Mittwoch, 15. November 2017

Brief 336 vom 13.11.1942


Mein liebes, gutes Mädel !                                                  13.11.42    
   
Den ersten Tag habe ich hinter mich gebracht und heute versuche ich, mich in den Betrieb einzuleben. Bevor ich aber weiter arbeite, will ich Dir noch schreiben. 
Von meiner Fahrt hätte ich noch nachzutragen: In Kowel kamen wir mit einigen Verspätungen an. Es war bereits Mittag, so daß die allgemeine Wartezeit für uns abgekürzt erschien. Als wir eintrafen, stand auf dem anderen Geleise schon ein Zug, der nach Kiew fuhr. Da war dann der Aufenthalt nicht so lang wie es erst aussah, denn nach Verlauf einer Viertelstunde rollte er schon. Fahrplanmäßig sollte der Zug gegen 20 Uhr dort eintreffen. Bis wir aber ankamen, war es Mitternacht 12 Uhr.
Unser Anschlußzug, der 22,20 abfuhr, hat auf uns nicht solange gewartet. So saßen wir da und machten lange Gesichter.  Mit noch einigen Offizieren haben wir uns dann Quartier geben lassen und haben dann in Kiew übernachtet. Als wir so in der Nacht auf die Straße mußten, war es empfindlich kalt und ein scharfer Ostwind verstärkte die Kälte ziemlich. Nach einem Marsch von einer halben Stunde sind wir dann in unserem Quartier angekommen. Die Unterkunft war so einigermaßen, daß man es für eine Nacht hat aushalten können.
Von zuhause aus war man schon noch etwas verwöhnt. Es nutzt aber alles nichts, man muß sich wieder umstellen. Mein Zug fuhr dann erst wieder 22,20 Uhr. Ich hatte dann am nächsten Morgen Zeit. In dem Offiziersheim war ein Friseur, dort habe ich mir die Haare schneiden lassen. Anschließend habe ich noch einen Spaziergang durch die Stadt unternommen, bin dort auch auf das Postamt gekommen und habe mir zwei Sätze Briefmarken mit Überdruck gekauft., die ich Dir in den nächsten Tagen mitsenden werde.
Die Stadt macht einen sehr zerstörten Eindruck.  Sie dehnt sich sehr weit und man muß schon tüchtig laufen. Die Stadt muß für russische Verhältnisse früher ordentlich ausgesehen haben. Man muß aber bedenken, daß ein großer Teil noch aus der Zarenzeit gestammt hat. Es wird ja hier schon so zeitig dunkel, so daß man mit dem Tag ganz aus der Reihe kommt.  Ich bin dann als es dunkel wurde, in ein deutsches Restaurant gegangen, was mir empfohlen wurde. Dort waren die Preise nicht ganz so gepfeffert wie in den anderen Lokalen, aber es gibt einfach nichts, wenn man keine Marken hat. Auch die Leute, die mit Marken gegessen haben, bekommen nichts für ihr Geld. Ich war aber froh, daß ich mich irgendwo aufhalten konnte, weil man in solch einer Stadt nicht weiß, was man anfangen soll.
Ich bin dann später auf den Bahnhof gegangen, um mir Verpflegung zu holen und um mich noch etwas aufzuwärmen. Dort habe ich dann die Zeit verbracht bis mein Zug abgehen sollte. Unser Zug wurde auch zur Zeit eingesetzt, aber der unfreiwillige Aufenthalt sollte noch nicht so schnell beendet sein. Wir haben auf dem Geleise mit unserem Zug bis am anderen Morgen gegen 4 Uhr gestanden, ehe der Zug abgefahren ist. Gefroren haben wir wie die Schneider, denn die Heizung ging nicht durch. Dieser Zustand hat dann angehalten bis am folgenden Abend, als wir in Lubeni ankamen. Dort wurde dann der Schaden behoben.
Von unterwegs kann ich noch berichten, daß ich in Kowel noch den Schäfer traf, den ich doch in Konstanz schon gesprochen hatte. Er war auch wieder auf der Fahrt nach seiner Dienststelle. Wie ich den (Schäfer) anstoße bekomme ich von der Seite einen Boxer und wie ich mich umdrehe, treffe ich einen Kameraden, der mit bei der Feldkommandantur in Mirgorod war. Ich erzählte Dir wohl davon, daß er nach Afrika gegangen sei. Er ist inzwischen krank geworden und mußte wieder in die Heimat zurück.  Dort erhielt er den Befehl, daß er wieder zur alten Einheit kommandiert ist. Daß das eine ziemliche Überraschung war, kannst Du Dir wohl vorstellen. Wir hatten uns so allerhand zu erzählen, und ich muß sagen, es war ziemlich kurzweilig auf der Fahrt.  Durch die verspätete Abfahrt kamen wir auch mit entsprechender Verspätung hier an. Fahrplanmäßig sollte dieser Zug abends gegen 6 Uhr hier eintreffen. Wie ich Dir gestern schon mitteilte, war es Mitternacht geworden. Ich habe es jetzt wieder überstanden und nach dem ich nun nicht zuhause sein kann, bin ich froh, daß ich wieder bei meinem Haufen bin, denn das in der Welt Herumgondeln macht auf die Dauer kein Vergnügen. 
Die Gegend bietet an sich wenig Abwechslung. Das ist nicht wie im Schwarzwald. Als wir dort durchfuhren, wie war das so abwechslungsreich. Der Laubwald noch so schön gefärbt und die vielen Ausblicke. Man kennt durch das frühere verschieden Reisen schon einiges und sieht es immer wieder gern. Hier war schon alles kahl und eintönig. Man hat keine rechte Lust, zum Fenster hinauszusehen. Zudem ist man sowieso nicht in der besten Stimmung, wenn man von zuhause wegfahren mußte. Wie gesagt, ich bin froh, daß ich es geschafft habe.  In wenigen Tagen werde ich mich auch hier in den Kram hineingefunden haben. Von der weniger erfreulichen Überraschung habe ich Dir schon berichtet. Die Kameraden hatten mir alles mitgenommen, so daß mir kein Schade entstanden ist. Für Deinen Gruß, den Du mir auf die Zeitung geschrieben hattest, danken ich Dir noch Ich habe ihn unterwegs zwischen Berlin und Warschau entdeckt und ich habe mich tatsächlich sehr darüber gefreut und danke Dir nochmals dafür. 
Einige Kleinigkeiten habe ich vergessen, die aber jetzt an sich nicht so wichtig sind und die Du mir nicht unbedingt nachschicken mußt. Das ist erst einmal mein Löffel und die eine Handbürste. Dagegen wäre es kein Schaden, wenn Du mir bei Gelegenheit einen Kopfschützer machen kannst. Wenn es jetzt dann kälter wird. wäre dies ganz nützlich, denn wir werden nichts weiter bekommen. Wünsche habe ich keine weiter mehr. Ich kann Dir noch mitteilen, daß die Kameraden für mich gut gesorgt haben. Ich habe meine Luftpostmarken erhalten obwohl mir diese im Urlaub nicht zustanden. Darum kann ich Dir auch heute wieder schreiben.
Dann haben die Kameraden für mich die Marketenderwaren in Empfang genommen. Da ist eine große Flasche Martell-Cognac dabei und verschiedene Kleinigkeiten, die ich für Euch aufhebe und Dir mit zuschicken werde. Ich denke, daß Du Dich darüber freuen wirst. Du kannst sie gut für Weihnachten mit verwenden, wenn sie noch rechtzeitig ankommen. Ich habe auch noch einmal Butter in Aussicht, damit Du Deinen anderen Topf noch füllen kannst. Ich sehe zu, daß ich für Euch wieder etwas beiseite bringe, denn es ist mir doch eine große Beruhigung, wenn Ihr nicht mangelt daheim.  Auch sonst ist gesorgt, daß ich mit dem Essen ordentlich versorgt bin. Ich kann nur sagen, daß nach dem ersten Eindruck, den ich bis jetzt gewonnen habe, das Essen noch besser ist, wie bei der letzten Verpflegungseinheit. Bei Gelegenheit werde ich Dir einmal darüber berichten. Mir fehlt also tatsächlich nichts.
Die mir mitgegebenen Marke lege ich Dir wieder mit bei. Wie ich Dir schon sagte, ich habe sie nicht gebraucht. Belegte Brötchen habe ich in Berlin auf dem Bahnhof auch noch nicht gesehen. Ich kann mich übrigens hier wieder so herausfuttern, wenn mir auf der Fahrt tatsächlich etwas abgegangen sein konnte. Ein Bild, das einmal hier früher gemacht worden ist, lege ich Dir noch mit bei. Andere folgen bei Gelegenheit.  Das wäre so das Notwendigste, was ich jetzt für heute zu berichten hätte. Ich schreibe dann morgen wieder mit der normalen Post. Du wirst dann auf die laufenden Briefe noch einige Tage warten müssen. Ich bin darum froh, daß ich Dir das Nötigste habe noch so schnell mitteilen können. Sei Du recht herzlich gegrüßt und recht fest geküßt von Deinem Ernst.

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