Mittwoch, 6. März 2019

Brief 524 vom 28.02.1944


Mein lieber guter Schatz!                                                                        28.2.44   
     
Wir haben wieder einmal Wochenanfang, doch ich bin gegenwärtig ohne fest Tätigkeit. Ich brauche aber nicht weiter böse darum sein, denn ich kann mich ja auch einmal mit der Arbeit von Weitem beschäftigen. Von mir und vom Sonntag habe ich nichts besonderes zu berichten, aber ich kann mich ja noch auf die Beantwortung Deiner restlichen Briefe beschränken.  Mit der Kinogeschichte hat ja alles seine Erledigung gefunden, nachdem ich kürzlich ausführlich Stellung zu verschiedenen Filmen genommen habe, bist Du doch mit meiner Auffassung bekannt geworden, Ich war gestern auch im Kino und habe mir den Film „Akrobat Schön“ angesehen. Ich finde, dass meine Feststellung, daß wir in Bezug auf Kunst einen Weg gehen, der vor nicht allzu langer Zeit restlos abgelehnt wurde, mit dem Schlagwort „amerikanisches Jahrhundert“ nur immer wieder unterstrichen wird. Da wird eine Tanzkunst gezeigt, die ich wirklich nicht als schön bezeichnen kann. Wenn ich zwar öfter Sachen finde, die mir nicht so gefallen, so kann ich doch immer sehen, wie es nach meiner Ansicht nicht sein soll. Für mich lag ja kein Anlass vor, mich über unsere Auffassung zu ärgern. In dieser Richtung mußt Du Dir keine Gedanken machen.  Wenn Du schreibst, daß die Kinder soviel Hunger haben, so ist das ja ganz erklärlich. Ich kann mich immer noch an die Zeit unserer Kindheit erinnern. Die Nahrungsmittel haben doch nicht mehr den Nährwert wie zu anderen Zeiten. Der Körper selbst ist auch nicht in der Lage von sich aus zuzuschießen, so daß immer ein Hungergefühl vorhanden ist. Das, was auf die Marken abgegeben wird, das ist schon richtig, wenn man damit ein oder zwei Jahre auskommen muß. Aber ganz ohne Zuschuss von anderer Seite durchsteht man diese Zeit nicht, ohne daß der Körper Schaden nimmt. Bei uns Erwachsenen ist das nicht ganz so schlimm aber bei den Kindern, deren Körper noch im Aufbau beschaffen ist, da liegen die Dinge schon wesentlich anders. Gerade aus diesem Grund sehe ich es immer als eine meiner ersten Pflichten an, für Euch daheim zu sorgen, soweit mir das hier unter den jeweiligen Umständen möglich ist. Ich möchte gern manchmal mehr tun, aber es bestehen nun einmal gewisse Grenzen, in denen man sich halten muß. Bei Paula will es jetzt auch nicht klappen. Die Zur-Ruhe-Setzung von Albert und jetzt ein Aufenthalt im Krankenhaus. Auch mit ihrem Kurt muß es anscheinend nicht ordentlich gehen, denn sonst würde er ja nicht vom Wehrdienst entlassen. Wir haben uns nicht in ihre Verhältnisse gemischt, als es ihnen gut ging, wir haben auch keine Veranlassung, uns jetzt ungefragt darum zu kümmern. Ja früher war der Junge bei Häusler. Es kann ja sein, daß die Firma Pintsch irgendwie damit zusammenhängt, oder hat Paula dirt wieder vorgearbeitet? Doch lassen wir das.  Ich habe auch schon daran gedacht, für Vater noch eine Tabakpfeife zu erwerben. Das werde ich in den nächsten Tagen besorgen. Die ich Dir inzwischen schon zugesandt habe, die schickst Du ja Deinem Vater bei Gelegenheit mit zu. Dazu reicht mir das Geld immer noch. Daß das in der Heimat jetzt Schwierigkeiten macht, solche Artikel zu bekommen, das kann ich mir wohl vorstellen.
Du hast Dich ja recht juristisch ausgedrückt, als Du mir klarmachtest, daß die Schuld an mir liegt, wenn die Flasche Moselkirsch ausgetrunken ist. Aber da läßt sich nun leider nichts mehr daran ändern, wenn zwei solche Säufer wie wir beieinander sind, dann wird das Zeug mit der Zeit schon alle. Aber wir haben uns ja dann nichts vorzuwerfen, wenn es nun einmal so ist. Wenn Du auch schreibst, daß Du die Flasche wieder weggestellt hast, nachdem Dein Halsweh vorbei war, so ist mir das keine reine Beruhigung, denn ich überlege mir, ob Du sie nun leer hast oder ob noch die Hälfte drin ist, denn verdächtig ist mir, daß Du mir weiter mitteilst, daß ich mir keine Gewissenbisse machen muß. Wie meinst Du das nun wieder? Daß Du Dich mir nun vollkommen angeglichen hast oder ist etwa doch noch etwas in der Flasche drin? Ja, ich denke, ich werde von Dir darüber noch hören. Jetzt muß ich Dich aber mächtig in die Enge getrieben haben. Ja, das ist nicht so einfach, wenn ich wieder einmal anfange, die verschiedenen Dinge zu zerpflücken.
