Meine liebe Frau ! 27.6.41
Gestern bekam ich keine Post. Dies ist ja lediglich die
übliche Feststellung und keine Anklage. Die Erfordernisse des Heeres sind
dringender, so daß man seine persönlichen Belange zurückstellen muß. Bis jetzt
habe ich ja auch selten länger als drei Tage auf Post warten müssen, darum habe
ich auch keine Veranlassung, mich zu beklagen.
Nach den Tagen der Hitze und des schwülen Wetter hat es sich vorgestern und
gestern durch Gewitter etwas abgekühlt. Es wollte erst scheinen, als würde
heute das Wetter trüb bleiben, doch die Sonne hat wieder gesiegt. Die
morgendliche Kühle wird wahrscheinlich nicht lange anhalten und die Schwitzerei
kann wieder ihren Fortgang nehmen. Bei
uns wird hier zur Abwechslung eine Umorganisation vorgenommen. Unser
Sonderführer scheidet aus unserer Abteilung aus und ich soll, neben meiner
bisherigen Sozial und Fürsorgetätigkeit, die außerdem noch das Flüchtlings und
Heimkehrerwesen umfaßt und das ich alles mit dem Publikumsverkehr, der bei
unserer Abteilung vorkommt, erledige, noch die Kraftfahrzeugangelegenheiten,
wie ich sie früher schon beim Stadtkommissariat gehabt habe, mit übernehmen. Da
mir diese Sachen nicht ganz unbekannt sind, werde ich mich bald wieder
hineinfinden. Wie mir unser Assessor sagte, soll ich, da ich außer ihm nur der
einzige Beamte bin, Zeichnungsbefugnisse erhalten. Ob wir noch einen anderen
Beamten herbekommen, wird fraglich sein. Auch hier lasse ich am besten die
Dinge an mich herankommen. In dieser Woche
war ich nicht im Kino, weil es erstens ja warm war. Ich wollte neben der
normalen Schwitzkur nicht noch eine zusätzliche machen. Außerdem habe ich die
Filme alle schon gesehen, so daß diese Besuche wirklich überflüssig gewesen wären. Heute weiß ich tatsächlich nichts weiter zu berichten. Außerdem habe ich ziemlich zu tun. Ich bitte
Dich, für diesmal schließen zu dürfen. Ich hoffe, daß es Dir nun wieder
wesentlich besser geht, bitte Dich aber trotzdem, zu meinen Vorschlägen
Stellung zu nehmen, damit Du Dich in der nächsten Zeit mehr schonen kannst. Sei
vielmals und herzlich gegrüßt und geküßt. Baldige und vollkommene Gesundung
wünscht Dir Dein Ernst
Meine liebe Annie ! 28.6 41
Meine liebe Annie ! 28.6 41
Vor einem Jahr traf ich in Köln ein. In Erwartung der
Dinge, die an mich herantreten würden, ging ich gemäß Marschbefehl an die
zuständige Dienststelle. Inzwischen ist nun ein Jahr vergangen. In wenigen Tagen jährt es sich auch, daß ich
in Frankreich eintrudelte. Was hat sich in diesem Jahr alles ereignet. Man muß
nun abwarten, wie lange das alles noch dauert. Eines steht fest, daß wir unsere
Pflicht tun, wo wir hinkommen und hingestellt werden. Wenn sich auch manche Mißstimmigkeiten
einstellen, so darf man sich das nicht verdrießen lassen. Wie ich Dir gleich am
Anfang meines hiesigen Aufenthaltes mitteilte, herrscht hier ein Kleinkrieg
über die Zuständigkeiten. Vorgestern war ich wieder einmal dran. Doch man soll
sich da nichts draus machen. Bei uns ist es hier so, daß mir nur der Kommandant
und der Leiter unserer Abteilung etwas zu sagen haben. Darüber ärgern sich hier
verschiedene Herren und wollen, was überhaupt unsere Abteilung anbelangt, nach
Möglichkeit am Zeug flicken. Das geht im Allgemeinen sehr schlecht, denn wir
verhalten uns so, daß das ziemlich ausgeschlossen ist. Es bleibt diesen Leuten
dann weiter nicht übrig, zu ganz verzweifelten Mitteln zu greifen. Unser Spieß
(Stabsfeldwebel, der auch 2 Sterne mehr hat als ich und zwölfjähriger Soldat)
ließ mich zu sich rufen, um mich etwas über meine Personalien zu fragen. Da ich
hier erst etwas dienstlich zu erledigen hatte, ließ ich sagen, daß ich sobald
ich frei bin, zu ihm kommen würde. Die Ordonanz war kaum unten, klingelt bei
mir das Telefon und er brüllt in das Telefon rein, daß es nur so eine Lust war,
sich das anzuhören. Ich habe ihm dann gesagt, daß er mir nichts zu sagen hat
und er warten muß, bis ich mit meinen Leuten hier fertig bin. In seinem Ärger
ist er gleich zum Kommandanten gelaufen und hat ihm den Fall erzählt. Auch der
hat nichts Eiligeres zu tun und läßt
mich sofort zu sich kommen. Nach einer kurzen Erklärung von mir brüllt mich der
nun an, daß ich, wenn ich erschrocken wäre, mich nicht mehr hätte halten
können. Ich habe aber alles über mich ergehen lassen. Unserem Assessor habe ich
dann von dem Vorfall Meldung erstattet. Nachdem diese ganze Geschichte zu
Unrecht erfolgte, hat er unseren Chef gestellt und ihm gesagt, daß dies in
dieser Form nicht geht. Da mir der Kommandant noch sagte, ich soll wieder beim
Antreten mit dabei sein, bedurfte diese Angelegenheit nochmals einer Klärung.
Auch diese Geschichte ist dann durch unseren Assessor wieder geradegebogen
worden, und der Chef mußte sich auch hier in seine alte Stellung zurückziehen.
Es ist wohl rein äußerlich Friede geschlossen worden, doch haben wir das
Empfinden, daß das Feuer unter der Decke weiter glimmt. Warten wir auf den
neuen Ausbruch. Ich wollte Dir nur an diesem Beispiel zeigen, mit was wir hier
manchmal zu kämpfen haben. Ich ärgere mich über diese Dinge nicht mehr, da man
mit der Zeit ein dickes Fell kriegt. Im Übrigen ist ja der Schuß hinten hinausgegangen
und meine Stellung dadurch gefestigt worden. Ich weiß, daß ich das Vertrauen
meines direkten Vorgesetzten habe und das genügt mir, dann können mir alle die
anderen den Buckel rauf steigen. Im Übrigen hält unsere Abteilung ausgezeichnet
zusammen, so daß es da keinen Mißton gibt. Du brauchst Dir deshalb keine
Gedanken zu machen, daß es mir etwa schlechter oder besser ginge, denn die
Verhältnisse sind hier nun einmal so, und damit muß man sich abfinden. Auf
meinem Schreibtisch habe ich schöne Rosen und die duften. Jetzt ist ja auch auf
der Mainau die Zeit der Rosenblüte. Wenn Du kannst, fahre doch einmal mit dem
Schiff hinüber. Voraussetzung ist natürlich, daß das Dein Gesundheitszustand
erlaubt. Wie das in den nächsten Tagen mit der Post werden wird, muß man
abwarten. Ich sende Dir recht herzliche
Grüße und Küsse. Es denkt viel an Dich Dein Ernst