Dienstag, 24. April 2018

Brief 419 vom 17. und 18.4.1943


Meine liebe, kleine Frau !                                                               17.4.43  
     
Wenn man wieder einmal so zurückdenkt, dann könnte ich heute sagen, daß ich vor einem Jahr in Leipzig war und von dort aus meine weitere Reise nach dem Osten antrat. Wenn man dieses vergangene Jahr so überblickt, dann will es einem nicht solange erscheinen und doch liegt zwischen diesem Tag und heute allerhand dazwischen. Erst die vielen neuen Eindrücke, die doch ein wesentlich anderes Bild zeigen, wie wir es von Westeuropa gewöhnt sind und all das andere, was sich in der Zukunft dann anschloss.
Vielleicht schreibe ich zum Jahrestag meiner Ankunft in Mirgorod darüber.  Gestern bin ich nicht dazu gekommen, auf Deine anderen Briefe einzugehen.
Ich will es heute nachholen. Es schien mir wichtiger, die anderen Dinge erst zu erledigen. Wie ich sehe, habt Ihr auch am Tag der Wehrmacht alles wieder gründlich angesehen, und ich glaube auch, daß Ihr Euch ganz gut unterhalten habt. Da Du immer viel Freude an Pferden hast, war es schon bedauerlich, wenn davon keine Vorführungen gezeigt wurden. Das Telefonieren hat den Kindern sicher Spaß gemacht. Diese Decknamen sind aber sonst auch gebräuchlich. Wir haben sie hier ja auch. Bis man so die verschiedenen Apparate bzw. Vermittlungen kennt, das kostet einige Übung.  Es freut mich, von Dir meine Vermutung bestätigt zu erhalten, daß Du nicht kräftig genug bist, um gegenwärtig ein Kind in unserem Haushalt auszunehmen. Es ist doch momentan schon keine Kleinigkeit, mit unseren Beiden fertig zu werden. Diese Beiden kennst Du, wie sich ein fremdes Kind einlebt und wie es sich aufführen wird, das kann man vorher nicht wissen. Ganz abgesehen davon, daß Du mit dem Garten allerhand Beschäftigung hast, die du nicht verkennen darfst. Es freut mich darum Deine Einsicht. Ich muß feststellen, daß sich unser Jörg nun doch auch schon sehr nützlich macht. Es freut mich sehr, daß er Dir so fleißig im Garten mithilft; vor allem, weil Dir dadurch doch manches etwas leichter fällt. Daß sie noch keine körperlich schwere Arbeit leisten können, das ist einem ganz von selbst klar. Wenn sie einem aber manche Handreichung machen, so macht das im Endeffekt doch allerhand aus, weil diese Dinge auch mit gemacht werden müssen. Es freut mich dann doppelt, wenn ich   dann so von kleinen lieben Gefälligkeiten lese, die sie Dir dann immer wieder erweisen. Das ins eben nette Lauser. Wenn sie sich dann von selbst über eine Arbeit hermachen, die man ihnen nicht erst geheißen hat. Ich denke, daß Du auch überrascht warst, als sie Dir sagten, sie hätten die Krautstrunke weggefahren. Ja, jetzt muß es schon ganz schön im Garten sein, wenn nun die Sträucher blühen. Wie haben die Johannisbeeren angesetzt? Stachelbeeren sind ja immer die ersten.  sind die auch in Ordnung? Man freut sich jedes mal, aber eine kleine Sorge ist doch immer wieder dabei, ob noch Frost kommt und ob sonst nichts dazwischen kommt.
Wie ich so lese, bist Du schon so im Garten bewandert, daß Du meine Hilfe kaum mehr in Anspruch nehmen brauchst. Für die körperlichen Arbeiten wäre es zwar besser für Dich, wenn ich sie Dir abnehmen könnte.  Das Wetter ist hier in den letzten Tagen derartig warm geworden, daß es sogar nachts nicht mehr kalt ist. Seit einigen Tagen schlafen wir bei offenem Fenster, denn man kann es im Zimmer sonst nicht aushalten. Ich lege Dir heute einen Zeitungsartikel bei, der Dich sicher interessieren wird. Daß unser Junge sich jetzt noch etwas mehr daheim betätigt, ist schon besser.
Wenn er dann zum Jungvolk muß, dann ist es ganz von selbst aus mit der Freizeit.
Diese kurze Zeit soll er noch für sich nutzen. Später kommt er doch kaum mehr heim. Es ist mir darum vollkommen recht, wenn Du ihm davon abgeraten hast. Er soll ab und zu, wenn möglich regelmäßig, zum turnen gehen, dann ist ihm jetzt genau so geholfen. Daß mein letzter Brief an Helga Freude bereitet hat, das mach auch mir Spaß. So soll es ja auch sein. Hier kommt man jetzt wieder zu wenig ins Freie. Vielleicht könnte man noch mehr beobachten. Wie ich sehe, hast Du für unsere beiden Stromer noch verschiedene Sachen zu Ostern besorgt. Nun können sie aber wohl zufrieden sein.
Ich schließe nun für heute und hoffe, daß Ihr alle gesund seid. In der vergangenen Nacht seid Ihr wohl im Keller gewesen, als der Großangriff auf Mannheim war. Jedes mal denke ich an Euch, ob Ihr wohl alle gesund seid, wenn es heißt, Angriffe auf Süddeutschland haben stattgefunden. Lasse Du Dich, mein lieber Schatz, recht herzlich küssen von Deinem Ernst.

