Samstag, 24. Februar 2018

Brief 383 vom 22.02.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                       22.2.43 
        
Die Woche nimmt wieder ihren Anfang. Ausnahmsweise bin ich fast ohne Arbeit. Man kommt sich ganz eigenartig vor. Man ist an das Gleichmaß und an das tägliche Tempo der Arbeit gewöhnt, so daß man sich direkt faul vorkommt. Unser Gepäck ist immer noch nicht eingetroffen. Wenn das der Fall wäre, hätte ich immerhin schon einige Arbeit. Du siehst aber wieder daraus, daß der Mensch nie zufrieden ist. Hat er viel Arbeit, dann klagt er; hat er dagegen keine, dann ist es ihm auch nicht recht.  Gestern bekam ich als einzigen Brief ein Schreiben von der Stadtverwaltung. Es war die Antwort auf mein Gesuch vom 10.1. Wie nicht anders zu erwarten, wurde mein Gesuch wieder abgewiesen. Es wurde damit begründet, daß die in diesem Erlass angeführten Anwärter diejenigen Bewerber und Dienstanfänger sind, die bei der Einberufung zum Vorbereitungsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Anwärter ernannt werden. Ich sei aber kein Anwärter, sondern bereits Beamter. Das stimmt teilweise. Ich finde, daß dies wieder mit Absicht auf ein anderes Gleis geschoben worden ist, denn die Auslegung ist engherzig und zwar nach meiner Ansicht so engherzig wie nur möglich Von nationalsozialistischer Auffassung keine Spur. Durch meine Meldung zum Vorbereitungsdienst für die höhere Beamtenlaufbahn, bin ich doch immerhin wieder Anwärter für diesen Dienst. Dies wird aber absichtlich umgangen und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß mein „Freund“ bei der Personalabteilung sich wieder ein Glanzstück geleistet hat. Ich ärgere mich schon nicht mehr über diese Sachen, sondern ich versuche meine Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ich gebe nicht Ruhe, bevor ich davon überzeugt bin, daß ich überhaupt nichts mehr machen kann. Ich habe zwar meine sämtlichen Unterlagen in meinem Koffer, der noch unterwegs ist. Wenn diese Sachen da sind, will mein Chef sich dieser Sache insoweit annehmen, als er diesen Fall unserer höchsten Dienststelle mit einer Klarstellung der ganzen Angelegenheit vorlegen will. Wenn von dort aus nichts getan werden kann, dann werden meine Bemühungen vorerst wohl zwecklos sein. Aber ich werde weiterhin nach neuen Mitteln zu trachten, die mir zu meinem Recht verhelfen. Ich stehe sonst den Dingen ziemlich kühl gegenüber, doch muss ich darauf sehen, daß uns nichts verloren geht, denn ich sehe nicht ein, daß ich den anderen gegenüber ins Hintertreffen kommen soll. Es wäre ja nur zu unser aller Nachteil.  Sonst sieht man darauf, daß die Mahlzeiten richtig eingehalten werden und daß man dabei nicht zu kurz kommt.  In Poltawa war es in dieser Hinsicht nicht gut gewesen. Hier bekommen wir ein kräftiges und ausreichendes Essen. Wenn man das wieder hat, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus. Ansprüche an Einrichtung und Komfort stellt man ja schon nicht mehr. Man ist ja froh, wenn man sein Bett hat, einen ordentlichen Strohsack drin und die notwendigen Decken dazu. Dann hat man eigentlich alles, was man bei bescheidenen Verhältnissen haben sollte. Manchmal geht es zwar noch einfacher zu, doch bis jetzt ist es bei uns noch nicht soweit. Unsere Betten haben wir immer noch mit verladen können und das hat sich bisher als sehr nützlich erwiesen. Man ist doch am anderen Tag einigermaßen ausgeruht. Vielleicht würde man sich an einen anderen Zustand auch gewöhnen, wenn es aber noch nicht notwendig ist, dann lässt man das sein.  Das lange Warten ist nun doch belohnt worden. Mit der Abendpost habe ich wieder Verbindung mit Dir bekommen. Deine beiden Briefe vom 11. und 12. trafen ein. Ich habe daraus lesen können, daß daheim wenigstens noch alles gesund ist. Die dazwischenliegende Post von bald drei Wochen erwarte ich noch. Aber ich bin schon froh um das, was ich erhalten habe. Wie ich aus dem ersten Schreiben entnehmen kann, war Nannie in Konstanz. Dein Vater hat uns auf diesen Fall hin auch geschrieben, wie ich aus dem Durchschlag gelesen habe. Was sonst noch geschehen ist, werde ich wohl in Kürze aus den nun wohl langsam eintreffenden Briefen ersehen. Die Zeitung vom 13.2. habe ich auch erhalten. Die Danksagung habe ich gelesen.
