Donnerstag, 28. Januar 2016

Brief 101 vom 28./29.1.1941


 Meine kleine Frau!                                                            O.U., den 28.1.41                   

Es ist wieder Feierabend und ich habe mich heute zeitig auf mein Zimmer zurückgezogen.  Gegen meine Absicht war es gestern spät geworden. Ich hatte mich mit meinem Kameraden Graser so schön bei einigen Gläschen Kognak auf meinem Zimmer unterhalten, dass es unversehens ½ 3 Uhr heute früh war. Was ich nun gestern an Schlaf eingebüßt habe, will ich heute nachholen. Man kann es schon eine ganze Weile aushalten, abends länger aufzubleiben, doch wenn man am Tag angestrengt arbeitet, soll man sich von Zeit zu Zeit etwas ausruhen. Du siehst also, dass ich immer noch nicht meinen Grundsatz der gesunden Lebensweise ganz aufgegeben habe. Auf diese Weise kann man auch wieder einmal in eine Zeitung sehen, sonst ist man ja überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden.
Heute ist nun der Geburtstag Deines Vaters. Deinen Brief und Dein Päckchen wird er sicher noch rechtzeitig erhalten haben. Meiner wird dagegen sicher etwas später ankommen.
Eben esse ich noch von den Pralinen, die ich von Euch an Weihnachten erhalten hatte. Vor einem Monat war ich noch bei Euch, und morgen sind es wieder vier Wochen her, als ich wieder von Euch fort ging. Die Zeit geht doch rasend schnell vorbei. Manchmal erscheint einem das kaum glaublich, wenn wieder eine Woche vorbei ist.
Die Post hat mich zwar heute verlassen. Doch wie üblich, hoffe ich aus der gesammelten Erfahrung heraus auf den kommenden Tag. Vom unveränderten Wetter ist heute nichts zu berichten. Ich muß deshalb zur Abwechslung wieder einmal das Essen dran nehmen. Ja, unsere Verpflegungsrationen sind immer noch wie früher reichlich. Es erscheint einem manchmal erstaunlich, wie der Mann immer noch für so viele Leute so ein Essen hinstellen kann. Es muß ja berücksichtigt werden, dass für die Versorgung der übrigen hiesigen Bevölkerung immerhin Schwierigkeiten bestehen, die wohl in erster Linie mit auf die Kriegsereignisse zurückzuführen sind. Mittags gibt´s immer noch – hors d´oeuvre (Vorspeise), Hauptgang und Nachspeise, die heute übrigens zwar auch ganz selten, aus feiner Sahne bestand. Abends wird Suppe, Hauptgang und zum Nachtisch Brot mit Butter und Käse serviert. Manchmal ist es fast zu viel. Wir können von uns nicht sagen, dass wir etwa Not leiden müssten, auch wegen der Abwechslung gibt man sich die größte Mühe.
Nachdem ich nun wieder mit Euch und vor allem mit Dir geplaudert habe, werfe ich nochmals einen Blick auf Eure Bilder. Ich grüße Euch und wünsche Euch allen eine gute Nacht. Außerdem sende ich Euch recht herzliche Grüße und Küsse. In Gedanken weilt so oft am Tage bei Dir und den Kindern Dein Ernst.

Meine liebe kleine Annie!                                                    O.U., den 29.1.1941                                       

Ich habe heute Deine beiden Briefe vom 24./25. und 26.1. erhalten, für die ich Dir vielmals danke. Der zwischendrin geschriebene hat mich ebenfalls erreicht. Ich muß schon sagen, dass Dich Dein Bruder sehr wenig gestützt hat. Im Gegenteil, er hat Dir teilweise das Herz schwer, sogar sehr schwer, gemacht. Statt dass er wie ein Mann mit seinen eigenen Dingen selbst fertig wird, hat er Dir noch einen Teil aufgeladen. Ich habe aufrichtiges Mitempfinden mit Dir, und Du kannst Dich darauf verlassen, ich würde Dir das gerne abnehmen, und Siegfried würde ich zu Recht stutzen. Nun bist Du allein, und ich kann Dir leider nicht helfen und Dir gut zureden. Ich werde es aber bestimmt nachholen, wenn ich wieder heimkomme, damit Du diese dummen Gedanken alle wieder vergisst. Ich bin auch davon überzeugt, dass du als meine Frau doch wieder so stark bist, um über das Grübeln hinwegzukommen. Halte Dich nur wie in den vergangenen Monaten aufrecht, wenn es auch Energien kostet. Du weißt ja, dass man die Zähne manchmal ganz fest zusammen beißen muß, um sich nach außen hin nichts merken zu lassen. Dies war ja schon immer einer meiner Grundsätze, und Du wirst Dich ja unbedingt daran halten. Also Kopf hoch und nicht unterkriegen lassen, das macht hart.
Es ist zwar etwas später wie gestern, doch ich höre Radio und gegenwärtig wird eins meiner liebsten Stücke gespielt: „Waldszene“ von Helmesbergen.
Bei mir geht, wie Du aus meinem Antwortschreiben ersehen wirst, ziemlich laufend die Post ein. Ich verstehe deshalb nicht, warum sie bei Dir so lange ausbleibt? Ich würde mich freuen, wenn Du die Post auch regelmäßig bekommen würdest.
Ja, bei unseren beiden sieht man schon, dass sie noch Kinder sind. Eins kommt mit einem Dreiangel nach Hause und das andere ohne Absatz, und keins weiß, wieso?
Beim Streuselkuchen wäre ich schon dabei, warum nicht auch?
Eure Bilder sehen zu mir herüber. Ihr lacht mich alle drei an und ich wünsche Euch eine recht gute Nacht. Sei Du vielmals gegrüßet und geküsst von Deinem Ernst

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