Mittwoch, 25. Januar 2017

Brief 221 vom 25.1.1942


Meine liebe Annie !                                                            25.1.42    
                   
Vorgestern und gestern habe ich Dir nicht geschrieben. Ich hoffe, daß Du mir das nicht übel nimmst. Aber ich habe nicht so den richtigen Schneid dazu gehabt. Es passiert einem ja selten, daß man in so einer Stimmung ist. Dafür möchte ich aber heute Deine vielen Briefe beantworten, die bis heute seit Freitagabend bei mir eingegangen sind.
Du wirst Dich wundern, aber ich habe seither 5 Briefe von Dir erhalten und zwar die vom 16. bis 20. Das ist doch allerhand. Eine Schweinerei ist nur, daß ich sie erst heute beantworte. Also man langsam, es kommt jeder dran. Und immer schön der Reihe nach.  Daß die Taucherarbeiten Euch interessiert haben, kann ich mir gut vorstellen. Wenn das Wetter nicht zu kalt ist, kann man da schon eine Weile zuschauen. Daß die Kinder etwas mit sehen konnten, war für sie die beste Anschauung.  Denn wenn man etwas gesehen hat, kann man sich etwas derartiges viel besser vorstellen, wie wenn man da stundenlang erzählt.
Mit dem Modellierbogen hast Du unserem Jungen sicher auch wieder eine Freude gemacht. Daß Helga sich nun auf eine so reichhaltige Art und Weise durch den eigenen Einkauf entschädigt hat, wird bei ihr nach dem erlittenen Schmerz wieder Freude ausgelöst haben.  Aber ich muß sagen, daß sie sehr ökonomisch mit dem Geld umgegangen ist, denn sie hat für das wenige Geld doch vielerlei erstanden.
Daß jetzt die Leute sogar auf Zeitungsdiebstahl ausgehen ist doch allerhand. Hat es den Leuten an Klosettpapier gefehlt, daß sie auf einmal alle 4 Zeitungen gestohlen haben.
Daß Du für Erna die Holzdose erstanden hast, wird Dir auch eine Beruhigung sei, nachdem Du Dich schon so lange nach etwas für sie umgesehen hast.
Daß Ihr keinen Unterschied zwischen deutschem und französischem Zucker festgestellt habt, ist mir doch eine gewisse Beruhigung.  Ich hatte Bedenken, ob Ihr ihn wohl werdet verwenden können.  Offenbar ist es aber der Fall.
Mit der Kälte ist es hier so gewesen, daß wir bis Freitag früh noch 10 Grad Frost hatten. Tags vorher waren bis 15 Grad. Dann fiel das Barometer und das Thermometer rapide. Tauwetter, Schneetreiben, Wind und zuletzt trat dann Regen ein. Das Wetter war alles andere als schön. Das kannst Du Dir denken. Da wurden mir auch meine festen Schuhe, die ich noch daheim stehen habe, einen guten Dienst erweisen. Aber es hat ja nicht lange angehalten. Der Wind hat bis heute so ziemlich alles abgetrocknet. Der Schneerest ist wohl noch an den Straßenrändern, aber man kann doch wieder einigermaßen laufen. Zur Abwechslung macht heute einmal unsere Dampfheizung nicht mehr mit. Das ist das Schöne bei uns hier im Hause, daß immer Abwechslung da und etwas kaputt ist. Das Wasser läuft gegenwärtig noch ab, aber man weiß ja nicht wie lang das in Ordnung ist. Darum freut man sich um jeden Tag, wo etwas in Ordnung ist und wo nichts vorkommt.
Du wolltest Dir sicherlich noch einen Spaß daraus machen, um mich auszulachen, wenn ich auf den von Dir fabrizierten Ski fahren will. Daß Du Dich nun halb totlachen willst, darauf will ich es nicht erst ankommen lassen. Ich werde darum Deinem Wunsch entsprechen und von diesem Versuch Abstand nehmen. 
Das mit den Päckchen ist ja Pech. Aber daß Kurt es jetzt bei sich so notwendig braucht, kann ich mir fast nicht vorstellen. Aber es läßt sich ja nun nicht ändern, daß Ihr die Sachen jetzt abschicken könnt. Er wird sich darum gedulden müssen.
Das finde ich nett von Dir, daß Du Deinem Vater öfter schreibst. Ich will ihm womöglich auch heute noch schreiben. Denn ich will ihm doch noch zu seinem Geburtstag gratulieren.
Vom Winter haben wir jetzt nun auch schon einiges gespürt. In der verschiedensten Form. Aber man nimmt alles hin, weil man weiß, daß man die Dinge nicht ändern kann. 
Damit hast Du recht getan, daß Du mit den Kindern in den Wald gegangen bist. Auch das Rodeln hat Dir sicherlich einige Ablenkung gegeben. Ich gebe zwar zu, daß die Sonne noch nicht sehr warm ist, aber ich glaube, daß Ihr Euch Bewegung geschafft habt.  Es ist dann schön, wenn man dann heimkommt und findet eine warme Stube vor. Ich kann mich von früher immer noch gut erinnern, wie das bei uns war, wenn man an so einem Sonntagnachmittags draußen war. Das war immer so wohlig und Du freutest Dich immer so sehr.  Doch auf so was muß man noch eine Weile warten, bis sich das wieder einmal so eingerenkt hat.
