Mittwoch, 25. Januar 2017

Brief 219 vom 17./19.1.1942


Meine liebe Frau !                                                                            17.1.42        
                          
So wie ich es gestern gedacht habe, so ist heute ein Brief von Dir eingetroffen. Es ist der vom 12.1. Er hat länger wie die vorhergehenden auf sich warten lassen. Das hängt aber wahrscheinlich wieder einmal mit den schwierigen Transportverhältnissen zusammen, die jetzt im Winter herrschen. Ich habe mich aber immerhin gefreut, daß ich heute wenigstens einen Brief zum Wochenende habe. Die Kinder haben also weiterhin Urlaub bekommen.  Doch heute ist ja nun auch der letzte Tag. Morgen ist Sonntag, der zählt eigentlich nicht so mit. Dann werden sie sicherlich übermorgen mit der Schule anfangen. Ich kann mir vorstellen, daß es ihnen auch wieder Vergnügen bereiten wird, wenn sie ihren geregelten Schulgang haben. Die Ferien sind ja ganz schön aber so lange Zeit keine Betätigung, das kann man nicht aushalten, außer man hat es gelernt oder man ist es im Allgemeinen so gewohnt. Ich glaube für uns trifft beides nicht zu und uns steht es auch nicht.
Wenn nun Jörg sich auf die Flaggenhissung freut, so sucht jeder seine Freude auf dem Gebiet, wo sie ihm zusagt und wo er sie schließlich auch findet. Das ist ja eine Freude, die sich ihm im Leben noch öfter erfüllen wird.  Vater kommt, da er jetzt mit seiner Beschäftigung ziemlich lange in Anspruch genommen ist, offenbar öfter zu Dir rauf, damit Du ihm verschiedene Besorgungen erledigst. Wenn du das machen kannst, machst Du es ja gern und für ihn bedeutet es eine Erleichterung, wenn er nicht gleich springen muß. Das geht bei ihm ja auch nicht mehr so wie vor Jahren, wo er meinte, er müßte alles laufen. Da war es ihm doch noch gleich, wenn er dreimal am Tag in die Stadt lief. 
Daß unser Jörg so ein Dummerle ist und immer noch solchen Respekt vor dem Haare schneiden hat, will mir nicht einleuchten, so er doch sonst sich nicht so gleich vor etwas fürchtet. Da muß er sich aber noch richtig zusammennehmen, denn das geht ja nicht.  Womöglich hat er dann später noch Angst vor einem Haarschneider.  Also das soll bald einmal anders werden. Heute habe ich mich nochmals wegen des Stoffes für seinen Anzug umgesehen. Der Rest war nicht mehr da, dagegen hat er vom gleichen Stoff nur ein wenig dunkler, 2.20 m da. Die habe ich zurücklegen lassen. Anders kann er das nicht abgeben. Ich würde es auch noch gemacht bekommen. Aber ich habe die Maße nicht mehr da. Kannst Du sie vielleicht am anderen Anzug abnehmen und dann an ihm nochmals vergleichen. Es gibt dann wahrscheinlich 2 Größen, weil es genügend Stoff ist. Ich denke, daß er sie kaputt bekommen wird. Wenn ich ihn dann auch nicht gleich mitbringen kann, so bekommt er doch wenigstens noch etwas zum Anziehen.
Zum Zahnarzt wolltest Du mit unseren beiden auch bald wieder einmal. Ich könnte mir auch meine Zähne wieder einmal nachsehen lassen. Das kann man ja dann auch wieder einmal machen lassen.
Kalt ist es auch immer noch schön. Aber nichts dauert ewig. Auch diese Kälte hört einmal auf.  Dich und die Kinder grüße und küsse ich recht herzlich und fest Dein Ernst. Das Päckchen Nr. 10 geht mit gleicher Post ab. Es sind Mandarinen drin und ein Pfund Butter. Hoffentlich erhältst Du alles gut.

