Montag, 26. Februar 2018

Brief 385 vom 26./27.2.1943


Mein liebes Mädel !                                                                   26.2.43  
     
Heute kam einmal keine Post von Dir an. Ich habe aber nun die letzte Post herausgesucht, die ich in Poltawa noch erhielt. Davon habe ich noch einige Sachen zu beantworten bzw. ich kann auf diese eingehen.  Am heutigen Tage jährt es sich, daß Kurt verwundet wurde. Ich war damals im Urlaub, als uns diese Nachricht erreichte. Vor einem Jahr war mir auch anders zumute. Da stand ich kurz vor meinem letzten Urlaub aus Frankreich. Ich hatte meine Kiste noch nicht und war in großer Sorge, wie ich meine Sachen weg bekam. Es hatte dann mit etwas Druck doch noch gelangt. Ich weiß, wie auch Du froh gewesen bist, als ich dann wieder mit einer Kiste antrabte. Es hatte sich immerhin gelohnt. Von hier habe ich zwar noch nicht eine solche feudale Kiste schicken können, aber ich bin immerhin froh gewesen, als ich kürzlich noch die verschiedenen Sachen an Dich abschicken konnte. Davon Feldpostpäckchen machen hätte doch viel Arbeit gemacht. Ich hatte Dir wohl schon geschrieben, daß Du den von mir eigenhändig genähten Sack zurückschicken musst, weil das ein Handtuch ist. Wenn Du so oft mit Feldpostpäckchen bedacht wird, dann erweckt das nur den Neid der lieben Mitbewohner. Mir macht es aber bestimmt nichts aus, denn ich sage mir, Du brauchst es genau so sehr wie die Kinder. Die Anforderungen sind groß, die heute an alle gestellt werden. Die zugeteilten Lebensmittel haben doch nicht die Kraft, wie zu anderen Zeiten.  Darum sollen auch diese Sachen als Ergänzung dienen.      Anmerkung : Wir sind einmal angezeigt worden und die Gestapo ist gekommen. Meine Mutter konnte nachweisen, daß es nur abgesparte oder mit eigenem Geld bezahlte Dinge waren und der Kommentar dieser Männer war „Sie haben halt sehr nette Nachbarn“ . Sie sind dann unverrichteter Dinge wieder gegangen. Wann das war, weiß ich nicht mehr.    Hier fange ich wieder an mich für Kunst zu interessieren. Für morgen habe ich mir für die hiesige Oper eine Karte besorgt und auch für den folgen den Tag. Morgen wird „Koppelie“ und übermorgen „Madame Butterfly“ gespielt. Das letztere hatte ich ja in Charkow gesehen. Ich denke aber, daß mir das nichts schaden wird, wenn ich hier nochmals hereingehe. Ich kann damit besser Vergleiche ziehen. Doch damit nicht genug. Ich wollte heute hier Dienst machen, da kam mein Chef und bat mich ins Theater zu gehen, damit seine Karte nicht verfällt. Es wurde die IX. von Beethoven gegeben. Ich erinnerte mich an die Aufführung damals in Konstanz, als ich dieser Aufführung im Konzil beiwohnte. Das Orchester und der Chor waren wirklich gut besetzt, und was mich verwunderte, die Leute sangen in deutscher Sprache. Auf diese Weise kam ich nun dreimal ins Theater.  Unsere beiden Stromer können aber froh sein, daß ihre Mutter so gut basteln kann. Ich kann mir denken, daß Helga erst in großer Sorge war, wie sie ihren Kasper fertig bringt, dann aber sicher großen Eifer entwickelte, als sie sah, daß Du ihr wieder auf die Sprünge geholfen hast. Ich kann Dir nur wieder mein Lob aussprechen. Nach der Zeichnung sind sie ja ganz nett geworden. Ich denke, daß die Kinder ihre Freude daran haben werden. Wenn den Kindern meine Briefe zusagen, dann bin auch ich zufrieden, denn sie sollen ja mit Freude lesen, denn was nütze ihnen ein Brief von ihrem Vater, der sich nie oder sehr selten blicken lässt, wenn er sie nur immer wieder ermahnt oder ihnen wegen jeder Kleinigkeit Vorhaltungen machen würde. Wenn man so wenige mit diesen Stricken zusammen ist, dann sollen sie doch nicht nur mit Bangen an ihren Vater denken müssen. Es genügt schon, wenn er daheim ist und teilt dann Senge aus. . Es ist etwas spät geworden, darum möchte ich jetzt schließen. Von Deinem Vater kam heute der Brief vom 1.2. an, den Du ja wohl auch erhalten hast. Über all das werde ich Dir wahrscheinlich morgen schreiben. Herzliche viele Küsse und Grüße sendet Dir in Liebe Dein Ernst. 


