Donnerstag, 28. Januar 2016

Brief 101 vom 28./29.1.1941


 Meine kleine Frau!                                                            O.U., den 28.1.41                   

Es ist wieder Feierabend und ich habe mich heute zeitig auf mein Zimmer zurückgezogen.  Gegen meine Absicht war es gestern spät geworden. Ich hatte mich mit meinem Kameraden Graser so schön bei einigen Gläschen Kognak auf meinem Zimmer unterhalten, dass es unversehens ½ 3 Uhr heute früh war. Was ich nun gestern an Schlaf eingebüßt habe, will ich heute nachholen. Man kann es schon eine ganze Weile aushalten, abends länger aufzubleiben, doch wenn man am Tag angestrengt arbeitet, soll man sich von Zeit zu Zeit etwas ausruhen. Du siehst also, dass ich immer noch nicht meinen Grundsatz der gesunden Lebensweise ganz aufgegeben habe. Auf diese Weise kann man auch wieder einmal in eine Zeitung sehen, sonst ist man ja überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden.
Heute ist nun der Geburtstag Deines Vaters. Deinen Brief und Dein Päckchen wird er sicher noch rechtzeitig erhalten haben. Meiner wird dagegen sicher etwas später ankommen.
Eben esse ich noch von den Pralinen, die ich von Euch an Weihnachten erhalten hatte. Vor einem Monat war ich noch bei Euch, und morgen sind es wieder vier Wochen her, als ich wieder von Euch fort ging. Die Zeit geht doch rasend schnell vorbei. Manchmal erscheint einem das kaum glaublich, wenn wieder eine Woche vorbei ist.
Die Post hat mich zwar heute verlassen. Doch wie üblich, hoffe ich aus der gesammelten Erfahrung heraus auf den kommenden Tag. Vom unveränderten Wetter ist heute nichts zu berichten. Ich muß deshalb zur Abwechslung wieder einmal das Essen dran nehmen. Ja, unsere Verpflegungsrationen sind immer noch wie früher reichlich. Es erscheint einem manchmal erstaunlich, wie der Mann immer noch für so viele Leute so ein Essen hinstellen kann. Es muß ja berücksichtigt werden, dass für die Versorgung der übrigen hiesigen Bevölkerung immerhin Schwierigkeiten bestehen, die wohl in erster Linie mit auf die Kriegsereignisse zurückzuführen sind. Mittags gibt´s immer noch – hors d´oeuvre (Vorspeise), Hauptgang und Nachspeise, die heute übrigens zwar auch ganz selten, aus feiner Sahne bestand. Abends wird Suppe, Hauptgang und zum Nachtisch Brot mit Butter und Käse serviert. Manchmal ist es fast zu viel. Wir können von uns nicht sagen, dass wir etwa Not leiden müssten, auch wegen der Abwechslung gibt man sich die größte Mühe.
Nachdem ich nun wieder mit Euch und vor allem mit Dir geplaudert habe, werfe ich nochmals einen Blick auf Eure Bilder. Ich grüße Euch und wünsche Euch allen eine gute Nacht. Außerdem sende ich Euch recht herzliche Grüße und Küsse. In Gedanken weilt so oft am Tage bei Dir und den Kindern Dein Ernst.

Meine liebe kleine Annie!                                                    O.U., den 29.1.1941                                       

Ich habe heute Deine beiden Briefe vom 24./25. und 26.1. erhalten, für die ich Dir vielmals danke. Der zwischendrin geschriebene hat mich ebenfalls erreicht. Ich muß schon sagen, dass Dich Dein Bruder sehr wenig gestützt hat. Im Gegenteil, er hat Dir teilweise das Herz schwer, sogar sehr schwer, gemacht. Statt dass er wie ein Mann mit seinen eigenen Dingen selbst fertig wird, hat er Dir noch einen Teil aufgeladen. Ich habe aufrichtiges Mitempfinden mit Dir, und Du kannst Dich darauf verlassen, ich würde Dir das gerne abnehmen, und Siegfried würde ich zu Recht stutzen. Nun bist Du allein, und ich kann Dir leider nicht helfen und Dir gut zureden. Ich werde es aber bestimmt nachholen, wenn ich wieder heimkomme, damit Du diese dummen Gedanken alle wieder vergisst. Ich bin auch davon überzeugt, dass du als meine Frau doch wieder so stark bist, um über das Grübeln hinwegzukommen. Halte Dich nur wie in den vergangenen Monaten aufrecht, wenn es auch Energien kostet. Du weißt ja, dass man die Zähne manchmal ganz fest zusammen beißen muß, um sich nach außen hin nichts merken zu lassen. Dies war ja schon immer einer meiner Grundsätze, und Du wirst Dich ja unbedingt daran halten. Also Kopf hoch und nicht unterkriegen lassen, das macht hart.
Es ist zwar etwas später wie gestern, doch ich höre Radio und gegenwärtig wird eins meiner liebsten Stücke gespielt: „Waldszene“ von Helmesbergen.
Bei mir geht, wie Du aus meinem Antwortschreiben ersehen wirst, ziemlich laufend die Post ein. Ich verstehe deshalb nicht, warum sie bei Dir so lange ausbleibt? Ich würde mich freuen, wenn Du die Post auch regelmäßig bekommen würdest.
Ja, bei unseren beiden sieht man schon, dass sie noch Kinder sind. Eins kommt mit einem Dreiangel nach Hause und das andere ohne Absatz, und keins weiß, wieso?
Beim Streuselkuchen wäre ich schon dabei, warum nicht auch?
Eure Bilder sehen zu mir herüber. Ihr lacht mich alle drei an und ich wünsche Euch eine recht gute Nacht. Sei Du vielmals gegrüßet und geküsst von Deinem Ernst

Brief 100 vom 25./27.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                   O.U., den 25.1.1941    

Wieder haben wir eine Woche hinter uns, die reich an Arbeit und Erleben war. Ich habe für meinen Kameraden, der anderweitig verhindert ist, den Bereitschaftsdienst übernommen. Diese Gelegenheit habe ich nun gleich benützt, um einige Briefe, die ich unbedingt erledigen muß, zu schreiben. Die Durchschläge füge ich Dir bei, damit Du im Bilde bist, was ich geschrieben habe.
Wie ich Dir schon mitteilte, war die Arbeit in dieser Woche ziemlich reichlich. Ich habe Autos zum Verkehr zugelassen, Zulassungen verlängert, habe Scheinwerfer nachsehen lassen. Autos verkauft und leihweise überlassen, habe mit Publikum und der Garage verhandelt. Habe Anweisungen entgegen genommen und Verordnungen gelesen. Habe Anordnungen geben müssen und Befehle weiter gegeben. War bei meinem Neubau bzw. Einbau. Daheim Frühstück gemacht und zwischen der Arbeit sind wir zum Mittagessen gegangen. Unseren Mittagsschlaf haben wir, soweit es möglich war, eingehalten, doch die Nachmittage waren reich an Arbeit. Denn die eingehende Post musste auch noch erledigt werden, abgesehen von der privaten, die ich auch nicht aufschieben wollte. Nun ist die Woche wieder um und der Sonntag steht sozusagen vor der Tür. Hoffentlich ist es ein Tag, an dem man sich wieder einmal ausruhen kann. Man weiß ja nicht, welche Änderung und Neuerung die kommende Woche wieder bringen kann. Man muß immer auf Draht sein, damit man nicht von Ereignissen, die eintreten könnten, umgerissen wird. Wie ich Dir gestern schon mitteilte, werden wir Morgen wahrscheinlich auswärts fahren. Wir sind dort zum Schlachtfest eingeladen. Es ist einem zwar peinlich, wenn man in so uneigennütziger Weise eingeladen wird, doch die Leute fühlen sich geradezu schon beleidigt, weil wir so lange nicht gekommen sind. Wir sollten schon seit vor Weihnachten kommen, haben es aber immer wieder hinausgeschoben. Es sind dies Lothringer, von denen ich Dir auch schon erzählte. Es ist etwas Eigenartiges um diese Gastfreundschaft. Das unangenehme ist nur, dass man keine Gelegenheit hat, sich irgendwie wieder einmal zu entschädigen.
Einen Brief erhielt ich heute von Dir nicht. Ich bin aber nicht ungenügsam, denn bisher trafen Deine Briefe ziemlich laufend ein. Deine Zeitungsgeschichte aus Norwegen habe ich gelesen und fand sie sehr nett. Ich werde sie Dir wieder mit zusenden.  Aufheben kann man solche Sachen hier nicht so gut.
Das für diese Gegen hier übliche Wetter ist nun auch eingetreten. Bedeckter Himmel, zwischendurch etwas Nebel oder Regen. Das gehört eigentlich so mit zum Landschaftsbild und man ist ganz verwundert, wenn die Sonne hier scheint.
Ich wünsche Euch meine Lieben einen frohen Sonntag und hoffe Euch alle gesund. Gleichzeitig sende ich Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse. An Vater bitte auch einen Gruß. Im Gedenken an Dich verbleibt Dein Ernst.

 Mein liebes Mädel!                                                                         O.U., den 27.1.41                                                     

Vielen Dank für Deine beiden Briefe vom 22 und 23.1 41, die ich heute erhielt. Überrascht war ich von der plötzlichen Ankunft Siegfrieds. Gewöhnlich ist es ja bei uns Soldaten so, dass man heute noch nicht weiß, ob man morgen fahren kann. Wie lange gedenkt er zu bleiben? Das geht aus Deinem Schreiben nicht hervor. Es ist ja erfreulich, dass er Dich in Deiner Einsamkeit aufsucht und dass er sich seiner Schwester immer noch entsinnt.
Das Verhalten von Jörg beim Zahnarzt erfreut mich auch wieder und ich zolle ihm ebenfalls meine volle Anerkennung. Man sieht doch, dass er der Junge seiner Eltern ist. Man muß sich nur im richtigen Moment zusammenreißen und nach außen hin in solchen Augenblicken nichts anmerken lassen. Nochmals meine Anerkennung für beide.
Wie gefällt es Helga wieder in der Schule? Ich hoffe, dass sie sich gut eingewöhnt hat in den letzten Tagen. Siegfried hat sich ja bald übernommen mit seinen vielen Geschenken für Euch. Ihr habt Euch sicher darüber gefreut. Ich kann mir vorstellen, dass Helga ungern in die Schule gegangen ist. Jörg wird die MG-Mannschaft gleich in seine übrigen Truppenteile übernommen haben. Du kannst ihm dabei ruhig sagen, dass dies die Waffe seines Vaters sei, während der Zeit seiner Ausbildungszeit beim Kommis gewesen ist. Mit dem Mundharmonikaspielen wird sich Siegfried auch wundern, wenn er so ein Duett vorfindet, wie Euch zwei. Ich hoffe, dass sich Siegfried gut erholt. Wenn er noch einen Kameraden erwartet, wirst Du ja keinen leichten Stand haben. So allein und zwei Männer im Haus. Der Unterschied ist ja sehr krass. Na, ich denke, dass Du auch mit den zweien fertig werden wirst, denn es war ja schon früher eine Kleinigkeit für Dich, mit uns fertig zu werden, und ich bin gewiß schwer zu behandeln.
Die Arbeit ist bei uns gegenwärtig wirklich reichlich, und Sorgen muß man sich deswegen auch noch machen. Meine Kohlenversorgung der Stadt scheint, wenn nicht glückliche Umstände eintreten, kritisch zu werden. Die Arbeiter wollen wahrscheinlich streiken, wegen der knappen Lebensmittelrationierung. Nun muß ich sehen, wie wir das wieder am besten schaukeln. Solche Probleme sind ja schließlich dazu da, damit sie gelöst werden. Soweit wir ein Interesse daran haben, werden wir sie auch lösen.
Der Zeitungsausschnitt vom Kaden hat Dich doch sicherlich geärgert. Ich meine, Du könntest u.U. jetzt an dieser Ehre teilhaben, während Dein Mann nun bescheiden auf irgendeinem Büro hier in Frankreich sitzt und sich in friedlicher Weise mit der Bevölkerung herumschlägt. Heute habe ich nun genug gefrozzelt und ich denke, es langt. Du nimmst es mir hoffentlich nicht falsch auf.
Ich grüße und küsse Euch drei recht herzlich, Siegfried danke ich für seine Grüße und erwiedere sie ebenso herzlich. In treuer Liebe und Verbundenheit bin ich Dein Ernst.

Samstag, 23. Januar 2016

Brief 99 vom 22./24.1.1941


Mein lieber Schatz!                                                                                O.U., den 22.1.41               

Auch für Deinen Brief vom 19. danke ich Dir wieder vielmals. Erfreut hat mich auch Deine Mitteilung, dass Dir Deine Eltern wieder ein Päckchen zugesandt haben. Die Zeitungen erweckten ja immer lebhaftes Interesse. Wie ich lese, ist es jetzt nun schon so weit, dass sich die Kinder darüber hermachen. Dir werden sie auch eine willkommene Abwechslung sein. Wenn sich Deine Eltern auch noch über die Geschenke für Dich gefreut haben, dann ist ja in viel größerem Umfang Freude hervorgerufen worden, als ich allgemein erwartet hatte.
Wir haben hier schon fast frühlingshaftes Wetter. Sowie ein bisschen die Sonne scheint, wirkt sich dies gleich auf die Stimmung aus. Man ist gleich lebhafter und arbeitsfreudiger. Jetzt, wo die Tage schon merklich länger werden, freut man sich sowieso. Am Abend merkt man es am meisten. Es ist schön, wenn man noch bei Helligkeit aus dem Büro kommt.
Mit dem Dienst schein z.Zt. keine rechte Klarheit zu herrschen. Es sieht aus, als ob alles durcheinander sei. Doch man muß da abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Thomas ist seit seiner Rückkunft mit der Übersetzung des Haushaltsplanes der Stadt beschäftigt, so dass ich, entledigt meines Dolmetschers, der gleichfalls bei ihm mit tätig ist, ganz allein auf mich angewiesen bin. So kleine Verhandlungen und Auskünfte kann ich ja mit den Franzosen allein ausmachen, doch bei größeren Sachen, brauche ich noch jemand, der wenigstens spricht. Mit der Zeit werde ich auch noch das herausbekommen. Wenn es so kommt, wie es mein Chef vor hat, dass ich das ganze Kraftfahr-Referat allein übernehmen soll, so habe ich wohl ein Aufgabengebiet, das noch dazu sehr umfangreich ist. Es ist nun in manchen Fällen äußerst schwierig, eine gerechte Entscheidung zu treffen, um allen Bedürfnissen zu entsprechen. Doch mir ist auch dabei nicht bange, denn wie bei der Sprache, ist es notwendig, dass man sich selbst überwindet, und dass man sich eine Sache selbst zutraut. Ich habe ja auch neben dieser Arbeit noch einen Teil der Kohlenversorgung der Stadt übernommen. Außerdem habe ich dieser Tage einen Bauauftrag bekommen, der innerhalb des Hauses durchzuführen ist, den muß ich auch noch überwachen. Das ist eigentlich das, was mir hier so gefällt. Man wird hier vor eine Aufgabe gestellt, ob man sie beherrscht, oder nicht, das spielt keine Rolle, nur meistern muß man sie. Bei jeder dieser Aufgaben lernt man wieder dazu; damit man nicht über´s Ohr gehauen wird, muß man die Augen aufmachen. Von Fall zu Fall muß man auch großzügig sein können,  was ich schon zu einem kleinen Teil gelernt habe. Früher ging mir das, durch unsere engen Verhältnisse, in denen wir schließlich aufgewachsen sind und in denen wir zwei ja auch schon gelebt haben, ab.
Heute habe ich Dir einmal von meiner Arbeit erzählt, ich hoffe, dass Dir dies auch zugesagt hat. Ich grüße und küsse Euch, meine Lieben, recht herzlich und hoffe, dass Ihr alle gesund seid. Dein Ernst

Mein liebes Mädchen!                                                                             O.U., den 24.1.1941     

Gegenwärtig stecke ich so in der Arbeit drin, dass ich gestern nicht dazu kam, Dir auf Deinen Brief vom 20.1. zu antworten. Zuerst aber noch vielen Dank dafür. Als nächstes will ich dann eine Deiner früheren Fragen beantworten. Die Konserven mit der Aufschrift „Saumon Bell Pink“ enthalten Lachs. Das kleine Tischle, das ihr jetzt ins kleine Zimmer getan habt, hat nun tatsächlich schon verschiedenen Zwecken gedient. Wenn jetzt Jörg ihn im warmen Zimmer für seine Spielzwecke benutzt, so hat er doch sein eigenes Tätigkeitsfeld, und Dir nimmt er nicht gar so viel Platz weg. Die Gardinenmaße werde ich mir vormerken. Mit dem Eintritt von Tauwetter hebt sich ja zwangsläufig die Schlittenfahrerei, zwar zum Leidwesen der Kinder, auf. Schließlich hat alles Schöne einmal ein Ende.
Nun zu Deinem Brief vom 21., der heute hier eintraf. Wiederum danke ich Dir für Deine lieben und freundlichen Zeilen. Das Stricken des Schals hat Dir sicherlich viel Freude gemacht, ich glaube es jedenfalls aus Deinem Brief herauszulesen. Ich nehme an, nachdem Vater so unverbindlich über den Schal und über seine Zweckmäßigkeit Auskunft gegeben hat, dass er sich bei der Überreichung gefreut hat. Hier wird es nicht notwendig sein, dass man noch so warme Sachen braucht, denn mir scheint, als ob der Winter hier schon vorbei wäre. Meinen Pullover, den ich während der kalten Tage untergezogen hatte, habe ich schon seit 8 Tagen wieder abgelegt. Ich bin auch in dienstlicher Hinsicht froh, dass es z.Zt. nicht gar so kalt mehr wird. Die Herbeischaffung von Kohlen für die Bevölkerung vollzieht sich dann mit noch größeren Schwierigkeiten. So kann ich wohl durch meinen besonderen Einsatz von Lastkraftwagen einen schönen Teil auf der Landsstraße heranholen. Aber es lassen sich alle Probleme einmal lösen, so auch das. Wegen unserer Heizung brauchen wir uns ja keine Sorgen zu machen, denn für die ist gesorgt, und soweit sie fehlt, wird schon gesorgt werden.
Am Sonntag werden wir wahrscheinlich aufs Land fahren, zu den Leuten, bei denen wir schon früher ein paar Mal waren.
Ich grüße und küsse Euch, meine Lieben, recht herzlich. Dein Ernst.

Brief 98 vom 20./21.1.1941


 Liebes Mädel!                                                                                   O.U., den 20.1.1941                                                

Weil ich die letzten Tage so schlecht mit Post bedacht worden bin, wurde ich heute voll entschädigt. Es trafen Deine Briefe vom 14.,15. und 17. ein, über die ich mich riesig gefreut habe, aus denen ich auch all die fürsorgerische Liebe herauslesen konnte, die letzten Endes nur Dir eigen ist. Wie ich Dir ja schon schrieb, ist mein Arm bis auf eine Kleinigkeit, wieder in Ordnung. Du brauchst Dir deshalb also keine Gedanken machen. Was will das auch schon heißen, so ein bisschen verstauchter Arm. Durch das Gebackene Schlaraffenland habe ich mich nun so durchgefuttert; ich bin Dir deshalb wohl nicht böse, wenn du mir etwas abgeschickt hast, denn ich vertilge es so zwischendurch mit. Ich habe Euch doch schon wiederholt gebeten, das wenige, das Ihr für Euch erhaltet, selbst zu verwenden. Nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich heute wieder daran erinnere. Wenn es Dein Wunsch ist, die Frauenwarte zu abbonieren, so habe ich nichts dagegen. Sieh Dich dabei aber vor, dass du Dich für längere Zeit nicht zu fest bindest. Bezüglich Deines Hinweises wegen der Trainingsanzüge, die verschiedene Frauen in der Stadt tragen, so kann ich Dir auch nur mitteilen,, dass dies auch nicht meinem Geschmack entspricht, wenn du Dich dieser Geschmacklosigkeit anpassen wolltest. Zieh dir doch, wenn es jetzt so kalt ist, ruhig Deinen neuen Mantel an. Das mit den neuen Briefumschlägen ist mir heute gleich aufgefallen, es war auch Zeit, denn bei einem Kameraden tauchten jetzt sehr ähnliche auf. Den Kindern muß ich wieder meine Anerkennung aussprechen für ihr Verhalten beim Zahnarzt. Ja, man sieht doch, dass man sich zusammenreißen kann, wenn man will, ganz gleich, ob man noch klein ist, oder schon groß. Nur nichts anmerken lassen, und hart gegen sich selbst in erster Linie, dann kann man es auch einmal von anderen verlangen. Ich freue mich jedenfalls über beide, wenn sie so sind. Sie sind ja sonst auch keine Weichlinge.
Wenn unsere Briefe durch die Prüfstelle laufen, so ist ja nichts weiter dabei, denn wir haben doch nichts zu verheimlichen.
An Deinen Vater muß ich morgen gleich noch schreiben, sonst kann ich etwas von ihm zu hören bekommen. Allerdings, wenn Du mich nicht daran erinnert hättest, würde ich es offenbar vergessen haben.
Der Olkiwicz tut mir trotzdem leid, dass er auch schon ins Gras beißen musste. Wie es das Schicksal eben will, so muß man es hinnehmen, man weiß ja nicht, ob man durch Zufall in die gleiche Lage kommen kann.
Über Deinen Zinsgewinn hast Du Dich sicher gefreut. Es ist ja besser, wie nichts.
Ausnahmsweise will ich damit einverstanden sein, wenn Du Deinem Vater eine Büchse von den Sardinen schickst, die eigentlich für Euch bestimmt waren.
Von Kurt erhielt ich heute einen Brief. Er schreibt mir, dass er vom 17tägigen Urlaub zurück sei und dass ihm Nanni so leid tun würde, weil sie dort fast ganz heruntergekommen sei. Sie sollte eine Olivenölkur durchmachen und er bitte mich darum, ihr welches zu senden, wenn ich es machen könnte. Die Frage dabei ist nur die des Transports. Ich weiß noch gar nicht, wie ich dies anstellen sollte.
Heute habe ich wieder einmal genügend geschrieben, hoffentlich bist Du damit zufrieden. Ich wünsche Euch allen eine  Gute Nacht. Dir sende ich viele herzliche Grüße und Küsse. Dein Ernst.



Meine liebe Annie!                                                                               O.U., den 21.1.1941            
                                                           
Pünktlich traf Dein Brief vom 18. heute ein, wofür ich Dir herzlichen Dank sage. Ihr werdet allem Anschein nach ja sehr reichlich mit Schnee bedacht. Es ist ratsam, wenn du bei solchem Wetter Dein Fahrrad nicht benutzt, denn Du läufst sehr leicht Gefahr, Dich einem Unfall auszusetzen. Wenn es Dir Deine Zeit zulässt, ist es ja nicht von Schaden, wenn du Deine Wege vorübergehend zu Fuß erledigst. Für die Kinder wird das selbstredend eine Freude sein, wenn du mit Ihnen in die Stadt fährst. Auch sonst werden sich Beide mit dem Schlitten draußen rumtummeln. Während es bei Euch schneit, regnet es hier, was nur so runter will. Es ist tagsüber direkt warm. Meinen Pullover habe ich gegenwärtig abgelegt, sonst ist man ja noch mehr Erkältungen ausgesetzt, als es schon so der Fall ist.
Wie ich höre, soll ein weiterer Teil der durch Notverordnung seinerzeit festgelegten Gehaltsabzüge aufgehoben werden, und der Rest soll im Mai oder Juni in Wegfall kommen. Es wäre dann so, dass dann ab diesem Monat unser Gehalt ohne welche Abzüge wieder zur Auszahlung käme. Dies wäre ja ganz günstig, nachdem wir ja schon jahrelang das Opfer des Abzuges auf uns genommen haben. Wir waren ja bisher auch zufrieden, doch wird uns eine Besserstellung nicht gerade schaden.
Was Deinen Brief an Deinen Vater anbelangt, so ist er schon in Ordnung. Wenn ich auch Deine Wendung nicht damals gesagt habe, so habe ich sie doch dieser Tage bestätigt.
Für heute sind wir am Abend zum Kaffee eingeladen. Hoffentlich wird es nicht gar zu spät. Es ist gleich Feierabend, und dann geht’s zum Essen. Richtiger gesagt, der Feierabend wäre schon dagewesen, denn es ist ½ 7 vorbei, aber einmal muß man aufhören.
Ich schließe deshalb für heute ab und grüße und küsse Dich recht herzlich. Dein Ernst.