Meine liebste Annie !                                                          19.1.42      
       
Gestern habe ich Deinen lieben Brief vom 14. und heute den vom 15.1 erhalten. Für beide danke ich Dir vielmals, die ich aber jetzt beantworten will.
Gestern Abend ist uns hier das Feuer im Haus ausgegangen, so daß es ganz nett kühl im Zimmer wurde. Unser Heizer sagte mir vor wenigen Tagen, daß die Kohlen nur noch 10 Tage reichen würden. Das sollte bis fast Ende dieser Woche sein.  Ich habe mir unter Inrechnungstellung der Schlamperei der Franzosen gedacht, wahrscheinlich wird es nicht soweit reichen und tatsächlich war es auch so. Gestern waren sie schon alle. Heute war es nun den ganzen Tag auch noch kalt, etwa 5 bis 6 Grad warm im Zimmer. Wie ich heute Abend heimkomme, sagt die Frau, die hier alles in Ordnung halten muß, in einem Nebenkeller wären noch Kohlen für zwei Tage. Das hat dieser Held nicht gesehen, obwohl er schon seit Monaten im Keller tätig ist. Ja man kann sich das nicht vorstellen, wie gedankenlos die Leute hier manchmal sind. 
Im Sommer wurde in meinem Zimmer ein Waschbecken eingebaut. Damit nun nicht erst lange Leitungen verlegt werden mußten, hat man in die Mauer einfach ein Loch geschlagen und dann an das Abfallrohr der Dachrinne angeschlossen. Jetzt ist es aber nun kalt geworden und damit ist der Abfluß ebenfalls eingefroren. Doch ich halte mich an den mir von Dir gesandten Spruch und wundere mich nur noch, denn bei diesen Leuten hier ist man das schon gewöhnt. Im Büro hatten wir heute auch keine Kohlen mehr. Ich kann nur sagen, daß die Woche gut angefangen hat. Gespannt bin ich nur, was sie noch alles bringt. 
Daß ich nun gleich denke, Du bist schreibfaul geworden, ist nun nicht so. Wenn Du einmal nicht dazukommst oder wenn Du einmal nicht aufgelegt bist, so habe ich auch dafür Verständnis, denn ich weiß, daß Du trotzdem an mich denkst. Wenn Du nun Kopfschmerzen hast, so kann ich dann doppelt verstehen, wenn Du einmal nicht schreibst. 
Du erinnerst mich nun in Deinem Schreiben ernstlich daran, warum ich nichts mehr vom Urlaub schreibe. Ich habe Dich nicht enttäuschen wollen, da jetzt plötzlich eine Urlaubssperre eingetreten ist. In Paris ist eine Typhusepidemie ausgebrochen und zwar unter den Soldaten. Diese Epidemie ist auch schon bis in unsere Gegend gekommen, so daß man jetzt die Sache auf ihren Herd beschränken will. Man hat festgestellt, daß es sich dabei bei den Erkrankten um solche Leute handelt, die in einem Soldatenheim in Paris verpflegt worden sind. Wie ich nun gehört habe, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß in den nächsten Tagen die Sperre aufgehoben werden soll.  Sobald die Aufhebung bekannt gegeben worden ist, reiche ich gleich um Urlaub ein. Ich hoffe also fest, daß uns das Glück ein wenig hold ist. Doch ich möchte natürlich auch nicht haben, daß vielleicht jemand von Euch erkrankt durch eine solche Unvorsichtigkeit. Wollen wir also fest den Daumen halten.
Ich habe Dich scheinbar falsch verstanden, wenn ich glaubte, den Kindern hat die Kokosnuß nicht geschmeckt. Ob ich noch einmal eine bekomme, muß ich erst zusehen. Vielleicht ist es noch möglich.
Ich möchte für heute schließen, morgen werde ich Deine Briefe, soweit es notwendig ist, genau beantworten. Nimm darum viele herzliche Grüße und Küsse entgegen und küsse mir die Kinder vielmals von Deinem Ernst.

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