Mein
liebster Schatz !
15.4.43
Jetzt wird nun die lange Zeit des Wartens bald vorbei sein. Am kommenden Montag fällt die Entscheidung, was mit uns wird. Es steht noch alles offen. Es weiß bis jetzt noch kein Mensch, wohin es geht und wann es fortgeht. Wenn ich Näheres erfahre, dann gebe ich Dir wieder Bescheid. Es hieß am Montag sollen wir marschbereit sein, das will aber noch nichts heißen, denn es kann sich alles noch einige Tage hinziehen.
Dann wollen wir wieder einmal, wie schon so oft, unser Ränzel schnüren. Was bin ich schon in den annähernd drei Jahren herumkutschiert. Heute fehlt mir noch genau ein Monat dazu, dann sind die auch schon voll. Darüber nachdenken soll man aber nicht. Ich habe es mir im Lauf der vergangenen Zeit schon ziemlich abgewöhnt, denn dieses Nachdenken führt doch zu keinem Erfolg. Ich habe einige Sachen auch verpackt und an Dich abgesandt. Erst einmal einige Bücher. Das eine hatte ich angefangen. Es ist das von dem holländischen Schriftsteller. Es ist nicht schlecht zu lesen. Es hat aber keinen Wert, wenn ich es weiter mit mir herumschleppe, denn es ist doch alles Ballast. Dann ist noch ein anderes Buch dabei, das in seiner Erscheinung nicht gerade einen guten Eindruck macht. Es wird Dich aber sicherlich deshalb freuen, weil es von einem Benannten ist. Das letzte Buch ist zwar nicht groß, aber es sind manche nette Sachen dabei. Fertiggelesen habe ich es auch nicht, aber dazu werde ich wohl später einmal Zeit haben. einige Glühbirnen habe ich dazugepackt, die Du vielleicht verwenden kannst.
Ich hoffe, daß es mit der Stromstärke passt. Einen Film konnte ich auch wieder beschaffen, damit Ihr nicht in Verlegenheit kommt. Für Vater noch ein Päckchen Tabak. Das wäre alles, was in dem einen Päckchen ist. Halt, einige Bonbons sind auch noch dabei. Dann habe ich noch ein Päckchen mit Likör fertiggemacht. Ich schicke noch einige davon.
Das mit dem roten Inhalt ist Kirsche und der andere ist Aprikose. Die Sachen stehen zu Deiner Verfügung, das weißt Du ja. Die Päckchen haben die Nummern 47/48. Deinem Vater werde ich auch eine davon schicken. Wenn Du willst, kannst Du Vater eine davon geben. Ob er für die süßen Liköre schwärmt, das weiß ich zwar nicht. Ich erinnere mich nur, daß er irgendetwas nicht gern genommen hat. _ Das Wetter ist hier warm geworden, das ist kaum zu glauben. Die Bäume treiben und das Gras schießt direkt aus dem Boden. Ich will die Tage noch ausnutzen. Ich habe mich heute bis in den zehnten Stock begeben und bin auf das Dach gestiegen. Dort hat man erst einmal einen fabelhaften Ausblick auf die Stadt und auf die gegenüberliegende Seite über den Dnjepr hinweg weit in das Land. Dort oben kann man wunderbar sonnenbaden.
In der Sporthose habe ich mich hingelegt und so zwei Stunden lang die Sonne auf den Bauch prasseln lassen. Man weiß ja doch nicht, wie oft man im Laufe des Jahres dazukommt. Es ist aber bestimmt eine Wohltat. Soweit es das Wetter zulässt, werde ich das in den folgenden Tagen wiederholen. Einige Luftpostmarken und Päckchenmarken habe ich Dir zur Bedienung beigefügt. Ich bitte Dich vorerst mit der Absendung von Päckchen zu warten, bis sich für mich die Lage klärt. Herzlich grüße und küsse ich Dich samt den Kindern und hoffe gern, daß Ihr alle zusammen gesund seid, Ihr meine liebe Gesellschaft. Dein Ernst.
