Meine
liebe Annie! O.U. den 10.1.1941.
Ich werde ja z.Zt. ziemlich
laufend mit Post von Dir versorgt. Ich will zwar nicht so voreilig sein, doch
heute kam Dein Brief vom 6./7.1. an. Es freut mich jedes Mal zu lesen, wie es
Euch geht, und wenn ich höre, was unsere beiden anstellen. Wenn ich daheim
wäre, würde ich wahrscheinlich dazwischen fahren, so aber muß ich über die
Kerle lachen. Zumal, wenn der Stromer den Schneckenbuckel runter fährt, ohne
sich um alles andere zu kümmern, den kaum ein Schutzmann erschüttert. Wenn der
so weiter macht, kann der noch gut werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie die
Schuhe und Stümpfe naß sind. Wir waren schließlich auch kaum anders und schon
deshalb sollte man einmal etwas übersehen. Den einen Nachteil hat es, wenn man
zu viel übersieht wächst einem die Gesellschaft über den Kopf. Zu begrüßen ist
es ja, wenn der Schnee noch trocken bleibt, wie wenn alles taut, denn das
dringt überall durch. Mit den Päckchen ist das ja eine eigenartige Sache, heute
schreibt mir der Tommy, dass seine Päckchen bis auf zwei bei ihm eingetroffen
seien. Wenn sie tatsächlich verloren gegangen sind, ärgere ich mich nicht so
sehr, wie wenn ein Teil Deines Kostüms seinerzeit nicht angekommen wäre.
Heute war ich in einer
Veranstaltung der staatlichen Hochschule für Musik, die mir wieder sehr
imponiert hat. Es wurde ein so mittelschweres Programm gegeben, und zum Schluß
sind verschiedene Volkslieder gesungen worden. Unter anderem „Des Schneiders
Höllenfahrt“ und „ Gestern Abend war Vetter Michel da“ u.a. Es war sehr schön.
Am Montag spielt die Kölner Oper „Figaros Hochzeit“, an der ich auch teilnehmen
werde. Das Liller Konservatorium gibt hier ein Konzert am Sonntag für die Franzosen.
Wir bekommen einige gute Plätze reserviert. Dann werde ich einmal an diesem
Kunstgeschehen teilnehmen. Es werden u.a. von R. Wagner aus „Siegfried“ und von
Schubert ein Stück gegeben. Doch wenn wir einmal bei der Kunst sind, so möchte
ich Dich an jenen französischen Film erinnern, der seinerzeit in Konstanz lief,
es war da von einer „Madame Kolibri“ die Rede, der läuft hier auch schon als
neuer Film. Übrigens der deutsche Film „Mutter“ ist synchronisiert worden und
wird nun in französischen Kinos gezeigt.
Unser Chef hat heute seinen
Dienst wieder angetreten, ebenso ist sein Vertreter auch mit eingetroffen. Es
treffen nun nach und nach alle wieder ein, nur meine Kameraden fehlen noch.
Doch die ereilt das gleiche Schicksal.
Recht herzliche Grüße und
Küsse sendet Dir und auch unseren Kindern Dein Ernst.
Meine
liebe gute Annie! O.U., den 12.1.1941
Gestern hatte ich
Nachmittagsdienst. Die Gelegenheit hatte ich gleich benutzt, um an die Eltern
und an Nanni zu schreiben. Die Durchschläge davon füge ich bei. Dein Brief vom
8.1. traf gestern hier ein. Ich habe mit Bedauern lesen müssen, dass Du immer
noch keine Post von mir bekommen hattest. Ich bin gespannt, ob Du mir in deinem
nächsten Brief bessere Nachricht in dieser Beziehung geben kannst. Ich kann mir
sehr gut Deine Unruhe vorstellen, solange Du keine Post von mir erhalten hast.
Um nun auf Deinen Brief einzugehen: Ich glaube Dir gerne, dass Du mit unseren
beiden Stromern immer Arbeit hast. Wenn Du Dir auch noch die Schuhe wegen jedem
Defekt vornimmst, dann fehlt es Dir ja nicht an Beschäftigung. Helga und Jörg
haben eigentlich keinen Anlaß, lange Gesichter zu machen, oder sonst besorgt zu
sein, denn Du machst ihnen doch alles sofort wieder in Ordnung. Beklagen können
die sich wirklich nicht. Vater hat sich also eine Schokolade von Dir verehren
lassen und er findet, dass die sogar besser sei, wie die Pralinen, die er sich
kaufte. Das ist ja ein Lob, das so ohne Vorbehalte gesagt, bei Vater viel zu
bedeuten hat. Dir hat es offenbar auch Freude gemacht. Mehr kann man von einer
Tafel Schokolade nicht verlangen. Du und Helga, ihr seid nun unsere beiden
Musikanten. Das muß sicher ganz fein klingen, wenn ihr zwei zusammen spielt.
Ich glaube, dass das Euch viel Vergnügen macht und ihr Euch damit für manche
Zeit beschäftigen könnt.
Jeden Morgen lasse ich meine
Briefe immer gleich mit zur Feldpost nehmen, damit sie immer noch mit der
ersten Post weg kommen. Unser Fahrer hat sich schon so an das regelmäßige
Mitnehmen gewöhnt, dass nach der Begrüßung immer die erste Frage nach dem
„lettre pour votre famme – dem Brief für Ihre Frau“ ist.
Heute war ich im Konzert der
Franzosen. Der Platz war sehr gut, viele Musiker waren auch da und das Konzert
war von den Einheimischen ganz gut besucht. Verschiedene Werke entsprachen
weniger dem Empfinden, das wir gewöhnt sind. Das Siegfried-Idyll von Wagner
wurde nicht so gespielt, wie wir es bei uns daheim hören. Manche Stücke haben
mir sehr zugesagt, vor allem, als „Fausts Verdammnis“ von Berlioz gespielt
wurde mit dem Rakoczy-Marsch am Schluß.
Der Sonntag liegt nun wieder
hinter uns. Ich habe nun noch einen Teil des Wunschkonzertes hören können. Habe
aber besonders an Dich gedacht, als das „Gute Nacht Mutter“ gesungen wurde, das
du doch so gerne hörst. Auch Dir wünsche ich eine gute Nacht und grüße und
küsse Dich gleichzeitig recht herzlich. Dein Ernst
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen