Dienstag, 12. Januar 2016

Brief 94 vom 10./12.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                    O.U. den 10.1.1941.    

Ich werde ja z.Zt. ziemlich laufend mit Post von Dir versorgt. Ich will zwar nicht so voreilig sein, doch heute kam Dein Brief vom 6./7.1. an. Es freut mich jedes Mal zu lesen, wie es Euch geht, und wenn ich höre, was unsere beiden anstellen. Wenn ich daheim wäre, würde ich wahrscheinlich dazwischen fahren, so aber muß ich über die Kerle lachen. Zumal, wenn der Stromer den Schneckenbuckel runter fährt, ohne sich um alles andere zu kümmern, den kaum ein Schutzmann erschüttert. Wenn der so weiter macht, kann der noch gut werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Schuhe und Stümpfe naß sind. Wir waren schließlich auch kaum anders und schon deshalb sollte man einmal etwas übersehen. Den einen Nachteil hat es, wenn man zu viel übersieht wächst einem die Gesellschaft über den Kopf. Zu begrüßen ist es ja, wenn der Schnee noch trocken bleibt, wie wenn alles taut, denn das dringt überall durch. Mit den Päckchen ist das ja eine eigenartige Sache, heute schreibt mir der Tommy, dass seine Päckchen bis auf zwei bei ihm eingetroffen seien. Wenn sie tatsächlich verloren gegangen sind, ärgere ich mich nicht so sehr, wie wenn ein Teil Deines Kostüms seinerzeit nicht angekommen wäre.
Heute war ich in einer Veranstaltung der staatlichen Hochschule für Musik, die mir wieder sehr imponiert hat. Es wurde ein so mittelschweres Programm gegeben, und zum Schluß sind verschiedene Volkslieder gesungen worden. Unter anderem „Des Schneiders Höllenfahrt“ und „ Gestern Abend war Vetter Michel da“ u.a. Es war sehr schön. Am Montag spielt die Kölner Oper „Figaros Hochzeit“, an der ich auch teilnehmen werde. Das Liller Konservatorium gibt hier ein Konzert am Sonntag für die Franzosen. Wir bekommen einige gute Plätze reserviert. Dann werde ich einmal an diesem Kunstgeschehen teilnehmen. Es werden u.a. von R. Wagner aus „Siegfried“ und von Schubert ein Stück gegeben. Doch wenn wir einmal bei der Kunst sind, so möchte ich Dich an jenen französischen Film erinnern, der seinerzeit in Konstanz lief, es war da von einer „Madame Kolibri“ die Rede, der läuft hier auch schon als neuer Film. Übrigens der deutsche Film „Mutter“ ist synchronisiert worden und wird nun in französischen Kinos gezeigt.
Unser Chef hat heute seinen Dienst wieder angetreten, ebenso ist sein Vertreter auch mit eingetroffen. Es treffen nun nach und nach alle wieder ein, nur meine Kameraden fehlen noch. Doch die ereilt das gleiche Schicksal.
Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und auch unseren Kindern Dein Ernst.


Meine liebe gute Annie!                                                            O.U., den 12.1.1941    

Gestern hatte ich Nachmittagsdienst. Die Gelegenheit hatte ich gleich benutzt, um an die Eltern und an Nanni zu schreiben. Die Durchschläge davon füge ich bei. Dein Brief vom 8.1. traf gestern hier ein. Ich habe mit Bedauern lesen müssen, dass Du immer noch keine Post von mir bekommen hattest. Ich bin gespannt, ob Du mir in deinem nächsten Brief bessere Nachricht in dieser Beziehung geben kannst. Ich kann mir sehr gut Deine Unruhe vorstellen, solange Du keine Post von mir erhalten hast. Um nun auf Deinen Brief einzugehen: Ich glaube Dir gerne, dass Du mit unseren beiden Stromern immer Arbeit hast. Wenn Du Dir auch noch die Schuhe wegen jedem Defekt vornimmst, dann fehlt es Dir ja nicht an Beschäftigung. Helga und Jörg haben eigentlich keinen Anlaß, lange Gesichter zu machen, oder sonst besorgt zu sein, denn Du machst ihnen doch alles sofort wieder in Ordnung. Beklagen können die sich wirklich nicht. Vater hat sich also eine Schokolade von Dir verehren lassen und er findet, dass die sogar besser sei, wie die Pralinen, die er sich kaufte. Das ist ja ein Lob, das so ohne Vorbehalte gesagt, bei Vater viel zu bedeuten hat. Dir hat es offenbar auch Freude gemacht. Mehr kann man von einer Tafel Schokolade nicht verlangen. Du und Helga, ihr seid nun unsere beiden Musikanten. Das muß sicher ganz fein klingen, wenn ihr zwei zusammen spielt. Ich glaube, dass das Euch viel Vergnügen macht und ihr Euch damit für manche Zeit beschäftigen könnt.
Jeden Morgen lasse ich meine Briefe immer gleich mit zur Feldpost nehmen, damit sie immer noch mit der ersten Post weg kommen. Unser Fahrer hat sich schon so an das regelmäßige Mitnehmen gewöhnt, dass nach der Begrüßung immer die erste Frage nach dem „lettre pour votre famme – dem Brief für Ihre Frau“ ist.
Heute war ich im Konzert der Franzosen. Der Platz war sehr gut, viele Musiker waren auch da und das Konzert war von den Einheimischen ganz gut besucht. Verschiedene Werke entsprachen weniger dem Empfinden, das wir gewöhnt sind. Das Siegfried-Idyll von Wagner wurde nicht so gespielt, wie wir es bei uns daheim hören. Manche Stücke haben mir sehr zugesagt, vor allem, als „Fausts Verdammnis“ von Berlioz gespielt wurde mit dem Rakoczy-Marsch am Schluß.
Der Sonntag liegt nun wieder hinter uns. Ich habe nun noch einen Teil des Wunschkonzertes hören können. Habe aber besonders an Dich gedacht, als das „Gute Nacht Mutter“ gesungen wurde, das du doch so gerne hörst. Auch Dir wünsche ich eine gute Nacht und grüße und küsse Dich gleichzeitig recht herzlich. Dein Ernst

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