Meine
liebe kleine Annie ! 11.6.41
Gestern
habe ich auch wieder vergeblich auf einen Brief von Dir gewartet, doch wie ich
Dir in meinem letzten Brief geschildert habe, ist das auf die veränderten
Beförderungsverhältnisse zurückzuführen.
Zu berichten hätte ich heute eigentlich nicht viel, denn der Dienst geht
hier den allgemeinen Lauf. Am Vormittag Publikumsverkehr und Schriftwechsel,
und am Nachmittag ebenfalls wieder Schriftwechsel ohne Publikum. So besteht ein gewisses Gleichmaß der
täglichen Arbeit, das den Tag vorschreibt und einteilt. Die Abwechslung selbst
liegt dann in den einzelnen Fällen, und der läßt ja nicht auf sich warten. Das ist auch das, was den Geist wach hält
und immer wieder neu anspannt.
Dieser
Tage war ein Kriegsverwaltungsrat bei uns, der kam von der Feldkommandantur und
hat mir verschiedentlich in meinen Kram reinpfuschen wollen, dem habe ich aber
geholfen.
Wenn
es nach dem gegangen wäre, hätte er alles genehmigt, und ich wäre beim Assessor
in Teufels Küche gekommen. Sich in jeden neuen Fall hineindenken und immer
wieder die Ursache sichten und ergründen, das ist das, was den Geist rege und
wach hält.
Auffallend
ist hier der Bettel durch Kinder. Hier ist eine Kaserne von Landesschützen.
Von
dieser Kaserne wird mittags immer Essen abgegeben. Das hat sich schon so
eingebürgert, daß die Leute, meist Kinder, auch zu den übrigen Tageszeiten dort
erscheinen. Meine bisherige Wohnung liegt nur wenige Meter von dieser Kaserne
entfernt, so daß ich das immer ganz gut beobachten kann. Wenn sich nun irgendein
Soldat in der Nähe sehen läßt, wird er entweder nach Brot oder Geld
angehauen. Dieser Geldbettel wird
selbstverständlich von den Eltern unterstützt. Dieser Tage mußte ich
feststellen, daß Verschiedene auf eine neue Tour gekommen sind. So machte
dieser Tage ein kleineres Mädchen halt „Nimm Haltung an“ und grüßte nach
deutscher Art. Ich mußte erst lachen, weil ich dies ja auch von unseren
deutschen Kindern kenne. Als ich aber lachte, sagte sie gleich "un Franc" das ist ihr Kriegsgeschrei. Die Folgen des
verlorenen Kriegs mögen diese Verhältnisse, die schon früher auch bestanden
haben, noch weiter verschärft haben.
Am
Montag und gestern habe ich das Kino besucht. Am Montag hat es einen Film
gegeben, bei dem man am Ende des Films genau so viel gewußt hat wie am Anfang.
Der Film von gestern war dagegen bedeutend besser. Es war zwar auch keine große
Sache, aber man ging schon befriedigter heim.
Heute ist wieder ein wichtiger Tag. Zahltag. Die Dekade ist vorbei und wir
werden wieder einmal Geld empfangen.
Herzlich
grüßt und küßt Dich Dein Ernst
Meine
liebe Annie ! 13.6.41
Gestern
bin ich nicht Dazu gekommen, Dir zu schreiben, denn ich bin schon vormittags
gegen 8 Uhr hier weggefahren mit dem Zug nach Lille. Ich hatte verschiedene
Dienstaufträge zu erledigen. Ich hatte ziemliche Lauferei, doch zu den
verschiedenen Besuchen hat es dann am Nachmittag noch gelangt. Erst war ich bei
Graser, und zum Mittagessen im Café. Obwohl ich mich nicht angemeldet hatte und
gerade erst zum Mittagessen eintraf, bekam ich doch noch ein schönes Essen. Das
war wieder einmal ein Lichtblick nach unserer jetzigen Verpflegung. Es ist eben
doch etwas anderes als das dauernde Einerlei. Die Buchhandlung habe ich auch
aufgesucht und habe nach den beiden Sachen gefragt von Busch. Die eine hatte es
nicht da, und in die andere Buchhandlung bin ich nicht mehr hingekommen. Ich
werde an einem der kommenden Sonntage wieder 2 x fahren und in der anderen
Buchhandlung nachfragen. Es gab wohl einige Sachen von Busch, so unter anderem
Skizzen von ihm. Das sind wirklich schöne Sachen. Der Preis mit 4,80 RM ist
aber im Verhältnis zu hoch. Später kann man sich dies vielleicht einmal
zulegen. Ich werde aber demnächst in dem anderen Geschäft noch einen Versuch
machen. Deine beiden Briefe vom 5. und
6.6. bekam ich vorgestern Abend überreicht.
Ich
Danke Dir vielmals Dafür. Leider muß ich immer noch lesen, daß es mit Dir noch
nicht wesentlich besser geht. Lasse es nur in Ruhe ausheilen und brich nur
nichts übers Knie. Die Amaryllis macht Dir scheinbar sehr viel Spaß. Das freut
mich selbstverständlich auch. Mit dem Schulranzen ist es ja nun in Ordnung und
wenn er gut gemacht ist, finde ich den Preis für die Reparatur nicht gerade
hoch. Nun dient er noch unseren Kindern, nachdem ich ihn die ganze Schulzeit
getragen habe, und Kurt ihn auch noch eine Reihe von Jahren benutzt hat. Hier
war es also ganz gut, wenn man etwas aufgehoben hat. Mit der Angelegenheit wegen Nannie kann ich Deinen Standpunkt wohl
verstehen.
Ich
habe mir Dabei in Bezug auf Deine Einwendung
vorher keine großen Gedanken gemacht. Du hast es, als meine Frau, nicht
nötig, anderen Leuten, selbst meinen Verwandten, nachzulaufen. Ich billige
Deinen Standpunkt durchaus. Ich bitte Dich aber, wenn sie zu Dir kommen sollte,
erst einmal zu sehen, wie sie sich Dir gegenüber verhält.
Nicht
daß man das Kind mit dem Bade ausschüttet. Je nach ihrem Verhalten kannst Du
Dich dann auch anstellen. Wir müssen ja nicht mit unseren Verwandten
zusammenleben und wir beide sind die Jahre vorher auch miteinander ausgekommen,
so daß ich keine Veranlassung sehe, wegen dieser Angelegenheit hier einen Stein
des Anstoßes zu schaffen.
Scheinbar
macht sich, nach Deiner Schilderung, unser Junge jetzt an das Basteln heran.
Das
kann bestimmt nichts schaden, wenn er seinen Geist beschäftigt und wenn er
etwas Geschick dafür zeigt, soll er es ruhig machen. Bei uns hatten wir früher
wenig Gelegenheit gehabt, etwas zu machen, weil unser Vater so kleinlich war
mit seinem Werkzeug. Du kannst Dir das ja vorstellen, wie es da gewesen ist.
Recht
herzliche Grüße und Küsse sende ich Dir und unseren Kindern Dein Ernst
Recht
baldige und gute Besserung wünsche ich Dir auch noch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen