Sonntag, 12. November 2017

Brief 335 vom 12.11.1942


Mein liebster, bester Schatz !                                                         12.11.42       
 
Diesmal hast Du schon einige Tage warten müssen, aber es ging beim besten Willen nicht anders. Doch warum ich Dir nicht schreiben konnte, das bitte ich Dich aus dem weiteren Inhalt zu entnehmen.
Als erstes, Mittwoch Nacht 11,30 Uhr bin ich nun hier eingetroffen. Ich hatte noch mein Gepäck auf dem Bahnhof zu versorgen. Einen Kraftwagen konnte ich von uns nicht mehr herbeirufen, so daß ich mich zu Fuß auf den Nachhauseweg machen mußte.  Nach Mitternacht traf ich im Rathaus ein und wollte zum Tor hinein, da war alles verrammelt. Ich gehe um das Haus herum, da ist alles überschwemmt. Wasserschläuche liegen auf der Straße herum und sind eingefroren. Mit Gewalt habe ich dann die Haustüren geöffnet und bin die 5 Stockwerke hinaufgestiegen. Dort erlebte ich eine richtige Überraschung. Unsere Bude war die vorhergehende Nacht abgebrannt. Du kannst Dir denken, daß das weniger angenehm war. Erstens ist man hundemüde und so nach Mitternacht, wo soll man hingehen. Ich wußte zufällig noch, wo einige Männer unserer Einheit wohnten. Dort habe ich den Spieß herausgetrommelt, der mir dann für diese Nacht wenigstens ein Bett gab. Heute morgen habe ich mich einmal nach meinem Verein umgesehen, der mir dann auch den ganzen Vorgang offenbarte. Die erste Überraschung war alles andere, nur nicht gerade angenehm. Im allgemeinen wurde ich wieder freudig empfangen, und ich muß sagen, die Kameraden waren alle bis jetzt sehr nett. Meine Sachen, die ich noch hier gelassen hatte, sind alle gerettet worden, so daß ich keinen Schaden erlitten habe. Ich habe sie zwar noch nicht durchgesehen, aber es wird alles in Ordnung sein.
Hier fand ich einen ganzen Schwung Briefe vor. Die meisten stammten aber von Dir, die ich nun erst alle gelesen habe mit dem schönen Gefühl der Erinnerung an unser Zuhause. Im Hinblick darauf möchte ich Dir noch einmal für all die schönen Tage und für die Liebe, die Du mir während meines Aufenthaltes entgegengebracht hast, meinen tiefsten Dank sagen. Es waren so schöne Tage, die ich jetzt umso mehr empfinde, als ich mich hier in dieser elenden und blöden Gegen wieder aufhalten muß. Es war während diese Urlaubs so schön und ungetrübt, und wir haben es diesmal beide so gut verstanden, uns fast bis zum letzten Tag durchzumogeln ohne an das Abfahren zu denken oder dies wenigstens in Erinnerung zu bringen. Allgemein gesehen fühle ich, daß ich mich während meines Besuchs daheim gut erholt habe und daß ich den Anforderungen für den Winter wieder gewachsen sein werde.  Wenn ich auch körperlich nicht so weit heruntergekommen war, wie ich es ja bei meinen verschiedenen Besuchen immer hören konnte, so hat man eine Ausspannung aus dieser Tretmühle schon einmal notwendig .
Dies habe ich einmal während dieser Tage richtig tun können. Daß Du Deinen redlichen Teil dazu beigetragen hast, das möchte ich Dir hiermit nochmals versichern. Daß wir am letzten Abend noch so eine weniger angenehme Angelegenheit mit unserem Sohn zu regeln hatten, das bitte ich Dich zu entschuldigen. Vielleicht war auch ich etwas erregt und in einem anderen Fall würde ich das nicht so tragisch genommen haben. Ich hoffe, daß der Junge das auch wieder überstanden hat und daß er es nicht gar zu sehr  nachträgt. Ich weiß zwar, daß er das im allgemeinen nicht tut.  Heute ist nun wieder Dienstag und Ihr seid sicherlich beim Baden. Wenn es so kalt ist wie hier, dann seht Euch nur vor. Als ich in Kowel ankam. da pfiff ein ziemlich kalter Wind und in Kiew da war es bei meiner Ankunft in der Nacht empfindlich kalt. Es werden etwa 6 Grad gewesen sein.  Hier weht vor allem ein kalter Wind bei dem man den Unterschied von zuhause und hier doppelt so sehr spürt, wie wenn es daheim auch schon so kalt gewesen wäre.
