Mein
liebstes Mädel ! 9.10.42
Gestern
habe ich Dir nach langer Zeit wieder einmal einen Brief mit der Maschine
geschrieben. Ich habe bei mir im Zimmer nicht gerade, was gute Beleuchtung ist.
Da läßt es sich besser mit Maschine schreiben, denn das strengt die Augen nicht
so sehr an. Dann hatte ich noch zwei
Briefe an die Kameraden in Maschine zu schreiben. Mit dem Schreiben an den Hugo
Michel und den Brief, den ich gestern an Siegfried geschrieben habe, ist die
meiste nicht beantwortete Post wieder erledigt. Jetzt habe ich noch auf den
Brief von Kurt zu antworten, dann ist alles wieder glatt. Die Durchschläge von
den Briefen, die Dich interessieren könnte, habe ich beigefügt. Auch den
Schriftwechsel, der dazu gehört. Das Schreiben von dem Hugo Michel bitte ich
wieder zurück zu senden, weil das zu den Vorgängen gehört, die ich hier sammle.
In dieser Sache habe ich festgestellt, daß da eigentlich etwas nicht stimmen
muß. Der August Michel soll nach den Aufzeichnungen 1821 gestorben sein und nach
der von mir beschafften Urkunde 1837.
Kläre mir das doch bitte einmal mit auf. Habe ich noch aus den
Nebenlinien weitere Daten oder sind nur die vorhanden, die Du mir von der Linie
Michel aufgeschrieben hattest. Ich muß schon sagen, daß Dein Vater einem
gewaltigen Irrtum anheim gefallen ist. Mir hatte er doch der zählt, wie weit
Dein Verwandter mit seinen Forschungen zurück sei. Ich sehe nun aus seinen
Aufzeichnungen, daß sie sich mit denen Deines Onkels Kurt genau decken. Das ist
alles, was er hat. Ich habe wenigstens inzwischen einige Daten
zusammengetragen, aber er hat das alles so gelassen wie es war. Ich will sehen, was er mir auf meinen Brief
antwortet. Den Durchschlag kannst Du behalten, denn ich habe einen weiteren für
mich gemacht. Interessant ist, daß eine Tochter Deines Verwandten nach Dessau
geheiratet hat. Wie sich auf so eigenartige Weise doch wieder ein Kreis
schließt. Meine Eltern sind aus Dessau und die Kinder Deines Verwandten lassen
sich dort nieder. Das wäre das, was ich in dieser Angelegenheit zu berichten
hatte. Ob ich morgen zum Schreiben
komme, ist fraglich, denn wir ziehen morgen um. Heute steht schon alles
durcheinander. Ich lasse mich aber noch nicht beeindrucken. Ein kleines
Päckchen mit Tabak für Vater habe ich heute noch abgesandt. Es trägt keine
Nummer, weil es mir zu klein schien. Vater wird aber nicht böse auf mich sein,
wenn ich in dieser Weise an ihn denke. Alle Rauchwaren sind hier begehrt, aber
etwas verwerte ich nun für meinen Familienkreis. Alles kann man ja nicht hergeben. Wenn ich mir Deinen letzten Brief nochmals ansehe, dann kann ich
nur sagen, daß ich über die Apfelernte erfreut bin. Bis jetzt habe ich hier nur
einige Äpfel bekommen. Diese sind aber mit unsren daheim überhaupt nicht zu
vergleichen. Aber über alles ist man schließlich froh. Diese werden hier
stückweise bezahlt und kosten, wenn man sie aus guter Quelle erhält, etwa 10
Pfennig. Obst bekommen wir ab und zu im Kasino als Kompott, das ist dann immer
etwas Gutes. Nur die Melonen sind billig. Das Stück kostet etwa 20 Pfennig, wo
wir sie herbekommen. Ich kann mir nur nicht viel davon ab ? , sie schmecken
weder wie Gurken und sind auch keine Kürbisse. Vor allem fehlt uns der Zucker
dazu, der die Melone schmackhaft macht. Da war es in Frankreich im letzten Jahr
um diese Zeit doch noch besser. Da bekam man noch Südfrüchte und anderes Obst
in ausreichendem Maße. Ich denke nur an die schönen Weintrauben. Das gibt es
hier alles nicht. Post erhielt ich
heute noch keine von Dir. Ich will aber
nicht ungenügsam werden. Gestern erhielt ich ja gleich zwei Briefe von Dir ohne
die anderen. Ich sende Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und bin
mit vielen Küssen Dein Ernst.
Mein
lieber, lieber Schatz !
10.10.42
Mit
dem Umzug wird es nun vor Montag nichts. Ich kann also heute ungehindert
schreiben. Es ergaben sich eben allerhand Schwierigkeiten, die mit in Kauf
genommen werden müssen. Die Räume, in die wir einziehen sollen, sind noch nicht
fertiggestellt. Auch am Montag sind sie nicht viel weiter. Es überstürzt sich
so vieles, so daß es da schon allerhand Überschneidungen gibt. Man nimmt sowas
schon mit einem gewissen Gleichmut hin. Manchmal muß ich mich über mich selbst
wundern, wie ich mich in vieles hineingefunden habe, ohne noch viel gegen
solche Sachen zu meckern. Das sind die Einwirkungen des Kommis. Post hat es gestern keine gegeben. Ich will
sehen, ob ich heute welche bekomme. Mein Schreiben habe ich unterbrechen
müssen. Ich hatte inzwischen verschiedene Sachen zu erledigen. Bis ich damit
fertig war, traf nun Dein lieber Brief vom 29./30.9. ein. Recht herzlichen Dank
dafür. Ich muß Dir schon sagen, daß ich mich immer freue, wenn ich von Dir
erfahre, daß Dich wieder eines meiner Päckchen erreicht hat. Gerade die letzte
Flasche mit Butter hatte ziemlich mehr Gewicht und dann hat man etwas Bedenken,
ob auch alles ankommt. Ich denke, daß es Dir auch eine Beruhigung ist zu
wissen, einen kleinen Vorrat zu haben. Die Frischbutter kommt hoffentlich auch
gut an. Ich habe wahrscheinlich Aussicht, weitere 2 kg Butter zu erhalten. Das
wäre ja sehr schön, denn das macht ja schon Eure Monatsration aus. Ich weiß
zwar nicht genau, was Ihr erhaltet, aber viel mehr wird es nicht sein. Man kommt aus diesen Kartensachen ganz und
gar heraus. Wie gesagt, hoffentlich kommt alles gut an und könnt Ihr alles bei
guter Gesundheit verzehren. Ich weiß nur, daß die Kameraden alle sehr scharf
auf solche Sachen sind und man muß immer zusehen, daß man das möglichst wenig
Aufsehen erregend wegtun kann. Ich habe hier mir immer einen Kameraden etwas
warm gehalten, denn sonst würde ich das hier in der Stadt auch nicht so ohne
weiteres erhalten. Die Preise bewegen sich in normalen Grenzen, denn für
Wucherpreise bin ich auch nicht zu haben.
Heute war ich über Mittag ein Stück noch durch den Park gelaufen. Man
sieht, wie es auch da sehr herbstlich wird. Einzelne Bäume stehen schon
teilweise kahl da und die anderen haben verfärbte Blätter. Das Laub liegt auf
der Erde und die Luft ist doch noch sehr warm. Man erinnert sich dann des
Herbstes daheim. Wie schön ist jetzt der Wald. Das braune Buchenlaub fällt so
langsam und bei diesem Wetter, wie es hier ist, würde der Wald die wohlige
Wärme der schönen Herbsttage ausströmen. Wie schön wäre das, wenn man einmal
wieder über den Bodanrück streifen könnte.
Wie sind wir manchmal mit dem Rad losgefahren. Was haben wir für eine
Freude gehabt, als wir uns einige Äpfel erbeutet hatten. Vor allem fällt mir
die eine Fahrt ein, wo wir über Liggeringen nach Bodman die Schlucht
durchfahren haben. Wir hatten uns unseren Rucksack voller Äpfel gestopft und
hinter uns kam dann so eine Art Aufseher. Wie wir uns dann als ganz harmlose
Radfahrer wieder aufgesetzt haben und weitergefahren sind. Dann der
anschließend schöne Abend auf der Überlinger Seite. Man darf sich seinen
Gedanken nicht so sehr hingeben. Gleichzeitig gedenke ich aber auch des schönen
Herbsttages, den wir im vergangenen Jahr auf dem Haldenhof erlebt hatten. Was
war das für eine Wärme, als wir dort an der Gletschermühle waren. Das sind alles
die schönen Erinnerungen und ich möchte sie nicht missen. Zum Besuch von Filmen bin ich schon lange
nicht mehr gekommen. Unser Kino, was bei uns eingerichtet ist, ist durch
verschiedene Mißverständnisse nicht mehr in letzter Zeit zum Spielen gekommen.
Meine einzige Kulturverbindung ist bis jetzt das Theater gewesen. Morgen habe
ich auch die Absicht, wieder hinzugehen. Morgen ist eine Tanzvorführung. Sie
nennt sich „Schwanensee“. Das Programm lasse ich Dir wieder mit zugehen. Ich denke, daß Du die Schuhe für Helga schon
bekommen mußt. Wir haben bis jetzt noch nichts in dieser Beziehung verlangt.
Mach Deinen Antrag nur mit dem nötigen Nachdruck. Es kommt ja nicht darauf an,
daß Du das eine Paar von Helga angibst. Daß das alles einmal ein Ende hat, ist
ja schade. Wenn ich noch in Frankreich wäre, hätte ich wieder ein Pass besorgt,
aber das ist nun leider nicht mehr möglich.
Herzliche Grüße und recht viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein
Ernst.
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