Montag, 18. Januar 2016

Brief 97 vom 17./18.1.1941


Mein gutes Mädel!                                                                              O.U., den 17.1.1941                               

Für heute Abend habe ich mir ein zeitiges Zubettgehen vorgenommen. Gestern ist Thomas zwar mit reichlicher Verspätung hier eingetroffen, so dass es fast 12 Uhr war, ehe wir heim konnten. Es gab dann sehr viel zu erzählen über das, was daheim los war und wie der Dienst hier läuft. Die Sitzung hat sich dann bis gegen 4 Uhr ausgedehnt. Wenn man am Tag wieder sein Pensum geschafft hat, so verlangt nach so einer durchwachten Nacht der Körper wieder einmal seine Ruhe. Ich habe wohl noch für einige Tage die Aufgabe, allein zu wirken, weil Tommy mit „Sonderaufgaben“, wie das schöne Wort bei uns heißt, betraut ist.
Gerade habe ich Deinen Brief vom 14.1. gelesen, ebenfalls den beigefügten Artikel über den Maler Dieter. Für beides vielen Dank. Gefreut hat mich vor allem, dass Du wieder Post bekommen hast. Ich weiß ja selbst, wie unangenehm die Warterei ist. Mein Arm hat inzwischen verschiedene Änderungen gehabt, erst war er am Arm etwas deformiert, dann wurde er teilweise rot und fleckig, und dann war er von der Achselhöhle bis zum Gelenk ganz rot, so dass, so dass ich mich geniert habe, am Sonntag ins Bad zu gehen. Außerdem hat er bei jeder besonderen Bewegung weh getan. Vor einigen Tagen war plötzlich fast alle Farbe weg, und jetzt sind nur noch einige kleine blaue Flecken. Der Schaden ist nun ziemlich behoben. Nur am Ellbogen habe noch ein klein wenig Schmerzen, doch darüber spricht man nicht weiter. Vom Amt erhielt ich ein Buch von einem Schweizer Schriftsteller „Jürg Jenatsch“. Ich habe mir sagen lassen, dass es sehr schön zu lesen sei, viel werde ich wohl nicht dazu kommen, weil ich mir noch ein anderes Buch und zwar Rosenbergs „Blut und Ehre“ vorgenommen habe. Nach den Rasierklingen zu urteilen, muß man über unsere Bärte hier draußen ungeahnte Vorstellungen machen. Mit dem Päckchen der Stadt, von der S.A. und ich weiß nicht mehr genau, wo noch her, kamen vier Sortimente Klingen an. Weiter erhielt ich noch Gebäck, Zahnbürste, Bleistift und ein Notizbuch, außerdem noch Bonbons. Dieser Tage bekam ich wieder „Das schöne Konstanz“ zugesandt. Es ist offenbar eine Dauereinrichtung, die ich ganz nett finde. Man sieht und liest wieder einmal etwas aus der Heimat, was so mehr oder weniger am Rande steht.
Wie ich höre, sollen die Konserven mit der Rindszunge sehr gut sein, - langue de boeuf -. Versucht sie nur einmal. Wegen der Unklarheit werde ich mich befragen, bzw. selbst umsehen. Soviel ich aber schon gemerkt habe, muß das nicht ganz vollständig sein. Denn „Bell usw.“, das ist die Marke. Ist es eine runde oder eine eckige Dose? Auch die Pilze könnt ihr Euch einmal an einem Feiertag zu Gemüte führen. Ich bekomme hier auch ab und zu welche. So u.a. in einem Ei-Omelett eingewickelt und mit gebraten. Das schmeckt ganz gut..
Euch allen daheim sende ich recht viele und herzliche Grüße und Küsse. Dies gilt wieder ganz besonders auch für Dich von Deinem Ernst.

Meine liebe Annie!                                                                 O.U., den 19.1.1941                              

Wir haben nun wieder Sonntag. Nachdem gestern ein heftiges Schneetreiben einsetzte, bekamen wir über Nacht einen Tauwind und Regen. Es sieht alles so trostlos draußen aus. Restlicher Schneematsch und alles so schmutzig, das im Gegensatz zu den verschneiten weißen Straßen der vergangenen Tage, das heutige Straßenbild. Ich habe heute das wahr gemacht, was ich mir die vorhergehenden Tage vorgenommen hatte, ich habe am Vormittag bis gegen 11 Uhr im Bett gelegen, zwischendurch hatte ich wohl etwas gefrühstückt. Gegen ½2 Uhr bin ich zum Mittagessen gegangen. Als ich etwa um 4 Uhr nach Hause kam, habe ich mich wieder hingelegt bis 7 Uhr. Nun habe sozusagen den ganzen Sonntag verbummelt und verfaulenzt, ich fürchte, dass ich heute Nacht kaum schlafen kann. Ich hoffe jedenfalls, dass ich mich für die kommende Woche, oder besser gesagt von den vergangenen Tagen, ausgeruht habe.
Eine Arbeit, wenn man es als solche bezeichnen kann, habe ich heute doch noch geleistet. Gestern habe ich mir einen Bilderrahmen gekauft. In dem habe ich nun drei Bilder von Euch aufgestellt. Er steht auf meinem Radio, wenn ich dann nach Hause komme, habe ich Euch immer vor Augen. Letzthin bekam ich hier eine Puppe für Helga geschenkt, die ich demnächst mit absenden werde. Gestern habe ich so beiläufig eine Federhaltertasche erstanden, die sie auch bekommen soll. Ich weiß zwar nicht genau, ob es für sie geeignet ist. Du kannst es Dir ja ansehen und selbst entscheiden. Für Helga sind ja Morgen auch die Ferien zu Ende und für sie fängt das Lernen wieder an. Es fällt ihr ja nicht schwer und sie wird sich nach diesen langen Ferien bald wieder hineinfinden. Sie soll nur bei der Sache bleiben. Dieser Tage muß ich mich einmal hinsetzen, um aufgelaufene Briefschulden zu erledigen.
Auch gestern und heute bekam ich kein Schreiben von Dir.
Heute Nachmittag war ich teilweise Hörer des Wunschkonzertes und habe dabei über den Quatsch von Karl Napp über die Radfahrer sehr lachen müssen. Auch das Lied der U-Boot-Fahrer hat mir sehr gut gefallen.
Wie ich gehört habe, soll hier dem Stoff- und Kleiderverkauf demnächst Beschränkung auferlegt werden. Ich werde deshalb noch Verschiedenes kaufen und z.T. zurück legen lassen. Für Dich habe ich einige Blusen bestellt, doch muß ich warten, bis wieder welche eintreffen. Die restlichen 35.-RM kannst Du mir ja absenden, die treffen dann im Februar ein, was ja dann recht ist.
Zum Schluß grüße und küsse ich Euch drei recht herzlich und oftmals, so oft ich am Tage im Geiste bei Euch weile. Dein Ernst.
An Vater richte bitte auch freundliche Grüße aus.

