Mein
liebstes Mädel, liebe Annie!
22.12.43
Wenn Du es nicht schon selbst geraten hast, was mein neues Sigel auf diesem Brief bedeuten soll, dann muß ich es Dir doch noch mitteilen, denn es gehört schon etwas Phantasie für einen Außenstehenden dazu. Auf unseren Weihnachtsbriefen hatten wir bisher immer WB signiert. Sollte ich nun auf diesen Brief NB setzen? Nein, ich dachte, daß wir da etwas kräftiger antworten müssen und habe die Anfangsbuchstaben von Prosit Neujahr hingesetzt. Jawohl, ein frohes Prosit Neujahr, das wünsche ich Dir und den Kindern. Ich wünsche es aber nicht nur Euch, sondern auch Vater und uns allen. Hoffen wir, daß sich das Jahr, nachdem es seine Tore uns aufgetan hat, uns alle nur Gutes bringen möge. Alles liegt noch im Dunkeln vor uns, doch was sich dann im Laufe der kommenden Tage vor uns ausbreitet, das wird hoffentlich uns recht oft Anlass zu frohen Stunden sein. Gerade am Jahresanfang, da eilen die Gedanken aus und sie suchen zu ergründen, was sich wohl alles ereignen mag. Das ging schon Jahr für Jahr so. War es nun in Friedensjahren oder in Kriegszeiten, man versuchte schon immer, über die Gegenwart hinauszublicken und weiter zu denken. Neues Planen beginnt schon immer mit dem Jahreswechsel, aber die augenblicklichen Zeiten zwingen uns, den Gedankenzügel anzulegen, damit sie nicht zu schnell vorwärts schießen. So kann daher nur ein Wunsch wie immer vorherrschend sein, und das ist der, daß wir alle miteinander gesund bleiben. Ich betone dies immer wieder in allen meinen Schreiben aus irgend solchen Anlässen, denn ich schätze die Gesundheit über alles, weil ich genau weiß, was man als gesunder Mensch alles aushalten kann und daß das viel mehr ist, wie das, was einem kranken oder einem angekränkelten Menschen. Mit dem Neuen Jahr beginnen wir nicht nur einen neuen Zeitabschnitt, sondern wir beenden damit auch eine Reihe von Feiertagen. Ich will damit sagen, daß nun die Tage der Besinnung und des Ausruhens wieder vorüber sind, und mit dem Neuen Jahr kann dann auch die Arbeit wieder ihr altes Anrecht auf uns erheben. Vieles wird es uns wieder bringen; es wird nicht immer eitel Freude sein, denn manches Unangenehme, Herbe und Bittere werden wir auch in dem vor uns liegenden Jahr durchzumachen haben, aber wie gesagt, wenn wir gesund sind, dann werden wir das auch überstehen. Darum wollen wir trotz allem mit stolzem Herzen dieses Neue Jahr beginnen, denn wir hoffen zuversichtlich, daß es uns manchen entscheidende Tat bringen wird. Man sieht am Jahresanfang nicht nur voraus und versucht zu ergründen, was das Neues Jahr wohl bringt, sondern es ist genau so wichtig, wenn man einmal auf das vergangene Jahr zurücksieht. Man zieht gewissermaßen, wie ein Kaufmann am Jahreschluss, Bilanz. Was hat es nun uns gebracht. Zuerst müssen wir eine ganz schmerzliche Nachricht vermerken. Unser lieber Kurt, er kommt nicht mehr wieder. Der Auftakt des Jahres begann damit für uns sehr traurig. Auch heute will es mir immer noch nicht glaublich erscheinen, daß ihn Rußlands Erde nicht mehr hergeben will. Frisch stand er vor mir, als ich ihn das letzte Mal sah und als Ihr ihm zum Abschied die Hand gabt, da war er wieder neu gestärkt, um seine Pflicht als Soldat mit neuen Kräften erfüllen zu können. Doch kurz darauf hat das Schicksal schon hart zugepackt. Wir können ihn in bester Erinnerung behalten, diesen guten Jungen, das ist alles, was uns verbleibt. Ich denke dann an unser Rückzugstage, die wir im Osten mitmachen mußten, ich denke aber dann auch daran, wie froh ich im Herzen wurde, als es hieß, wir rücken wieder vor. Vielleicht gehen wir neuen Siegen und entscheidenden Schlägen entgegen. Leider mußten wir manche Gebiete aufgeben, die mit deutschem Blut und Leben erworben wurden. Unser Glaube an den Sieg hat aber trotz allem keine Erschütterung erfahren, weil wir wissen, daß unsere militärische Kraft trotz aller Anstrengungen unserer Gegner kaum zu schlagen sein wird. Das Vertrauen auf unsere Führung und an den Führer