Meine
liebste Annie !
16.4.43
Nach einigen Tagen Unterbrechung habe ich von Dir wieder Post bekommen. Es sind Deine Briefe vom 5., 6. und 7. sowie der Luftpostbrief vom 9.4.
Ich hatte mich sehr gefreut, von Dir wieder zu hören, denn man wartet doch jeden Tag darauf, ob man etwas von daheim bekommt. Außerdem trafen zwei kleine Päckchen von Dir ein, für die ich Dir auch recht danken will. Ich habe erst gleich einmal probiert, damit ich merke, wie die Sachen von zuhause schmecken. Die übrigen hebe ich mir für Sonntag auf. Aber erst will ich einmal auf Deinen Brief vom 9. eingehen, in dem Du die Angelegenheit wegen der Erbschaftssache besprichst. Du hast ja aus meinen anderen Briefen inzwischen ersehen, daß ich mir die ganze Sache nach dem Eintreffen eines späteren Briefes von Dir nochmals überdacht habe und mit Dir in allen Dingen wieder einig gehe. Du weißt ja, daß ich nicht die Absicht habe, mich wegen der Erbschaftssachen zu streiten und ein Verhältnis, das bisher immer bestanden hat, und das doch gut war, dadurch zerstören zu lassen. Ich war auch hauptsächlich nur deshalb erbost, weil Paula versuchte, sich plötzlich, nachdem sie jahrelang nichts von uns allen wissen wollte, zwischen uns zu stellen. Daß nun Vater, nach dem einen Brief zu schließen, sich durch sie hat überfahren lassen, das wollte mir nicht einleuchten. Nur aus diesem Gesichtspunkt heraus wollte ich ihm das vor Augen halten. Aber, wie gesagt, das habe ich nach dem später eingegangenen Schreiben von Dir nicht mehr für nötig gehalten. Wenn Kurt das so bestimmt hat, dann lege ich selbst großen Wert darauf, daß sein Wunsch beachtet wird, wie über seine Sachen verfügt wird. Daß Du in meinem Namen die Zustimmung gegeben hast, ist mir vollkommen recht. Du hast ja mündlich die Vollmachten von mir bekommen, und ich werde diese Entscheidungen, soweit sie nicht in schroffer Form aus dem Rahmen fallen, immer respektieren. Ich habe ja bisher auch noch keine Veranlassung gehabt, jemals eine andere Entscheidung treffen zu müssen, weil Dur ziemlich genau meine Einstellung kennst. Wie sich nun Vater zu dem Bausparvertrag stellt, würde mich interessieren.
Wenn er ihn nicht so abtreten will, und gegen Bezahlung der bisher aufgewendeten Summe ihn uns überlässt, dann braucht er ihn doch jetzt nicht mehr weiterbezahlen.
Denn wir können diesen Betrag ohne weiteres aufbringen. Ich will ihm zwar in dieser Beziehung nichts in den Weg legen. Das soll nur ein Vorschlag von mir sein. Wenn er aber nicht darauf eingehen will, dann lasse ihn bei seiner Absicht. Eins möchte ich aber bitten, daß er uns die Weiterzahlung dann überlassen soll, wenn er nicht mehr dazu imstande ist. Im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Änderung unseres Einsatzes, werde ich Dir in diesen Tagen aus meinem Barbestand 370,-RM überweisen.