Meine liebste Annie !                                                                                 18.4.43    
       
War das ein Wetter heute. Früh am Morgen klarster Sonnenschein.  Das war direkt eine Lust, aufzustehen. Aber bald standen kleine Sturmwolken am Himmel und bald darauf fing es auch schon damit an. Die Bleche auf den Dächern donnerten nur so.
Es war alles andere als freundlich zu nennen. Dunkle Wolken jagten über den Himmel.
Staub und Papierfetzen sowie alte Blätter wirbelten so durch die Luft. Es ging den ganzen Vormittag so, erst spät am Nachmittag fing es an mit regnen. Aber noch ehe die Sonne unterging, war der Himmel wie reingefegt und strahlend blauer Himmel wie am Morgen. Nun ist aber alles vorbei. Vom heutigen Tag könnte ich Dir nur berichten, daß wir uns in einer Art Bereitschaft befinden. Wir haben nichts zu tun und müssen doch warten auf etwas, was nicht kommt. Man findet sich schließlich damit ab. Ich habe mich deshalb etwas nützlich gemacht und habe einige Päckchen gepackt. Für Dich habe ich zwei Flaschen Likör noch verpackt und für Deinen Vater ebenfalls. Deine Päckchen haben Nr. 49/50. Ich hoffe, daß alles richtig ankommt. Ich nehme an, daß ich Deinem Vater damit eine Freude bereitete. Ich hatte hier etwas mehr wie üblich bekommen. Ich dachte mir, daß sie zwar auf solche Sachen nicht angewiesen sind, aber einen Schluck werden sie sicherlich nicht verschmähen. Ich hätte mir noch einen Teil aufbewahrt, aber man muß doch immer damit rechnen, daß man wegkommt und dann schleppt man sich mit diesen Sachen herum. Der Platz ist sowieso immer sehr beschränkt. Also darum heißt die Parole: Gepäckerleichterung. Das, was ich jetzt habe, werde ich schon wieder wegbekommen. Von unserer Verpflegung muß ich Dir heute mitteilen, daß uns der Fischreichtum des Dnjepr nutzbar gemacht wird.
Es gab heute ein ordentliches Stück schön gebratenen Hecht. Das hat wirklich prima geschmeckt und ist eine hochwillkommene Abwechslung. Wir können uns bestimmt nicht beklagen, denn das Essen ist hier in Ordnung. Gegenwärtig geht es etwas knapp mit der Butter zu, ich nehme aber an, daß das nur ein vorübergehender Zustand ist.
Aber nun zu Deinem Brief vom 8., den ich Dir gleich bestätigen möchte, und für den ich Dir vielmals danke. Du schreibst mir in diesem Brief auch von Fischen, die Du an diesem Tag bekommen hast. Das ist doch schön, wenn man einmal davon etwas erhält, denn Fleisch und Wurst und die anderen Sachen kann man, wenn jetzt zwar auch in beschränktem Maße, das ganze Jahr bekommen. Dabei sind sie doch wirklich sehr gesund, wenn man sie einigermaßen frisch bekommt. Aber das Anstellen und Warten nimmt doch ziemlich Zeit in Anspruch. Aus diesem Grund ist einem ein Rad, bei dieser Entfernung von den Geschäften, doch sehr, sehr nützlich. Vor allem wenn man sich einmal andere Sachen, wie gerade die Kartoffeln, besorgen muß. Das Tragen, oder das Fahren mit dem Handwagen, ist doch bedeutend anstrengender. Die Rederei von Resi wegen des Umtausches von eigenen Kartoffeln gegen Saatkartoffeln ist doch wieder typisch für sie.  Was nun das Gerede von Paula und Vater anbelangt, wegen der Hinterlassenschaft von Kurt und besonders der Dinge, die Paula immer wieder hervorhebt, so kann ich Dir nur bestätigen, daß ich durchaus Deine Meinung teile. Ich hatte ja in meinem letzten Brief schon dazu Stellung genommen. Aber es ist tatsächlich so, daß man bei diesem Zerpflücken bis ins Einzelne so richtig das Spießbürgerliche zeigt und erkennen läßt, wie kleinlich sie alle sind. Man hat anderes auf den Schreibstuben zu tun, als sich nur um diese Esswaren zu kümmern. Für uns ist wichtig, daß wir das Andenken und die Ehre von Kurt hochhalten. Das bleibt uns zu tun nur noch übrig. Alles andere sind Nebenerscheinungen, die keine Bedeutung mehr haben, weil sie uns doch nicht das wiedergeben, was wir verloren haben. Nur wenn wir dies so betrachten, können wir uns schließlich trösten und das hat er bestimmt nicht verdient.
Mein liebster Schatz, ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid. In dieser Erwartung sende ich Dir und unseren Kindern recht herzliche und liebe Grüße und Küsse für Euch Drei. Dein Ernst.

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