läßt uns nicht weich werden, denn eines Tages werden auch wir aus unserer Reserve herausgehen. Was werden sich unser Feinde wundern, was noch alles in uns steckt. Weiter denke ich an die mit meinen Kameraden in Kiew verbrachten Tag und auch mancher schönen Stunden. Die Verlegung nach Deutschland ließ dann neue Hoffnungen in uns aufkommen, denn wir dachten zuerst, unsere Familie wiederzusehen und hofften auf einen anderen Einsatz. Beides hat sich dann für mich nicht erfüllt. Schöne Urlaubswochen haben wir zusammen verbracht. Was gab es alles zu erzählen und wie froh waren wir, daß ein jeder noch gesund und munter war. Die schöne Fahrt nach dem Hohentwiel mit Euch und Vater werde ich nie vergessen können, wie auch die herrlichen Badetage bei uns daheim. Der Freude des Wiedersehens folgt aber leider auch die Stunde des Abschiednehmens. Ich schätze mich aber heute noch glücklich, wenn ich daran denke, wie ich Dir die Nachricht geben konnte, daß Du mich zwar nur für kurze Zeit in München aufsuchen solltest. Der erste Trennungsschmerz wurde Dir auf diese Weise erleichtert und nach Deiner Rückkunft nahmen Dich die häuslichen Aufgaben so in Anspruch, daß Du nicht so zur Besinnung kamst, ganz abgesehen davon, klang ja die gemeinsam verbrachten Tage auch noch in Dir nach. Mich trieb es nun seit dieser Zeit auf dem Balkan herum, Serbien und Griechenland habe ich kennen gelernt. Wenn ich das so überblicke, es ist doch allerhand für ein Jahr. Ziehe ich nun den Strich, um festzustellen, was hat mir das vergangene Jahr gebracht, so muß ich feststellen: viel, sehr viel. Es ist ja nicht das, was man sieht und was man fassen kann, es gibt ja schließlich auch andere Kräfte, die in uns wirken und auf die kommt es wohl mit in der Hauptsache an.
Nach den Vorausschauen ud dem Rückblich muß ich aber auch noch einmal persönlich an uns denken. Nachdem abgeschlossenen Jahr sind wir ja auch wieder ein Stückchen älter geworden, aber bis jetzt macht uns da ja nichts, denn wir erleben das alles noch so wie früher, wenn wir unseren Jahresschluss gemeinsam begingen. Wir saßen zusammen in unserem kleinen gemütlichen Zimmer. Der Ofen hatte es angenehm erwärmt. Der Tannenbaum gab noch den weihnachtlichen duft, auch alles andere hatte noch den Geschmack von Feiertagen an sich. Der Baum erstrahlte noch einmal im Lichterglanz. Als dann die Kinder zu Bett gingen, dann machten wir uns eine Kleinigkeit zu trinken fertig. Aber nicht vergessen darf ich den traditionellen Heringssalat. Ja, weiß Du, das kommt einem alle in den Sinn, denkt man an die gemeinsam verbrachten Jahre zurück. Das Radio verkürzte uns die Stunden bis zur Mitternacht. Vater war bei uns und las, wie meist, die Zeitung, oder wir unterhielten und über die frühere Zeit. Das Anwünschen von Glück zum Neuen Jahr begann dann und für uns war dann ein herzhafter Kuss fällig. Ja, ich glaube, nichts vergessen zu haben. Oder doch? Am Neujahrsmorgen war dann noch ein Stückchen Stolle fällig. Es war doch schön, wenn man sich das alles so überlegt. Aber auch diese Zeiten werden für uns wiederkommen. Die Jahre, die uns dann noch bevorstehen, die wollen wir so verleben, daß wir sagen können, daß wir wissen, warum wir gelebt haben.
Doch nun zum Schluss möchte ich noch einmal das sagen, was ich Euch im Anfang des Briefes zugerufen habe. Prosit Neujahr! Es wird glückhaft für uns heraufsteigen, denn wir glauben an unser Zukunft,. Ich wünsche Dir, mein liebster Schatz, nur recht viel Gutes zum kommenden Jahr. Ich hoffe, daß unsere beiden Lauser gesund bleiben und daß sie in der Schule ihre Pflicht tun. Wenn sie das machen, dann reicht es ihnen zu dem, was sie brauchen. Auch Vater wünsche ich auf diesem Wege im kommenden Jahre eine gute Gesundheit und daß es ihm möglich ist, noch einige Jahre des Friedens mit uns zu verbringen.
Bleibt recht gesund und rutscht richtig hinüber, das wünscht Euch mit vielen Grüßen und Küssen verbunden und umbunden Dein Ernst.
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