleisungen muß man dann beide Augen zudrücken. Vielfach habe ich gedacht, was Ihr wohl machen werdet. Mit meinen Gedanken war ich die meiste Zeit unterwegs.  Nur recht wenig bei der Feier selbst. Als in einigen Gedichten, die vorgetragen wurden, von unseren Gefallenen die Rede war, da wanderten meine Gedanken zu unsrem Kurt. Im Gedenken an Euch und an ihn kehrte eine wehmütige Stimmung in meinem Herzen ein, denn hier in diesem Kreise merkte ich wieder, wie einsam ich bin und wie man keinen Menschen hat, mit dem man sich besprechen kann. Aber weich werden darf man nicht, weil man sich nicht  unterkriegen lassen darf. _ Ja, dann sollte ich wohl noch berichten, was wir zum Fest bekommen haben. Ich hatte Dir ja schon einmal mitgeteilt, was es geben soll. Das hat sich auch so ziemlich bewahrheitet. Die Nüsse wurden nicht gegeben, weil kein Vorrat da war. Immerhin war es eine ganz ordentliche Tüte voll. Dazu bekam jeder von uns noch einen Karton Korinthen und eine Stolle. Ich bin ja zufrieden mit all dem, aber das wollte ich ganz gerne hergeben, wenn ich hätte bei Euch sein können. Heute ist nun der erste Feiertag. Das Wetter ist wieder ziemlich warm geworden. Von Winter ist keine Spur mehr zu merken. Gestern regnete es zur Feier des Tages, aber das hat sich auch schon wieder gegeben. Die Straßen sind wieder trocken, wie wenn nichts gewesen wäre. Ob daheim nun Schnee liegt, das weiß ich ja nicht, und das kann man sich unter diesen Verhältnissen nicht so richtig mehr vorstellen, aber ich male mir doch einmal in Gedanken ein richtiges winterliches Bild aus, vielleicht wird mir bei diesem Gedanken dann etwas wohler. Ich habe mir einen Kranz besorgt, der künstlerisch gemacht ist. Dazu habe ich die vier Kerzen genommen, die Du mir geschickt hast. Nun ist doch etwas weihnachtlicher Glanz in meinem Zimmer. Etwas Gebäck habe ich mir auch hergeholt, und ein Schluck Wein habe ich mir eingegossen. So sitze ich allein auf meinem Zimmer, aber etwas will ich doch noch mit dir besprechen. Du sollst nun nicht etwa denken, daß ich nun miesepetrig bin, weil es nicht nach meinem Wunsch geht. Nein, durchaus nicht, ich will nur meiner Stimmung etwas Luft machen, dann überwinde ich das noch besser. Bis Du in den Besitz dieses Briefes kommst, ist das ja alles schon überstanden. Post habe ich auch schon seit einigen Tagen nicht mehr. Die kommt so unregelmäßig, so daß man ganz und gar aus der Reihe kommt. Ich hoffe nun, in den nächsten Tagen einmal auf einen größeren Schwung.
Ich vergaß Dir in meinem letzten Brief mitzuteilen, daß ich wieder einige Sachen beschafft habe, die ich Dir mit zuschicken werde. Von den Feigen und Rosinen hatte ich wohl schon geschrieben. Aber einige Backpulver habe ich hier bekommen. Ich lasse sie Dir in den nächsten Tagen bald zugehen. Eine Packung davon soll für 3 Pfund Mehl reichen. Ich schreibe dies nur, damit Du weißt, wie Du es verwenden kannst.  Dann habe ich etwas gekauft, auf das Du vielleicht nicht so leicht kommen wirst. Ich will dich aber auch nicht lange raten lassen. Es sind 10 Gelatineblätter, die kannst du doch sicherlich verwenden, wenn Du eine Art Sülze oder ähnliches machen willst.  Ich habe es mit gekauft, weil Du schon Verwendung dafür haben wirst. Auch von dem Maismehl habe ich einige Packungen erstanden, damit Du Deinen kleinen Vorrat nicht gleich verbrauchen mußt. Ich denke, daß Dir das alles eine Hilfe mit sein wird. Für Vater habe ich jetzt einen Karton voll Zwiebeln beieinander. Da kann ich in den nächsten Tagen wieder einige Päckchen abrollen lassen. Aber auch Kopfwaschpulver habe ich besorgt. Ich denke, daß das besser ist, wie wenn Du Seife nehmen mußt. Auch das geht in den kommenden Tagen an Euch mit ab. Da fällt mir noch etwas anderes bei dieser Gelegenheit ein. Du hast doch ab und zu über wunde Zehen geklagt.  Ich hatte das bis vor einigen Tage auch. Immer und immer habe ich versucht, das loszuwerden. Jetzt hatte ich mir „Gehwohl“ besorgt. Ich habe die wunden Zehen damit täglich eingekremt und gepudert. Ich muß sagen, daß das sehr gut geholfen hat, denn jetzt ist alles wieder in Ordnung. Fußpuder kannst Du von mir auch haben, denn davon habe ich noch einen reichlichen Vorrat. Wenn du noch unter diesen Sachen zu leiden hast, dann kannst Du es ja auch einmal versuchen, ob Du es wegbekommst, wenn Du regelmäßig das einreiben würdest.
Da muß ich heute nochmals auf eine Sache zurückkommen, die wir vor einigen Tagen schon besprochen hatten. Du schriebst mir doch, daß Du glaubst, daß die Korinthen nach Deiner Ansicht haltbarer wären, weil sie ja viel fester sind. Ich habe hier ganz zufällig einen Fachmann sprechen können, der früher in Deutschland den Import von Südfrüchten usw. hatte. Der sagt mir nun, daß man Rosinen etwa 3 Jahreaufheben kann, dann sind sie immer noch verwendbar, wenn sie nicht gerade die Maden verderben. Dagegen hätten Korinthen schon nach einem Jahr ihre Haltbarkeit so gut wie eingebüßt. Ich schreibe Dir dies nur mit, weil ich glaube, daß Dich das selbst interessiert, denn ich glaube nicht, daß unsere Rosinen solange liegen bleiben und auch die Korinthen nicht.
Diesen Brief schließe ich wieder ab mit recht herzlichen und lieben Grüßen an Dich und die Kinder. Bleibt schön gesund und grüße auch Vater von mir. Dir, mein bestes Mädel, gebe ich recht liebe Küsse. Dein Ernst. 

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