Brief 96 vom 15./16.1.1941

Bestes Mädel!                                                                                     O.U., den 15.1.1941    

Mein Brief von heute früh war wohl etwas reichlich kurz, doch dies war auf eine gewisse Katerstimmung zurück zu führen, die dem gestrigen, ausgedehnten Abend folgte. Ich habe mich aber heute wieder fest an die Arbeit gehalten, und mir geht es wieder sauwohl, wie man so zu sagen pflegt. Über Nacht hat die Stadt ein weißes Kleid angelegt, was auf unserem gestrigen Nachhauseweg mit einer Schneeballerei gefeiert wurde. Dieses Essen war gewissermaßen so eine Art Einführung für Kamerad Graser. So etwas Ähnliches wollen Gauguies machen, wenn der Tommy zurück kommt. Diese Einführungen machen die Leute auch deshalb mit, damit uns der Übergang von zu Hause nach hier nicht ganz so schwer fällt. Es ist zwar nicht meine Absicht, hier eine Lobeshymne anzustimmen, doch ich muß sagen, diese Leute geben sich viel Mühe mit uns.
Für Deine beiden lieben Briefe vom 11. und 12.1. recht vielen Dank. Du tust mir so leid, dass Du zum Sonntag keine Post erhalten hattest, wo Du so darauf gewartet hast. Hoffentlich bist Du die folgenden Tage dafür entschädigt worden. Es ist ja sehr lieb von Dir, dass Du schon wieder Gebäck an mich ab gesandt hast und ich freue mich wohl sehr darüber, doch seid bitte so gut und spart Euch nur nichts von dem wenigen ab, was Euch zur Verfügung steht. Also nochmals vielen Dank für alles Liebe. Die Bestellung der Briefmarken geht in Ordnung, soweit Du Geld dafür zur Verfügung hast. Aber bitte nichts extra absparen. Das wird Jörg hoffentlich nicht gar so tragisch nehmen, wenn er über den Sommer noch nicht in die Schule gehen darf. Ich glaube schon, dass er Geschick mit seiner Plastelina hat, doch ich kann mich entsinnen, wo Helga sich auch nicht dumm angestellt hat. Mit einem klein wenig Anleitung kann man sie auf ihr Gebiet, auf dem sie stark sind, hinlenken.
Elsa hat wie immer prompt geantwortet. Du kannst ihr schreiben, dass ich für den Gruß von Tilly danke. Auch Gerhard soll sie grüßen.
Hier hat es seit gestern Abend 11 Uhr fast ohne Unterbrechung auch geschneit. Es wird zwar etwas wärmer, doch die Straßen sind sehr glatt.
Ich habe, wie heute früh versprochen, etwas mehr geschrieben, es wird aber doch Zeit, dass ich schlafen gehe. Recht herzlich grüßt und küsst Dich und unsere beiden Kinder Dein Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                         O.U., den 16.1.1941                                                                

Für Deinen lieben Brief vom 13. danke ich Dir wieder recht herzlich. Du tust mir wirklich sehr leid, dass Du außer dem einen Brief noch nichts weiter erhalten hattest. Erfreut hat mich das Eintreffen der restlichen Päckchen. Es wäre ja schade darum gewesen, wenn doch etwas verloren gegangen wäre. Der Transport hat ja reichlich lange gedauert. Verderbliche Waren hätte man da nicht schicken dürfen. Wesentlich ist ja, dass alles gut angekommen ist.
Bei uns wird wieder einmal organisiert. Ich soll wieder ein anderes Arbeitsgebiet bekommen. Mir macht es ja nichts aus, denn ich kann das eine, wie auch das andere tun, ich fühle mich jeder Aufgabe gewachsen. Wenn ich mich dazu einarbeiten kann, macht das mir auch nichts aus. Man muß jetzt abwarten, wie sich das auswirkt, schließlich ist auch das kein Dauerzustand, denn für Abwechslung wird schon gesorgt. Sobald ich Näheres weiß, werde ich Dir berichten. Du schreibst mir, dass Du das Päckchen nicht zurückerhalten hast, das stimmt tatsächlich, denn es ist inzwischen bei mir eingetroffen. Ich danke Dir vielmals dafür. Ich warte gespannt auf den nächsten Brief von Dir, aus dem ich erfahren werde, dass Du nun wieder Post von mir erhalten hast. Dein Verhalten beim Alarm war soweit richtig, doch gib nur Obacht, dass Du Dich dabei nicht erkältest. Einen Zeitungsartikel aus der Essener Nationalzeitung sende ich Dir mit über den Maler vom See, Dieter. Er wird Dich sicher auch interessieren.
Heute kommt nun Thomas auch wieder zurück, so dass wir wieder vollständig beieinander sind. Ich bin froh, dass ich auch während seiner Abwesenheit hier den Laden erledigt habe und zwar so, dass es bis jetzt keine Reklamationen gegeben hat. Er hat es ja in mancher Hinsicht viel leichter, weil er ja direkt verhandeln kann, während ich mich ja doch immer einer Mittelsperson bedienen muß. Ich werde ja schon noch hören..
Liebe Annie, nimm recht viele herzliche Grüße und Küsse entgegen und leite dasselbe an unsere beiden Strolche weiter. Dein Ernst.

Brief 95 vom 13./14./15.1.1941


 Meine kleine Annie!                                                                            O.U., den 13.1.1941    

Es ist zwar schon sehr spät heute, bevor ich zum Briefeschreiben komme, doch ich möchte Dir für Deine beiden Briefe vom 8./9. und 9./10.1.41 recht herzlich danken. Als wichtigstes möchte ich mit Dir die Freude teilen, dass Du nun endlich meinen Brief vom 2. erhalten hast. Inzwischen sind ja nun weitere bei Dir eingegangen, und abgesehen von den üblichen kleineren Unterbrechungen, wirst Du ja wieder laufend versorgt werden, was mich auch wieder beruhigt. Es scheinen nun doch nach und nach die restlichen Päckchen einzutreffen, Du wirst ja sehen, wie Du die einzelnen Sachen gebrauchen kannst. Als weitere Wichtigkeit wäre heute noch hervorzuheben, dass mein Kamerad Graser heute Nachmittag eingetroffen ist, was mich sehr gefreut hat. Jetzt bin ich nicht so alleine hier und habe wieder einen dieser Kerle hier. Solange ich tagsüber meine Beschäftigung hatte, ging es, doch wenn man abends allein war, so lag die Sache schon etwas anders. Heute erhielt ich auch die Rechnung für die beiden Umhänge für die Kinder. Sie lautet über 113 Fr = 5,50 RM. Da kann man ja nichts sagen.  Morgen werde ich sie mit begleichen. Jetzt habe ich außer den Lebensmitteln keine Schulden mehr. Das beruhigt mich schon sehr. Ich kann doch jetzt wieder ungehindert weitere Einkäufe tätigen. Schön ist ja, dass die Süßigkeiten immer noch Freude machen. Ja, das mit den Heimatkriegern ist ja typisch, sollen die doch einmal ein ½ Jahr solchen Erholungsurlaub mitmachen, damit die sich von den Strapazen erholen, die sie daheim mitmachen müssen. Mir soll nur daheim keiner von dieser Seite kommen, dem weiß ich jetzt schon zu sagen, was nötig ist.
Mit den Schuhen ist es also doch so gekommen, wie ich es gestern vorausgeahnt hatte. Unsere beiden Bengels können ja froh sein, dass sie solche Mutter haben. Mich beruhigt es auch so einigermaßen, dass die Fahrerei den Buckel runter  verboten wurde, aber erst nachdem ein Unglück passierte.
Am heutigen Abend hatte ich mich ausgezeichnet unterhalten. Es wurde Figaros Hochzeit gespielt, mit vorzüglicher Ausstattung und ausgezeichneten Kräften. Das waren wieder richtige Erholungsstunden. Nachdem ich schon so viele Melodien und Motive daraus kannte, war es schön, nun den ganzen Zusammenhang zu haben.
Es wird jetzt tatsächlich Zeit, dass ich zu Bett komme, es ist bereits ½ 1 Uhr, und den Rest der Nacht möchte ich noch schlafen. Gute Nacht mein liebes Mädel und laß Dich recht herzlich grüßen und küssen von Deinem Ernst



   Meine liebe Frau!                                                                                O.U., den 14./15.1.41                                                                                                                     

Ich konnte gestern Abend nicht schreiben, doch will ich es heute früh sofort nachholen. Graser und ich waren zu einem Essen eingeladen. Die Arbeit hatte sich auch so lange hinausgezogen. Bemerken möchte ich noch, dass ich von Dir gestern keinen Brief bekam. Ich kann mich bis jetzt zwar nicht beklagen, denn ich wurde noch regelmäßig versorgt. Einen Tag kann man das ja noch hinnehmen, doch solch ein Zustand sollte nicht einreißen.
Durch die viele Vorliegende Arbeit, habe ich in der vergangenen Zeit meine Post immer am Abend geschrieben. Heute drängt auch wieder alles, so dass ich meinen Gruß etwas kurz machen muß. Du solltest nur nicht ohne Nachricht von mir sein. Heute nach Feierabend werde ich wieder wie üblich schreiben.
Bleibe gesund, grüße und küsse unsere Bengels. Du meine liebe Annie sei ebenfalls vielmals gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst

Dienstag, 12. Januar 2016

Brief 94 vom 10./12.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                    O.U. den 10.1.1941.    