Das war ja nicht notwendig, daß sich unsere Helga das Knie aufgeschlagen hat.  Aber so was geht meist schnell und ehe man sich versieht. Wenn es nur nicht Ernsthaftes ist, dann will es noch angehen. Sie war ja schön brav, wie Du schreibst, als Du mit Jörg in der Stadt gewesen bist. 
Bei Euch ist der Winter auch sehr dauerhaft. Man bekommt dann bald genug davon, wenn er lange anhält. Jedenfalls hat man ihn eher über als den Sommer. Meist ist es ja so, daß man von dem am ehesten genug hat, was gerade da ist.
Unserem Jungen hat beim Schulanfang  die Flaggenhissung am meisten gefallen. Daß ihm mit seiner Ledermütze viel Bewunderung widerfährt, hebt  sicher seinen Stolz ungemein. Das sind ja noch alles billige Vergnügen, die man ihnen schon gönnen kann. 
Die Päckchen sind nun teilweise bei Dir angekommen. Neue sind zwar schon wieder unterwegs. Ich hoffe, daß die Früchte nicht zu sehr gelitten haben unter dem Frost. Ich glaube, ich muß damit jetzt erst etwas kurz treten. Die Schlittenfahrt in die Schule hat den Kindern sicherlich gefallen. Denn das kommt ja schließlich nicht alle Tage vor. Daß Du so Freude am Schaffen in der frischen Schneeluft gehabt hast, kann ich mir gut vorstellen. Weißt Du noch, wie wir früher in der Juliusstraße in Leipzig abends noch Schnee geschippt haben. Das hat uns immer Lust gemacht. Ich kann mich noch gut erinnern, daß Du fest dabei warst. Uns kann ja kein Schuhmacher mehr ins Trockene setzen. Wir stellen sie alle kalt, wenn sie nicht mehr wollen. Du kannst ja alles machen, sogar eigenes Nähzeug hast Du Dir jetzt zugelegt. Ich glaube, das hast Du von Deinem Vater. Der hat sich ja auch oft sonntags an die Schuhmacherei gesetzt. Ich weiß es jedenfalls noch gut, wenn er am Sonntagvormittag sagte, zeigt einmal die Schuhe her. Was ist nicht in Ordnung. 
Daß Du nun auch noch andere Sachen auf die gleiche Weise pflegst, ist ja praktisch, doch ich denke, daß das nach dem Kriege nicht mehr sein braucht. Denn ich weiß, wie das bei uns früher auch daheim war. Mein Vater hat das ja auch lange Jahre selbst gemacht. Das notwendige Handwerkszeug hat er sich nicht zugelegt, weil er zu knausrig war. Dann dauerte es immer stundenlang bis er soweit war und der ganze Sonntag war hin. 
Obwohl ich bei Dir solche Bedenken nicht habe, so möchte ich später nicht gern daran erinnert werden, wenn es sich anders ermöglichen läßt. Doch das sind jetzt wieder Zukunftsträume, die man sich für später aufheben muß.  Daß sich unser Junge nicht als Angsthase zeigt und sich nun eine Schleiferbahn den kleinen Buckel herunter angelegt hat, freut mich. Ich sah hier dieser Tage auch einige Jungen, die hatte sich eine Bahn angelegt. Der eine mit hohen Gummistiefeln, die ihm immer nur so um die Waden herumschlenkerten, rutschte nur so  über die Bahn hinweg. Die anderen machten auch fest mit. Nur ein Junge stand mit seinem Vater dabei und sah zu. Als ihn dann sein Vater aufforderte, auch einmal darüber zu schusseln, da wollte er erst nicht und dann ging er doch mit wackligen Knien darüber hinweg. Das sind doch Feiglinge.
Darum soll er nur fest mitmachen. Ich weiß, daß wir daheim immer Krach gehabt haben, weil die Schuhe kaputtgingen, ohne daß man Ersatz dafür schaffen konnte. Aber das verstanden wir doch noch nicht und das kümmerte uns auch sehr wenig, denn beim nächsten Mal haben wir es doch wieder mitgemacht.  Auf die Zeugnisse von unserem Jungen bin ich wohl etwas gespannt. Wir wollen einmal sehen, was er erreicht hat. Man kann ja noch nicht viel sagen. Daß sie nun einen festen Stundenplan bekommen, ist ja gut. Denn es wird nun Zeit, daß sie sich einmal um die Kinder ein wenig kümmern. Immer die wenigen Stunden Schule und die vielen Ferien, da kann ja nicht viel geschafft werden, auch wenn die Kinder noch so einen guten Kopf mitbringen. 
Jetzt mache ich aber Schluß, denn heute habe ich Dir wohl allerhand geschrieben.  Ich grüße und küsse Dich und auch die Kinder recht herzlich und hoffe, daß Ihr alle gesund seid, meine liebe Bande. Dir noch recht viele Grüße und Küsse von Deinem Ernst.

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