Mittwoch, 6. Januar 2016

Brief 91 vom 3./5.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                        O.U., den 3.1.1941                                      

Nun bin ich schon wieder einen Tag hier und habe einen Arbeitstag hinter mir. Heute früh habe ich als erstes die Post in Empfang genommen. Da war noch Dein Brief vom 17.12. da, dann einer von Nanni, außerdem ein Päckchen vom Amt, eins von der Ortsgruppe und eins vom Böhmann. Mit dem in dem Päckchen gesandten Gebäck und dem, was mir von der Dienststelle geschenkt wurde, habe ich eine ganze Weile zu tun. Außerdem muß ich das von Dir gesandte und mitgebrachte Gebäck nicht vergessen. Dann habe ich mich wieder überall an- und zurückgemeldet, restliches Geld empfangen. Später habe ich mich wieder an unserem Mittagstisch eingefunden, der, wie ich feststellen konnte, durch viele Urlauber sehr zusammen geschrumpft ist. Nach dem Essen habe ich noch ein Auge voll Schlaf mitgenommen, ehe ich wieder zum Dienst gegangen bin. Arbeit liegt genügend vor und ich bin auch deswegen freudig und gern begrüßt worden.  Ich werde es aber schon schaffen und mache mir deswegen auch keinen Kummer. Nach Dienstschluss habe ich unseren Stammplatz aufgesucht, habe auch die Schallplatte, die viel Freude bereitet hat, überreicht. Alles hat sich nach Deinem Wohlbefinden und nach den Kindern erkundigt. Ich hab gesagt, dass Du Dich sehr gefreut hast, ebenso die Kinder, dass ich über die Feiertage wenigstens bei Euch war. Daß Du großen Gefallen an den mitgebrachten Sachen gehabt hast, doch dass so ein Urlaub viel zu kurz ist.
Wir sind aber doch froh, dass wir wenigstens über die Feiertage zusammen sein konnten, darüber sind wir beide uns ja einig.
Ich bin nun auf meiner Bude, der Nordost pfeift durch die undichten Fenster, und trotzdem der Heizkörper ganz heiß ist, ist es frisch im Zimmer. Ich hatte mir noch einen Teil Arbeit mitgenommen, doch ich glaube, ich muß es heute bleiben lassen und doch erst Morgen erledigen. Mit meinem Weihnachtswein versuche ich, den Temperaturunterschied auszugleichen, doch ich finde, wenn ich noch länger arbeite, wird mir am Ende die Flasche nicht reichen. Für morgen Abend bin ich zu dem Schweizer eingeladen, der mir unbedingt seinen Weihnachtsbaum vorführen möchte. Am morgigen Nachmittag bin ich offiziell dienstfrei, mal sehen, ob nicht etwas Besonderes fällig wird.
Wie hast Du den Abschied überstanden, hoffentlich ist es dir nicht gar zu schwer gefallen. Interessant ist doch, jedes Mal bin ich an einem Mittwoch von Euch abgefahren, heute vor einem halben Jahr erhielt ich den Befehl, nach hier abzureisen, und seit ich eingezogen bin sind nun schon 33 Wochen vergangen.
Liebes Mädel, gute Nacht und nimm wieder viele herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Meine liebe Frau!                                                                      O.U., den 5.Januar 1941                                 

Mein Sonntagsbad habe ich hinter mir, weil ich noch eine Weile Zeit habe bis zum Mittagessen, fange ich gleich meinen Brief an, da ich am Nachmittag noch etwas arbeiten möchte, damit mir nicht so viel liegen bleibt. Ich habe wohl in vielen Beziehungen jetzt wohl freiere Hand, doch wenn etwas schief geht, fällt es auf mich zurück. Ich würde mich aber auch in einem solchen Fall zu verantworten wissen.
Nach dem es bei uns daheim ziemlich geschneit haben soll, fängt es hier ebenfalls damit an. Es sieht sehr winterlich aus, doch der scharfe Wind hat etwas nachgelassen. Trotzdem war es heute auch im Bade sehr frisch. Zur Ersparnis von Kohlen war sogar der Dampfraum außer Betrieb. Ich bin deshalb bald wieder nach hause gegangen. Gestern habe ich Pech gehabt, damit es einem nicht zu wohl wird. Ich bin ausgerutscht und falle, ich weiß gar nicht, wie das so ungeschickt passieren konnte, auf den rechten Arm, den ich mir dabei verstauchte. Der Ellenbogen hat eine Prellung abbekommen und ist stark angeschwollen, und von der Nacht her muß ich wahrscheinlich darauf gelegen haben. Er ist nun, wie seinerzeit mein Fußgelenk, ganz blau angelaufen. Es sieht zwar sehr gefährlich aus, ist aber halb so schlimm, obwohl es schmerzhaft ist. Beim schreiben macht es mir noch einige Schwierigkeiten, doch ich denke, bis es wieder gut ist, werde ich mich daran gewöhnt haben.
Gestern Abend war ich bei dem Schweizer, der sichtlich erfreut war, dass ich ihn wieder einmal aufgesucht habe. Seine Kinder durften noch mit dabei sein, wie der Weihnachtsbaum angezündet wurde, dem übrigens sein ganzer Stolz galt. Später mussten die Kinder ins Bett und wir sind dann bei einer Flasche Wein zusammen gesessen und haben uns unterhalten. Zum Schluß musste ich mich noch herbei lassen, eine Art „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Spiel mit zu machen. So ist auch dieser Abend vorbei gegangen, gegen 11 Uhr trat ich dann den Heimweg an.
Was ich heute Abend anstelle, weiß ich noch nicht genau, doch ich glaube, es ist ratsam, wenn ich mit meinem kaputten Arm daheim bleibe und mich zeitig hinlege. Am Nachmittag, das ist gewiß, Hören des Wunschkonzerts und nebenbei werde ich arbeiten.
Für Euch ist heute auch der erste Sonntag, an dem ihr allein seid. Wenn ihr auch solches Wetter habt, werdet ihr sicherlich in der kleinen Stube sitzen. Den Baum habt ihr ja auch noch da. Jörg wird mit seinen Soldaten spielen und Helga mit ihren Puppen, oder lesen. Doch was wirst Du wohl tun? Offenbar wirst Du Dir eine Arbeit vorgenommen haben, bestenfalls ein Buch. Die Zeit wird ja auch wieder kommen, wo ich wieder dauernd in Eurem Kreise sein kann.
Sei mir bitte nicht böse, wenn ich mich jetzt kurz fasse. Seid Ihr drei recht herzlich und vielmals gegrüßt und geküsst von Eurem Vater Ernst.

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