Mein liebster Schatz! 7.12.43
Recht vielen Dank für Deine beiden lieben Briefe vom 30.11/1.12. und 2.12., die ich heute erhielt. Ich habe mich sehr darüber gefreut und nochmals innigen Dank dafür. Die beiden Zeichnungen unseres Sohns sind ja gut ausgefallen. Hat er das aus sich selbst heraus gemalt, oder hat er das irgendwo abgezeichnet. Die Haltung der Skifahrer ist wirklich untadelig gemacht, ebenso der Weihnachtsmann. Dafür muß ich ihm schon meine Anerkennung aussprechen. Ich habe ja jetzt täglich Gelegenheit, seine Zeichenkunst zu bewundern an dem schönen Adventskalender, den er mir zusammengebastelt hat. Jeden Morgen freue ich mich immer wieder über seine Einfälle, die er dabei gehabt hat. Jetzt, wo Dir Helga auch einen Kalender zurechtgemacht hat und Du ihnen auch, dann mangelt es bestimmt nicht an solchen Sachen. Heute erhielt ich noch weitere Post von Finnessen, meinem Kameraden aus dem Osten, dann von Deinem Vater einen Durchschlag einer an Dich gerichteten Mitteilung und dann noch vom Standesamt Neusalza eine Sterbeurkunde, die ich Dir gleich mitsende, nachdem ich sie bei mir vermerkt habe. Wenn einige Tage eine Stockung eintritt, so kommt dann immer ein Schwung an, wenn sie behoben ist. Mit Bedauern habe ich vernommen, daß unsere Helga über Kopfweh klagt. Das mag wohl stimmen, daß sie sich überanstrengt hat mit den vielen Proben. Wie ich aber aus Deinen späteren Zeilen lese, hat es sich dank Deiner Fürsorge wieder behoben. Ich denke, daß sie ihr Spiel hat mitmachen können. Man kann sagen, was man will, aber die Kriegsjahre machen sich bei den Kindern mehr oder weniger doch bemerkbar, denn die Kost kann man doch nicht so einrichten, wie es immer gerade nötig wäre. Diese jungen Körper sind im Aufbau und dazu brauchen sie mehr wie nur das, was man gerade so bekommt. Ich bin froh, daß wir immer noch das zusammenbekommen haben, um ihnen einiges zu bieten und zu ersetzen, was jetzt mangelt. Mit so einer kleinen „Krankheit“ hat sie ihren ersehnten Wunsch erfüllt erhalten, einmal in meinem Bett schlafen zu dürfen. Wenn es ihr zur Besserung mit verholfen hat, dann ist es ja gut.
Daß die Stadt keinen Gehaltszettel jetzt schickt, ist ja in Ordnung solange die Zahlungen monatlich unverändert sind. Das ist ja unnötige Papierverschwendung. Ich habe mich schon immer gewundert, daß das immer noch geschieht.
Wenn du Helga bei schlechtem Wetter nicht mit dem Rad fahren läßt, so finde ich das durchaus richtig. Nachdem sie jetzt die ganze Zeit den Omnibus nicht benutzt hat, kann sie es ja nun eher machen, denn das Geld hast Du ja diese Zeit über gespart. Wichtiger ist aber, daß sie sich nicht unnütz erkältet.
