Mein
liebes Mädel !
26.2.43
Heute
kam einmal keine Post von Dir an. Ich habe aber nun die letzte Post
herausgesucht, die ich in Poltawa noch erhielt. Davon habe ich noch einige
Sachen zu beantworten bzw. ich kann auf diese eingehen. Am heutigen Tage jährt es sich, daß Kurt
verwundet wurde. Ich war damals im Urlaub, als uns diese Nachricht erreichte.
Vor einem Jahr war mir auch anders zumute. Da stand ich kurz vor meinem letzten
Urlaub aus Frankreich. Ich hatte meine Kiste noch nicht und war in großer
Sorge, wie ich meine Sachen weg bekam. Es hatte dann mit etwas Druck doch noch
gelangt. Ich weiß, wie auch Du froh gewesen bist, als ich dann wieder mit einer
Kiste antrabte. Es hatte sich immerhin gelohnt. Von hier habe ich zwar noch
nicht eine solche feudale Kiste schicken können, aber ich bin immerhin froh
gewesen, als ich kürzlich noch die verschiedenen Sachen an Dich abschicken
konnte. Davon Feldpostpäckchen machen hätte doch viel Arbeit gemacht. Ich hatte
Dir wohl schon geschrieben, daß Du den von mir eigenhändig genähten Sack
zurückschicken musst, weil das ein Handtuch ist. Wenn Du so oft mit
Feldpostpäckchen bedacht wird, dann erweckt das nur den Neid der lieben
Mitbewohner. Mir macht es aber bestimmt nichts aus, denn ich sage mir, Du
brauchst es genau so sehr wie die Kinder. Die Anforderungen sind groß, die
heute an alle gestellt werden. Die zugeteilten Lebensmittel haben doch nicht
die Kraft, wie zu anderen Zeiten. Darum
sollen auch diese Sachen als Ergänzung dienen. Anmerkung : Wir sind einmal angezeigt worden und die Gestapo
ist gekommen. Meine Mutter konnte nachweisen, daß es nur abgesparte oder mit
eigenem Geld bezahlte Dinge waren und der Kommentar dieser Männer war „Sie
haben halt sehr nette Nachbarn“ . Sie sind dann unverrichteter Dinge wieder
gegangen. Wann das war, weiß ich nicht mehr.
Hier fange ich wieder an mich für Kunst zu interessieren. Für morgen
habe ich mir für die hiesige Oper eine Karte besorgt und auch für den folgen
den Tag. Morgen wird „Koppelie“ und übermorgen „Madame Butterfly“ gespielt. Das
letztere hatte ich ja in Charkow gesehen. Ich denke aber, daß mir das nichts
schaden wird, wenn ich hier nochmals hereingehe. Ich kann damit besser
Vergleiche ziehen. Doch damit nicht genug. Ich wollte heute hier Dienst machen,
da kam mein Chef und bat mich ins Theater zu gehen, damit seine Karte nicht
verfällt. Es wurde die IX. von Beethoven gegeben. Ich erinnerte mich an die
Aufführung damals in Konstanz, als ich dieser Aufführung im Konzil beiwohnte.
Das Orchester und der Chor waren wirklich gut besetzt, und was mich
verwunderte, die Leute sangen in deutscher Sprache. Auf diese Weise kam ich nun
dreimal ins Theater. Unsere beiden
Stromer können aber froh sein, daß ihre Mutter so gut basteln kann. Ich kann
mir denken, daß Helga erst in großer Sorge war, wie sie ihren Kasper fertig
bringt, dann aber sicher großen Eifer entwickelte, als sie sah, daß Du ihr
wieder auf die Sprünge geholfen hast. Ich kann Dir nur wieder mein Lob
aussprechen. Nach der Zeichnung sind sie ja ganz nett geworden. Ich denke, daß
die Kinder ihre Freude daran haben werden. Wenn den Kindern meine Briefe
zusagen, dann bin auch ich zufrieden, denn sie sollen ja mit Freude lesen, denn
was nütze ihnen ein Brief von ihrem Vater, der sich nie oder sehr selten
blicken lässt, wenn er sie nur immer wieder ermahnt oder ihnen wegen jeder
Kleinigkeit Vorhaltungen machen würde. Wenn man so wenige mit diesen Stricken
zusammen ist, dann sollen sie doch nicht nur mit Bangen an ihren Vater denken
müssen. Es genügt schon, wenn er daheim ist und teilt dann Senge aus. . Es ist
etwas spät geworden, darum möchte ich jetzt schließen. Von Deinem Vater kam
heute der Brief vom 1.2. an, den Du ja wohl auch erhalten hast. Über all das
werde ich Dir wahrscheinlich morgen schreiben. Herzliche viele Küsse und Grüße
sendet Dir in Liebe Dein Ernst.
Meine
liebe Annie ! 27.2.43
Vor
wenigen Minuten kam ich vom Theater zurück. Es ist nicht mehr zeitig am Tag,
aber Deinen lieben Brief vom 17.2. will ich Dir doch gleich noch beantworten.
Du sollst doch nicht warten müssen. Als Du diesen Brief schriebst und als Du in
der Zeitung lesen konntest, daß an meinem früheren Aufenthaltsort schwere
Kämpfe stattfinden, da hattest Du ja schon meine Nachricht von unserer
Verlegung. Zum gleichen Zeitpunkt befand ich mich nun am jetzigen Ort. Wenn man
so sagen soll, haben wir uns rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Das alles
hängt aber mehr oder weniger davon ab, daß wir ziemlich auf die Seite gestellt
worden sind. Über unsere weitere Verwendung hat man uns noch nichts gesagt. In
einigen Tagen kann man evtl. schon darüber etwas mehr wissen. Wie früher schon
immer festgestellt, sage ich immer wieder „abwarten“. Irgendwie wird man uns
schon verwenden. Wenn wir so gewissermaßen weniger Strenge ?
haben müssen, so wird das hoffentlich nichts schaden. Durch die Ereignisse mit unserem Kurt,
versucht nun Paula sich mit Vater wieder etwas anzubiedern wie es scheint. Er
wird wohl nicht ganz umhin können, das kann ich verstehen, aber ich glaube
kaum, daß das Verhältnis ganz in Ordnung kommen wird. Vater verharrt dann zu
sehr in seiner Reserve. Er wird sie reden lassen. Sie soll reden, was ihr
gefällt. Es ist schon am besten, man hört nicht darauf. Wenn sie über uns etwas
zu sprechen hat, dann soll es uns auch recht sein, beschäftigen wir sie doch
auf diese Art etwas geistig. Nimm es nicht so tragisch. Du weißt ja, daß wir
doch immer wieder allein dagestanden sind, wenn es darauf ankam. Die anderen
solle es besser machen, dann ist es zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn ich früher
schon einmal schrieb, sind wir das, was wir sind, aus uns selbst heraus. Keiner
hat uns dabei unterstützt. Wir hatten keine Protektion, wir hatten nichts, kaum
einen Pfennig Geld, darum können die anderen ruhig den Schnabel halten. Wir
brauchen uns deshalb auch nicht ärgern, wenn sie über uns reden. Das, was sie
reden, kann nur Neid sein, und dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß wir
unsere Sache gutgemacht haben und daß die anderen merken, daß wir vorwärts
gekommen sind. Soweit sind wir noch gesund, darum wollen wir zufrieden und froh
sein, da‘ es uns noch so get. Wenn sie Dir gegenüber harmlos tut, so behandle
sie gleicher Weise. Du weißt ja, was du von mir zu halten hast. Das ist sehr
bedauerlich, daß ich das von meinen eigenen Verwandten so schreiben muß, aber
Tatsachen muß man wohl ins Auge sehen, und man soll nicht versuchen, sie zu
verwischen, denn sie würden sich dann doch irgendwie bemerkbar machen. Daß der Paul von Hagnauers auch gefallen
ist, das kann man sich nicht vorstellen, wie alle die jungen Menschen
dahingeopfert werden müssen. Weißt Du noch, wo wir einmal mit den Kindern im
Klausenhorn waren und er kam dort auf dem Pferd angeritten. Ich kann mich an
ihn noch gut erinnern. Früher sagte alle, er sei falsch und verschlagen. Wir
kamen aber später zu einer anderen Ansicht. So kann sich in der nächsten Zeit
manches über Bekannte herausstellen, die ihr Leben gelassen haben. Daß das für
Webers keine Kleinigkeit ist, kann ich mir denken. Erst haben sie den Jungen
großgezogen und dann bleibt so ein junger Kerl hier draußen. Das Leben stand
noch vor ihm und dann womöglich ist alles aus. Man kann das erst mitfühlen,
wenn es einem schon selbst so ergangen ist, daß man hat jemand hergeben
müssen. Über die Dinge im Haus mußt Du
Dich nicht ärgern. Das wäre ja unsinnig. Du siehst, daß man nichts machen
braucht, so sorgen schon andere dafür, daß solch einem Bengel das Fell etwas
kurz gehalten wird. DAß die Frau nicht
in der Lage ist, die Kinder so zu erziehen, wie sie es nötig hätten, das ist ja
vollkommen klar. Wenn die Angelegenheiten sich persönlich auswirken sollten,
dann muß man diese Gesellschaft auf die frechen Fingen klopfen. Im übrigen ist
es besser, man kümmert sich nicht um sie.
Ich habe mich wiederum gefreut, als ich von dem Eintreffen eines meiner
Päckchen wieder lesen konnte. War nichts beschädigt? Der Transport ist ja
ziemlich lang und geworfen werden diese Sachen auch tüchtig. Mit Flaschen ist
ja auch nicht zu spaßen. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Du etwas Öl an
Vater abgegeben hast. Er hat ja jetzt auch nichts. Ich dachte auch schon von
mir aus, daß Du ihm etwas abgeben kannst, wenn Du es für notwendig hältst. Nun
bist Du ja schon mir zuvorgekommen. Ich schrieb vorgestern, daß ich nicht mehr
zu schicken hätte. Es hat sich aber ergeben, daß ich zwei Flaschen, die ich
hier hatte, verpacken konnte. Die kleine Flasche ist Likör. Er ist hier
hergestellt und schmeckt ganz ordentlich. Der Alkoholgehalt ist gering und den
kannst Du ohne weiteres trinken, wenn er Dir schmecken sollte. Die andere
Flasche enthält Sekt. Ich hoffe auch da wieder, daß diese Sachen gut ankommen.
Aber heute konnte ich schon wieder zwei Päckchen fertig machen Das eine enthält
eine Flasche Cognac und in dem anderen habe ich Haarwasser, Hautcreme und
Zahnpasta sowie etwas Tabak verpackt. Diese vier Päckchen haben die Nummern 24
bis 27. Soweit Du diese Sachen nicht verwendest, hebe sie bitte auf. Ich
glaube, daß wir eine ganz ansehnliche Flaschensammlung da stehen haben. Wenn wir gesund bleiben, und das hoffen wir
ja alle ganz fest, dann haben wir für ab und zu einen Tropfen stehen. Es kann
sein, daß Du noch Porto nachzahlen musst.
Es ist zwar nicht statthaft, daß die Päckchen mehr wiegen, aber solange
die Kameraden hier die Sachen abnehmen und befördern, dann bin ich froh darum.
Es wäre dann schwierig, das Zeug mit herumzuschleppen. Ich bin froh, wenn ich
es immer wieder aus der Hand habe. Zwei kleine Päckchen mit Briefumschlägen
habe ich auch mit fertiggemacht, die ich mit an Dich abschicke. Du kannst sie
mit aufheben, denn ich denke, daß Du schon Verwendung dafür haben wirst. Dich
und die Kinder grüße und küsse ich recht herzlich und bin immer wieder Dein
Ernst.
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