Dienstag, 28. Juni 2016

Brief 144 vom 27./28.6.1941


Meine liebe Frau !                                                                                           27.6.41 

Gestern bekam ich keine Post. Dies ist ja lediglich die übliche Feststellung und keine Anklage. Die Erfordernisse des Heeres sind dringender, so daß man seine persönlichen Belange zurückstellen muß. Bis jetzt habe ich ja auch selten länger als drei Tage auf Post warten müssen, darum habe ich auch keine Veranlassung, mich zu beklagen.  Nach den Tagen der Hitze und des schwülen Wetter hat es sich vorgestern und gestern durch Gewitter etwas abgekühlt. Es wollte erst scheinen, als würde heute das Wetter trüb bleiben, doch die Sonne hat wieder gesiegt. Die morgendliche Kühle wird wahrscheinlich nicht lange anhalten und die Schwitzerei kann wieder ihren Fortgang nehmen.  Bei uns wird hier zur Abwechslung eine Umorganisation vorgenommen. Unser Sonderführer scheidet aus unserer Abteilung aus und ich soll, neben meiner bisherigen Sozial und Fürsorgetätigkeit, die außerdem noch das Flüchtlings und Heimkehrerwesen umfaßt und das ich alles mit dem Publikumsverkehr, der bei unserer Abteilung vorkommt, erledige, noch die Kraftfahrzeugangelegenheiten, wie ich sie früher schon beim Stadtkommissariat gehabt habe, mit übernehmen. Da mir diese Sachen nicht ganz unbekannt sind, werde ich mich bald wieder hineinfinden. Wie mir unser Assessor sagte, soll ich, da ich außer ihm nur der einzige Beamte bin, Zeichnungsbefugnisse erhalten. Ob wir noch einen anderen Beamten herbekommen, wird fraglich sein. Auch hier lasse ich am besten die Dinge an mich herankommen.  In dieser Woche war ich nicht im Kino, weil es erstens ja warm war. Ich wollte neben der normalen Schwitzkur nicht noch eine zusätzliche machen. Außerdem habe ich die Filme alle schon gesehen, so daß diese Besuche wirklich überflüssig  gewesen wären.  Heute weiß ich tatsächlich nichts weiter zu berichten.  Außerdem habe ich ziemlich zu tun. Ich bitte Dich, für diesmal schließen zu dürfen. Ich hoffe, daß es Dir nun wieder wesentlich besser geht, bitte Dich aber trotzdem, zu meinen Vorschlägen Stellung zu nehmen, damit Du Dich in der nächsten Zeit mehr schonen kannst. Sei vielmals und herzlich gegrüßt und geküßt. Baldige und vollkommene Gesundung wünscht Dir Dein Ernst

Meine liebe Annie !                                                            28.6 41

Vor einem Jahr traf ich in Köln ein. In Erwartung der Dinge, die an mich herantreten würden, ging ich gemäß Marschbefehl an die zuständige Dienststelle. Inzwischen ist nun ein Jahr vergangen.  In wenigen Tagen jährt es sich auch, daß ich in Frankreich eintrudelte. Was hat sich in diesem Jahr alles ereignet. Man muß nun abwarten, wie lange das alles noch dauert. Eines steht fest, daß wir unsere Pflicht tun, wo wir hinkommen und hingestellt werden. Wenn sich auch manche Mißstimmigkeiten einstellen, so darf man sich das nicht verdrießen lassen. Wie ich Dir gleich am Anfang meines hiesigen Aufenthaltes mitteilte, herrscht hier ein Kleinkrieg über die Zuständigkeiten. Vorgestern war ich wieder einmal dran. Doch man soll sich da nichts draus machen. Bei uns ist es hier so, daß mir nur der Kommandant und der Leiter unserer Abteilung etwas zu sagen haben. Darüber ärgern sich hier verschiedene Herren und wollen, was überhaupt unsere Abteilung anbelangt, nach Möglichkeit am Zeug flicken. Das geht im Allgemeinen sehr schlecht, denn wir verhalten uns so, daß das ziemlich ausgeschlossen ist. Es bleibt diesen Leuten dann weiter nicht übrig, zu ganz verzweifelten Mitteln zu greifen. Unser Spieß (Stabsfeldwebel, der auch 2 Sterne mehr hat als ich und zwölfjähriger Soldat) ließ mich zu sich rufen, um mich etwas über meine Personalien zu fragen. Da ich hier erst etwas dienstlich zu erledigen hatte, ließ ich sagen, daß ich sobald ich frei bin, zu ihm kommen würde. Die Ordonanz war kaum unten, klingelt bei mir das Telefon und er brüllt in das Telefon rein, daß es nur so eine Lust war, sich das anzuhören. Ich habe ihm dann gesagt, daß er mir nichts zu sagen hat und er warten muß, bis ich mit meinen Leuten hier fertig bin. In seinem Ärger ist er gleich zum Kommandanten gelaufen und hat ihm den Fall erzählt. Auch der hat nichts Eiligeres  zu tun und läßt mich sofort zu sich kommen. Nach einer kurzen Erklärung von mir brüllt mich der nun an, daß ich, wenn ich erschrocken wäre, mich nicht mehr hätte halten können. Ich habe aber alles über mich ergehen lassen. Unserem Assessor habe ich dann von dem Vorfall Meldung erstattet. Nachdem diese ganze Geschichte zu Unrecht erfolgte, hat er unseren Chef gestellt und ihm gesagt, daß dies in dieser Form nicht geht. Da mir der Kommandant noch sagte, ich soll wieder beim Antreten mit dabei sein, bedurfte diese Angelegenheit nochmals einer Klärung. Auch diese Geschichte ist dann durch unseren Assessor wieder geradegebogen worden, und der Chef mußte sich auch hier in seine alte Stellung zurückziehen. Es ist wohl rein äußerlich Friede geschlossen worden, doch haben wir das Empfinden, daß das Feuer unter der Decke weiter glimmt. Warten wir auf den neuen Ausbruch. Ich wollte Dir nur an diesem Beispiel zeigen, mit was wir hier manchmal zu kämpfen haben. Ich ärgere mich über diese Dinge nicht mehr, da man mit der Zeit ein dickes Fell kriegt. Im Übrigen ist ja der Schuß hinten hinausgegangen und meine Stellung dadurch gefestigt worden. Ich weiß, daß ich das Vertrauen meines direkten Vorgesetzten habe und das genügt mir, dann können mir alle die anderen den Buckel rauf steigen. Im Übrigen hält unsere Abteilung ausgezeichnet zusammen, so daß es da keinen Mißton gibt. Du brauchst Dir deshalb keine Gedanken zu machen, daß es mir etwa schlechter oder besser ginge, denn die Verhältnisse sind hier nun einmal so, und damit muß man sich abfinden. Auf meinem Schreibtisch habe ich schöne Rosen und die duften. Jetzt ist ja auch auf der Mainau die Zeit der Rosenblüte. Wenn Du kannst, fahre doch einmal mit dem Schiff hinüber. Voraussetzung ist natürlich, daß das Dein Gesundheitszustand erlaubt. Wie das in den nächsten Tagen mit der Post werden wird, muß man abwarten.  Ich sende Dir recht herzliche Grüße und Küsse. Es denkt viel an Dich Dein Ernst

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