Samstag, 11. Juni 2016

Brief 138 vom 11./13.6.1941


Meine liebe kleine Annie !                                                                              11.6.41     

Gestern habe ich auch wieder vergeblich auf einen Brief von Dir gewartet, doch wie ich Dir in meinem letzten Brief geschildert habe, ist das auf die veränderten Beförderungsverhältnisse zurückzuführen.  Zu berichten hätte ich heute eigentlich nicht viel, denn der Dienst geht hier den allgemeinen Lauf. Am Vormittag Publikumsverkehr und Schriftwechsel, und am Nachmittag ebenfalls wieder Schriftwechsel ohne Publikum.  So besteht ein gewisses Gleichmaß der täglichen Arbeit, das den Tag vorschreibt und einteilt. Die Abwechslung selbst liegt dann in den einzelnen Fällen, und der läßt ja nicht auf sich warten.  Das ist auch das, was den Geist wach hält und immer wieder neu anspannt.
Dieser Tage war ein Kriegsverwaltungsrat bei uns, der kam von der Feldkommandantur und hat mir verschiedentlich in meinen Kram reinpfuschen wollen, dem habe ich aber geholfen.
Wenn es nach dem gegangen wäre, hätte er alles genehmigt, und ich wäre beim Assessor in Teufels Küche gekommen. Sich in jeden neuen Fall hineindenken und immer wieder die Ursache sichten und ergründen, das ist das, was den Geist rege und wach hält.
Auffallend ist hier der Bettel durch Kinder. Hier ist eine Kaserne von Landesschützen.
Von dieser Kaserne wird mittags immer Essen abgegeben. Das hat sich schon so eingebürgert, daß die Leute, meist Kinder, auch zu den übrigen Tageszeiten dort erscheinen. Meine bisherige Wohnung liegt nur wenige Meter von dieser Kaserne entfernt, so daß ich das immer ganz gut beobachten kann. Wenn sich nun irgendein Soldat in der Nähe sehen läßt, wird er entweder nach Brot oder Geld angehauen.  Dieser Geldbettel wird selbstverständlich von den Eltern unterstützt. Dieser Tage mußte ich feststellen, daß Verschiedene auf eine neue Tour gekommen sind. So machte dieser Tage ein kleineres Mädchen halt „Nimm Haltung an“ und grüßte nach deutscher Art. Ich mußte erst lachen, weil ich dies ja auch von unseren deutschen Kindern kenne. Als ich aber lachte, sagte sie gleich  "un Franc"  das ist ihr Kriegsgeschrei. Die Folgen des verlorenen Kriegs mögen diese Verhältnisse, die schon früher auch bestanden haben, noch weiter verschärft haben.  
Am Montag und gestern habe ich das Kino besucht. Am Montag hat es einen Film gegeben, bei dem man am Ende des Films genau so viel gewußt hat wie am Anfang. Der Film von gestern war dagegen bedeutend besser. Es war zwar auch keine große Sache, aber man ging schon befriedigter heim.  Heute ist wieder ein wichtiger Tag. Zahltag. Die Dekade ist vorbei und wir werden wieder einmal Geld empfangen.
Herzlich grüßt und küßt Dich Dein Ernst

Meine liebe Annie !                                                                                                 13.6.41

Gestern bin ich nicht Dazu gekommen, Dir zu schreiben, denn ich bin schon vormittags gegen 8 Uhr hier weggefahren mit dem Zug nach Lille. Ich hatte verschiedene Dienstaufträge zu erledigen. Ich hatte ziemliche Lauferei, doch zu den verschiedenen Besuchen hat es dann am Nachmittag noch gelangt. Erst war ich bei Graser, und zum Mittagessen im Café. Obwohl ich mich nicht angemeldet hatte und gerade erst zum Mittagessen eintraf, bekam ich doch noch ein schönes Essen. Das war wieder einmal ein Lichtblick nach unserer jetzigen Verpflegung. Es ist eben doch etwas anderes als das dauernde Einerlei. Die Buchhandlung habe ich auch aufgesucht und habe nach den beiden Sachen gefragt von Busch. Die eine hatte es nicht da, und in die andere Buchhandlung bin ich nicht mehr hingekommen. Ich werde an einem der kommenden Sonntage wieder 2 x fahren und in der anderen Buchhandlung nachfragen. Es gab wohl einige Sachen von Busch, so unter anderem Skizzen von ihm. Das sind wirklich schöne Sachen. Der Preis mit 4,80 RM ist aber im Verhältnis zu hoch. Später kann man sich dies vielleicht einmal zulegen. Ich werde aber demnächst in dem anderen Geschäft noch einen Versuch machen.  Deine beiden Briefe vom 5. und 6.6. bekam ich vorgestern Abend überreicht.
Ich Danke Dir vielmals Dafür. Leider muß ich immer noch lesen, daß es mit Dir noch nicht wesentlich besser geht. Lasse es nur in Ruhe ausheilen und brich nur nichts übers Knie. Die Amaryllis macht Dir scheinbar sehr viel Spaß. Das freut mich selbstverständlich auch. Mit dem Schulranzen ist es ja nun in Ordnung und wenn er gut gemacht ist, finde ich den Preis für die Reparatur nicht gerade hoch. Nun dient er noch unseren Kindern, nachdem ich ihn die ganze Schulzeit getragen habe, und Kurt ihn auch noch eine Reihe von Jahren benutzt hat. Hier war es also ganz gut, wenn man etwas aufgehoben hat.  Mit der Angelegenheit wegen Nannie kann ich Deinen Standpunkt wohl verstehen.
Ich habe mir Dabei in Bezug auf Deine Einwendung  vorher keine großen Gedanken gemacht. Du hast es, als meine Frau, nicht nötig, anderen Leuten, selbst meinen Verwandten, nachzulaufen. Ich billige Deinen Standpunkt durchaus. Ich bitte Dich aber, wenn sie zu Dir kommen sollte, erst einmal zu sehen, wie sie sich Dir gegenüber verhält.
Nicht daß man das Kind mit dem Bade ausschüttet. Je nach ihrem Verhalten kannst Du Dich dann auch anstellen. Wir müssen ja nicht mit unseren Verwandten zusammenleben und wir beide sind die Jahre vorher auch miteinander ausgekommen, so daß ich keine Veranlassung sehe, wegen dieser Angelegenheit hier einen Stein des Anstoßes zu schaffen.
Scheinbar macht sich, nach Deiner Schilderung, unser Junge jetzt an das Basteln heran.
Das kann bestimmt nichts schaden, wenn er seinen Geist beschäftigt und wenn er etwas Geschick dafür zeigt, soll er es ruhig machen. Bei uns hatten wir früher wenig Gelegenheit gehabt, etwas zu machen, weil unser Vater so kleinlich war mit seinem Werkzeug. Du kannst Dir das ja vorstellen, wie es da gewesen ist.
Recht herzliche Grüße und Küsse sende ich Dir und unseren Kindern Dein Ernst
Recht baldige und gute Besserung wünsche ich Dir auch noch.

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