Donnerstag, 28. Januar 2016

Brief 100 vom 25./27.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                   O.U., den 25.1.1941    

Wieder haben wir eine Woche hinter uns, die reich an Arbeit und Erleben war. Ich habe für meinen Kameraden, der anderweitig verhindert ist, den Bereitschaftsdienst übernommen. Diese Gelegenheit habe ich nun gleich benützt, um einige Briefe, die ich unbedingt erledigen muß, zu schreiben. Die Durchschläge füge ich Dir bei, damit Du im Bilde bist, was ich geschrieben habe.
Wie ich Dir schon mitteilte, war die Arbeit in dieser Woche ziemlich reichlich. Ich habe Autos zum Verkehr zugelassen, Zulassungen verlängert, habe Scheinwerfer nachsehen lassen. Autos verkauft und leihweise überlassen, habe mit Publikum und der Garage verhandelt. Habe Anweisungen entgegen genommen und Verordnungen gelesen. Habe Anordnungen geben müssen und Befehle weiter gegeben. War bei meinem Neubau bzw. Einbau. Daheim Frühstück gemacht und zwischen der Arbeit sind wir zum Mittagessen gegangen. Unseren Mittagsschlaf haben wir, soweit es möglich war, eingehalten, doch die Nachmittage waren reich an Arbeit. Denn die eingehende Post musste auch noch erledigt werden, abgesehen von der privaten, die ich auch nicht aufschieben wollte. Nun ist die Woche wieder um und der Sonntag steht sozusagen vor der Tür. Hoffentlich ist es ein Tag, an dem man sich wieder einmal ausruhen kann. Man weiß ja nicht, welche Änderung und Neuerung die kommende Woche wieder bringen kann. Man muß immer auf Draht sein, damit man nicht von Ereignissen, die eintreten könnten, umgerissen wird. Wie ich Dir gestern schon mitteilte, werden wir Morgen wahrscheinlich auswärts fahren. Wir sind dort zum Schlachtfest eingeladen. Es ist einem zwar peinlich, wenn man in so uneigennütziger Weise eingeladen wird, doch die Leute fühlen sich geradezu schon beleidigt, weil wir so lange nicht gekommen sind. Wir sollten schon seit vor Weihnachten kommen, haben es aber immer wieder hinausgeschoben. Es sind dies Lothringer, von denen ich Dir auch schon erzählte. Es ist etwas Eigenartiges um diese Gastfreundschaft. Das unangenehme ist nur, dass man keine Gelegenheit hat, sich irgendwie wieder einmal zu entschädigen.
Einen Brief erhielt ich heute von Dir nicht. Ich bin aber nicht ungenügsam, denn bisher trafen Deine Briefe ziemlich laufend ein. Deine Zeitungsgeschichte aus Norwegen habe ich gelesen und fand sie sehr nett. Ich werde sie Dir wieder mit zusenden.  Aufheben kann man solche Sachen hier nicht so gut.
Das für diese Gegen hier übliche Wetter ist nun auch eingetreten. Bedeckter Himmel, zwischendurch etwas Nebel oder Regen. Das gehört eigentlich so mit zum Landschaftsbild und man ist ganz verwundert, wenn die Sonne hier scheint.
Ich wünsche Euch meine Lieben einen frohen Sonntag und hoffe Euch alle gesund. Gleichzeitig sende ich Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse. An Vater bitte auch einen Gruß. Im Gedenken an Dich verbleibt Dein Ernst.

 Mein liebes Mädel!                                                                         O.U., den 27.1.41                                                     

Vielen Dank für Deine beiden Briefe vom 22 und 23.1 41, die ich heute erhielt. Überrascht war ich von der plötzlichen Ankunft Siegfrieds. Gewöhnlich ist es ja bei uns Soldaten so, dass man heute noch nicht weiß, ob man morgen fahren kann. Wie lange gedenkt er zu bleiben? Das geht aus Deinem Schreiben nicht hervor. Es ist ja erfreulich, dass er Dich in Deiner Einsamkeit aufsucht und dass er sich seiner Schwester immer noch entsinnt.
Das Verhalten von Jörg beim Zahnarzt erfreut mich auch wieder und ich zolle ihm ebenfalls meine volle Anerkennung. Man sieht doch, dass er der Junge seiner Eltern ist. Man muß sich nur im richtigen Moment zusammenreißen und nach außen hin in solchen Augenblicken nichts anmerken lassen. Nochmals meine Anerkennung für beide.
Wie gefällt es Helga wieder in der Schule? Ich hoffe, dass sie sich gut eingewöhnt hat in den letzten Tagen. Siegfried hat sich ja bald übernommen mit seinen vielen Geschenken für Euch. Ihr habt Euch sicher darüber gefreut. Ich kann mir vorstellen, dass Helga ungern in die Schule gegangen ist. Jörg wird die MG-Mannschaft gleich in seine übrigen Truppenteile übernommen haben. Du kannst ihm dabei ruhig sagen, dass dies die Waffe seines Vaters sei, während der Zeit seiner Ausbildungszeit beim Kommis gewesen ist. Mit dem Mundharmonikaspielen wird sich Siegfried auch wundern, wenn er so ein Duett vorfindet, wie Euch zwei. Ich hoffe, dass sich Siegfried gut erholt. Wenn er noch einen Kameraden erwartet, wirst Du ja keinen leichten Stand haben. So allein und zwei Männer im Haus. Der Unterschied ist ja sehr krass. Na, ich denke, dass Du auch mit den zweien fertig werden wirst, denn es war ja schon früher eine Kleinigkeit für Dich, mit uns fertig zu werden, und ich bin gewiß schwer zu behandeln.
Die Arbeit ist bei uns gegenwärtig wirklich reichlich, und Sorgen muß man sich deswegen auch noch machen. Meine Kohlenversorgung der Stadt scheint, wenn nicht glückliche Umstände eintreten, kritisch zu werden. Die Arbeiter wollen wahrscheinlich streiken, wegen der knappen Lebensmittelrationierung. Nun muß ich sehen, wie wir das wieder am besten schaukeln. Solche Probleme sind ja schließlich dazu da, damit sie gelöst werden. Soweit wir ein Interesse daran haben, werden wir sie auch lösen.
Der Zeitungsausschnitt vom Kaden hat Dich doch sicherlich geärgert. Ich meine, Du könntest u.U. jetzt an dieser Ehre teilhaben, während Dein Mann nun bescheiden auf irgendeinem Büro hier in Frankreich sitzt und sich in friedlicher Weise mit der Bevölkerung herumschlägt. Heute habe ich nun genug gefrozzelt und ich denke, es langt. Du nimmst es mir hoffentlich nicht falsch auf.
Ich grüße und küsse Euch drei recht herzlich, Siegfried danke ich für seine Grüße und erwiedere sie ebenso herzlich. In treuer Liebe und Verbundenheit bin ich Dein Ernst.

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