Ich möchte nicht soviel Geld mit mir herumschleppen. Verfüge Du darüber und zahle es mit ein. Mit unserer Rücklage sind wir ja einigermaßen in der Lage, irgendwelchen Wechselfall ohne große Schwierigkeiten zu begegnen. Hoffen wir aber dabei, daß keine derartigen ernsthafterer Natur auftreten. Aber wenn es sich um die Ausbildung der Kinder handeln würde, so wäre dies für das erste zu einem gewissen Teil gewährleistet, denn diese Dinge kosten schon immer etwas. Du weißt ja, daß ich Wert darauf legen, daß aus unseren Borzels etwas wird, vor allem, weil ich glaube, daß sie Veranlagung dazu haben. Auf diese Weise würde es doch nutzbringend angewendet werden. Mit Deiner Ansicht über Paula gehe ich vollkommen einig. Sie hat das Bestreben, irgendwo mitzureden. Ihr Wissen, das sie von anderen übernimmt, anderen mitzuteilen. Sie ist aber nicht kritisch genug, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und redet darum alles ohne Überprüfung weiter. Daß sie sich damit selbst einmal eine unangenehme Situation schaffen kann, kommt ihr vielleicht nicht einmal so zu Bewusstsein. Man sollte zwar meinen, daß sie alt genug dazu wäre, um selbst zu wissen, was man mit einem dummen Geschwätz anrichten kann. Daß auch Nannie solchen Unfug mit treibt, halte ich für sehr bedauerlich, aber ich kann an diesen Dingen nicht viel ändern. Du kannst vollkommen recht haben, wenn sie von der Frau aus Blanken loch keinen Bescheid erhalten hat. Mir selbst ist der fragliche Brief nicht bekannt, und ich kann mir von diesen dingen nicht das notwendige Urteil bilden. Aber das ist typisch für die Entstehung von Gerüchten. Nannie hat es ohne weiteres nicht leicht und es ist ihr darum zum Teil entschuldbar, daß sie auf diesem Dort meist auf sich angewiesen ist. Was sie mit ihrem Mann besprechen kann, weiß ich nicht, denn dazu ist die Zeit zu kurz gewesen, als ich ihn kennen lernte, und dann habe ich ihn doch die langen Jahre nicht mehr gesehen. Außerdem ist er auch nicht jünger geworden. Nannie ebenfalls und Du weißt ja, daß die älteren Leute sich schwerer mit den Dingen abfinden können wie wir jungen, zu denen wir uns doch immerhin noch zählen. Oder Du nicht? Das ist nur eine kleine Entgleisung meinerseits, darum bitte ich um Vergebung. Was nun Vaters Frage wegen eine Unterschlagung von Geld anbelangt, das Kurt sich gespart haben könnte, so will ich dazu bemerken, daß wir uns deshalb keine Gedanken weiter machen. Es ist doch so, daß die Männer hier meist so gestellt sind, daß sie auf die paar Kröten nicht angewiesen sind. Denn man hat hier doch fast keine Gelegenheit, Geld auszugeben.
Außerdem war es doch so, daß Kurt erst im Urlaub war, so daß er wahrscheinlich nicht viel bei sich gehabt haben wird. Ich glaube, deshalb machen wir uns keine Kopfschmerzen.
Es weiß auch jeder Wehrmachtsangehörige, was auf Kameradendiebstahl ruht. Das ist keine Kleinigkeit, wenn das herauskommt. Also sind wir doch zufrieden, wenn wir die Dinge nicht von der hässlichen Seite aufrollen müssen, denn es ist doch schon so schwer genug. Ebenso sollte Paula damit aufhören, davon zu reden, was sie an diesem Jungen getan hat, Ich denke besonders in diesem Zusammenhang an die Frau Frick, die es wohl mit anderen Mitteln hat machen können, aber die bestimmt nicht dazu verpflichtet war. Sie schreibt nichts weiter davon, sie schreibt nur, daß sie ihre Befriedigung dabei findet, wenn sie ihm die wenigen Tage, die ihm beschieden waren, dadurch etwas hat verschönern helfen können. Das ist aber die geschwätzige Art, die Paula nun einmal an sich hat. Ich will darum heute diese Angelegenheit abschließen und hoffen, daß wir uns beide wieder einig sind. Wenn Dir aber noch etwas unklar sein sollte, dann gib mir nur ungehindert Bescheid. Dich grüße ich recht herzlich und auch die Kinder.
An Vater richte ebenfalls herzliche Grüße aus. Nehmt Ihr Drei aber noch dazu recht herzliche Küsse entgegen von Deinem Ernst.
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