Dienstag, 14. Juni 2016

Brief 139 vom 14.6.1941


Meine liebe kleine Annie !                                                                      14.6.41     

Recht vielen und herzlichen Dank für Deine beiden Briefe vom 7. und 8. 6 Leider muß ich immer noch lesen, daß Du mit Deinem Katarrh sehr zu tun hast. Der Gesundungsprozess geht langsam vonstatten, und du mußt schon sehr viel Geduld aufbringen, damit Du wieder ganz in Ordnung kommst. Nimm Du Dich nur in acht und schone Dich.  Kurt hatte mir ja auch geschrieben und wieder Antwort bekommen. Wenn Du nicht gesund bist, ist es besser, wenn Du nicht  so viel schreibst. Die Eltern haben von mir auch wieder Nachricht bekommen.
Ich glaube, das macht Freude, wenn an dem selbstgezogenen Stachelbeerbäumchen nun schon einige Beeren sind.  Bei Kindern ist das einmal so, daß sie allein noch nicht die Ausdauer haben, selbständig und ausdauernd im Garten zu schaffen.  Wenn jemand dabei ist, geht das schon eher. Als ich von der Abtrocknungsgeschichte las, die Du mir mitteiltest, mußte ich an meine eigene Kindheit denken. Wir haben es auch nie gern getan, und wir haben deshalb auch immer Streit gehabt, wer abtrocknen muß. Mit einigem Gemaule haben wir es dann doch getan, aber mit Widerwillen. Hauptsache war aber, daß wir es gemacht haben. Auch Schuhe putzen war nicht meine Stärke, doch das brauche ich ja nicht besonders bestätigen, das weißt du noch aus eigener Anschauung. Aber das läßt sich nicht ändern, diese Arbeit muß gemacht werden. Im übrigen müssen sie sich an die Arbeit gewöhnen. Daß Helga keinen Kuchen mehr essen will, mutet mich komisch an. Wieso kommt dann das. Schokolade habe ich nochmals welche gekauft und auch einige Pralinen. Für Vater etwas Tabak und Zigarren. Wenn er nach dem Preis fragen sollte, und wenn er ihn bezahlen will, kannst Du ihm sagen, daß der Tabak wohl teuer sei.  Es sind 3 Päckchen und kosten 2,70, die Zigarren 3,50 RM. Die Kameraden sagen aber, denn ich kann es nicht beurteilen, daß die Sachen gut sein sollen. Die Pralinen schicke ich auch demnächst mit ab. Es sind wieder besondere Sachen dabei, die Euch sicher schmecken werden.  Unser Kameradschaftsabend wird wahrscheinlich erst Anfang nächster Woche steigen. Ebenso ist für unser neues Heim für Kameraden Donnerstag eine kleine Feier im engen Kreis vorgesehen. Ich selbst will zusehen, daß ich heute nun einziehen kann. Nach echt französischem Muster wird alles hinausgeschoben.  Wenn man sich nicht überall dahinter stellt, kommt es nicht zum Klappen. Die Leute haben eben viel mehr Zeit wie wir. Ich habe das gestern wieder gut beobachten können. Ich war beim Friseur.  Bei uns in Deutschland war ich auch in Karlsruhe bei einem Friseur, der hatte mich innerhalb von 5 - 7 Minuten fertig gemacht. Dafür war ich dann auch gleich 90 Pfennige los. Hier macht man das mit der Ruhe und mit Ausdauer. Da wird man gefragt, wollen sie mit der Schere oder mit der Maschine geschnitten haben. Die Maschine wird zwar auch mit der Hand betrieben, doch das verlangt nicht so viel Fertigkeit und Geschick. Ich sage zu ihm, daß mir das gleich sei. Er legt nun seine ganze Standesehre rein, fängt an mit der Schere zu schneiden. Immer, wenn er ein Stückchen weiter gekommen ist, sieht er es sich von der Seite an, rückt meinen Kopf gegen den Spiegel zu zurecht und fragt mit einer bewunderungswürdigen Ruhe „Ist es so recht“ oder „gut“.
Wenn er dann weiter macht, lobt er seine Arbeit und fügt erklärend  hinzu „Das ist weder lang noch kurz“. Kommt er auf die andere Seite, fängt das ganze wieder von vorne an. Anschließend läßt man sich den Kopf waschen. Da ist es notwendig, daß er da aufklärend wirkt und sagt: „das ist Shampoon“, „gut“ Wieder geht es mit der gleichen Ausdauer los. Erst schön eingeseift, durchmassiert, Wasser hinzu, durchgewaschen und dann gespült. Das vollzieht sich mit einer Selbstverständlichkeit, die ist bewunderungswert. Das Abtrocknen vollzieht sich auch mit einem bestimmten Ritus. Dann fragt er, ob man Massage, Parfüm oder sonst was haben will. Doch damit nicht genug. Mit dem Rasieren würde er die ganze Litanei wieder von Anfang machen. Doch dazu lasse ich es nicht kommen. Das ganze Haarschneiden mit Kopfwaschen kostet dann 60 Pfennig. Da hat man doch etwas für sein Geld, und dafür kann man so eine halbe bis dreiviertel Stunde sitzen. Mit Geduld muß man sich da wappnen und die Nerven darf man dabei nicht verlieren, denn sonst ist man gleich verloren. Das habe ich Dir wieder einmal ausführlich geschildert.  Als ich vorgestern in Lille war, hat ein Kamerad meinen Drehbleistift mit den 5 Farben gesehen. Er hat mich darum gebeten, ihm auch einen zu beschaffen. Du kannst einmal zusehen, ob Du ihn in Konstanz bekommst. Soviel ich weiß, habe ich ihn auf der Marktstätte neben dem Zigarrengeschäft Haisch schon gesehen. Er kostet etwa 3,50 RM. Dazu möchte ich noch einen Satz Ersatzminen haben. Denke bitte einmal daran.
Recht herzliche Grüße und Küsse sende ich Dir heute und bitte Dich wieder, schone Dich und sieh Dich vor. Völlige Besserung wünscht Dir heute  wiederum Dein Ernst

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