Das Wetter auf der Fahrt war bis Karlsruhe angenehm. Von Karlsruhe bin ich dann weitergefahren und kam auch über Blankenloch bei Kurts früheren Quartierleuten vorbei. Die Fahrt ging dann weiter über Mannheim, Frankfurt, Darmstadt Eschwege, Nordhausen, Berlin. In Berlin bin ich dann nicht bis zum Bahnhof Friedrichstraße gefahren, sondern schon am Bahnhof Zoo ausgestiegen und dann wieder zurückgefahren nach Charlottenburg, denn das wäre die erste Station gewesen in Berlin, in der der Zug nach Kowel ankam. Dort konnte ich dann 8,13 Uhr den Zug erreichen und ich muß sagen, daß ich froh war, daß ich zurückgefahren bin. Denn als der Zug durch die verschiedenen Bahnhöfe von Berlin fuhr, war der Zug einfach überfüllt. Von Glück konnte ich ja reden, daß ich 2.Klasse hatte, denn wenn ich 3. Klasse gehabt hätte, wäre ich die ganze Fahrt gestanden. Das war nun in diesem Fall nicht notwendig.
Von Berlin an hatte es dann geregnet und alles war dort so unfreundlich, daß man keine Lust hatte, sich noch länger in Berlin aufzuhalten. Über Küstrin, Schneidemühl, Posen, Thorn fuhren wir weiter nach Warschau und von dort ging es dann die gleiche Strecke zurück, wie ich sie gekommen war. Deblin, Lublin waren die wichtigsten Orte bis Kolw.
Das Wetter war sehr unterschiedlich, wie Du schon aus den Zeilen vorher gesehen hast. In Konstanz war es noch schön. Als man am See lang fuhr, hatte   man nochmals den schönen Blick bis Konstanz hinter. Das Münster und der Turm der Stefanskirche grüßten zum letzten Mal. Dann war so gewissermaßen der Urlaub abgeschlossen. Der Abschied ging diesmal etwas plötzlich, aber vielleicht war es besser so, wie wenn man sich die letzten Minuten noch so auf dem Bahnsteig herumquält. Ich hoffe, daß Ihr Euch am Tage etwas Ablenkung verschafft habt, denn ich weiß, daß es auch Dir nicht einerlei war. Mir war es jedenfalls auch so. Es scheint mir, als sei es mir diesmal besonders schwer gefallen. 
Bis Berlin konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich war regelrecht benommen. Als ich dann wieder Soldaten traf, dann ging es wieder einigermaßen. Überstanden hatte ich diesen Druck noch nicht ganz, aber immerhin nahm ich schon wieder mehr an den Dingen teil. Nachdem ich nun beim Haufen gelandet bin, geht es wieder eher, aber die Gedanken an zuhause, die stehen immer noch im Vordergrund, dazu sind die Eindrücke des Urlaubs noch zu nahe.  Da haben mir auch die vielen Briefe nicht darüber hinweggeholfen, die ich hier vorfand. Im Gegenteil, alle die Dinge habe ich noch mal so wirklichkeitsnah erlebt, weil Du mir all das Geschriebene vorher erzählt hast, und weil wir so viele Dinge haben wieder einmal mündlich versprechen und regeln können. Wie viel besser ist das, wenn man die verschiedenen Sachen persönlich regeln kann.
Das haben wir wieder tun können und wenn wir dabei berücksichtigen, daß dieser Urlaub so unverhofft kam und Du noch weniger Ahnung hattest wie ich. Alles in allem kann ich Dir nur nochmals bestätigen, daß es recht schöne Tage waren und ich sehr gern daran zurückdenken werde. Ich bin davon überzeugt, daß es Dir genau so gehen wird und hoffe, daß es den Kindern auch so gegangen ist.  Ich bin nun seit meiner Abfahrt noch nicht so richtig zur Ruhe gekommen, und ich hoffe, daß ich heute einigermaßen schlafen kann, obwohl ich nur ein Notquartier habe, bis ich endgültig irgendwo schlafen kann. Es ist möglich, daß ich morgen nochmals mit Luftpost schreibe, damit Du nicht allzu lange jetzt warten mußt. Für heute will ich jetzt schließen und gebe Euch allen daheim recht viele Küsse und Dich, mein liebes Mädel, grüße und küsse ich besonders herzlich und bin für immer Dein Ernst.

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