Mittwoch, 1. Februar 2017

Brief 222 vom 26./27./29.1.1942


Mein liebes Mädel !                                                      26.1.42                                                     

Nach dem vielen Briefsegen, den ich in den vergangenen Tagen erhielt, bin ich heute nun einmal nicht bedacht worden. Aber ich will Dir noch von anderen Sachen erzählen, wozu ich gestern nicht gekommen bin.
Da erhielt ich noch einen Brief von Siegfried, in dem er mir seine Erlebnisse schildert, die er in Rußland während seines letzten Transports hatte, die mir sehr interessant waren.  Dein Vater will, wie er in dem kurzen Schreiben mitteilt, Dir auch darüber berichten.
Dann erhielt ich von Nannie noch ein Päckchen mit einem Buch, das ich schon gestern ziemlich ausgelesen habe. Es handelt sich von einer Flucht eines deutschen aus der russischen Gefangenschaft. Es heißt „Der Wolf“ und ist mir sehr interessant. Ich schicke es Dir bald mit zu. In ihrem Schreiben teilt sie mir unter anderem mit, daß der Kaffee nicht eingetroffen sei. Mir ist das ärgerlich und peinlich zugleich.  Wie sie mir aber weiter mitteilt, hat ihr Paula ein Fläschchen Kirschwasser zugesandt. Als das Kistchen bei ihr ankommt, ist das Kästchen leer, aber sonst wieder ordnungsgemäß zugemacht worden. 
Das ist doch allerhand, daß so auf der Post geklaut wird, das sollte man doch nicht für möglich halten. Ich hätte ihr das bißchen Kaffee gerne gegönnt, aber man traut sich ja nicht mehr dort etwas hin zuschicken, weil man annehmen muß, es kommt weg. So eine Schweinebande, die so etwas klaut, sollte doch die Krätze an den Hals bekommen und jeder Schluck und jeder Bissen sollte stundenlang hängen bleiben bis denen fast die Luft ausgeht.  Ändern läßt sich das zwar nicht mehr, denn weg ist es nun einmal.
Ich schicke heute ein paar Hefte mit, die ganz nette Bilder haben. Ich denke, daß sie Euch auch gefallen werden. Tageszeitungen habe ich auch noch einige beigefügt. Wir bekommen sie ja immer etwas später, weil die Transportlage nicht ganz so günstig ist. 
Heute früh hatten wir ganz ordentliches Wetter, aber gegen Nachmittag kam ein starker Wind auf und seitdem ist es wieder kalt. Ich glaube, daß es heute Nacht wieder stärkeren Frost geben wird. Das Wetter ist hier ja wechselhaft und so, wie wir es bei uns in unserer Gegend nicht kennen. Das kommt daher, weil wir hier teilweise unter dem Einfluß vom Festlandklima und teilweise unter den Einwirkungen des Seeklimas stehen. Man muß eben zusehen, wie man dabei durchkommt. Für heute ein herzliches Gute Nacht und Dir und den Kindern viele Küsse. Dich grüße ich besonders herzlich. Dein Ernst.

Meine liebe Annie !                                                27.1.42          

Heute habe ich wieder einige Mandarinen gekauft, doch ich getraue sie mir nicht abzusenden, weil ich befürchte, daß sie mir erfrieren. Ich hoffe, daß die, die unterwegs sind, nicht mehr zu sehr leiden. Sollten sie doch angefroren sein, so wird nur helfen, wenn Du sie in kaltes Wasser eine Weile legst. Ich werde sie also diesmal selbst verzehren, sobald das Wetter es aber wieder zulassen sollte, werde ich wieder etwas absenden. 
Post kam heute für die ganze Einheit nicht an. Diesmal waren also alle betroffen.  Bei diesem schlechten Wetter leidet der Transport ungemein, denn das gibt doch Schwierigkeiten bei dieser anhaltenden Kälte. Heute haben wir wieder 9 Grad Frost gehabt. Nachdem nun die längste Zeit die Kälte angedauert hat, sollen wir doch noch Dampfheizung bekommen. Einige Arbeiter haben sich schon sehen lassen. Da kann man noch damit rechnen, daß in diesem Winter die Heizung noch gemacht wird.
Ja man findet sich langsam in das Tempo hinein, denn die Leute machen sich nicht viel daraus, wenn man auch noch so tobt. Wir können das bei unserer Auffassung der Arbeit nicht verstehen. Man kann die Menschen nicht so nach unserem Geschmack und nach unseren Bedürfnissen umbiegen, weil das Tempo schon zu lange in diesem Volk wurzelt.  Wesentliches hat sich heute hier nicht ereignet, von dem man berichten könnte, Post bekam ich auch nicht, so daß es mir heute ein wenig an Stoff fehlt. Nimm darum mit diesem Gruß vorlieb. Ich bitte Dich, unseren Kindern recht herzliche Küsse zu übermitteln. Du selbst nimm noch viele herzliche Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Meine liebe Annie !                                               29.1.42          

Die Post hat mich heute nicht mit einem Gruß von Dir bedacht.  Doch ich muß mich ja darauf umstellen, daß ich meine Briefe von Dir nicht mehr einzeln bekomme. Darum freue ich mich schon heute auf die nächste Massensendung.
Wenn ich Massensendung schreibe, so meine ich damit bei weitem nicht Massenware, denn damit möchte ich Deine Briefe wirklich nicht vergleichen, denn sie sind mir immer etwas Persönliches von Dir. Jeder Brief von Dir bedeutet mir einen Gruß und ist mir immer ein sichtbares Zeichens Deines Gedenkens.  Ich hoffe nun fest, daß keine Komplikationen bis zu meinem in Aussicht gestellten Urlaub eintreten werden. Man ist ja nicht sicher, ob nicht irgendwie eine Sperre von irgendwoher verfügt wird. Erst wenn man auf der Bahn sitzt oder noch besser, wenn man den Urlaub hinter sich hat, kann man sagen, man hat welchen gehabt. Vorher hängt es ja immer von so vielen unbestimmten Faktoren ab, die man nicht gern in Rechnung stellt und die man nicht gern beachten möchte. Aber wir haben ja schon so viele Enttäuschungen in dieser Beziehung erleiden müssen, wie ich Dir gestern schon schrieb, so daß wir diese Enttäuschung auch noch hinnehmen müßten. Wir wollend darum unser Herz festhalten, damit wir uns erst dann richtig freuen, wenn es soweit ist. 
Heute Abend war ich erst im Kino. Es gab einen leichten Film. Es war dies nichts Besonderes und nichts Überragendes. Er hieß „Die Scheidungsreise“. Zur Abwechslung ist es nicht gerade schlecht, es ist aber auch nichts Besonderes. Zu berichten hätte ich heute nichts Wichtiges. Zum Abend fing es wieder einmal an zu schneien.  Die Kälte besteht mehr in der Schärfe. Es kann aber immer noch einmal kommen. Darum warten wir wieder ab.  Für heute sage ich Dir Gute Nacht und grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Dir sende ich noch viele herzliche Küsse. Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen