Mittwoch, 28. Februar 2018

Brief 363a vom 01.01.1943











Brief 386 vom 28.02.1943


Meine liebste Annie !                                                                          28.2.43          

Allerhand Post ist mir heute in die Bude geschneit. Von Dir bekam ich drei Briefe 14. bis 16.2. Dann schrieben der Tommi und Alfred sowie der Marinesturm. Für Deine lieben Briefe danke ich Dir vielmals. Ich glaube, Du kommst nicht mehr ungestraft aus dem Kino. Das ist ja weniger schön, wenn Du einen solchen Besuch mit Kopfschmerzen büßen mußt. Ich nehme an, daß Du über all das unterrichtet bist, was bei uns sich hier abgewickelt hat. Weiteres
brauche ich wohl nicht mehr dazu erklären. Wie ich immer auch heute feststellen kann, ist über unseren weiteren Einsatz noch nichts heraus.
Der Dienst wurde ja etwas weniger straff gehalten. Ein Teil der bei uns beschäftigten Mannschaft wird zu den früheren Einheiten zurückversetzt. Der Rest wird nach Möglichkeit beschäftigt. Aber es geht nicht sehr stramm her dabei. Für mich hat sich wieder eine interessante Sache ergeben. Wie ich Dir früher schon einmal mitteilte, musste ich aus dem Offizierkasino verschwinden, weil ich rangmäßig nicht dorthin gehöre. Ich hatte mich damit abgefunden. Es hatte sich alles eingerenkt. Heute kommt eine ?  für den OvD heraus. Auf diesem Plan stehen nur Herren, die im Offiziersrang stehen. Ich als einziger stehe aber noch mit darauf verzeichnet. Kein Feldwebel befand sich drunter. Mir ist das vollkommen gleichgültig. Es berührte nur etwas eigenartig, daß ich zum Dienst jetzt wieder als dazugehörig betrachtet werde. Ich habe gleich meinen Chef darauf aufmerksam gemacht, der für entsprechende Abhilfe sorgen will. Findest Du das auch nicht komisch?  Daß sich die weiteren Einziehungen zur Wehrmacht in der Heimat weiter spürbar bemerkbar machen, das kann ich mir schon denken. Aber es ist schon besser, man macht nun radikal Schluss, als daß man alles weiter hinauszögert. Nach dem sich hier in diesem Abschnitt die Lage wieder etwas gefestigt hat, ändert sich nicht nur die Meinung der Bevölkerung, sondern das Vertrauen in die eigene Kraft wächst allgemein wieder. Das ist viel wert für uns und sehr notwendig.  Aus dem Brief Deines Vaters habe ich gelesen, daß es ihm nicht ordentlich ist und daß er über seinen Magen klagt. Er sieht sich aber schon bald unter der Erde liegen. Seit Jahren spricht er schon davon. Ich will gern glauben, daß er auch das Alter spürt, aber immerhin muss man bei ihm solche Äußerungen mit einigem Vorbehalt aufnehmen. Hoffen wir, daß dies nicht bald der Fall ist, denn ich wünsche es ihm bestimmt nicht. Aus seinem Brief merkte ich, daß ihm der Tod von Kurt nahegegangen ist. Er ist ja im allgemeinen etwas weich veranlagt, besonders in einem solchen Fall.  Den Tommi hatte ich darum gebeten, daß er mir Radioröhren schicken sollte. Er hat mir versprochen, zu versuchen, diese Röhren zu besorgen, aber er teilt mit, daß Radioteile nicht mehr hergestellt würden. Wir müssen also abwarten, was sich ergibt. Auf alle Fälle werde ich nochmals wegen des Widerstands schreiben. Er schreibt sehr nett und ich habe mich gefreut über seine Anhänglichkeit. Der Müller, der bei uns in Douai war, will ihn als Schulungs- und Sozialreferenten einsetzen. Für die Volksdeutschen. Er hat aber abgelehnt, weil ihm das ein zu unsicheres Geschäft ist. Er bleibt jetzt lieber Sonderführer und später Studienrat.  Daß auch der Cognac und der Likör gut angekommen sind, freut mich sehr. Du kannst den Likör für Dich verwenden, wenn Du Geschmack daran hast. Ich habe ja wieder eine kleine Flasche vor wenigen Tagen abgesandt, die Du ebenfalls für Dich in Anspruch nehmen kannst, wenn Du willst. Du brauchst aber keine Angst zu haben, daß ich Dich nun zu einer Trinkerin ausbilden will. Du kannst also darüber verfügen. Ich habe heute wieder ein Päckchen Nr. 28 fertiggemacht. Es enthält einmal etwas geistige Nahrung. Ich denke, daß Du auch daran Gefallen haben wirst.  Nimm viele herzliche Grüße und Küsse entgegen und grüße Vater vielmals von mir. Dich mein liebes Mädel küßt vielmals Dein Ernst. 

Montag, 26. Februar 2018

Brief 385 vom 26./27.2.1943


Mein liebes Mädel !                                                                   26.2.43  
     
Heute kam einmal keine Post von Dir an. Ich habe aber nun die letzte Post herausgesucht, die ich in Poltawa noch erhielt. Davon habe ich noch einige Sachen zu beantworten bzw. ich kann auf diese eingehen.  Am heutigen Tage jährt es sich, daß Kurt verwundet wurde. Ich war damals im Urlaub, als uns diese Nachricht erreichte. Vor einem Jahr war mir auch anders zumute. Da stand ich kurz vor meinem letzten Urlaub aus Frankreich. Ich hatte meine Kiste noch nicht und war in großer Sorge, wie ich meine Sachen weg bekam. Es hatte dann mit etwas Druck doch noch gelangt. Ich weiß, wie auch Du froh gewesen bist, als ich dann wieder mit einer Kiste antrabte. Es hatte sich immerhin gelohnt. Von hier habe ich zwar noch nicht eine solche feudale Kiste schicken können, aber ich bin immerhin froh gewesen, als ich kürzlich noch die verschiedenen Sachen an Dich abschicken konnte. Davon Feldpostpäckchen machen hätte doch viel Arbeit gemacht. Ich hatte Dir wohl schon geschrieben, daß Du den von mir eigenhändig genähten Sack zurückschicken musst, weil das ein Handtuch ist. Wenn Du so oft mit Feldpostpäckchen bedacht wird, dann erweckt das nur den Neid der lieben Mitbewohner. Mir macht es aber bestimmt nichts aus, denn ich sage mir, Du brauchst es genau so sehr wie die Kinder. Die Anforderungen sind groß, die heute an alle gestellt werden. Die zugeteilten Lebensmittel haben doch nicht die Kraft, wie zu anderen Zeiten.  Darum sollen auch diese Sachen als Ergänzung dienen.      Anmerkung : Wir sind einmal angezeigt worden und die Gestapo ist gekommen. Meine Mutter konnte nachweisen, daß es nur abgesparte oder mit eigenem Geld bezahlte Dinge waren und der Kommentar dieser Männer war „Sie haben halt sehr nette Nachbarn“ . Sie sind dann unverrichteter Dinge wieder gegangen. Wann das war, weiß ich nicht mehr.    Hier fange ich wieder an mich für Kunst zu interessieren. Für morgen habe ich mir für die hiesige Oper eine Karte besorgt und auch für den folgen den Tag. Morgen wird „Koppelie“ und übermorgen „Madame Butterfly“ gespielt. Das letztere hatte ich ja in Charkow gesehen. Ich denke aber, daß mir das nichts schaden wird, wenn ich hier nochmals hereingehe. Ich kann damit besser Vergleiche ziehen. Doch damit nicht genug. Ich wollte heute hier Dienst machen, da kam mein Chef und bat mich ins Theater zu gehen, damit seine Karte nicht verfällt. Es wurde die IX. von Beethoven gegeben. Ich erinnerte mich an die Aufführung damals in Konstanz, als ich dieser Aufführung im Konzil beiwohnte. Das Orchester und der Chor waren wirklich gut besetzt, und was mich verwunderte, die Leute sangen in deutscher Sprache. Auf diese Weise kam ich nun dreimal ins Theater.  Unsere beiden Stromer können aber froh sein, daß ihre Mutter so gut basteln kann. Ich kann mir denken, daß Helga erst in großer Sorge war, wie sie ihren Kasper fertig bringt, dann aber sicher großen Eifer entwickelte, als sie sah, daß Du ihr wieder auf die Sprünge geholfen hast. Ich kann Dir nur wieder mein Lob aussprechen. Nach der Zeichnung sind sie ja ganz nett geworden. Ich denke, daß die Kinder ihre Freude daran haben werden. Wenn den Kindern meine Briefe zusagen, dann bin auch ich zufrieden, denn sie sollen ja mit Freude lesen, denn was nütze ihnen ein Brief von ihrem Vater, der sich nie oder sehr selten blicken lässt, wenn er sie nur immer wieder ermahnt oder ihnen wegen jeder Kleinigkeit Vorhaltungen machen würde. Wenn man so wenige mit diesen Stricken zusammen ist, dann sollen sie doch nicht nur mit Bangen an ihren Vater denken müssen. Es genügt schon, wenn er daheim ist und teilt dann Senge aus. . Es ist etwas spät geworden, darum möchte ich jetzt schließen. Von Deinem Vater kam heute der Brief vom 1.2. an, den Du ja wohl auch erhalten hast. Über all das werde ich Dir wahrscheinlich morgen schreiben. Herzliche viele Küsse und Grüße sendet Dir in Liebe Dein Ernst. 


Meine liebe Annie !                                         27.2.43          

Vor wenigen Minuten kam ich vom Theater zurück. Es ist nicht mehr zeitig am Tag, aber Deinen lieben Brief vom 17.2. will ich Dir doch gleich noch beantworten. Du sollst doch nicht warten müssen. Als Du diesen Brief schriebst und als Du in der Zeitung lesen konntest, daß an meinem früheren Aufenthaltsort schwere Kämpfe stattfinden, da hattest Du ja schon meine Nachricht von unserer Verlegung. Zum gleichen Zeitpunkt befand ich mich nun am jetzigen Ort. Wenn man so sagen soll, haben wir uns rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Das alles hängt aber mehr oder weniger davon ab, daß wir ziemlich auf die Seite gestellt worden sind. Über unsere weitere Verwendung hat man uns noch nichts gesagt. In einigen Tagen kann man evtl. schon darüber etwas mehr wissen. Wie früher schon immer festgestellt, sage ich immer wieder „abwarten“. Irgendwie wird man uns schon verwenden. Wenn wir so gewissermaßen weniger Strenge  ?  haben müssen, so wird das hoffentlich nichts schaden.  Durch die Ereignisse mit unserem Kurt, versucht nun Paula sich mit Vater wieder etwas anzubiedern wie es scheint. Er wird wohl nicht ganz umhin können, das kann ich verstehen, aber ich glaube kaum, daß das Verhältnis ganz in Ordnung kommen wird. Vater verharrt dann zu sehr in seiner Reserve. Er wird sie reden lassen. Sie soll reden, was ihr gefällt. Es ist schon am besten, man hört nicht darauf. Wenn sie über uns etwas zu sprechen hat, dann soll es uns auch recht sein, beschäftigen wir sie doch auf diese Art etwas geistig. Nimm es nicht so tragisch. Du weißt ja, daß wir doch immer wieder allein dagestanden sind, wenn es darauf ankam. Die anderen solle es besser machen, dann ist es zu ihrem eigenen Vorteil. Wenn ich früher schon einmal schrieb, sind wir das, was wir sind, aus uns selbst heraus. Keiner hat uns dabei unterstützt. Wir hatten keine Protektion, wir hatten nichts, kaum einen Pfennig Geld, darum können die anderen ruhig den Schnabel halten. Wir brauchen uns deshalb auch nicht ärgern, wenn sie über uns reden. Das, was sie reden, kann nur Neid sein, und dann ist das nur ein Zeichen dafür, daß wir unsere Sache gutgemacht haben und daß die anderen merken, daß wir vorwärts gekommen sind. Soweit sind wir noch gesund, darum wollen wir zufrieden und froh sein, da‘ es uns noch so get. Wenn sie Dir gegenüber harmlos tut, so behandle sie gleicher Weise. Du weißt ja, was du von mir zu halten hast. Das ist sehr bedauerlich, daß ich das von meinen eigenen Verwandten so schreiben muß, aber Tatsachen muß man wohl ins Auge sehen, und man soll nicht versuchen, sie zu verwischen, denn sie würden sich dann doch irgendwie bemerkbar machen.  Daß der Paul von Hagnauers auch gefallen ist, das kann man sich nicht vorstellen, wie alle die jungen Menschen dahingeopfert werden müssen. Weißt Du noch, wo wir einmal mit den Kindern im Klausenhorn waren und er kam dort auf dem Pferd angeritten. Ich kann mich an ihn noch gut erinnern. Früher sagte alle, er sei falsch und verschlagen. Wir kamen aber später zu einer anderen Ansicht. So kann sich in der nächsten Zeit manches über Bekannte herausstellen, die ihr Leben gelassen haben. Daß das für Webers keine Kleinigkeit ist, kann ich mir denken. Erst haben sie den Jungen großgezogen und dann bleibt so ein junger Kerl hier draußen. Das Leben stand noch vor ihm und dann womöglich ist alles aus. Man kann das erst mitfühlen, wenn es einem schon selbst so ergangen ist, daß man hat jemand hergeben müssen.  Über die Dinge im Haus mußt Du Dich nicht ärgern. Das wäre ja unsinnig. Du siehst, daß man nichts machen braucht, so sorgen schon andere dafür, daß solch einem Bengel das Fell etwas kurz gehalten wird.  DAß die Frau nicht in der Lage ist, die Kinder so zu erziehen, wie sie es nötig hätten, das ist ja vollkommen klar. Wenn die Angelegenheiten sich persönlich auswirken sollten, dann muß man diese Gesellschaft auf die frechen Fingen klopfen. Im übrigen ist es besser, man kümmert sich nicht um sie.  Ich habe mich wiederum gefreut, als ich von dem Eintreffen eines meiner Päckchen wieder lesen konnte. War nichts beschädigt? Der Transport ist ja ziemlich lang und geworfen werden diese Sachen auch tüchtig. Mit Flaschen ist ja auch nicht zu spaßen. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Du etwas Öl an Vater abgegeben hast. Er hat ja jetzt auch nichts. Ich dachte auch schon von mir aus, daß Du ihm etwas abgeben kannst, wenn Du es für notwendig hältst. Nun bist Du ja schon mir zuvorgekommen. Ich schrieb vorgestern, daß ich nicht mehr zu schicken hätte. Es hat sich aber ergeben, daß ich zwei Flaschen, die ich hier hatte, verpacken konnte. Die kleine Flasche ist Likör. Er ist hier hergestellt und schmeckt ganz ordentlich. Der Alkoholgehalt ist gering und den kannst Du ohne weiteres trinken, wenn er Dir schmecken sollte. Die andere Flasche enthält Sekt. Ich hoffe auch da wieder, daß diese Sachen gut ankommen. Aber heute konnte ich schon wieder zwei Päckchen fertig machen Das eine enthält eine Flasche Cognac und in dem anderen habe ich Haarwasser, Hautcreme und Zahnpasta sowie etwas Tabak verpackt. Diese vier Päckchen haben die Nummern 24 bis 27. Soweit Du diese Sachen nicht verwendest, hebe sie bitte auf. Ich glaube, daß wir eine ganz ansehnliche Flaschensammlung da stehen haben.  Wenn wir gesund bleiben, und das hoffen wir ja alle ganz fest, dann haben wir für ab und zu einen Tropfen stehen. Es kann sein, daß Du noch Porto nachzahlen musst.  Es ist zwar nicht statthaft, daß die Päckchen mehr wiegen, aber solange die Kameraden hier die Sachen abnehmen und befördern, dann bin ich froh darum. Es wäre dann schwierig, das Zeug mit herumzuschleppen. Ich bin froh, wenn ich es immer wieder aus der Hand habe. Zwei kleine Päckchen mit Briefumschlägen habe ich auch mit fertiggemacht, die ich mit an Dich abschicke. Du kannst sie mit aufheben, denn ich denke, daß Du schon Verwendung dafür haben wirst. Dich und die Kinder grüße und küsse ich recht herzlich und bin immer wieder Dein Ernst.

Samstag, 24. Februar 2018

Brief 384 vom 23./25.02.1943


Mein Liebling, meine lieber Annie !                                                23.2.43         

Vielen Dank für Deinen schönen Brief vom 14. Ich freue mich, daß ich wieder ziemlich regelmäßig Post bekomme. Es ist doch schön, wenn man mit ziemlicher Sicherheit auf das Eintreffen eines Briefes rechnen kann. Das Warten ist dagegen weniger angenehm.
Aber das lässt sich noch aushalten, wenn man etwa die Gewissheit hat, daß daheim alles gesund ist. Es beruhigt jedenfalls ungemein, wenn man wieder über alles im Bild ist.  Vom heutigen Tage kann ich noch berichten, daß unser Gepäck am frühen Morgen eingetroffen ist. Jetzt kann man sich wieder richtig bewegen. Als erstes habe ich einmal die Päckchen fertiggemacht. Ich habe es lieber, wenn die für Dich bestimmten Sachen auf dem Wege sind, das mit Herumschleppen ist wenig nützlich und behindert sehr. Dann hatte ich noch die Butter im Koffer. Sie ist noch sehr frisch, aber es kann nichts schaden, wenn sie nunmehr an Dich auf den Weg kommt. Es hat ein schönes Päckchen abgegeben. Das Mehl, von dem ich noch in Poltawa schrieb, konnte ich heute auch mit fertig machen. Das sind wieder 3 Päckchen geworden. Sie haben die Nummern 19 bis 21. Vorhin habe ich noch die 2 Flaschen Öl verpackt. Ich habe damit wieder das Möglichste getan. Hoffentlich kommt nun alles gut in Deine Hände. Die 2 Flaschen haben die Nummern 22 und 23. Wenn diese gut ankommen sollte, hast Du wohl einen ganz netten Vorrat? Ich sehe zu, daß ich für Euch bei Gelegenheit etwas erwerben kann. Es nimmt Dir doch manche Sorgen ab. Es wird sich hoffentlich bald etwas bieten. Mit dem Erfolg in diesem Jahr in dieser Hinsicht bin ich zufrieden. Ich wäre froh, wenn ich Euch immer einmal etwas packen hätte.  Das ist weniger schön, so wie Du auszurutschen. Das geht einem durch und durch. Ich kenne das.  Hoffentlich hat es keine weiteren nachteiligen Folgen gehabt.  Mit den Erhebungen für den Garten ist das wohl sehr praktisch. Ich möchte nur wünschen, daß es nicht nur bei den Feststellungen bleibt, sondern auch die praktische Tat folgt. Ich muß in diesem Zusammenhang daran denken, wie im letzten Herbst die Kinder und die Namen der Kinder und die Namen der Kinder von den Veteranen festgestellt wurden, damit diesen zum Weihnachtsfest etwas geschenkt werden sollte. Ich bin gewiss nicht darauf erpicht und angewiesen sind wir auch nicht darauf. Aber ich bin der Ansicht, daß man nicht so großspurig solche Ankündigungen machen soll, wenn man nichts unternimmt. Es ist aber recht, daß Du Dich dort gemeldet hast. Man muß ja um alles froh sein, was man heranbekommt, denn es wird ja von Jahr zu Jahr schwieriger.  Von den Erinnerungen, wie Du sie aus der früheren Zeit schilderst, kann ich nur erwidern, daß es mir genau so geht wie Dir auch. Wenn ich nocht einigermaßen Muße dazu habe, dann lass ich mir diese Dinge alle durch den Kopf gehen, und ich freue mich jedes mal, wenn mir irgendein nettes Erlebnis einfüllt. In letzter Zeit habe ich mir die letzten Fahrten, die ich mit Kurt noch gemeinsam unternommen hatte, durch den Kopf gehen lassen. Einmal war ich mit ihm im Hegau und das letzte Mal auf dem Haldenhof. Das Zusammentreffen während des gemeinsamen Urlaubs und die Fahrt nach Hagnau habe ich mir ebenfalls ins Gedächtnis zurückgerufen.  Ich freue mich, daß Dich die Kinder so schön unterstützen. Du kannst ihnen deshalb mein Lob aussprechen und ihnen sagen, daß es schön ist, wenn man sein Versprechen einhält. Denn das haben sie mir ja in meinem letzten Urlaub versprochen. Daß man Kinder nicht so dressieren kann, daß sie sich nicht mehr mucksen, das wäre ja auch nicht richtig. Wenn sie sich aber in Gegenwart von anderen Leuten ordentlich aufführen, dann kann man schon zufrieden sein, denn man müsste sich ja schämen, wenn man mit ihnen auffallen würde. Zuletzt fiele es doch wieder auf die Eltern zurück, weil sie sich der Kinder nicht pflichtgemäßerweise angenommen hätten. Das braucht man erfreulicherweise hier nicht zu sagen. Das ist ein schönes Gefühl, wenn man sich sagen kann, man hat das getan, was notwendig war. Du siehst es ja bei den Nachbarskindern, welche Unarten sie an sich haben.  Unsere sind bestimmt auch keine Engel. Das sollen sie ja auch nicht sein, denn das wäre ja nicht unser Erziehungsziel.  Die Kapuze von meiner Nikolausverkleidung hast Du nun auch wieder nützlichen Zwecken zugeführt. Daß Helga ihre Freude daran hat, ist ja mehr wie recht. Es kommt alles wieder an den Mann oder besser gesagt, an unser Mädel.  Ich habe nun gesprochen! Hug! Es stand doch immer in den Indianergeschichten. Ich möchte deshalb nicht gleich als Indianer angesehen werden, der sich auf dem Kriegspfad befindet. Lasse dich, mein liebes Mädel, vielmals grüßen und küssen von Deinem immer an Dich denken Ernst.

Mein liebster Schatz                                                                           25.2.43 
              
Ich habe mich heute sehr gefreut, als ich von Dir wieder 3 Briefe erhielt. Die passen zwar nicht ganz in die zeitliche Reihenfolge, aber man kann sich nun nach und nach das, was man wissen will, zusammenkonstruieren. Gestern erst schrieb ich, daß ich von den Kindern seit einiger Zeit nichts Geschriebenes bekommen hätte, und sprach die Vermutung aus, daß das mit dem Ausbleiben der anderen Post zusammenhängen würde. Das war ja nun auch der Fall. Ich erhielt nun auch die Zeugnisse unserer beiden Stromer, und ich kann nur feststellen, daß sie wieder ganz ordentlich sind. Daß bei Helga gerade Schönschreiben, Zeichnen und Größenlehre ein „befriedigend“ erhalten hat, ist ein Zeichen dafür, daß dies auf eine gewisse manuelle Veranlagung zurückzuführen ist. Alle anderen Fächer, auf die es ankommt, wie auf das Mündliche und Schriftliche sind ja gut, und das ist sehr wesentlich. Ob uns der Pfarrer mit dem „sehr gut“ in Religion ärgern wollte. Das ist doch interessant, daß sie in diesem Fach, auf das von uns aus kein Einfluss weiter ausgeübt wird, eine solche Note zustande kommt. Mit dem Zeugnis von unserem Borzel, ist er, wie er in seinem Schreiben anführt, noch   ? , geht es auch ganz in Ordnung. Daß er für seinen Gesang ein „befriedigend“ geerntet hat, ist nur ein kleiner Schönheitsfehler. Mit der Schrift ist das bei uns so eine Sache. Das weißt Du ja schon von meinem Erzählen aus meiner Schulzeit.  Ich muß zwar zu ihrer Entlastung sagen, daß sie besser schreiben wie ihr Vater damals geschrieben hat. Wenn Du ihnen für ihre Arbeit ein Belohnung hast zukommen lassen, so kann ich das nur unterstützen, denn das habe sie sich damit verdient. Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert, sagt man doch, so auch diese. Es soll ihnen ja nur eine Anerkennung und ein Ansporn sein. Ich werde ihnen noch selbst dazu schreiben. Daß sich unser Junge so verschiedene Wunden und Verletzungen zugezogen hat, das ist doch richtige Bubenart. hat er dann etwa geheult, als er damit nach hause kam? Das mit dem Schleuderbrett hat er mir aber ziemlich verständlich erklärt. Das ist schön, wenn er das kann. Es ist noch kindlich, aber das kann man nicht anders verlangen.  Bei den eingegangenen Schreiben handelt es sich um Deine Briefe vom 27.1., 7.2. und 10.2. Ich muß immer wieder feststellen, daß Du ein richtiger Bastler geworden bist. Nun hast Du Dir den Vorschaltwiderstand zurecht gemacht. Ich habe die Bestellung noch nicht vergessen. Ich warte aber immer noch auf Nachricht von Thomas. Ich werde ihm dann gleich meine Bitte mitteilen. Ich hoffe, daß er dann meinem Wunsch nachkommen kann. Der Blumenstock zeigt sich also immer noch dankbar. Ich glaube, daß er Dir eine schöne Erinnerung an den letzten Urlaub ist, und zwar eine ziemlich nachhaltige. Von dem Eintreffen weiterer Päckchen habe ich auch wieder erfahren. Das freut mich immer. Gleichzeitig ist mir das eine Beruhigung, weil ich dann weiß, daß nicht mehr soviel unterwegs ist. Daß Helga von der Hautcreme probiert hat, ist ja so recht weiblich. Darum auch entschuldbar. Oder hörst Du das nicht gern, wenn ich das sage.? Es würde mich interessieren, wie viel Honig dann das zusammen gewesen ist.  Kannst Du das etwa feststellen? Auch das Öl, das ich gesandt habe, würde mich mengenmäßig interessieren. Man sieht dann erst, was und wie viel es gewesen ist. Wenn man so nach und nach die Sachen absendet, kann man das nicht so übersehen. Bei den Flaschen mit dem Honig handelt es sich um Milchflaschen.  Ich schließe heute wieder in der Erwartung, daß Ihr alle gesund und munter seid und gebe Euch im Geiste recht herzliche Küsse und grüße Euch vielmals. Dein Ernst.

Brief 383 vom 22.02.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                       22.2.43 
        
Die Woche nimmt wieder ihren Anfang. Ausnahmsweise bin ich fast ohne Arbeit. Man kommt sich ganz eigenartig vor. Man ist an das Gleichmaß und an das tägliche Tempo der Arbeit gewöhnt, so daß man sich direkt faul vorkommt. Unser Gepäck ist immer noch nicht eingetroffen. Wenn das der Fall wäre, hätte ich immerhin schon einige Arbeit. Du siehst aber wieder daraus, daß der Mensch nie zufrieden ist. Hat er viel Arbeit, dann klagt er; hat er dagegen keine, dann ist es ihm auch nicht recht.  Gestern bekam ich als einzigen Brief ein Schreiben von der Stadtverwaltung. Es war die Antwort auf mein Gesuch vom 10.1. Wie nicht anders zu erwarten, wurde mein Gesuch wieder abgewiesen. Es wurde damit begründet, daß die in diesem Erlass angeführten Anwärter diejenigen Bewerber und Dienstanfänger sind, die bei der Einberufung zum Vorbereitungsdienst unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Anwärter ernannt werden. Ich sei aber kein Anwärter, sondern bereits Beamter. Das stimmt teilweise. Ich finde, daß dies wieder mit Absicht auf ein anderes Gleis geschoben worden ist, denn die Auslegung ist engherzig und zwar nach meiner Ansicht so engherzig wie nur möglich Von nationalsozialistischer Auffassung keine Spur. Durch meine Meldung zum Vorbereitungsdienst für die höhere Beamtenlaufbahn, bin ich doch immerhin wieder Anwärter für diesen Dienst. Dies wird aber absichtlich umgangen und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, daß mein „Freund“ bei der Personalabteilung sich wieder ein Glanzstück geleistet hat. Ich ärgere mich schon nicht mehr über diese Sachen, sondern ich versuche meine Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ich gebe nicht Ruhe, bevor ich davon überzeugt bin, daß ich überhaupt nichts mehr machen kann. Ich habe zwar meine sämtlichen Unterlagen in meinem Koffer, der noch unterwegs ist. Wenn diese Sachen da sind, will mein Chef sich dieser Sache insoweit annehmen, als er diesen Fall unserer höchsten Dienststelle mit einer Klarstellung der ganzen Angelegenheit vorlegen will. Wenn von dort aus nichts getan werden kann, dann werden meine Bemühungen vorerst wohl zwecklos sein. Aber ich werde weiterhin nach neuen Mitteln zu trachten, die mir zu meinem Recht verhelfen. Ich stehe sonst den Dingen ziemlich kühl gegenüber, doch muss ich darauf sehen, daß uns nichts verloren geht, denn ich sehe nicht ein, daß ich den anderen gegenüber ins Hintertreffen kommen soll. Es wäre ja nur zu unser aller Nachteil.  Sonst sieht man darauf, daß die Mahlzeiten richtig eingehalten werden und daß man dabei nicht zu kurz kommt.  In Poltawa war es in dieser Hinsicht nicht gut gewesen. Hier bekommen wir ein kräftiges und ausreichendes Essen. Wenn man das wieder hat, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus. Ansprüche an Einrichtung und Komfort stellt man ja schon nicht mehr. Man ist ja froh, wenn man sein Bett hat, einen ordentlichen Strohsack drin und die notwendigen Decken dazu. Dann hat man eigentlich alles, was man bei bescheidenen Verhältnissen haben sollte. Manchmal geht es zwar noch einfacher zu, doch bis jetzt ist es bei uns noch nicht soweit. Unsere Betten haben wir immer noch mit verladen können und das hat sich bisher als sehr nützlich erwiesen. Man ist doch am anderen Tag einigermaßen ausgeruht. Vielleicht würde man sich an einen anderen Zustand auch gewöhnen, wenn es aber noch nicht notwendig ist, dann lässt man das sein.  Das lange Warten ist nun doch belohnt worden. Mit der Abendpost habe ich wieder Verbindung mit Dir bekommen. Deine beiden Briefe vom 11. und 12. trafen ein. Ich habe daraus lesen können, daß daheim wenigstens noch alles gesund ist. Die dazwischenliegende Post von bald drei Wochen erwarte ich noch. Aber ich bin schon froh um das, was ich erhalten habe. Wie ich aus dem ersten Schreiben entnehmen kann, war Nannie in Konstanz. Dein Vater hat uns auf diesen Fall hin auch geschrieben, wie ich aus dem Durchschlag gelesen habe. Was sonst noch geschehen ist, werde ich wohl in Kürze aus den nun wohl langsam eintreffenden Briefen ersehen. Die Zeitung vom 13.2. habe ich auch erhalten. Die Danksagung habe ich gelesen.
Ich sehe, daß alles auch ohne meine Mithilfe ganz gut gegangen ist. Die Anregung wegen des Grabsteines waren auch schon meine Gedanken. Ich matte mich auch schon gefragt, in welcher Weise wir ihm noch etwas tun können. Ich bin gleichfalls auf diese Idee verfallen. Ich glaube, aus Deinem Brief entnehmen zu können, daß Du mit Nannie und Paula während des Aufenthalts von Nannie in Konstanz zusammen gewesen bist. Ich bedauere nur, daß Du Dich wieder hast ärgern müssen.  Aber auch die Rederei von Vater, die nach Deiner Ansicht auf meine beiden Tanten zurückzuführen ist, muß man allgemein unter das traurige Ereignis stellen. Man macht sich Gedanken und sagt immer wieder, hätte man und würde dies und jenes getan worden sein. Damit ändert man aber an der nun einmal bestehenden Tatsache leider nichts mehr. Ich habe schon viel über dies geschrieben, doch werde ich das Schicksal nicht anklagen, denn wir müssen immer wieder an die Lebenden denken und das Leben für die Lebenden einrichten. Das ist kein Fatalismus, sondern eine hart Notwendigkeit. Du hast schon früher immer gewusst, daß ich viel für Kurt, trotz seines manchmal eigenartigen Wesens, übrig gehabt habe. Daß dies vielleicht aus meinen letzten Briefen besonders hervorgegangen ist, hängt mit der Erinnerung zusammen, die an vielem hängt, das man mit ihm erlebte. Daß Dich ein Teil meiner Päckchen ordentlich erreicht hat, war mir wieder eine besondre Freude. Daß in dem Verpackungsmaterial noch Gebäck dazwischengekommen ist, ist auf einen Fehler von mir zurückzuführen. Ich habe es jedenfalls übersehen. Daß Di alles bei Deiner Haushaltsführung mithelfen wird, ist mir eine große Beruhigung.  Aus den vorangegangenen Briefen hast Du ja lesen können, wie wir inzwischen weitermarschiert sind. Gesund bin ich bisher immer noch geblieben, und ich hoffe auch, es weiterhin gut durchzustehen. Du brauchst Dir bestimmt keine Sorgen machen.  In unserem Interesse werde ich mich, soweit es mir möglich ist, gesund erhalten.  Dein Päckchen habe ich wohl noch nicht bekommen, ich hoffe es aber in den nächsten Tagen mit der anderen Post zu erhalten. Du mußt Dir nichts absparen, denn ich habe wirklich ausreichend zu essen. Wenn es tatsächlich einmal knapp zugehen sollte, dann ist das meist nur vorübergehend, und da helfe ich mir schon wieder.  Mit dem Arbeiten von Vater stimmt es ja schon, daß es nicht mehr so wie in früheren Jahren geht. Wichtig ist ja, daß er seine Beschäftigung hat und daß er sich dabei nicht o kaputtmacht, daß es ihm schadet. Daß das alles nicht mehr so wie früher geht, ist ja vollauf erklärlich. Unser Junge ist doch ein Schlingel. Dem muß man mit allen Kniffen beikommen, wenn man bei ihm etwas erreichen will. Wenn sein Kollege Richard dabei ist, dann läßt er sich zum Turnen verleiten. Das ist doch ein Schlawiner. Ich freue mich, daß Ihr immer ziemlich regelmäßig zum Baden geht. Dies ist doch Eurer Gesundheit nur zuträglich, ganz abgesehen davon, daß man dabei auch noch sauber wird.  Ich grüße Dich und die Kinder vielmals und sende Dir wieder besonders herzliche Küsse. Mit viel Liebe bin ich immer Dein Ernst.  Den Zeitungsausschnitt hebe bitte mit auf und lege ihn zu den Sachen, die wir von Kurt haben. 

Brief 382 vom 21.02.1943


Mein liebster Schatz !                                                                     21. 2. 43         

Der Sonntag liegt hinter mir und zur Abendstunde möchte ich mich mit Dir noch über den heutigen Tagesverlauf unterhalten. Wir hatten uns schon Ende letzten Jahres am Sonntag etwas Ruhe gegönnt wie beim Eintritt bei meiner jetzigen Dienststelle. Wir fangen immer erst gegen 9 Uhr an und besetzen dann die Dienst stelle am Nachmittag
nur noch mit einer Telefonwache. So halten wir es auch jetzt noch. Man merkt dann doch etwas den Unterschied zwischen Wochen und Sonntag. Nach dem üblichen rituellen Waschungen habe ich meinen Vormittagsdienst versehen. Nach dem Mittagessen hatte ich mich ein Weilchen ausgeruht. Anschließend daran habe ich dann einen ausgedehnten Spaziergang unternommen, um wenigstens die Stadt, die ich im letzten Herbst schon besuchte, näher kennen zu lernen. Trotz der Wetterstimmung, die zwischen Winter und Frühjahr liegt und verhältnismäßig wenig Reize bietet, konnte ich einen angenehmen Spaziergang machen. In den kahlen Bäumen rauschte der Wind, den nahen Vorfrühling ankündend. Die Äste schlugen aneinander. Der teilweise weggeschmolzene Schnee hatte sich in Eins verwandelt und machte die Wege zu wahren Schlittschuhbahnen. Das Laufen war stellenweise schwierig, aber wenn man richtig warm angezogen ist, dann ist nach dem dauerndem Stubenhocken der frische Wind direkt eine Wohltat.  Der Park geht bis an die steilen Hänge, die zum Dnjepr abfallen. Ein herrlicher Weitblick eröffnet sich, der im   Frühjahr oder im Sommer, wenn alles grün ist, noch schöner sein muß.
Zu den Füßen liegt der Dnjepr. Der Strom, der sich vielmals teilt und viele kleine oder größere Inseln bildet. Noch ist er im Eis gefesselt: Menschen wandern über ihn hinweg. Von den Russen beim Rückzug gesprengte Brücken stören die Landschaft. Brückenpfeiler ragen trägerlos aus dem Strom. Es fehlt etwas. Es ist ein Bild des Krieges. Daneben sieht man den Wiederaufbau. Neue Verkehrswege wurden über den Strom gelegt. Verbesserte wurden vorbereitet und befinden sich in der Ausführung. Weit kann der Blick von diesem Punkte gleiten. Es ist eine Wohltat, wenn man aus den engen Mauern einer anderen Großstadt kommt. Du weißt ja, wie ich mich an der Landschaft laben kann.
Es ist nicht die Heimat, aber immerhin ein Ersatz, der sich auf seine Art lohnt. Mein heutiges Ziel war aber das in ganz Rußland berühmte Kloster, das sich hier befindet. Das Kloster Lawra ist eines der ältesten russischen Klöster. Wenn man vom jenseitigen Dnjeprufer kommt, kündet schon der hohe Glockenturm von der früheren Mächtigkeit und Größe. Heute ist alles öde und leer. Bei ihrem Abzug hatten die Russen einen großen Teil noch in die Luft gesprengt. Die Jahre vorher hatten sie sich nicht getraut außer die Menschen daraus zu vertreiben, etwas an den Gebäuden zu tun. Bei ihrem Abzug hatten sie das, was sie nach ihrer Meinung während der Jahre vorher versäumt hatten, nachgeholt. Die Zellen müssen anscheinend schon vorher von der Bevölkerung zu Wohnzwecken benutzt worden sein. Das hat die Bolschwisten trotz allem nicht daran gehindert, diese Sprengung vorzunehmen. Große Schutthaufen liegen jetzt da, wo sich früher die Kirchenräume befunden haben. Die Ausdehnung dieses Klosters war immerhin derart groß, daß von ihnen nur ein kleiner Teil zerstört werden konnte. Was nicht der Zeit durch die Nichtinstandsetzung zum Opfer gefallen ist, wurde auf diese Weise vernichtet. Schöne Fresken, wie ich sie hier im Osten noch nicht gesehen habe, waren an den Trümmern, die stehen geblieben waren, zu sehen. An Mächtigkeit und an Ausdehnung haben wir in Deutschland wohl in dieser Hinsicht nicht gleich etwas Ähnliches aufzuweisen. Denn das Klostergelände ist direkt als Stadt für sich zu bezeichnen. Man kann aber auch daraus schließen, welchen Einfluss solch ein Kloster auf das gesamte Leben ausgeübt haben mag. Verschiedene Räume wurden als Lehrhallen für die von den Bolschewisten verwendeten Gipsfiguren verwendet. Von diesen Figuren berichtete ich Dir schon am Anfang meines Aufenthalts in Rußland. Alles war zerschlagen. Von Kunst kann da keine Rede sein. Dagegen sind sämtliche Einrichtungen aus der Kirche geräumt worden. Ich habe immerhin von allem einen gewissen Eindruck mitgenommen.
Mit diesem Spaziergang war der ganze Nachmittag ausgefüllt. Ich habe mit diesem Besuch aus der  vorbolschewistischen Zeit eine der wenigen zum Teil noch erhaltenen Einrichtungen kennen gelernt.  Ich habe Dir nun in dem ganzen Brief nur etwas von diesem Spaziergang erzählt. Es war aber auch so erfrischend, und die Sonne meinte es schon so gut und gab allem ein freundliches Gepräge, so daß es direkt eine Freude war, wieder einmal draußen zu sein. Post habe ich von Dir immer noch nicht erhalten. Ich hoffe aber fest, bald wieder etwas von Dir zu hören. Ich hoffe gleichfalls, daß Ihr alle gesund seid, denn ich mache mir nun doch bald Gedanken, ob irgendetwas daheim vorgefallen ist.  Ich sende Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse. Dein Ernst.

Brief 381 vom 18./20.02.1943


Meine liebste Annie !                                                                         18.2.43 
          
Wieder bin ich in einer neuen Umgebung und doch kann man sagen, es ist jedes mal dasselbe. Erst erscheint einem alles neu und verändert. Man richtet sich danach ein und bald hat man sich an die neue Tapete und alles, was drum und dran gehört gewöhnt. Ich kann nur immer wieder feststellen, ich wundere mich, wie ich mich an diesen ganzen Rummel so gewöhnt habe. Ich war früher kein so großer Freund vom vielen Wechsel. Aber durch die Notwendigkeit und durch den Zwang, der sich daraus ergibt, murrt man am Anfang innerlich und dann findet man sich damit ab, weil es einfach nicht anders geht. Bei dem letzten Wechsel war ich gerade im Begriff, mich einer Errungenschaft des Westens mit vollstem Genuss hinzugeben, als mich der Befehl des Packens und des Abmarsches erreichte. In einem der Quartiere eines Kameraden befand sich ein Wannenbad, das richtig in Betrieb war. Ich gedachte ein Vollbad zu nehmen, weil ich das hier im Osten noch nie auskosten konnte.  Ich hatte alles soweit vorbereitet, als eine Ordonanz von uns kam und mich mit dem Befehl überraschte. Trotz allem habe ich mich aber dann doch nicht davon abhalten lassen und habe mich erst einmal in die Wann heißen Wassers gestürzt. Ich musste feststellen, daß das wirklich eine Wohltat war. Bisher konnte man sich immer nur in der Waschschüssel „baden“ oder besser gesagt, abwaschen. Wenn man auch nicht ganz sauber wurde, so hatte man doch das Gefühl, daß wieder einmal Wasser an den Körper gekommen war.  Man hilft sich, so gut man kann und freut sich, wenn man von unserer Kultur etwas abbekommt. Trotz allem, so komisch einem das selbst in den Ohren klingt, aber ist es einem nicht so ganz einerlei, daß jetzt die Russen wieder in der Stadt Charkow sind.  Man hat doch ein Stückchen Arbeit dort hinterlassen. Monatelang war ich dort tätig, und es ist einem damals nicht so bewusst worden, wie es einem zumute wäre, wenn man die Stadt für den Russen wieder räumen müsste. Dieser Fall ist ja inzwischen eingetreten. Es wäre anders, wenn man dort weggegangen wäre, und die anderen deutschen Kameraden hätten den Betrieb übernommen. Nur die völlige Aufgabe, die bedrückt etwas. Wie ich gestern schon schrieb, ist es ja nicht so, daß wir daran glauben, daß uns die einmal eroberten Gebiete für immer wieder entrissen sind, sondern daß es uns vielleicht durch einen Großen Gegenschlag gelingt, endlich einmal mit den Russen Schluss zu machen.  Ich habe vorhin ein Päckchen gepackt. Mit den Nummer bin ich nicht ganz im Bilde, weil meine sämtlichen Unterlagen sich im Koffer befinden. Ich habe darum die Nummer 18 genommen, da ich annehme, daß diese richtig ist. Es ist etwas Speck, den ich von der Marschverpflegung überbehalten habe. Du wirst ihn sicherlich gut gebrauchen können. Mit der Post bei uns ist es noch das alte Lied. Wir sitzen wieder auf dem Trockenen und warten. Man kommt so ganz aus der gewohnten Reihe. Ich gebe aber trotzdem die Hoffnung nicht auf.  Ich sende Dir recht viele herzliche Grüße und küsse Dich, mein liebes Mädel, vielmals. Dein Ernst.


Meine liebe Frau, meine liebe Annie !                                              20.2.43 
        
Nun sitzen wir schon den vierten Tag hier und warten auf die Entscheidung, was mit uns geschehen soll. Unsere ganze Einheit wird aufgelöst und auseinandergerissen. Wir wollen unsere uns verbliebenen Geschäfte abwickeln, können dies aber deshalb nicht tun, weil unsere sämtlichen Schriften unterwegs sind. Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Sachen nach Deutschland rollen.  Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß wir diese Sachen doch noch erhalten werden. Es geht jetzt etwas durcheinander. Es ist jedoch bestimmt zu erwarten, daß sich die Lage bald stabilisieren wird. So ein Rückzug ist keine Kleinigkeit. Wenn man bedenkt, daß unser Apparat nun vorher monatelang immer an einem und demselben Fleck gesessen ist und der sich nun ziemlich plötzlich nach rückwärts in Bewegung setzen muß, so ist das keine Kleinigkeit. Wie ich schon oben erwähnte, hat sich unser Verein aufgelöst und existiert als solcher in der früheren Form nicht mehr. Die Männer werden zu anderen Einheiten kommandiert und versetzt. Über unser Schicksal ist noch nicht entschieden. Ich mache mir deshalb aber keine Sorge, denn es wird schon wieder in irgendeiner Form klappen. Ich werde mich dann schon wieder einrichten.  Charkow ist ja nun, wie Du aus dem Wehrmachtsbericht gehört hast, wieder in russischer Hand. Die letzten Wochen war es ja nicht mehr schön dort. Am Tage und mit Eintritt der Dunkelheit fing der Fliegeralarm an und die Bombardierungen. Diese wiederholten sich durch die ganze Nacht, so daß wir meist, 8, 10 und 12 mal geweckt wurden bzw. in den Keller mussten. Am Ende  hatte man sich schon daran gewöhnt. Auf unseren Geschäftsräumen ging automatisch das Licht aus. Man kam schon ganz aus der Ordnung, wenn der sich mit ziemlicher Genauigkeit entwickelte Fahrplan nicht eingehalten wurde. In den späten Nachtstunden war man dann meist so müde, daß man den Alarm nicht mehr gehört hat und die eine oder andere Warnung überhört hatte.  Ich hatte Dir damals ja schon geschrieben, daß wir sehr stark in der Arbeit drinstecken.  Wir hatten für den Abtransport der für uns arbeitenden einheimischen Kräfte und vor allem für die Deutschen und Volksdeutschen zu sorgen. Das war keine kleine Aufgabe. Die Einheimischen wurden aufgefordert, freiwillig mit zurückzugehen. Ein großer Teil hat wohl von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein zwar nicht unbeträchtlicher Rest ist zurückgeblieben. Was aus diesen Leuten geworden ist, kann man nicht sagen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß ihnen der Russe jetzt nichts tut, da er selbst die Leute brauchen wird. Auch die Künstler und die Wissenschaftler wurden von uns mit zurückgenommen. Es war keine Kleinigkeit, diese Leute dazu zu bewegen, denn auch sie hängen ja an ihrer Heimat. Wann sie jemals wieder zurückkommen können, das steht doch noch dahin. Man kann es noch nicht übersehen, aber ich bin überzeugt, daß in dieser Richtung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Es ist das beste, wir hoffen und vertrauen und stellen sämtliche Zweifel beiseite. Wenn man bedenkt, was dort schon alles unter deutscher Führung aufgebaut war, so kann man es erst nicht fassen, daß wir das alles verlassen mussten.

Brief 380 vom 17.02.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                      17.2.43  
   
Ganz plötzlich bekamen wir Befehl zum Weitermarsch. Ich hatte Dir ja schon geschrieben, wo es hingehen wird und dort sind wir auch nun gelandet. Dadurch die inzwischen eingetretene Schneeschmelze war das keine so leichte Angelegenheit. Die Straßen befanden sich in einem Zustand, der mich auffallend an die Fahrt erinnerte, die ich im Sommer einmal unternommen hatte. Da war ein Gewitterregen eingetreten, der die Straße in ein Schlammbad verwandelte. So war das hier auch. Unser Kraftwagen tänzelte auf der Straße hin und her, das war geradezu gefährlich. Am ersten Tag waren wir etwa 15 mal im Graben gelandet. Vielfach lag das auch an unsrem Fahrer, der sich bald einen Spaß daraus gemacht hat. Er hat nach den verschiedenen Möglichkeiten gesucht, wie man einen Kraftwagen aus der Bahn bringen kann. Zum Glück ist, außer verschiedenen Schönheitsfehlern am Weg, nichts weiter passiert. Einiges Blech haben wir unterwegs liegen lassen müssen, weil der Wagen auf eine solche Beanspruchung nicht eingerichtet war. Ich muß schon sagen, daß ich mich eines eigenartigen Gefühls nicht erwehren konnte, als wir durch das Gebiet unseres ersten Kommandanturbereichs fuhren.  Es war ja schon ein andres Gefühl, als wir im letzten Sommer auf Vormarsch waren und uns beispielsweise in Mirgorod verabschiedeten. Durch Mirgorod selbst sind wir nicht gekommen, aber wir waren nicht weit davon weg. Die Fahrt von unsrem alten Ort nach hier haben wir in 1 ½ Tagen bewältigt. Froh waren wir, als wir am Bestimmungsort ankamen. Obwohl das Wetter nicht ungünstig war, so war es doch immerhin reichlich kalt. Eine Scheibe im Wagen war kaputtgegangen, so daß es ganz ordentlich hereinzog. Trotz der verschiedenen Hindernisse sind wir gestern glücklich gelandet. Unseres Bleibens wird aber auch nicht lange sein. Wahrscheinlich wird es so gehen, daß wir uns erst wieder komplett einrichten und nebenbei unseren Dienst tun, und wenn wir dann soweit sind, dann geht es wieder weiter. Ob das der Fall sein wird, kann  man aber noch nicht genau sagen. Unsere gegenwärtige Unterbringung ist ausgezeichnet. Wir befinden uns im großen Gebäude von Kiew.  Das Haus hat zehn Stockwerke. Eine große Hauptfront und zwei große Nebenflügel. Wir wohnen im 5. Stock und haben Zimmer 540 usw. Daran kannst Du ersehen, was für ein Komplex das ist. Vor unsrem Büro hat man bei klarem Wetter einen schönen Blick über die Stadt und den Dnjepr und weit hinaus in die Steppenlandschaft. Wie auch gegenwärtig die Dingen liegen mögen, so habe ich doch keine Bange, daß dieser Feldzug schief gehen würde. Mit einem Hin und Her wegen der Fronten muß man vor allem bei diesen Entfernungen rechnen. Es wird sich nur zeigen, wer den längeren Atem hat. Ich hege keinen Zweifel daran, daß wir das sind. Es ist ein äußerst harter und zäher Gegner, davon haben wir uns inzwischen in jeder Weise überzeugen können. Die Opfer, die dieser Krieg bis jetzt von uns gefordert hat, sind ja auch ungleich höher, als die anderen geführten Kriege bisher. Wir dürfen aber trotzdem nicht verzagen und klein beigeben. Wir haben ja auch schon unser Opfer, unser großes Opfer gebracht. Hoffen wir, daß sein Opfer nicht umsonst gegeben wurde und uns die Früchte bringt, die dieses Opfer wert war. Die Entbehrungen sind ja im Vergleich zu dem so bescheiden und gering, daß man in keiner Weise davon sprechen kann. Wenn ich mir das Bild von Kurt ansehe, auf dem er doch sehr lebendig aussieht, dann glaube ich immer noch, daß es nicht möglich ist, daß er hat von uns gehen müssen. Es ist zu schade um ihn. Wir müssen uns aber mit diesem Gedanken abfinden, so hart es auch ist, daß er nicht mehr wiederkommt. In Poltawa habe ich noch verschiedenes für Dich, mein liebes Mädel, organisieren können.  Wir hatten Gelegenheit mit Frachtgut eine Kiste in die Heimat zu senden. Ich habe diese Gelegenheit wahrgenommen und ich hoffe, daß sie gut ankommt. Der Kiste habe ich ein Inhaltsverzeichnis beigefügt. Es ist etwas Mehl dabei. Es ist kein weißes Mehl, aber ich denke, wenn Du es mit anderem mischst, dann kannst Du es sicher noch gut verwenden. Eine kleine Flasche Öl hatte ich auch noch beigefügt. Ich glaube, daß Du für alles schon Verwendung finden wirst. Wie wir das organisiert haben, das muß ich Dir später einmal erzählen, denn das war wieder einmal ein ordentlicher Streich. Hier habe ich noch Butter und Öl, das ich alsbald auf den Weg bringen möchte, damit Du einige kleine Vorräte hast und nicht auf das angewiesen bist, was Euch nur zugeteilt wird.  Von unserer Marschverpflegung habe ich mir noch Speck aufgespart, den Ihr auch noch bekommt. Ich weiß, daß Ihr es brauchen könnt.  Ich will dafür zwar keine Lobeshymnen hören, Du sollst aber daran sehen, wie ich immer an Euch und für Euch denke. Zwei weitere Päckchen kann ich noch mit Mehl fertig machen. Das ist aber gutes Mehl. Dazu brauche ich wohl nicht weiter erwähnen wie oben. Ich muß nur noch abwarten, bis unser Waggon mit unserem Gepäck hier ankommt, dann geht es los. Auf Deine Briefe kann ich jetzt nicht weiter eingehen, denn die habe ich in meinem Koffer eingepackt, auf die ich auch noch warte.  Gesundheitlich geht es mir ganz ordentlich. Ich hoffe, daß Ihr alle auf der Höhe seid, denn ich hätte zu gern die nächste Post wieder von Dir in Händen. Man macht sich doch immer Gedanken, wie alles daheim steht. Ich grüße Dich, mein liebstes Mädel.  Du entschuldigst bitte, daß ich Dir die vergangenen Tage nicht schreiben konnte, aber in diesem Trubel war es bestimmt nicht möglich. Ich hoffe, daß ich es jetzt, wenn alles etwas abklingt, wieder eher kann. Voraussetzung dazu ist, daß wir nicht gleich weiter müssen.  Ich grüße und küsse Dich, mein liebster Schatz, vielmals herzlich und bitte Dich, den Kindern jedem einen Klaps von mir zu geben und sage zu ihnen, daß ich in Liebe an sie denke, wie auch an Dich. An Vater richte herzliche Grüße aus und denke Du an Deinen Ernst.

Dienstag, 13. Februar 2018

Brief 379 vom 10./12.02.1943


Mein liebster Schatz !                                            10.2.43   
    
Es geht wieder dem Abend zu. Die Karbidlampe steht auf meinem Schreibtisch und meine Gedanken eilen zu Euch, meine Lieben. So langsam fängt man sich in diesen Betrieb einzugewöhnen. Durch solch eine Wechsel wird man aus dem alltäglichen Betrieb herausgerissen. Anfänglich geht es etwas durcheinander und bald geht der Apparat auf alten Touren. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich umstellt und in alles hineinfindet. Es renkt sich aber alles mit der Zeit ein und dann geht es weiter wie es vorher war.  Man kann sagen, dass das ein Zeichen unserer deutschen Schule und unserer Ausbildung ist, die sich dann immer wieder bewährt, wenn es darauf ankommt. Jetzt, seit ich diesen Brief schreibe, hat sich schon wieder etwas eingerichtet, wir haben unsere Karbidlampen ausmachen können, denn das elektrische Licht ist nun intakt.  Es war auch nicht so einfach mit dieser Karbidlampe. Entweder hatte sie zu wenig Wasser, dann spendete sie ein trübes Licht, bei dem man sich die Augen verderben konnte. Ließ man dagegen das Wasser stark tropfen, dann lief man Gefahr, daß einem das ganze Ding in die Luft flog. Dieser Zustand ist ja nun auch behoben.  Post ist uns wohl zugesichert worden, doch es kann wohl noch eine Weile gehen, bis wir sie bekommen. Ich bin ja sehr in Sorge, was sich nun nach unsrem Trauerfall ergeben hat, denn ich weiß ja nichts weiter, als die kurze Nachricht, die ich noch von Euch bekam. Seither ist ja alles wie abgeschnitten. Wie ich weiß, ist diese Post wohl alle gerettet, aber bis sie zur Verteilung gelangt, vergeht schon noch einige Zeit. Ich hoffe, daß Dich mein Luftpostbrief bald erreicht hat.  Wie ich Dir wohl schon mitteilte, ist es sehr wahrscheinlich, daß wir uns hier nicht lange aufhalten werden. Es kann sein, daß wir noch im Laufe dieser Woche hier weiterrücken. Wenn das der Fall ist, dann wird es nach Kiew gehen. Zu gegebener Zeit werde ich Dir darüber dann schreiben. Ich habe das in bestimmter Absicht geschrieben, damit Du Dir keine Sorge machst und damit Du weißt, wo ich stecke. Ich nehme an, daß Ihr über die Entwicklung der Lage immerhin einigermaßen unterrichtet seid. Weniger angenehm ist, das „Aus dem Koffer leben“.  Alles, was man hat, befindet sich immer im Koffer. Jedes Stück, das man braucht, muß man erst heraussuchen. Damit es nach dem Gebrauch nicht herumliegt, packt man es wieder weg. Nach kurzer Zeit ist alles durcheinander. Dann fängt das Aufräumen an, denn die Unordnung kann man nicht bleiben lassen. Das geht ja schon seit Charkow her. Dort habe ich die meisten Sachen ja auch im Koffer aufbewahrt, weil ich noch keinen Schrank hatte. Mit der Zeit bekommt man einigermaßen Geschick. Aber es ist doch nicht das Richtige.  Mit unserer Verpflegung kommen wir auch langsam wieder in Ordnung. Die vergangenen Tage hatten wir reichlich Anlass zur Klage. Heute bekommen wir sogar Bohnenkaffee und das Mittagessen war immerhin soviel, daß man sich den Bauch voll schlagen konnte. Wenn der Magen beruhigt ist, kann man über alle Dinge, die einem nicht angenehm sind hinwegsehen.  Ich habe Dir heute nur so von den kleinen Sorgen des Alltags berichtet. Ich denke, daß Du aber dadurch auch Anteil an dem hast, was einem so am Tage begegnet und berührt.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und bin der festen Zuversicht, daß Ihr meine Liebe, alle gesund seid. Dir, mein liebes Mädel, sende ich recht herzliche Küsse und bin mit viel Liebe Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                             12.2.43   
      
Ich komme heute auch nicht so richtig zum Schreiben. Gestern hatte ich keine Zeit, denn ich war dienstlich äußerst in Anspruch genommen. Ich bin wieder, wie die meisten Nächte vorher, erst nach Mitternacht ins Bett gekommen. Soweit ich zwischendurch Zeit dazu hatte, musste ich verschiedenes verpacken, das ich an Dich abschicken will. Daß das alles viel aufhält, das kannst Du Dir wohl denken. Was und wie ich das alles gemacht habe, das kann ich Dir erst schreiben, wenn ich wieder eher dazukomme. Wie es scheint, werden wir bald wieder hier aufbrechen, darum soll noch verschiedenes herauskommen.  Bei dieser Gelegenheit will ich Dir gleich noch mitteilen, daß es seit gestern wieder Post gibt. Die Enttäuschung war insoweit groß, als ich gestern Abend einen Brief vom 4.1. erhielt. Heute wurde es aber schon bedeutend besser, denn vorher kamen Deine Briefe vom 18. und 19. an. Der Brief von Helga vom 19.1. und ein Brief Deines Vaters trafen auch ein. Eine Stelle aus dem Brief Deines Vaters hat mich insofern tief berührt, als da von unserem Kurt die Rede ist, der an diesem Tage schon nicht mehr unter uns Lebenden weilte. Es ist doch etwas Großes um das Leben und gleichfalls auch um den Tod. Jedes mal, wenn von ihm die Rede ist, muß ich mir immer wieder sagen, was hat der arme Kerl eigentlich vom Leben gehabt.  Viel Freude wurde ihm nie geschenkt. DAß er uns so verschlossen war, darüber habe ich schon vor einiger Zeit geschrieben, und ich habe damals auch gesagt, wie tief ich es bedauere, das dies der Fall ist.  Vorhin wurde ich abgerufen, denn ich hatte verschiedenes in der Stadt zu erledigen. Jetzt ist es Abend und es geht bald auf Mitternacht zu. Ich habe nun noch mehr Post bekommen.  Von Dir trafen noch die Briefe vom 23. und 24.1. ein und von Nannie erhielt ich ein Päckchen mit Kuchen und etwas Wurst.  Außerdem erhielt ich von Dir noch die Zeitungen. Ich kann mich heute nun bestimmt nicht beklagen. Nannie schreibt noch am 14. 1.  zu ihrem Päckchen, daß sie von Kurt nach seinem Urlaub einen Brief erhalten hätte und sie hoffte, daß er nur gesund bleiben würde. Weißt Du, wenn man das ja so liest, dann macht man sich immer so seine Gedanken. Man möchte das Schicksal anklagen über die Härte und über die Unerbittlichkeit, doch hilflos steht man dem gegenüber und kann nichts hindern und ändern. Aus einer Zeitung, die mir heute in die Hände kam, habe ich wieder einen kleinen Artikel ausgeschnitten über die Kämpfe. Ich habe die Stellen, die für uns in dieser Hinsicht etwas wichtig sind, unterstrichen. Hebe sie bitte mit auf. Uns bleibt nichts weiter übrig als mit Ausdauer unsere Pflicht zu erfüllen und zu verharren, bis uns das Schicksal unsere Aufgabe stellt. Es wird noch eine Weile brauchen, bis ich über diesen Verlust hinwegkomme. Was mich noch so betrübt ist die Tatsache, daß man keine Möglichkeit hat, jemals dorthin zu kommen, denn gegenwärtig hält es ja der Feind wieder besetzt. Ich kann nicht anders, aber ich muß immer wieder darauf zurückkommen. Ich weiß, daß das mit der Zeit verebben wird, aber ich kann dies ja doch nur mit Dir so bereden, wie mir ums Herz ist. Die Kameraden nehmen wohl davon Notiz, denn es hat jeder seine eigenen Interessen. Ich weiß aber auch, daß Du Verständnis dafür hast, wenn ich um meinen Bruder traure. ER wird uns allen unvergessen sein.  Ich hatte erst keine große Lust noch zum Schreiben. Wie ich aber höre, geht morgen früh die Post wieder weg. Ich habe doch Kameraden, die hier bei der Feldpost tätig sind, die mich immer auf dem Laufenden halten und mir meine Briefe immer mit wegbesorgen. Das ist immer sehr nützlich. Ich will Dich darum nicht länger warten lassen mit der Bestätigung, daß ich wieder Verbindung mit Dir bekommen habe. Lasse Dich, liebes Mädel, vielmals grüßen. Ich bin der festen Hoffnung, daß Ihr alle gesund seid. Nimm Du recht viele Küsse entgegen von Deinem Dich immer liebenden Ernst.

Brief 378 vom 08./09.02.1943


Mein liebster Schatz !                                                   8.2.43      
Vor zwei Tagen sind wir hier nun angelangt. Es war sehr windig und kalt. Wir waren aber gut mit Kleidung versorgt, so daß es einigermaßen auszuhalten war. Ich hatte mir noch einen Übermantel besorgt und dann ein Paar Filzschuhe, die dann die Füße schön warmgehalten haben. Über die Einzelheiten dieses Rückmarsches kann ich hier nicht viel schreiben. Es ist jedenfalls keine erhebende Angelegenheit. Ob und wann wir nun hier im Ort bleiben, das ist noch nicht klar. Wir richten uns jedenfalls nicht erst sehr groß ein, ausgepackt wird nur das Notwendigste, denn wir sind ja erstens im Platz sehr beschränkt, und dann zum zweiten müsste man das dann alles erst wieder verpacken. Mit der Arbeit geht es so hin. Wir haben durch die Veränderung mancherlei andere Sachen zu tun, was sonst nicht durch uns erledigt würde.  Nachtarbeit gehört zu den täglichen Dingen. Es wird oft nachts zwei Uhr, dagegen haben wir am Tage nicht gerade viel Arbeit.  Doch man muß immer hier sitzen und der Dinge warten, die da kommen. Da ja die Feldpost von hier aus nicht weggeht, denn es sind vorerst wichtigere Dinge zu erledigen, habe ich es unterlassen, die vergangenen zwei Tage zu schreiben. Ich war auch tatsächlich durch die Ereignisse nicht in der Stimmung, Dir etwas Ordentliches zu schreiben. Heute bin ich schon etwas abgeklärter, und man sieht schon eher über die Vorkommnisse hinweg. Gesundheitlich ist alles in Ordnung. Ich wohne zur Zeit auf meinem Büro. Daß man da nicht zum Schlaf kommt, wird Dir wohl dadurch erklärlicher sein. Man muß sich aber einrichten. Warm ist es zwar nicht sehr, doch dafür behält man eben den Mantel an, wenn es einem mit der Wärme nicht ausreicht. Der Schreibtisch ist Waschtisch, darauf wird gefrühstückt und gearbeitet. Es sind bald solche Verhältnisse, wie wir seinerzeit in Kschen hatten. Den Vorteil haben wir hier zwar, daß wir unser Bett mitgenommen hatten und daß wir Fensterscheiben in den Räumen haben. Wie dem auch sei, man ordnet sich den Verhältnissen unter. Eine andere Lösung bleibt einem ja nicht übrig. Durch die    ?  eines anderen Postweges mußt Du Dich nicht beeinflussen lassen, denn meine Anschrift bleibt wie bisher bestehen.  Ich bin für heut am Ende meiner Weisheit und bitte Dich, mit diesem verhältnismäßig kurzen Gruß vorlieb zu nehmen, denn ich möchte Dich nicht solange ohne Lebenszeichen lassen. Bleibe gesund und sei mit den Kindern vielmals gegrüßt und geküßt von Deinem viel an Dich denkenden Ernst.
Schon wieder hat sich die Situation geändert. Ich kann also doch diesen Brief über Feldpost an Dich auf den Weg bringen. Ich hoffe, daß er Dich nun auch so erreichen wird. Zwei Päckchen habe ich an Dich fertiggemacht. Eines enthält eine Büchse Fleisch und eines eine Büchse mit Fisch. Ein paar Bonbons habe ich beigefügt. Die Päckchen haben die Nummer 16. und 17. Ich hoffe, daß Euch die Sachen richtig erreichen und wünsche, daß Ihr sie bei guter Gesundheit verzehren könnt. Nochmals recht herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir Dein Ernst.


Meine liebste Annie !                                       9.2.43       
Seit über einer Woche habe ich von Dir keine Post bekommen. Wie lange dies noch anhalten wird, ist nicht abzusehen. Es kann sein, daß es vielleicht schnell geht, doch das Gegenteil kann auch der Fall sein. Am besten wird sein, ich wappne mich mit Geduld und lass mich im Glücksfall überraschen. Ich sitze nun wieder an meinem pompösen Schreibtisch aus Urvaters Zeiten, der durch den langen Gebrauch etwas schwach auf den Füßen geworden ist. Er kommt mir vor wie ein Storch, wenn er auf einem Bein müde geworden ist, zieht er es ein. Er wackelt hin und her und es ist nicht leicht, in diesem Tempo mitzuwiegen. Mit den Knien muß man immer etwas abbremsen und festhalten. Soweit man keine Beschäftigung hat, ist das ja eine ganz nette Unterhaltung. Mit der Zeit wirkt sie nur etwas einseitig. Wenn man ihn an ein anderes Möbelstück anlehnt, steht er sogar von selbst. Aber auch gutes Zureden soll etwas helfen.  Nach tagelang bewölktem Himmel, hat sich die Sonne wieder durchgesetzt. Der frisch gefallene Schnee und der blaue Himmel gäbe einen schönen Kontrast und es erweckt den Anschein, daß es nicht mehr weit zum Frühjahr ist. Dieser Anschein wird ja auch durch den Kalender bestätigt. Bald haben wir Mitte Februar und im Februar gibt es schon die ersten warmen Tage. Soweit ich freie Zeit dazu hatte, habe ich wieder einmal ein größeres Buch ausgelesen. Es handelt sich um das Schicksal eines jungen Menschen, der in einem Jesuiteninternat erzogen wurde. Es war als solches, vor allem in Bezug auf das Leben in diesem Internat, interessant zu lesen. Aber ich muß sagen, es ist mir selten so oft vorgekommen, daß meine Gedanken abschweiften, wie gerade in diesen Tagen. Immer und immer wieder mußte ich an das Schicksal unseres Kurt denken, sobald sich in irgendeiner Beziehung eine Parallele ergab. Vielfach ertappte ich mich dabei, wie ich wohl lese, aber mit meinen Gedanken beim diesem traurigen Geschehen war. Es ist einfach zu hart, was einem damit wiederfährt. Da wir nun schon solange keine Post mehr erhalten habe, bin ich auch nicht im Bilde, was Ihr weiter zu diesem so in das Familienleben einschneidenden Vorkommnis sagt. Ich komme hier auch vorerst nicht dazu, an die Familie Frick zu schreiben.  Vielleicht es es schon von Euch geschehen. Ich werde noch etwas abwarten.  Etwas anderes muß ich in diesem Zusammenhang mit Dir besprechen. Vor längerer Zeit wurde bei uns, wie im letzten Jahre auch, zusammengestellt, welche von den jungen Kriegsverpflichtungsbeamten für die Truppe herausgezogen werden. Ich habe Dir mit Absicht davon nichts geschrieben. um Dich nicht zu beunruhigen. Denn ich weiß, daß Du Dir bestimmt mehr Gedanken gemacht hättest, als es erforderlich wäre. Bis vor wenigen Tagen wäre das auch wirklich nicht notwendig gewesen, denn der Einsatz von Beamten hier im Osten, die geeignet sind, stießen auf gewisse Schwierigkeiten, so daß man doch nur auf die erfahrenen Kräfte zurückgreifen konnte. Durch die veränderte taktische Lage kann es möglich gewesen sein, daß man uns jetzt doch herauszuziehen beabsichtigt. Mit meinem Jahrgang schneidet es ja ab. Alles, was älter wie 08 ist, kommt dafür nicht mehr in Frage. Ich sehe aber gerade hier bei diesem Stab, mit welchen Mitteln gearbeitet wird, sich aus allen diesen Dingen herauszuhalten. Es werden Mittel angewendet, die einem lächerlich erscheinen müssen, vor allem, wenn man dabei berücksichtigt, daß es sich teilweise um junge Gesellen handelt und ähnlichen unglücklichen Figuren, die man immer noch mit aushalten muß. Wenn sich schon diese Herrschaften unbegründeter Weise von ihren Pflichten drücken wollen und wie ich sie kenne auch drücken werden, so halte ich es Euch allen gegenüber als meine Pflicht, meine Gesundheit so weit es möglich ist, für Euch und vor allem für später zu erhalten. Ich betrachte dies im weiteren Sinn als den Erhalt des großen Opfers, das Kurt uns allen gebracht hat, wenn ich jetzt auf den Führerbefehl abheben werde, wenn die Sache wegen des Austausches an mich herantreten wird. In diesem Befehl ist davon die Rede, daß letzte Söhne aus einer Familie, die bei zwei Söhnen einen in diesem Kriege verloren haben, aus der kämpfenden Truppe herauszuziehen und zum Ersatzheer zu versetzen sind. Dies soll nicht erst auf besonderen Antrag geschehen, sondern die Einheitsführer sollen schon von sich aus diese Aussonderung vornehmen. Dieser Fall trifft ja bei uns nun zu. Du weißt, daß ich kein größerer Held wie die anderen bin, ich bin aber auch noch nie ein Feigling gewesen. Ich habe mich bisher ohne irgendwelche Gegenmaßnahmen zu ergreifen, immer in das hineingeschickt, was sich gerade ergab. Aber, wie ich Dir schon in meinen vorliegenden Zeilen erklärt habe, werden Dir die Gründe verständlich erscheinen, die ich im Interesse der Familie zu unternehmen gedenke. Ich weiß zwar nicht, ob Du dies mit Vater besprechen willst. Diese Entscheidung liegt ja zuletzt bei uns.  Wenn Du es aber von Dir aus für notwendig hältst, dann überlasse ich es vollkommen Dir, diese Unterrichtung vorzunehmen. Wie gesagt, ich werde erst abwarten, denn die Meldung ist vor einiger Zeit herausgegangen. Ich bin kv geschrieben wie die anderen Herren auch, aber ich kenne diese Brüder alle, sie wehren und stemmen sich dagegen, wenn es dann darauf ankommt, und wenn es dann hart auf hart geht. Wenn ich also von hier weggenommen würde, dann müsste ich beim Ersatzheer verwendet werden. Dies ist zwar noch nicht dem gleichbedeutend wie meine augenblickliche Tätigkeit. Ich habe auch das Empfinden, daß ich hier nützlicher eingesetzt bin, wie gerade beim Ersatzheer, wo ich dann vielleicht auf eine Schreibstube gesteckt würde. Im Endeffekt käme ein Minus dabei heraus. Schreibe mir bitte umgehend Deine Ansicht darüber, damit ich sehe, ob wir uns einig sind.  Mit der Beleuchtung ist es im wahrsten Sinne des Wortes sehr trüb. Wir haben, wie es bei vornehmen Leuten üblich ist, elektrisches Licht. Das brennt aber so hell, daß es kaum Helligkeit einer Kerze ausmacht. Auf dem Tisch steht eine Karbidlampe, die ihre Macken hat. Lässt man zuviel Wasser hinein, dann fliegt sie einem bald in die Luft und Flammen schlagen aus allen Löchern entgegen, das geradezu gefährlich ist, daneben zu sitzen. Das sicherste ist immer noch die Kerze. Wenn  da der Wind nicht gerade dazwischenbläst, dann brennt sie in einer regelmäßigen Stärke, die gerade zum Schreiben ausreicht. Denn die Karbidlampe ist so launisch und verbreitet nicht die Helle, die wünschenswert wäre. Es geht sehr kriegsmäßig zu, aber damit hat man sich schon längst abgefunden.
Einen dicken Schnupfen habe ich wieder einmal im Gesicht, das ist zwar weniger schön, doch bei mir gehört das sonst normalerweise zu den Erscheinungen des Winters. Das kennst du ja schon zur Genüge an mir. Ich hoffe, daß er bald abklingen wird, dann geht es auch wieder.  Wichtiges habe ich nicht weiter zu erwähnen. Ich möchte darum meinen heutigen Brief abschließen. Sei recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt von Deinem Dich fest liebenden Ernst.

Montag, 5. Februar 2018

Brief 377 vom 03./04.02.1943


Meine liebste Frau, liebe Annie !                                                           3.2.43  
       
Durch das tragische Ende unseres Kurt sind wir noch enger zusammengerückt. Ich kann es immer noch nicht fassen, daß ein solch junger Mensch ausgelöscht sein soll. Wenn er auch in seinem Wesen sehr zurückhaltend war, so weißt Du, daß er mir immer leid getan hat, weil er so wenig Glück hatte. Ich habe darum immer wieder versucht, ihm nahe zu kommen, doch es ist nie so recht gelungen. Daß er aber auch an uns hing, das haben seine Besuche bei uns und seine ganze Aussprüche klargelegt. Daß wir ihm in gewisser Weise eine Heimstatt bieten konnten, das ist mir immer noch tröstlich. Durch dieses bittere Ereignis und auch durch die gegenwärtige starke Beanspruchung im Dienst, habe ich Tage härtester seelischer Belastung hinter mir. Ich hoffe aber, alles durch die Arbeit wieder überwinden zu können. Zu gern wäre ich jetzt mit Euch zusammen, aber man muß hier aushalten und zusehen, wie man mit allem fertig wird. Es ist eine Belastung, die auch an starken Nerven zerrt. Ich glaube, daß Ihr Euch gegenseitig doch unterstützen könnt. Heute kann ich erst richtig nachspüren, was es beim Tod Deiner lieben Mutter für Dich bedeutet hatte, wenn ich nicht zuhause gewesen wäre. Wenn man mit allem allein fertig werden muß, das ist äußerst hart und schmerzlich. Du brauchst Dich aber bestimmt nicht um mich sorgen, denn wie ich schon schrieb, die Arbeit nimmt mich sehr stark in Anspruch, so daß ich nur abends, wenn ich auf meinem Zimmer sitze, Zeit habe zum Nachdenken. Ich bleibe aber auch nur solange munter, bis ich meinen Brief an Dich geschrieben habe. Ich versuche mich in den Schlaf zu retten und dort zu vergessen, denn sonst kommt man aus dem Nachdenken nicht heraus. Ich bin aber schon so müde, daß ich bald einschlafe.  Ich will noch an die Einheit von Kurt schreiben, daß man mir ein Bild vom Grab unseres Kurt beschafft. Wenn es durch die Einheit nicht gemacht werden kann, so soll es der Gräberoffizier machen.  Hoffentlich erreiche ich etwas.  Für Euch meine Lieben, habe ich wieder ein Päckchen beieinander. Die Dose Fisch, die ich mitgesandt habe, muß aber warm gegessen werden. Ein Glas Honig und einige Bonbons füllen das Päckchen noch auf. Das Päckchen bekommt die Nummer 16. Jetzt habe ich alle Kartons wieder zurück und alles, was mich irgendwie belastet, habe ich auch aus der Hand Den Honig habe ich mir von der Verpflegung aufgehoben. So brauche ich doch das Glas nicht leer nach hause schicken. Eine Zahnbürste habe ich auch noch beigefügt. Wenn Du sie nicht brauchst, so kannst Du sie ja noch aufheben. Vielleicht kann ich sie dann später wieder verwenden. Ich hatte sie schon einmal in Benutzung, aber ich habe noch eine andere bekommen, die ich nun erst noch aufbrauchen will. Du muß sie aber nicht für mich aufheben, denn ich erhalte schon wieder etwas.  In der festen Zuversicht, daß Ihr, meine Lieben, alle gesund seid, bin ich mit vielen herzlichen Grüßen und recht herzlichen Küssen Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                                      4.2.43  
        
Ich sitze heute nur noch auf Kisten, denn wir haben uns zum Rückmarsch vorbereitet. Morgen geht es zurück. Post wird wohl nicht mehr angenommen, aber ich will Dir diese Nachricht wenigstens soweit schreiben, damit ich sie dann gleich aufgeben kann. Ich weiß ja nicht, wie ich dann gleich dazukomme. Wir ziehen uns an den Ort zurück, an den ich vorher hätte kommen sollen. Er fängt mit P an. Wenn wir von hier weggehen, so liegt da noch lange kein Anlass zu irgendwelchen Befürchtungen vor, denn eine solche Verlegung hängt mit der Eigenart unserer Dienststelle zusammen. Wie lang wir dort bleiben, hängt ganz und gar von der weiteren Entwicklung der Lage ab. Ich bin froh, daß ich in der vergangenen Zeit noch die verschiedenen Sachen nach haus gesandt habe, denn sie wären mir sonst eine Belastung. Das Päckchen, das ist noch an Dich absenden wollte, konnte ich nicht mehr aufgeben, weil die Annahme von hier aus gesperrt ist. Ich werde es aber bald von der neuen Stelle aus absenden.  Durch den starken Betrieb habe ich wohl etwas Ablenkung, ich kann es aber immer noch nicht fassen, daß Kurt nicht mehr sein soll. Trotzdem wir nicht viel miteinander gesprochen hatten, ist mir sein Tod sehr nahe gegangen. Ich kann es kaum glauben.  Post bekommen wir ja schon seit Tagen nicht mehr. Es werden auch noch einige Tage vergehen, bis uns wieder welche zugestellt wird. Doch solange man gesund ist, kann man es noch hinnehmen, denn man weiß, daß es jetzt nicht anders geht. Körperlich geht es mir auch ganz gut, ich kann in dieser Hinsicht bestimmt nicht klagen.  Nimm heute mit diesem kurzen Gruß vorlieb, denn ich wollte Dich doch nicht längere Zeit ohne Nachricht sein lassen. Sei Du, mein liebes Mädel, vielmals herzlich gegrüßt. Grüße auch Vater von mir und sage ihm, daß ich gerne daheim wäre, um Euch allen die Stütze zu sein, die ich sonst sein könnte, wenn ich zuhause wäre.  Lasse Dich und die Kinder vielmals küssen von Deinem so viel an Dich denkenden Ernst.