Meine liebe Annie !                                         27.2.43          

Vor wenigen Minuten kam ich vom Theater zurück. Es ist nicht mehr zeitig am Tag, aber Deinen lieben Brief vom 17.2. will ich Dir doch gleich noch beantworten. Du sollst doch nicht warten müssen. Als Du diesen Brief schriebst und als Du in der Zeitung lesen konntest, daß an meinem früheren Aufenthaltsort schwere Kämpfe stattfinden, da hattest Du ja schon meine Nachricht von unserer Verlegung. Zum gleichen Zeitpunkt befand ich mich nun am jetzigen Ort. Wenn man so sagen soll, haben wir uns rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Das alles hängt aber mehr oder weniger davon ab, daß wir ziemlich auf die Seite gestellt worden sind. Über unsere weitere Verwendung hat man uns noch nichts gesagt. In einigen Tagen kann man evtl. schon darüber etwas mehr wissen. Wie früher schon immer festgestellt, sage ich immer wieder „abwarten“. Irgendwie wird man uns schon verwenden. Wenn wir so gewissermaßen weniger Strenge  ?  haben müssen, so wird das hoffentlich nichts schaden.  Durch die Ereignisse mit unserem Kurt, versucht nun Paula sich mit Vater wieder etwas anzubiedern wie es scheint. Er wird wohl nicht ganz umhin können, das kann ich verstehen, aber ich glaube kaum, daß das Verhältnis ganz in Ordnung kommen wird. Vater verharrt dann zu sehr in seiner Reserve. Er wird sie reden lassen. Sie soll reden, was ihr gefällt. Es ist schon am besten, man hört nicht darauf. Wenn sie über uns etwas zu sprechen hat, dann soll es uns auch recht sein, beschäftigen wir sie doch auf diese Art etwas geistig. Nimm es nicht so tragisch. Du weißt ja, daß wir doch immer wieder allein dagestanden sind, wenn es darauf ankam. Die anderen solle es besser machen, dann ist es zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn ich früher schon einmal schrieb, sind wir das, was wir sind, aus uns selbst heraus. Keiner hat uns dabei unterstützt. Wir hatten keine Protektion, wir hatten nichts, kaum einen Pfennig Geld, darum können die anderen ruhig den Schnabel halten. Wir brauchen uns deshalb auch nicht ärgern, wenn sie über uns reden. Das, was sie reden, kann nur Neid sein, und dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß wir unsere Sache gutgemacht haben und daß die anderen merken, daß wir vorwärts gekommen sind. Soweit sind wir noch gesund, darum wollen wir zufrieden und froh sein, da‘ es uns noch so get. Wenn sie Dir gegenüber harmlos tut, so behandle sie gleicher Weise. Du weißt ja, was du von mir zu halten hast. Das ist sehr bedauerlich, daß ich das von meinen eigenen Verwandten so schreiben muß, aber Tatsachen muß man wohl ins Auge sehen, und man soll nicht versuchen, sie zu verwischen, denn sie würden sich dann doch irgendwie bemerkbar machen.  