Montag, 18. Januar 2016

Brief 96 vom 15./16.1.1941

Bestes Mädel!                                                                                     O.U., den 15.1.1941    

Mein Brief von heute früh war wohl etwas reichlich kurz, doch dies war auf eine gewisse Katerstimmung zurück zu führen, die dem gestrigen, ausgedehnten Abend folgte. Ich habe mich aber heute wieder fest an die Arbeit gehalten, und mir geht es wieder sauwohl, wie man so zu sagen pflegt. Über Nacht hat die Stadt ein weißes Kleid angelegt, was auf unserem gestrigen Nachhauseweg mit einer Schneeballerei gefeiert wurde. Dieses Essen war gewissermaßen so eine Art Einführung für Kamerad Graser. So etwas Ähnliches wollen Gauguies machen, wenn der Tommy zurück kommt. Diese Einführungen machen die Leute auch deshalb mit, damit uns der Übergang von zu Hause nach hier nicht ganz so schwer fällt. Es ist zwar nicht meine Absicht, hier eine Lobeshymne anzustimmen, doch ich muß sagen, diese Leute geben sich viel Mühe mit uns.
Für Deine beiden lieben Briefe vom 11. und 12.1. recht vielen Dank. Du tust mir so leid, dass Du zum Sonntag keine Post erhalten hattest, wo Du so darauf gewartet hast. Hoffentlich bist Du die folgenden Tage dafür entschädigt worden. Es ist ja sehr lieb von Dir, dass Du schon wieder Gebäck an mich ab gesandt hast und ich freue mich wohl sehr darüber, doch seid bitte so gut und spart Euch nur nichts von dem wenigen ab, was Euch zur Verfügung steht. Also nochmals vielen Dank für alles Liebe. Die Bestellung der Briefmarken geht in Ordnung, soweit Du Geld dafür zur Verfügung hast. Aber bitte nichts extra absparen. Das wird Jörg hoffentlich nicht gar so tragisch nehmen, wenn er über den Sommer noch nicht in die Schule gehen darf. Ich glaube schon, dass er Geschick mit seiner Plastelina hat, doch ich kann mich entsinnen, wo Helga sich auch nicht dumm angestellt hat. Mit einem klein wenig Anleitung kann man sie auf ihr Gebiet, auf dem sie stark sind, hinlenken.
Elsa hat wie immer prompt geantwortet. Du kannst ihr schreiben, dass ich für den Gruß von Tilly danke. Auch Gerhard soll sie grüßen.
Hier hat es seit gestern Abend 11 Uhr fast ohne Unterbrechung auch geschneit. Es wird zwar etwas wärmer, doch die Straßen sind sehr glatt.
Ich habe, wie heute früh versprochen, etwas mehr geschrieben, es wird aber doch Zeit, dass ich schlafen gehe. Recht herzlich grüßt und küsst Dich und unsere beiden Kinder Dein Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                         O.U., den 16.1.1941                                                                

Für Deinen lieben Brief vom 13. danke ich Dir wieder recht herzlich. Du tust mir wirklich sehr leid, dass Du außer dem einen Brief noch nichts weiter erhalten hattest. Erfreut hat mich das Eintreffen der restlichen Päckchen. Es wäre ja schade darum gewesen, wenn doch etwas verloren gegangen wäre. Der Transport hat ja reichlich lange gedauert. Verderbliche Waren hätte man da nicht schicken dürfen. Wesentlich ist ja, dass alles gut angekommen ist.
Bei uns wird wieder einmal organisiert. Ich soll wieder ein anderes Arbeitsgebiet bekommen. Mir macht es ja nichts aus, denn ich kann das eine, wie auch das andere tun, ich fühle mich jeder Aufgabe gewachsen. Wenn ich mich dazu einarbeiten kann, macht das mir auch nichts aus. Man muß jetzt abwarten, wie sich das auswirkt, schließlich ist auch das kein Dauerzustand, denn für Abwechslung wird schon gesorgt. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Dir berichten. Du schreibst mir, dass Du das Päckchen nicht zurückerhalten hast, das stimmt tatsächlich, denn es ist inzwischen bei mir eingetroffen. Ich danke Dir vielmals dafür. Ich warte gespannt auf den nächsten Brief von Dir, aus dem ich erfahren werde, dass Du nun wieder Post von mir erhalten hast. Dein Verhalten beim Alarm war soweit richtig, doch gib nur Obacht, dass Du Dich dabei nicht erkältest. Einen Zeitungsartikel aus der Essener Nationalzeitung sende ich Dir mit über den Maler vom See, Dieter. Er wird Dich sicher auch interessieren.
Heute kommt nun Thomas auch wieder zurück, so dass wir wieder vollständig beieinander sind. Ich bin froh, dass ich auch während seiner Abwesenheit hier den Laden erledigt habe und zwar so, dass es bis jetzt keine Reklamationen gegeben hat. Er hat es ja in mancher Hinsicht viel leichter, weil er ja direkt verhandeln kann, während ich mich ja doch immer einer Mittelsperson bedienen muß. Ich werde ja schon noch hören..
Liebe Annie, nimm recht viele herzliche Grüße und Küsse entgegen und leite dasselbe an unsere beiden Strolche weiter. Dein Ernst.

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