Die Geschichte mit dem Lehrer gefällt mir auch nicht sonderlich. Ich habe auch schon überlegt, was man da machen soll. Ich kann mir vorstellen, daß ein Kind zapplig wird, wenn solch ein Grobian von „Erzieher“ dahintersteht und womöglich seine Glossen dazu macht. Warte doch erst noch einmal zu, bis nach den Feiertagen. Wenn die Schule dann wieder angefangen hat und er gibt sich immer noch von dieser Seite, dann muß man schon den Rektor darauf aufmerksam machen. Schließlich haben ja auch die Väter, die draußen im Feld sind, Sorge um ihre Kinder, nachdem sie ihnen der direkten Aufsicht entzogen sind. Man hat ja nicht Lust, sich seine Kinder auf diese Weise verderben zu lassen, ganz abgesehen davon, daß man ja noch das teure Schulgeld zahlt. Andererseits muß man die Angaben von Resi immer mit einer gewissen Vorsicht behandeln, denn sie neigt nun einmal zu gern zu gewissen Übertreibungen. Wenn Du etwas unternimmst, dann ist es ja nicht erforderlich, daß Du mit jemanden darüber sprichst. Du machst das einfach mit einem Besuch beim Rektor ab, damit kannst Du ja vorerst den Fall als erledigt betrachten. Sollte sich dann herausstellen, daß von der Schule die Sache falsch angepackt wurde, dann gibst Du mir bescheid mit Angabe des Namens des Lehrers, der mich auch schon vorher interessiert. Dann werde ich diesen Heinis etwas geigen. Ich denke, daß diese Sache nun klar ist. Wie ich sehe, wirst auch Du oftmals schlecht mit Post versorgt. Ich habe das Gefühl, daß dies allgemein der Fall ist.
Das Päckchen Nummer 20 habe ich heute an Dich auf den Weg gebracht. Ich habe einige Apfelsinen und etwas Schuhcreme für Euch eingepackt. Du schriebst doch neulich, daß Du so hast darum laufen müssen. Ich habe hier zufällig welche bekommen. Ich hoffe, daß Du auch trotzdem noch Verwendung dafür haben wirst. Die Zusammenstellung des Päckchens sieht ja nicht gewählt aus, aber das ist eben eine Zeiterscheinung. Man nimmt das, was man bekommt.
Ich muß mich schon wundern, was doch Siegfried für ein Glück hat. Er hat es also geschafft, in Urlaub zu kommen. Man könnte fast neidisch werden, aber das hilft ja keinem.
Die restlichen Sachen beantworte ich Dir morgen mit, wenn ich wieder an Dich schreibe. Lasse Dich recht herzlich grüßen und vielmals küssen von Deinem Ernst.
Meine liebste Annie! 8.12.43
Ich will erst einmal den Rest Deiner letzten Briefe beantworten, bevor ich auf andere Dinge eingehe. Bezüglich des Brottrocknens will ich erst einmal einen Irrtum von Dir klarstellen. Ich kann mir nicht erklären, wie Du darauf kommst, daß ich das Brot in Zukunft in Scheiben schneiden soll. Das habe ich doch seit Anfang getan. Dafür trage ich bestimmt keine Schuld, daß das Brot sich wieder zusammengebacken hat. Das, was sich zwar schlecht zu Scheiben schneiden läßt, das sind die Kanten oder wie man in Leipzig sagte, Renfte. Ich glaube, Du willst mich auf den Arm nehmen? Gestehe es, oder es passiert ein Unglück. Weiterhin stellst Du mich in Deinem letzten Brief als einen großmächtigen Schwindler hin. Das ist nicht der Fall und das läßt sich auch ganz klar widerlegen. Ich habe die erste Zeit überhaupt nichts vom Essen geschrieben. Weiterhin kann ich keinen Hunger in dem Maße gehabt haben, denn sonst hätte ich trockenes Brot auch gegessen. Da ich das nicht getan habe, konnte ich es ja nicht anders vernichten, als daß ich es trocknete und Dir zuschickte. Brot habe ich immer ausreichend gehabt, daran hat es nicht gemangelt. Außerdem muß ich Dir erklären, daß ich von der Verpflegung vom Osten her verwöhnt war. Du kannst Dich wohl noch an meinen letzten Urlaub erinnern, wo ich immer über das Wenige gespottet habe, was Ihr zugeteilt erhaltet. Siehst Du, das war die Strafe dafür, denn diese Portionen gleichen etwa denen, die in der Heimat gegeben werden. Aber diesen Umschwung spürt jeder, und ich höre das allgemein, daß der eine oder andere schon wegen der Verpflegung ganz gern wieder nach dem Osten ginge. So, das hatte ich zu diesem Thema zu sagen. Damit Du siehst, daß wir auch Weihnachten hier nicht hungern müssen, will ich Dir einmal mitteilen, was wir bekommen sollen. 250g Pfeffernüsse, 250g Nüsse, 50g Schokolade, 250g Äpfel, 250g Apfelsinen, 1 Packung Keks, 4 Rollmopse, 1 Weihnachtsstollen, 20 Zigaretten 1/4l Branntwein. Da bist Du wohl leicht erschüttert, was? Ja, wenn wir das alles bekommen, dann ist es ja gut. Die Getränke sind zwar etwas knapp. Vielleicht erhalten wir von anderer Seite noch einen kleinen Zuschuss. Dann erwarte ich noch Deine Päckchen und das ist doch auch keine Kleinigkeit, soviel ich Dich kenne. ein weiteres Missverständnis liegt darin vor, daß Du der Meinung gewesen bist, ich hätte einen Katalog. Das ist so zu verstehen, daß ich ihn hier bei einem Briefmarkenhändler einsehen kann, das läßt sich daher nur mit einigen Schwierigkeiten bewerkstelligen, daß ich ihn Dir hinschicke. Ich müsste den Inhaber einmal eine Weile rausschicken und dann fortgehen. Vielleicht merkt er es nicht. Ja, man kann es nicht wissen. Ich hätte ja auch schon folgendes vorgeschlagen, daß Du den einen Katalog zertrennst und mir die entsprechenden Anweisungen einträgst. Vorerst warte erst noch zu, bis ich Dir endgültigen Bescheid gebe.
Das finde ich ganz in Ordnung, daß Du unseren Herrn Sohn hast einmal aufsitzen lassen. Wenn er merkt, daß Du ihn einmal auf die Gefahr hin, daß er zu spät in die Schule kommt, machen läßt wie er es für richtig findet, dann wird er schon selbst auf den richtigen Trichter kommen.
Die Lebensmittelzuteilungen, die Ihr anstelle der ausgefallenen Kartoffellieferung erhaltet, ist insofern ganz erfreulich, weil man doch nicht damit gerechnet hat. Es ist nicht die Masse, aber man nimmt es gern mit.
Unseren Burschen möchte ich schon ganz gern einmal in seinem Aufzug sehen. Das muß ja auch eine ganz wirkungsvolle Bekleidung sein. Der Trainingsanzug, die Skimütze, der Gürtel und dazu ein Dolch und noch ein Fernglas. Ich kann mir denken, daß das sehr kriegerisch wirkt. In diesem Alter haben Jungens ja eine rege Phantasie. Daß die Sachen nach solch anstrengendem Dienst nicht mehr sauber sind, das unterliegt ja keinem Zweifel. Und unser Äffchen, wie Du schreibst, gefällt sich in anderen Sachen. Daß es ihr Spaß macht mit meinem Rad zu fahren, weil es andere nicht haben und weil dann die Leute hinsehen, das entspricht ihrem Geltungsbedürfnis, das ich an ihr schon kenne. In der Form, wie es bei ihr ausgeprägt ist, ist es ja zu ertragen. Ich glaube, daß man da nicht weiter zügeln muß. Der Wärmestein oder die Flasche wäre auch bei mir jetzt nicht übel. Die Witterung ist nicht kalt, das kann man nicht sagen. Doch nachdem den ganzen Tag über nicht geheizt wird und man nun die ganze Zeit in der Bude hockt ohne Bewegung, dann freut man sich, wenn man wenigstens etwas Warmes hat. Ich kann Dir sagen, daß ich unter diesen Umständen froh bin, daß ich den Schlafsack hier habe. So werde ich wenigstens des nachts warm und kann mich ordentlich ausschlafen und ausruhen. Wenn man am Tage laufen kann, dann lässt es sich schon ganz gut aushalten, denn dazu ist das Wetter wirklich passend. Doch lasse es für heute wieder gut sein. Ich gebe Dir im Geiste recht herzliche Küsse und viele Grüße füge ich hinzu Dein Ernst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen