Meine
liebste Annie ! 18.2.43
Wieder
bin ich in einer neuen Umgebung und doch kann man sagen, es ist jedes mal
dasselbe. Erst erscheint einem alles neu und verändert. Man richtet sich danach
ein und bald hat man sich an die neue Tapete und alles, was drum und dran
gehört gewöhnt. Ich kann nur immer wieder feststellen, ich wundere mich, wie
ich mich an diesen ganzen Rummel so gewöhnt habe. Ich war früher kein so großer
Freund vom vielen Wechsel. Aber durch die Notwendigkeit und durch den Zwang,
der sich daraus ergibt, murrt man am Anfang innerlich und dann findet man sich
damit ab, weil es einfach nicht anders geht. Bei dem letzten Wechsel war ich
gerade im Begriff, mich einer Errungenschaft des Westens mit vollstem Genuss
hinzugeben, als mich der Befehl des Packens und des Abmarsches erreichte. In
einem der Quartiere eines Kameraden befand sich ein Wannenbad, das richtig in
Betrieb war. Ich gedachte ein Vollbad zu nehmen, weil ich das hier im Osten
noch nie auskosten konnte. Ich hatte
alles soweit vorbereitet, als eine Ordonanz von uns kam und mich mit dem Befehl
überraschte. Trotz allem habe ich mich aber dann doch nicht davon abhalten
lassen und habe mich erst einmal in die Wann heißen Wassers gestürzt. Ich musste
feststellen, daß das wirklich eine Wohltat war. Bisher konnte man sich immer
nur in der Waschschüssel „baden“ oder besser gesagt, abwaschen. Wenn man auch
nicht ganz sauber wurde, so hatte man doch das Gefühl, daß wieder einmal Wasser
an den Körper gekommen war. Man hilft
sich, so gut man kann und freut sich, wenn man von unserer Kultur etwas
abbekommt. Trotz allem, so komisch einem das selbst in den Ohren klingt, aber
ist es einem nicht so ganz einerlei, daß jetzt die Russen wieder in der Stadt
Charkow sind. Man hat doch ein
Stückchen Arbeit dort hinterlassen. Monatelang war ich dort tätig, und es ist
einem damals nicht so bewusst worden, wie es einem zumute wäre, wenn man die
Stadt für den Russen wieder räumen müsste. Dieser Fall ist ja inzwischen eingetreten.
Es wäre anders, wenn man dort weggegangen wäre, und die anderen deutschen
Kameraden hätten den Betrieb übernommen. Nur die völlige Aufgabe, die bedrückt
etwas. Wie ich gestern schon schrieb, ist es ja nicht so, daß wir daran
glauben, daß uns die einmal eroberten Gebiete für immer wieder entrissen sind,
sondern daß es uns vielleicht durch einen Großen Gegenschlag gelingt, endlich
einmal mit den Russen Schluss zu machen.
Ich habe vorhin ein Päckchen gepackt. Mit den Nummer bin ich nicht ganz
im Bilde, weil meine sämtlichen Unterlagen sich im Koffer befinden. Ich habe
darum die Nummer 18 genommen, da ich annehme, daß diese richtig ist. Es ist
etwas Speck, den ich von der Marschverpflegung überbehalten habe. Du wirst ihn
sicherlich gut gebrauchen können. Mit der Post bei uns ist es noch das alte
Lied. Wir sitzen wieder auf dem Trockenen und warten. Man kommt so ganz aus der
gewohnten Reihe. Ich gebe aber trotzdem die Hoffnung nicht auf. Ich sende Dir recht viele herzliche Grüße
und küsse Dich, mein liebes Mädel, vielmals. Dein Ernst.
Meine
liebe Frau, meine liebe Annie ! 20.2.43
Nun
sitzen wir schon den vierten Tag hier und warten auf die Entscheidung, was mit
uns geschehen soll. Unsere ganze Einheit wird aufgelöst und auseinandergerissen.
Wir wollen unsere uns verbliebenen Geschäfte abwickeln, können dies aber
deshalb nicht tun, weil unsere sämtlichen Schriften unterwegs sind. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß diese Sachen nach Deutschland rollen. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf,
daß wir diese Sachen doch noch erhalten werden. Es geht jetzt etwas
durcheinander. Es ist jedoch bestimmt zu erwarten, daß sich die Lage bald
stabilisieren wird. So ein Rückzug ist keine Kleinigkeit. Wenn man bedenkt, daß
unser Apparat nun vorher monatelang immer an einem und demselben Fleck gesessen
ist und der sich nun ziemlich plötzlich nach rückwärts in Bewegung setzen muß,
so ist das keine Kleinigkeit. Wie ich schon oben erwähnte, hat sich unser
Verein aufgelöst und existiert als solcher in der früheren Form nicht mehr. Die
Männer werden zu anderen Einheiten kommandiert und versetzt. Über unser
Schicksal ist noch nicht entschieden. Ich mache mir deshalb aber keine Sorge,
denn es wird schon wieder in irgendeiner Form klappen. Ich werde mich dann
schon wieder einrichten. Charkow ist ja
nun, wie Du aus dem Wehrmachtsbericht gehört hast, wieder in russischer Hand.
Die letzten Wochen war es ja nicht mehr schön dort. Am Tage und mit Eintritt
der Dunkelheit fing der Fliegeralarm an und die Bombardierungen. Diese
wiederholten sich durch die ganze Nacht, so daß wir meist, 8, 10 und 12 mal
geweckt wurden bzw. in den Keller mussten. Am Ende hatte man sich schon daran gewöhnt. Auf unseren Geschäftsräumen
ging automatisch das Licht aus. Man kam schon ganz aus der Ordnung, wenn der
sich mit ziemlicher Genauigkeit entwickelte Fahrplan nicht eingehalten wurde.
In den späten Nachtstunden war man dann meist so müde, daß man den Alarm nicht
mehr gehört hat und die eine oder andere Warnung überhört hatte. Ich hatte Dir damals ja schon geschrieben,
daß wir sehr stark in der Arbeit drinstecken.
Wir hatten für den Abtransport der für uns arbeitenden einheimischen
Kräfte und vor allem für die Deutschen und Volksdeutschen zu sorgen. Das war
keine kleine Aufgabe. Die Einheimischen wurden aufgefordert, freiwillig mit
zurückzugehen. Ein großer Teil hat wohl von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht, ein zwar nicht unbeträchtlicher Rest ist zurückgeblieben. Was aus
diesen Leuten geworden ist, kann man nicht sagen. Es ist aber nicht
ausgeschlossen, daß ihnen der Russe jetzt nichts tut, da er selbst die Leute
brauchen wird. Auch die Künstler und die Wissenschaftler wurden von uns mit
zurückgenommen. Es war keine Kleinigkeit, diese Leute dazu zu bewegen, denn
auch sie hängen ja an ihrer Heimat. Wann sie jemals wieder zurückkommen können,
das steht doch noch dahin. Man kann es noch nicht übersehen, aber ich bin
überzeugt, daß in dieser Richtung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Es
ist das beste, wir hoffen und vertrauen und stellen sämtliche Zweifel beiseite.
Wenn man bedenkt, was dort schon alles unter deutscher Führung aufgebaut war,
so kann man es erst nicht fassen, daß wir das alles verlassen mussten.
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