Ich kann verstehen, daß Du Dich ein zweites Mal hast erweichen lassen und noch einmal Einquartierung angenommen hast. Es ist nicht einfach für die Leute, bei einer solchen Massenbelegung irgendwo unterzukommen. Du hast ja nun für Deinen Teil geholfen, vielleicht ist man auch einmal froh, wenn man irgendwo Entgegenkommen findet. Es kann ja wieder eine ganze Weile dauern, bis ein solcher Fall eintritt, nachdem die Soldaten Euch jetzt wieder verlassen haben.
Vater erhält jetzt zu seiner Rente eine Zusatzunterstützung. Es ist ja zwecklos und es wäre dumm, wenn er diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen würde. Es ist ja eine Sache, die gerade für diese Leute gedacht ist. Wie kommt er dann mit dem Betrag aus? Was macht er jetzt überhaupt, wo er über seine ganze Zeit verfügen kann? Hat er schon versucht, sich eine neue Beschäftigung zu verschaffen? Ich weiß ja nicht, wie es ihm sonst geht. Ich glaube ja, daß die Beschwerden besser geworden sind, seit er das Bruchband trägt.
Ich muß Dir schon meine Bewunderung und Anerkennung aussprechen, wie Du Dir den Widerstand zurechtgeflickt hast. Du mußt aber Obacht geben, daß der Draht nicht zu kurz wird. Gut wäre es ja, wenn man einen gleichen Draht dazu bekäme. Daß bei dieser Gelegenheit alles andere auch mit auseinandergefallen ist, das ist ja weniger erfreulich gewesen. Das ist schon weniger schön, wenn man ohne Radio daheim sitzen soll. Aber bei Dir kleinem Rundfunkfachmann klappt es ja ohne große Schwierigkeiten.
Ich muß mich schon selbst wundern, daß ich mit meinen Zähnen noch keine Schwierigkeiten weiter gehabt habe. Bis jetzt ist anscheinend noch alles in Ordnung. Ich kann Dir nachfühlen, daß das kein Vergnügen ost, wenn man zum Zahnarzt gehen muß, wenn man schon im Vorgefühl sich sagen muß, es gibt mehr zu machen und es geht nicht ohne Schmerzen ab. Gut ist ja, daß Du die Kinder immer anhältst, daß ihre Zähne immer in Ordnung sind. Auf diese Weise werden ihnen doch die Zähne immerhin länger erhalten, wenn man von Anfang an so aufpaßt, wie es notwendig ist.
Das ist ja interessant, wie sich unser Töchting zusammenreißt, weil sie in Gesellschaft von Jungens kommt bei dem Besuch des Chors.  Es ist nur gut, daß man sich auf sie verlassen kann und man weiß, daß sie sich in allen diesen Dingen vertrauensvoll an Dich wendet. So nach und nach kommt sie nun in das Alter, in dem man aufpassen muß auf sie. Es ist ja kein Schade, wenn sie auf sich hält, weil sich das für ein Mädchen gehört. Sie ist ja auch ein ordentliches und sauberes Mädel und hat wohl Veranlassung, darauf zu sehen, daß sie es auch bleibt. Soweit ist es ja noch nicht, daß man schon weiter denken muß, denn es kommt alles zu seiner Zeit, aber wie schnell vergeht die Zeit. Wenn nicht gerade die Kriegsjahre so hart zeichnen würden, dann könnte man fast meinen, es sei erst vor kurzer Zeit gewesen, als sie noch in der Wiege lag. Als sie ihre ersten Gehversuche unternahm, als sie noch bei Deiner Mutter auf dem Arm war und alle die anderen Besonderheiten, an die man sich so erinnert. Ich muß immer an das graue gestrickte Kleid denken, wie sie damit herumstolziert ist, als wir mit ihr zum Tabor hinübergelaufen sind. Beim Bach bereitete es ihr einen unendlichen Spaß, Steine hineinzuwerfen. Wie im Fluge sind diese Jahre vergangen. Am Anfang ihrer Lebenszeit hat man die Tage halten wollen, weil sich immer wieder etwas Besonderes ergab.
Fein ist es ja, daß Dir unsere Helga schon beim Handschuhstricken behilflich sein kann. Ich weiß ja, daß Du solche Arbeiten gern machst, doch hast Du ja immer nach kurzer Zeit über Kreuzschmerzen zu klagen, weil Du es auf längere Dauer nicht verträgst. Ganz abgesehen davon, wirst Du ja auch schneller fertig.
Das Geld habe ich richtig erhalten, das will ich Dir zur Beruhigung und als Bestätigung noch mitteilen. Sonst habe ich heute weiter nicht zu berichten. Morgen geht es wieder weiter. Recht viele liebe und herzliche Grüße und einen lieben Schmatz dazu sendet Dir Dein Ernst.

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