Brief 376 vom 29./31.1.1943


Meine liebste Annie !                                                                           29.1.43   
    
Auch dieser Monat neigt sich seinem Ende zu. Viele ernste Meldungen hat er uns gebracht. Hoffen wir, daß uns die folgenden Monate bessere Nachrichten für uns bringen. Die neue Verordnung über die Arbeitspflicht hat ja manche Änderung in der Heimat geschaffen.  Vielleicht bekommt man auch mit dieser Sache die „feinen Leute“, die bisher nur die anderen schaffen ließen, dran. Wahrscheinlich werden die Ärzte gegenwärtig sehr in Anspruch genommen, um die vielen Zeugnisse auszustellen für die, die sich nun ihre Leiden bescheinigen lassen müssen, um eine begründete Ausrede für irgendein Leiden zu haben, was schnell beschaffen worden ist.  Nachdenken darf man darüber nicht, denn sonst müßte man sich erst noch ärgern. Ich glaube kaum, daß die Arbeitseinsatzbehörden das restlos durchdrücken werden.  Die in Aussicht gestellte Verlegung ist im Moment etwas in den Hintergrund getreten durch die Stabilisierung der Front. Es kann aber sein, daß durch andere Ereignisse eine Veränderung unserer Unterbringung vorgenommen wird. Das  ?    bin ich ja gewohnt worden, so daß man vor keine neue Aufgabe gestellt ist.  Dein Vater kann aber unter den schwierigen Verhältnissen, die jetzt herrschen, mit den Geschenken, die Du ihm zu seinem Geburtstag gemacht hast, sehr zufrieden sein. Diese Sachen sind doch alle schwer zu bekommen. Ich nehme an, daß er das auch richtig zu schätzen weiß. Vor allem sieht er aus diesem Geschenk, daß sich durch die Veränderung zuhause trotz allem gegen ihn nicht geändert hat. Du hast mit dieser Aufmerksamkeit die nun eingeführte Tradition fortgesetzt. Ich stimme dieser Sendung in jeder Beziehung zu, denn er sieht daraus den guten Willen.  Für die Zuteilung von Mandarinen werden die kinder wohl ganz besonders dankbar sein. Das hätte ich vor einem Jahr auch noch aus Frankreich schicken können, doch von hier aus läßt sich das nicht machen.  Daß sich Jörg während Deiner Abwesenheit seine Schuhe selbst vorgenommen hat, finde ich sehr nett von ihm. Er versucht wenigstens, sich selbst zu helfen und nicht nur Dir alles zu überlassen. Ob er nicht auch vielleicht ein bisschen Dampf davor gehabt hat, daß Du ihm deshalb Vorwürfe machen könntest, weil er sie schon wieder kaputt hat. Wie dem auch sei, er hilft sich wenigstens selbst und das wird Dir auch recht sein, vor allem wenn er es richtig anpackt. Daß er es nun mit dem Schwimmen doch geschafft hat, das macht mir viel Spaß. Er hat doch noch etwas Ehrgeiz in sich, denn er würde es sonst nicht von sich aus probiert haben, das Gelernte und vor allem das nun gewonnene Selbstvertrauen in sich zu stärken. Diesen Funken von Ehrgeiz muß man meiner Erachtens nähren bei jeder sich bietenden Gelegenheit, denn ich weiß wohl, daß er gern nach der anderen Richtung neigt. Daß er sich sehr wichtig dabei vorkommt, das ist nun einmal kindlich und dafür hast Du ja volles Verständnis.  Wegen der Vorschaltwiderstände ist das so eine Sache. Du weißt ja, wie die Kameraden dort drüben mit ihrem Geld immer so knapp daran sind. Meist reicht ja das Kontingent nicht aus von dem, was sie sich schicken lassen können. Es wird darum nicht daran liegen, daß man einfach das Geld nur 2 X schickt, sondern das geht von dem ab, was sie sich dann schicken lassen können. Ich denke aber trotz allem, daß ich einen gangbaren Weg finde, um den notwendigen Kauf möglich machen zu können. Wenn Du den Apparat nicht mehr benutzen könntest, wäre das schon ein großer Ausfall für Dich. Ich hoffe darum selbst, daß ich diesen Kauf erledigen kann. Anscheinend kommen meine Briefe im Vergleich zu früher doch etwas schneller an. Daß einer einmal hinterherhinkt, das läßt sich nun einmal nicht vermeiden. Durch solche kleine Erleichterungen hoffe ich Dir entgegenzukommen und eine kleine Freude zu machen. Solange das sich einrichten läßt, mache ich die auch sehr gern; brauchst Du doch dann nicht gar zu lange warten.  Ich grüße Dich, mein liebster Schatz und bin mit vielen, vielen lieben Küssen Dein Ernst.

Mein liebster Schatz !                                                                   31.1.43    
     
Zum Schreiben bin ich gestern leider nicht gekommen, aber heute zum Sonntag klappt es schon eher. Zuerst vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 17.  Wie ich sehe, hast Du Dich angestrengt und das Maschineschreiben aufgegeben um mit zu beweisen, daß Du das Handschriftliche auch noch beherrschst. Ich hätte es Dir aber auch so geglaubt. Dieser Brief hat gerade zwei Wochen gebraucht bis er ankam. Das ist doch eine erheblich länger Zeit als früher nach Frankreich. Da könnte man unter normalen Umständen innerhalb einer Woche wieder Bescheid haben. Dieser Traum ist ja nun aus. Dem Sonntagsessen würde ich gerne zustimmen. Vom Stachelbeerkompott wäre ich auch nicht abgeneigt. Ich kann aber im allgemeinen jetzt über die Verpflegung nicht klagen, ich schrieb ja schon, daß sie besser geworden ist. Vorgestern Abend gab es Kartoffelsalat mit deutschem Beefsteak. Zum Frühstück bekommen wir meist Butter oder Margarine mit Honig oder Marmelade. Auch das Mittagessen ist immerhin ausreichend. Man braucht wenigstens keinen Kohldampf zu schieben, denn so ein starker Esser bin ich nicht, daß ich nicht satt werden würde.  Wie ich lese, hast Du für Vater wieder allerhand Aufträge auszuführen.  Mit dem Anstricken der Strümpfe hat er Dich in ausreichendem Maße beschäftigt. Solange Du noch Zeit dazu hast, geht das noch an.  Ich habe auch ohne weiteres Verständnis dafür, weil er niemand weiter hat, der ihm das übernehmen kann, aber ich bitte Dich immer wieder, nimm Dir nicht allzu viel vor, denn so ein Riese bist Du nun einmal nicht, daß Du tagaus tagein die Nacht über sitzen kannst. Du mußt Dich auch wieder einmal ausruhen und Dich schonen. Ich lege großen Wert darauf, daß Du Dich etwas hier nachrichtest. Du mußt Dir ja schließlich für uns gesund erhalten.  Das mag etwas egoistisch klingen, doch ist dieser Wunsch sicherlich nicht unberechtigt. So alt bist Du und ich auch noch nicht, daß wir schon zum alten Eisen gehören, denn wenn wir gesund bleiben, haben wir noch ein Stück Leben vor uns. Dies wollen wir im Auge behalten und darnach richten. Wenn Du Dich im Rahmen des Möglichen beschäftigst, habe ich bestimmt nichts einzuwenden, nur solltest Du über diesen Rahmen nicht hinausgehen. Beachte das bitte auch dann, wenn irgendwelche Anforderungen an Dich herantreten. Da denke ich gerade an Vater in Bezug auf die neue Arbeitspflichtverordnung. Nach dieser Verordnung ist er ja nicht mehr verpflichtet, Arbeit zu leisten. Im übrigen soll hier nach jedem Wunsch nach Möglichkeit Rechnung getragen werden. Ich an seiner Stelle würde beim Arbeitsamt vorstellig werden und darauf hinweisen, daß er mit Rücksicht darauf, daß er trotz seines Alters seine Kräfte noch zur Verfügung stellt, wenigstens fachmäßig beschäftigt und auch dann den tarifmäßigen Lohn bekommt. Es ist doch eine große Gaunerei, wenn ihn der Strohmeier wieder als Hilfsarbeiter bezahlt und doch seine Vorbildung als Facharbeiter ausnutzt. Er soll ruhig mal einen Vormittag opfern und sich vom Dienst freimachen. Das kann ihm niemand verübeln, wenn er sich sein Recht holen will.  Wie Du mir schreibst, hast Du Dir von Vater einige Bücher mit zum Lesen heraufgenommen. Ja, als ich die Widmung in das Buch hineinschrieb, war Kurt 11 Jahre alt und jetzt ist Helga schon wieder in dem gleichen Alter. Bei solchen Rückblicken sieht man erst, wie die Zeit verrinnt. Man kann sie nicht halten, denn sie geht unentwegt weiter.  Ich der gegenwärtigen Zeit ist es auch gut so, denn das wäre ja nicht auszudenken, wenn sie stillstehen würde. Die schon vielfach erwähnte Laubsäge hast Du Dir nun auch mitgenommen. Hoffentlich bekommst Du auch die Sägeblätter dazu, die notwendig sind. Ich kann von mir nur sagen, daß ich kein großes Geschick dazu gehabt habe. Allerdings habe ich auch nicht viel geübt. Es lag aber auch daran, daß ich von meinem Vater Holz dazu bekam, das für diese Zwecke zu stark war. Am besten ist doch Sperrholz und das stand mir nicht zur Verfügung oder Zigarrenkistenholz. Ich werde ja bei Gelegenheit v on den in Angriff genommenen Arbeiten hören.  Daß Jörg so ein Heidenrespekt vor dem Friseur hat. Wie soll denn das einmal später werden. Ich glaube, er ist der Ansicht daß der Friseur noch gewalttätiger vorgeht, wenn die Mutter schon jedes Haar einzeln herauszieht. Ist es nicht so ? Hoffentlich habe ich nun mit meiner Anpöbelung nicht erreicht, daß Du unserem Jungen die Haare überhaupt nicht mehr schneidest. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß er froh ist, wenn diese Tortur vorbei ist. Daß er sich darüber freut, daß es wieder ordentlich aussieht, ist doch mehr oder weniger eine Nebenerscheinung? Oder bist Du anderer Ansicht?  Von Siegfried muß ich ja sagen, daß er bis jetzt Glück während seiner ganzen Militärzeit gehabt hat. Es kann wohl sein, daß er bei dem großen Einziehen neuer Leute nochmals eine Weile in der Heimat verwendet wird, allerdings kann es ihm jetzt auch blühen, daß er aus dem Heimatkriegsgebiet herausgezogen und auch in unsere herrliche Gegend versetzt wird. Im allgemeinen haben es aber auch die Unteroffizierdienstgrade nicht gerade schlecht bei den Sanitätseinheiten. Also ich denke, daß sich da Erne keine großen Sorgen um ihn machen braucht. Aber er kann froh sein, daß es bei ihm immer noch so geklappt hat. Denn es ist ihm doch schon oft gelungen, einige Tage daheim zu verbringen, was den anderen Kameraden nie möglich ist. Im allgemeinen wird Erna jetzt mit sich zu tun haben, denn wenn auch die ersten Monate in mancher Beziehung Beschwerden mit sich bringen, so kommt ja nun in der jetzt folgenden Zeit in mancher Hinsicht eine Erleichterung. Sie wird es auch überstehen wie Millionen andere Mütter auch.  Für die übersandten Zeitungen danke ich Dir vielmals. Ich erhielt sie gestern mit und habe sie zum Teil gelesen, Den Rest werde ich mir heute vornehmen.  Recht viele herzliche Sonntagsgrüße sende ich Dir und übermittle gleichzeitig viele herzliche Küsse, die ich gern einmal selbst einlösen würde. Dein Ernst.