Ich werde ja z.Zt. ziemlich laufend mit Post von Dir versorgt. Ich will zwar nicht so voreilig sein, doch heute kam Dein Brief vom 6./7.1. an. Es freut mich jedes Mal zu lesen, wie es Euch geht, und wenn ich höre, was unsere beiden anstellen. Wenn ich daheim wäre, würde ich wahrscheinlich dazwischen fahren, so aber muß ich über die Kerle lachen. Zumal, wenn der Stromer den Schneckenbuckel runter fährt, ohne sich um alles andere zu kümmern, den kaum ein Schutzmann erschüttert. Wenn der so weiter macht, kann der noch gut werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie die Schuhe und Stümpfe naß sind. Wir waren schließlich auch kaum anders und schon deshalb sollte man einmal etwas übersehen. Den einen Nachteil hat es, wenn man zu viel übersieht wächst einem die Gesellschaft über den Kopf. Zu begrüßen ist es ja, wenn der Schnee noch trocken bleibt, wie wenn alles taut, denn das dringt überall durch. Mit den Päckchen ist das ja eine eigenartige Sache, heute schreibt mir der Tommy, dass seine Päckchen bis auf zwei bei ihm eingetroffen seien. Wenn sie tatsächlich verloren gegangen sind, ärgere ich mich nicht so sehr, wie wenn ein Teil Deines Kostüms seinerzeit nicht angekommen wäre.
Heute war ich in einer Veranstaltung der staatlichen Hochschule für Musik, die mir wieder sehr imponiert hat. Es wurde ein so mittelschweres Programm gegeben, und zum Schluß sind verschiedene Volkslieder gesungen worden. Unter anderem „Des Schneiders Höllenfahrt“ und „ Gestern Abend war Vetter Michel da“ u.a. Es war sehr schön. Am Montag spielt die Kölner Oper „Figaros Hochzeit“, an der ich auch teilnehmen werde. Das Liller Konservatorium gibt hier ein Konzert am Sonntag für die Franzosen. Wir bekommen einige gute Plätze reserviert. Dann werde ich einmal an diesem Kunstgeschehen teilnehmen. Es werden u.a. von R. Wagner aus „Siegfried“ und von Schubert ein Stück gegeben. Doch wenn wir einmal bei der Kunst sind, so möchte ich Dich an jenen französischen Film erinnern, der seinerzeit in Konstanz lief, es war da von einer „Madame Kolibri“ die Rede, der läuft hier auch schon als neuer Film. Übrigens der deutsche Film „Mutter“ ist synchronisiert worden und wird nun in französischen Kinos gezeigt.
Unser Chef hat heute seinen Dienst wieder angetreten, ebenso ist sein Vertreter auch mit eingetroffen. Es treffen nun nach und nach alle wieder ein, nur meine Kameraden fehlen noch. Doch die ereilt das gleiche Schicksal.
Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und auch unseren Kindern Dein Ernst.


Meine liebe gute Annie!                                                            O.U., den 12.1.1941    

Gestern hatte ich Nachmittagsdienst. Die Gelegenheit hatte ich gleich benutzt, um an die Eltern und an Nanni zu schreiben. Die Durchschläge davon füge ich bei. Dein Brief vom 8.1. traf gestern hier ein. Ich habe mit Bedauern lesen müssen, dass Du immer noch keine Post von mir bekommen hattest. Ich bin gespannt, ob Du mir in deinem nächsten Brief bessere Nachricht in dieser Beziehung geben kannst. Ich kann mir sehr gut Deine Unruhe vorstellen, solange Du keine Post von mir erhalten hast. Um nun auf Deinen Brief einzugehen: Ich glaube Dir gerne, dass Du mit unseren beiden Stromern immer Arbeit hast. Wenn Du Dir auch noch die Schuhe wegen jedem Defekt vornimmst, dann fehlt es Dir ja nicht an Beschäftigung. Helga und Jörg haben eigentlich keinen Anlaß, lange Gesichter zu machen, oder sonst besorgt zu sein, denn Du machst ihnen doch alles sofort wieder in Ordnung. Beklagen können die sich wirklich nicht. Vater hat sich also eine Schokolade von Dir verehren lassen und er findet, dass die sogar besser sei, wie die Pralinen, die er sich kaufte. Das ist ja ein Lob, das so ohne Vorbehalte gesagt, bei Vater viel zu bedeuten hat. Dir hat es offenbar auch Freude gemacht. Mehr kann man von einer Tafel Schokolade nicht verlangen. Du und Helga, ihr seid nun unsere beiden Musikanten. Das muß sicher ganz fein klingen, wenn ihr zwei zusammen spielt. Ich glaube, dass das Euch viel Vergnügen macht und ihr Euch damit für manche Zeit beschäftigen könnt.
Jeden Morgen lasse ich meine Briefe immer gleich mit zur Feldpost nehmen, damit sie immer noch mit der ersten Post weg kommen. Unser Fahrer hat sich schon so an das regelmäßige Mitnehmen gewöhnt, dass nach der Begrüßung immer die erste Frage nach dem „lettre pour votre famme – dem Brief für Ihre Frau“ ist.
Heute war ich im Konzert der Franzosen. Der Platz war sehr gut, viele Musiker waren auch da und das Konzert war von den Einheimischen ganz gut besucht. Verschiedene Werke entsprachen weniger dem Empfinden, das wir gewöhnt sind. Das Siegfried-Idyll von Wagner wurde nicht so gespielt, wie wir es bei uns daheim hören. Manche Stücke haben mir sehr zugesagt, vor allem, als „Fausts Verdammnis“ von Berlioz gespielt wurde mit dem Rakoczy-Marsch am Schluß.
Der Sonntag liegt nun wieder hinter uns. Ich habe nun noch einen Teil des Wunschkonzertes hören können. Habe aber besonders an Dich gedacht, als das „Gute Nacht Mutter“ gesungen wurde, das du doch so gerne hörst. Auch Dir wünsche ich eine gute Nacht und grüße und küsse Dich gleichzeitig recht herzlich. Dein Ernst

Brief 93 vom 8./9.1.1941


Meine liebe Frau!                                                                           O.U., den 8.1.1941          

Ich kann ja heute wieder zufrieden sein, denn ich erhielt heute deinen Brief vom 4./5. und die der Kinder. Über alles habe ich mich wieder gefreut. Wie ich aber aus Deinem Brief entnehme, wirst Du noch einen weiteren Brief am Samstag geschrieben haben, der noch nicht bei mir angekommen ist. Oder täusche ich mich? Die Zeitungsbeilage hat mich sehr interessiert, weil ich schon einmal Zeuge einer Fehldiagnose dieser Frau war. Ja, die haben sehr herzhaft vom Leder gezogen. Es schadet in diesem Falle aber gar nicht. Der Gasableser hat sich ja auch ein schnelles Ende bereitet. Da hast Du ganz recht getan, wenn Du Dir eine neue Mundharmonika gekauft hast, mit dieser wirst Du noch mehr Freude haben. Aber ich hätte kaum geglaubt, dass sich Helga diese Kenntnisse so schnell aneignet. Auch das ist richtig, wenn ihr Euch in der kleinen Stube aufhaltet, soweit es nicht unbedingt notwendig ist, dass ihr in der Küche sein müsst. Ihr habt es ja dort unzweifelhaft wärmer und es ist auch gemütlicher. Ich würde es auch begrüßen, wenn Du wieder neuen Lesestoff bekommen würdest, damit Dir die Abende nicht gar zu lang werden. Es ist nun wieder eine Woche her, seit ich von Euch abreiste. Die Zeit geht doch wie im Fluge dahin. Ich merke aber auch, dass die Arbeit zum großen Teil daran schuld ist. Ich hoffe auch, dass Du heute von mir Post erhalten haben wirst, denn ich kann mir denken, dass du schon mit Spannung darauf wartest. Eins wundert mich aber, dass Du die restlichen Päckchen noch nicht erhalten hast. Ich bin nun gespannt, wo die abgeblieben sind, und ob sie Dich vielleicht doch noch erreichen.
Die Witterung ist augenblicklich ziemlich gleichmäßig, nicht übermäßig kalt, so dass man es gut aushalten kann. Unsere Büros sind ja gut durchgewärmt, auch unsere großen Fenster machen nicht viel aus. Nur wenn es viel kälter wird,, kann man sich zum arbeiten nicht ins Zimmer setzen, ohne dass man eine Zusatzheizung benutzt. Ich habe mir einmal unsere Heizsonne heraus geholt, dann geht es auch wieder.
Ich bin heute zeitig nach hause gekommen, so neben bei Radio, anschließend habe ich noch Arbeit da, und wenn es dann noch langt, werde ich noch etwas lesen. Für Abwechslung ist gesorgt und Langeweile bekomme ich nicht so leicht, doch wenn man keine Kameraden hat, und einmal wieder mit jemand so sprechen kann, wie einem der Schnabel gewachsen ist, ohne dass der andere es gleich übel nimmt, so istes auf die Dauer schon schwer. Einesteils ist es mir auch gleichgültig, ob die anderen es krumm nehmen, wenn ich ihnen auch das sage, was ihnen nicht passt.
Ich grüße und küsse Euch alle recht herzlich, doch wie schon so oft sende ich Dir wieder diese Wünsche besonders.   Dein Ernst.



Meine liebe Frau!                                                                               O.U., den 9.1.1941                                                               

Bereits eine Woche bin ich wieder hier, man gewöhnt sich ganz aus den Zeitbegriffen heraus. Doch einmal wird auch der Tag kommen, an dem es heißt „Parole Heimat“, und ich werde wieder mit Euch zusammen sein können. Unser Oberleutnant hat heute die Genehmigung erhalten, dass er demnächst seinen Dienst in der Heimat antreten kann. Er ist der erste aus unserer Dienststelle, der abtreten kann. Er ist ja auch schon Weltkriegsteilnehmer, und den Polenfeldzug hat er auch mitgemacht. Wie gesagt, auch für uns wird diese Stunde einmal kommen.
De noch ausstehende Brief von Dir vom 4., sowie der Brief vom 5./6. sind eingegangen. Außerdem erhielt ich heute die 70.- RM. Ich habe keinen Anstand deswegen bekommen, schon deshalb nicht, weil man gar keine Notiz von dem  Vermerk auf meinem Urlaubsschein genommen hat. Ich am besten auch nichts weiter gesagt. Ich habe nun ziemlich alle Schulden bezahlt und werde dieser Tage wieder einige Einkäufe vornehmen, denn nun habe ich wieder freie Hand. Auch um einen Mantel für mich werde ich mich noch kümmern. Wir hatten vergessen, uns die Maße für die Gardinen aufzuschreiben, die Du haben wolltest. Ich wäre Dir gleichzeitig dankbar, wenn Du mir mitteilen würdest, wie sie ungefähr aussehen sollen, und ob sie für die Fenster geteilt sein sollen, oder was da noch zu beachten ist. Vielleicht schickst Du mir anhand eines Abdruckes noch die Schuhgrößen für die Kinder mit, denn man weiß nicht, ob man sie brauchen kann. Doch nun zu Deinen Briefen. Du hast ja so bald alles wieder abgefertigt. Ja, ich wäre froh, wenn ich das auch erledigt hätte.
Das wird aber Zeit, wenn Du Dir endlich eine Wärmflasche nimmst, vor allem, wenn Dein Schlaf bisher darunter gelitten hat, weil Du kalte Füße hattest. Man merkt doch gleich, wenn niemand da ist, der auf Dich aufpasst. Auf diesem Wege kann man doch nicht so durchgreifen, wie es notwendig ist. Ich habe davon gehört, dass ihr so viel Schnee habt, da sind unsere beiden wohl nicht böse, zumal wo Helga noch Ferien hat.
Ich möchte mich nicht gar zu spät zu Bett legen und will jetzt Schluß machen. Ich grüße und küsse Euch alle Ihr Lieben, doch sei Du recht oft gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst

Mittwoch, 6. Januar 2016

Brief 92 vom 6./7.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                          O.U., den 6.1.1941 

Mir geht es tatsächlich nicht schlecht, denn ich erhielt heute schon Deine beiden Briefe vom 1./2, und 3.1. Ich habe mich sehr gefreut, schon von Dir Nachricht zu erhalten. Das habe ich mir gedacht, als ich abgefahren war, dass Vater in seiner Art versuchen wird, Dich zu trösten. Ich habe mich darüber auch geärgert, dass ich es ihm nicht gesagt habe. Es ist nun halt so gekommen, wie ich es vorausgeahnt habe, doch ändern kann ich es nachträglich nicht mehr. Ich habe eben nochmals Deinen Brief durchgelesen und muß sagen, man spürt die Herzlichkeit und die Wärme, die Du zum Ausdruck bringen willst, heraus. Ich weiß ja auch, dass wir zusammen gehören. Es stimmt wohl, dass ich jetzt ziemlich allein bin, doch die viele Arbeit lässt den Tag nur so verfliegen, aber auch meine Kameraden haben mich nicht vergessen. Beide haben mir heute auch geschrieben, und genau so, wie ich es erwartet habe. In wenigen Tagen wird Graser rauch wieder eintreffen müssen. Bald ist auch für Thomas die Zeit gekommen, dass er wieder hier einrücken muß. Beide schreiben zwar, dass sie erkältet sind, und Fra7u und Kind von Thomas sind auch nicht auf der Höhe. Es hat eben jeder sein Päckchen zu tragen.
Ich habe Dir ja schon geschrieben, wie ich geschlafen habe auf der Fahrt, ich glaube, dass ich dem nichts mehr hinzuzufügen brauche. Auch über den sonstigen Verlauf der Fahrt bist Du ja durch mich schon unterrichtet worden. Ich denke, dass die Kinder am ehesten über den Abschied hinweg kommen werden, offenbar waren sie auch anfänglich traurig über meine Abreise. Ich bin Dir nicht böse, wenn Du zwischendrin einen Tag aussetzen musst mit Briefeschreiben. Die Wäscherei nimmt ja Zeit und Kraft in Anspruch, dann habt ihr noch anschließend gebadet. Es ist deshalb durchaus verständlich, wenn Du nicht zum schreiben kommst. Bei dem Tannenbaum hast Du es ja wieder geschickt gemacht. Doch dieser Einfall sieht Dir ja ähnlich. Mit den Päckchen von Paula an Kurt hast Du es richtig gemacht. Sie konnte ja auch nachfragen, wie die Adresse von Kurt richtig lautet und nicht so einen falschen Stolz haben. Mit dem Stuhlkauf wirst Du ja bei Jörg einen guten Eindruck gemacht haben. Erkältet habe ich mich zwar nicht, doch wie ich Dir schon mitteilte, habe ich mit meinem Arm Pech gehabt. Er sieht nun ganz rot und blau aus, doch er wird sicher bald seine Farbe wechseln. Er schmerzt wohl noch etwas, doch es wird schon wieder besser.
Die Zeit ist wieder ziemlich vorgerückt, und ich möchte für heute wieder zum Schluß kommen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst und bleibe weiterhin standhaft.
Dein Ernst.
Für Helgas und Jörgs Grüße und Küsse danke ich vielmals und erwidere sie herzlich.


Meine liebe Frau                                                                                  O.U., den 7.1.1941                                              

Nach einem sehr arbeitsreichen und auch interessanten Arbeitstag bin ich wieder an dem Stammtisch meiner Kameraden gewesen,, weil nach so einem Tag die Einsamkeit auf der Bude doppelt fühlbar würde. Es ist bereits ½ 11 Uhr, doch den Brief an Dich will ich noch schreiben, denn Du sollst ja schließlich nicht zu kurz kommen. Es ist bald schon so üblich, dass die Post Deine Briefe, die Du laufend zur Beförderung gibst, mir vorenthält. Man staunt, an was der Mensch sich alles gewöhnen muß, und zuletzt dann auch gewöhnt, weil es einmal nicht anders geht. Vorläufig macht nun die Arbeit auch Freude, wenn ich auch z.Zt. bis über die Ohren darin stecke. Eins ist nur unangenehm, dass so genannte Kameraden sich Unterstützung auf ihren höheren Dienstgrad einbilden sich in solche Angelegenheiten einzuschalten zu müssen, die ihnen durchaus nichts angehen, so lasse ich doch nicht mir auf der Nase herumtanzen. Ich bin mit solchen immer noch fertig geworden und hoffe es auch in Zukunft zu werden. Es ist so ein kleiner Ärger vom heutigen Tag, den Du nun auch noch mit ausbaden musst. Du kannst aber versichert sein, dass ich mir zu helfen weiß, und dass ich mir deswegen keine grauen Haare wachsen lasse. Ich bin nur froh, dass ich so viel zu tun habe, dann gehen auch die Tage meines totalen Alleinseins schneller vorüber. Wenn ich meine Kameraden nicht hier hätte, wäre diese Abkommandierung trotz der vielen Arbeit eine ganz traurige Angelegenheit.
Heute möchte ich noch auf eine andere Angelegenheit zurückkommen. Ich schrieb Dir doch vor einiger Zeit wegen der Markengeschichte von hier. In der kurzen Spanne meines Urlaubs ist nun eine wesentliche Änderung eingetreten. Wegen Butter und Käse müssen die Leute hier Schlange stehen. Es kann dann noch passieren, dass ein Teil leer ausgeht. Die Kohlen spielen bei der augenblicklichen Witterung eine gewichtige Rolle, so dass teilweise nicht genügende Mengen vorhanden sind. Kartoffeln sind auch rationiert worden. So bekommen ab gestern die Leute, die keine Vorräte haben, pro Tag und pro Kopf 100g Kartoffeln. Es ist dies eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse, und jetzt tritt die Frage der Rationierung auch langsam an die heran, die bisher noch nicht davon betroffen wurden.
Sei Du mein liebes Mädel recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst.
Unseren beiden Stromern je einen kräftigen Kuß. An Vater einen Gruß.

Brief 91 vom 3./5.1.1941


Meine liebe Annie!                                                                        O.U., den 3.1.1941                                      

Nun bin ich schon wieder einen Tag hier und habe einen Arbeitstag hinter mir. Heute früh habe ich als erstes die Post in Empfang genommen. Da war noch Dein Brief vom 17.12. da, dann einer von Nanni, außerdem ein Päckchen vom Amt, eins von der Ortsgruppe und eins vom Böhmann. Mit dem in dem Päckchen gesandten Gebäck und dem, was mir von der Dienststelle geschenkt wurde, habe ich eine ganze Weile zu tun. Außerdem muß ich das von Dir gesandte und mitgebrachte Gebäck nicht vergessen. Dann habe ich mich wieder überall an- und zurückgemeldet, restliches Geld empfangen. Später habe ich mich wieder an unserem Mittagstisch eingefunden, der, wie ich feststellen konnte, durch viele Urlauber sehr zusammen geschrumpft ist. Nach dem Essen habe ich noch ein Auge voll Schlaf mitgenommen, ehe ich wieder zum Dienst gegangen bin. Arbeit liegt genügend vor und ich bin auch deswegen freudig und gern begrüßt worden.  Ich werde es aber schon schaffen und mache mir deswegen auch keinen Kummer. Nach Dienstschluss habe ich unseren Stammplatz aufgesucht, habe auch die Schallplatte, die viel Freude bereitet hat, überreicht. Alles hat sich nach Deinem Wohlbefinden und nach den Kindern erkundigt. Ich hab gesagt, dass Du Dich sehr gefreut hast, ebenso die Kinder, dass ich über die Feiertage wenigstens bei Euch war. Daß Du großen Gefallen an den mitgebrachten Sachen gehabt hast, doch dass so ein Urlaub viel zu kurz ist.
Wir sind aber doch froh, dass wir wenigstens über die Feiertage zusammen sein konnten, darüber sind wir beide uns ja einig.
Ich bin nun auf meiner Bude, der Nordost pfeift durch die undichten Fenster, und trotzdem der Heizkörper ganz heiß ist, ist es frisch im Zimmer. Ich hatte mir noch einen Teil Arbeit mitgenommen, doch ich glaube, ich muß es heute bleiben lassen und doch erst Morgen erledigen. Mit meinem Weihnachtswein versuche ich, den Temperaturunterschied auszugleichen, doch ich finde, wenn ich noch länger arbeite, wird mir am Ende die Flasche nicht reichen. Für morgen Abend bin ich zu dem Schweizer eingeladen, der mir unbedingt seinen Weihnachtsbaum vorführen möchte. Am morgigen Nachmittag bin ich offiziell dienstfrei, mal sehen, ob nicht etwas Besonderes fällig wird.
Wie hast Du den Abschied überstanden, hoffentlich ist es dir nicht gar zu schwer gefallen. Interessant ist doch, jedes Mal bin ich an einem Mittwoch von Euch abgefahren, heute vor einem halben Jahr erhielt ich den Befehl, nach hier abzureisen, und seit ich eingezogen bin sind nun schon 33 Wochen vergangen.
Liebes Mädel, gute Nacht und nimm wieder viele herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Meine liebe Frau!                                                                      O.U., den 5.Januar 1941                                 

Mein Sonntagsbad habe ich hinter mir, weil ich noch eine Weile Zeit habe bis zum Mittagessen, fange ich gleich meinen Brief an, da ich am Nachmittag noch etwas arbeiten möchte, damit mir nicht so viel liegen bleibt. Ich habe wohl in vielen Beziehungen jetzt wohl freiere Hand, doch wenn etwas schief geht, fällt es auf mich zurück. Ich würde mich aber auch in einem solchen Fall zu verantworten wissen.
Nach dem es bei uns daheim ziemlich geschneit haben soll, fängt es hier ebenfalls damit an. Es sieht sehr winterlich aus, doch der scharfe Wind hat etwas nachgelassen. Trotzdem war es heute auch im Bade sehr frisch. Zur Ersparnis von Kohlen war sogar der Dampfraum außer Betrieb. Ich bin deshalb bald wieder nach hause gegangen. Gestern habe ich Pech gehabt, damit es einem nicht zu wohl wird. Ich bin ausgerutscht und falle, ich weiß gar nicht, wie das so ungeschickt passieren konnte, auf den rechten Arm, den ich mir dabei verstauchte. Der Ellenbogen hat eine Prellung abbekommen und ist stark angeschwollen, und von der Nacht her muß ich wahrscheinlich darauf gelegen haben. Er ist nun, wie seinerzeit mein Fußgelenk, ganz blau angelaufen. Es sieht zwar sehr gefährlich aus, ist aber halb so schlimm, obwohl es schmerzhaft ist. Beim schreiben macht es mir noch einige Schwierigkeiten, doch ich denke, bis es wieder gut ist, werde ich mich daran gewöhnt haben.
Gestern Abend war ich bei dem Schweizer, der sichtlich erfreut war, dass ich ihn wieder einmal aufgesucht habe. Seine Kinder durften noch mit dabei sein, wie der Weihnachtsbaum angezündet wurde, dem übrigens sein ganzer Stolz galt. Später mussten die Kinder ins Bett und wir sind dann bei einer Flasche Wein zusammen gesessen und haben uns unterhalten. Zum Schluß musste ich mich noch herbei lassen, eine Art „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-Spiel mit zu machen. So ist auch dieser Abend vorbei gegangen, gegen 11 Uhr trat ich dann den Heimweg an.
Was ich heute Abend anstelle, weiß ich noch nicht genau, doch ich glaube, es ist ratsam, wenn ich mit meinem kaputten Arm daheim bleibe und mich zeitig hinlege. Am Nachmittag, das ist gewiß, Hören des Wunschkonzerts und nebenbei werde ich arbeiten.
Für Euch ist heute auch der erste Sonntag, an dem ihr allein seid. Wenn ihr auch solches Wetter habt, werdet ihr sicherlich in der kleinen Stube sitzen. Den Baum habt ihr ja auch noch da. Jörg wird mit seinen Soldaten spielen und Helga mit ihren Puppen, oder lesen. Doch was wirst Du wohl tun? Offenbar wirst Du Dir eine Arbeit vorgenommen haben, bestenfalls ein Buch. Die Zeit wird ja auch wieder kommen, wo ich wieder dauernd in Eurem Kreise sein kann.
Sei mir bitte nicht böse, wenn ich mich jetzt kurz fasse. Seid Ihr drei recht herzlich und vielmals gegrüßt und geküsst von Eurem Vater Ernst.