Ich sehe, daß alles auch ohne meine Mithilfe ganz gut gegangen ist. Die Anregung wegen des Grabsteines waren auch schon meine Gedanken. Ich matte mich auch schon gefragt, in welcher Weise wir ihm noch etwas tun können. Ich bin gleichfalls auf diese Idee verfallen. Ich glaube, aus Deinem Brief entnehmen zu können, daß Du mit Nannie und Paula während des Aufenthalts von Nannie in Konstanz zusammen gewesen bist. Ich bedauere nur, daß Du Dich wieder hast ärgern müssen.  Aber auch die Rederei von Vater, die nach Deiner Ansicht auf meine beiden Tanten zurückzuführen ist, muß man allgemein unter das traurige Ereignis stellen. Man macht sich Gedanken und sagt immer wieder, hätte man und würde dies und jenes getan worden sein. Damit ändert man aber an der nun einmal bestehenden Tatsache leider nichts mehr. Ich habe schon viel über dies geschrieben, doch werde ich das Schicksal nicht anklagen, denn wir müssen immer wieder an die Lebenden denken und das Leben für die Lebenden einrichten. Das ist kein Fatalismus, sondern eine hart Notwendigkeit. Du hast schon früher immer gewusst, daß ich viel für Kurt, trotz seines manchmal eigenartigen Wesens, übrig gehabt habe. Daß dies vielleicht aus meinen letzten Briefen besonders hervorgegangen ist, hängt mit der Erinnerung zusammen, die an vielem hängt, das man mit ihm erlebte. Daß Dich ein Teil meiner Päckchen ordentlich erreicht hat, war mir wieder eine besondre Freude. Daß in dem Verpackungsmaterial noch Gebäck dazwischengekommen ist, ist auf einen Fehler von mir zurückzuführen. Ich habe es jedenfalls übersehen. Daß Di alles bei Deiner Haushaltsführung mithelfen wird, ist mir eine große Beruhigung.  Aus den vorangegangenen Briefen hast Du ja lesen können, wie wir inzwischen weitermarschiert sind. Gesund bin ich bisher immer noch geblieben, und ich hoffe auch, es weiterhin gut durchzustehen. Du brauchst Dir bestimmt keine Sorgen machen.  In unserem Interesse werde ich mich, soweit es mir möglich ist, gesund erhalten.  Dein Päckchen habe ich wohl noch nicht bekommen, ich hoffe es aber in den nächsten Tagen mit der anderen Post zu erhalten. Du mußt Dir nichts absparen, denn ich habe wirklich ausreichend zu essen. Wenn es tatsächlich einmal knapp zugehen sollte, dann ist das meist nur vorübergehend, und da helfe ich mir schon wieder.  Mit dem Arbeiten von Vater stimmt es ja schon, daß es nicht mehr so wie in früheren Jahren geht. Wichtig ist ja, daß er seine Beschäftigung hat und daß er sich dabei nicht o kaputtmacht, daß es ihm schadet. Daß das alles nicht mehr so wie früher geht, ist ja vollauf erklärlich. Unser Junge ist doch ein Schlingel. Dem muß man mit allen Kniffen beikommen, wenn man bei ihm etwas erreichen will. Wenn sein Kollege Richard dabei ist, dann läßt er sich zum Turnen verleiten. Das ist doch ein Schlawiner. Ich freue mich, daß Ihr immer ziemlich regelmäßig zum Baden geht. Dies ist doch Eurer Gesundheit nur zuträglich, ganz abgesehen davon, daß man dabei auch noch sauber wird.  Ich grüße Dich und die Kinder vielmals und sende Dir wieder besonders herzliche Küsse. Mit viel Liebe bin ich immer Dein Ernst.  Den Zeitungsausschnitt hebe bitte mit auf und lege ihn zu den Sachen, die wir von Kurt haben. 

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