Daß der Paul von Hagnauers auch gefallen ist, das kann man sich nicht vorstellen, wie alle die jungen Menschen dahingeopfert werden müssen. Weißt Du noch, wo wir einmal mit den Kindern im Klausenhorn waren und er kam dort auf dem Pferd angeritten. Ich kann mich an ihn noch gut erinnern. Früher sagte alle, er sei falsch und verschlagen. Wir kamen aber später zu einer anderen Ansicht. So kann sich in der nächsten Zeit manches über Bekannte herausstellen, die ihr Leben gelassen haben. Daß das für Webers keine Kleinigkeit ist, kann ich mir denken. Erst haben sie den Jungen großgezogen und dann bleibt so ein junger Kerl hier draußen. Das Leben stand noch vor ihm und dann womöglich ist alles aus. Man kann das erst mitfühlen, wenn es einem schon selbst so ergangen ist, daß man hat jemand hergeben müssen.  Über die Dinge im Haus mußt Du Dich nicht ärgern. Das wäre ja unsinnig. Du siehst, daß man nichts machen braucht, so sorgen schon andere dafür, daß solch einem Bengel das Fell etwas kurz gehalten wird.  DAß die Frau nicht in der Lage ist, die Kinder so zu erziehen, wie sie es nötig hätten, das ist ja vollkommen klar. Wenn die Angelegenheiten sich persönlich auswirken sollten, dann muß man diese Gesellschaft auf die frechen Fingen klopfen. Im übrigen ist es besser, man kümmert sich nicht um sie.  Ich habe mich wiederum gefreut, als ich von dem Eintreffen eines meiner Päckchen wieder lesen konnte. War nichts beschädigt? Der Transport ist ja ziemlich lang und geworfen werden diese Sachen auch tüchtig. Mit Flaschen ist ja auch nicht zu spaßen. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Du etwas Öl an Vater abgegeben hast. Er hat ja jetzt auch nichts. Ich dachte auch schon von mir aus, daß Du ihm etwas abgeben kannst, wenn Du es für notwendig hältst. Nun bist Du ja schon mir zuvorgekommen. Ich schrieb vorgestern, daß ich nicht mehr zu schicken hätte. Es hat sich aber ergeben, daß ich zwei Flaschen, die ich hier hatte, verpacken konnte. Die kleine Flasche ist Likör. Er ist hier hergestellt und schmeckt ganz ordentlich. Der Alkoholgehalt ist gering und den kannst Du ohne weiteres trinken, wenn er Dir schmecken sollte. Die andere Flasche enthält Sekt. Ich hoffe auch da wieder, daß diese Sachen gut ankommen. Aber heute konnte ich schon wieder zwei Päckchen fertig machen Das eine enthält eine Flasche Cognac und in dem anderen habe ich Haarwasser, Hautcreme und Zahnpasta sowie etwas Tabak verpackt. Diese vier Päckchen haben die Nummern 24 bis 27. Soweit Du diese Sachen nicht verwendest, hebe sie bitte auf. Ich glaube, daß wir eine ganz ansehnliche Flaschensammlung da stehen haben.  Wenn wir gesund bleiben, und das hoffen wir ja alle ganz fest, dann haben wir für ab und zu einen Tropfen stehen. Es kann sein, daß Du noch Porto nachzahlen musst.  Es ist zwar nicht statthaft, daß die Päckchen mehr wiegen, aber solange die Kameraden hier die Sachen abnehmen und befördern, dann bin ich froh darum. Es wäre dann schwierig, das Zeug mit herumzuschleppen. Ich bin froh, wenn ich es immer wieder aus der Hand habe. Zwei kleine Päckchen mit Briefumschlägen habe ich auch mit fertiggemacht, die ich mit an Dich abschicke. Du kannst sie mit aufheben, denn ich denke, daß Du schon Verwendung dafür haben wirst. Dich und die Kinder grüße und küsse ich recht herzlich und bin immer wieder Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen