Samstag, 7. Oktober 2017

Brief 328 vom 1./2.10.1942


Mein liebster Schatz !                                                               1.10.42         
Reiche Posternte hatte ich gestern. Dein Brief vom 22. und Dein Luftpostbrief vom 26. kamen an. Dann erhielt ich ein Schreiben des Hugo Michel. Ein weiterer Brief kam noch von dem Kameraden Drechsler aus Kaschin und der Inspektor der FAK schrieb mir auch.
Doch erst einmal zu Deinen Briefen. Die Verhältnisse bei uns im Haus und in der Nachbarschaft sind ja erhebend. Daß die Luftschutzübung unter diesen Umständen mit solchen Begleiterscheinungen verlaufen, ist dann nur verständlich. Dein Vater hat ja entsprechend reingefunkt. Das ist ja so ein Geschäft für ihn, sich solchen Menschen gegenüber durchzusetzen. Ich hoffe, daß dir diese Leute darum keine Schwierigkeiten machen. Dein Vater fährt weg und ich bin nicht daheim. Lasse Dir aber nichts gefallen, wenn man versuchen wollte, Dir etwas in den Weg zu legen. Nach Kriegsende werden wir dort herausziehen. Nicht allein wegen den Leuten, sondern weil auch die Räume zu klein geworden sind. Eins beruhigt auch mich, daß Du mit den anderen drei Parteien im Haus soweit gut auskommst.  Mit Helgas Geschwulst hat es nun ein komisches Ende gefunden. Ich kann mir vorstellen, daß Dir das am Anfang beängstigend vorkam. Froh bin ich jedenfalls, daß es jetzt vorbei ist und daß nichts davon zurückbleibt. Daß ich den Geburtstagsbrief an Vater in die Wollmatingerstraße geschickt habe, wußte ich ja nicht, als ich mich wunderte über Dein Schreiben, daß Du meinen Brief an Vater überbracht hast. Da sieht man wieder einmal, wie man das Adresseschreiben gewohnt wird. Wenn ich Rosche schreibe, so ist das unlösbar damit verbunden, daß ich dies in die Wollmatingerstraße schicke. Durch Deine Antwort hat sich das ja nun geklärt und ich bin wieder beruhigt und weiß, daß nicht Du sondern ich den Fall gemacht habe.  Wie ich aus Deinem Brief entnehme, ist Jörg am Schwimmenlernen nicht so interessiert, wie es mir immer vorkam. Daß auch er sich daransetzt oder besser gesagt hineinlegt, freut mich ebenso, wie wenn ich von dem Fortschritt der Schwimmkünste unserer Wasserratte lese. Was die Zeitungssendungen anbelangt, so habe ich wieder eine Abbestellung vor. DAS REICH bekommen wir hier auf der Dienststelle. Es ist schade, wenn man die Sachen zweimal hier hat. Ich kann es doch nur einmal lesen. Die übrigen Zeitungen nehme ich aber weiterhin sehr gern in Empfang.  Eines hat mich auch noch gefreut, als ich las, daß die Tage mit Deinem Vater friedlich verlaufen sind. Ich hatte erst angenommen, daß es vielleicht zu kleinen Meinungsunterschieden kommen würde. Besser ist es allerdings, wenn dies  nicht eingetreten ist. Daß Dein Vater noch sehr beweglich ist, habe ich bei meinem Besuch in Leipzig festgestellt. Aber etwas ist auch nicht zu verkennen, daß
unser Schreiben und und unsere Stellungnahme, dies etwas abgebremst haben. Hätten wir das nicht getan, wäre er mit allen Segeln in die neue Ehe hineingebraust. Die Frau hat nun auch gemerkt, daß wir uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Ich habe dies alles für sehr gut gehalten, weil doch durch unser Verhalten ein bestimmter Einfluß auf die Entwicklung sich nicht verkennen läßt. Wir haben ihm ja auch grundsätzlich nicht in den Weg legen wollen, nur der Zeitpunkt war für unsere Begriffe etwas verfrüht. Wir lassen ihm seinen Willen, denn wir haben ja nicht die Macht, ihn von seinem Schritt fernzuhalten. Das geht ja aus unseren Schreiben auch immer wieder hervor. Daß wir weder auf den Tod des einen wie des anderen warten, das ist doch für alle ziemlich klar. Wie er sein Testament abschließt, kann uns im allgemeinen gleich sein, denn wir haben das,  was Du haben willst. Das andere müssen wir nicht haben. Wir werden ihm aber auch da nichts in den Weg legen.  Heute möchte ich schließen, denn ich habe heute wieder mehr zu tun. Ich grüße Dich vielmals und sende Dir viele Küsse und bin immer Dein Ernst.


Meine liebe Annie !                                                          2.10.42          
Post erhielt ich heute keine. Ich will darum noch zu den restlichen Dingen in Deinen letzten Briefen Stellung nehmen.  Daß Dein Vater noch sehr regsam ist, zeigt sich ja auch darin, daß er keine Ruhe hat, wenn er einmal an einem Regentag sich ruhig hinsetzen sollte. Er hat Dir, wie ich sehe, an verschiedenen Orten geholfen, wo es einigermaßen ging. Da Holz, was sich so herumtrieb, hat er auch zerkleinert. Nun brauchst Du das nicht zu machen. Ihr Frauen empfindet das vielleicht besser als wir Männer, aber Du kannst schon recht haben, daß es besser für Deinen Vater ist, wenn er bald heiratet. Denn es kann schon sein, daß unter den Umständen, wie das Verhältnis nun einmal daheim ist, es nicht lange gut geht. Anscheinend liegt es auch an Siegfried, daß er das nicht merkt, wenn Dein Vater so als abseitsstehend betrachtet wird. Ich würde mich wohl auch kränken, wenn verschiedene Sachen gekocht werden für die verschiedenen Personen. Daß Erna für Siegfried das macht, sehe ich wohl ein. Darum ist es schon besser, daß sie auseinanderziehen. Die Gegensätze haben sich schon so stark herausgeprägt. Lassen wir den Dingen ihren Lauf. Die Brüderschaft der beiden Väter hat sich nun aus dem Anlaß des Besuches sich ergeben. Ich kann mir vorstellen, daß das für den, der vorher die Einstellung zueinander gekannt hat, sehr belustigend. Das hätte ich gern auch gesehen, wie die Zwei im Omnibus gefahren sind. Mein Vater will nicht in Erscheinung treten und Dein Vater redet unbekümmert drauflos. Daß mein Vater da wie auf Kohlen gesessen hat, das kann ich mir gut vorstellen. Die Heimfahrt hat Dein Vater mit dem Schiff angetreten. Das war sicher noch ganz schön.
Ich würde auch gern wieder einmal über den See fahren. Aber jetzt geht es doch bald dem Winter zu. Ich bin über den abschließenden Bericht über den Besuch Deines Vaters soweit zufrieden, weil ich sehe, daß Dir dadurch kein Ärger entstanden ist und daß er selbst auch mit allem zufrieden war. Daß Du ihm das zu essen gegeben hast, was Du gehabt hast, hat er sicherlich auch gemerkt. Für ihn werden es auch Tage der Erholung gewesen sein.  Eine Hälfte der Dir zustehenden Kartoffeln hast Du im Keller. Das ist mir eine Beruhigung. Die Kohlen hast Du wohl alle da. Dann ist die Hauptsache für den Winter daheim. Das macht einem immer Sorge, die erst dann behoben wird, wenn man weiß, daß alles geregelt ist.  Was unsere Helga anbelangt, so hast du nun mit dem Arzt gesprochen. Er ist auch der Ansicht, daß siech die ganze Geschichte damit erledigt hat. Was ich sonst über Helga gedacht habe, schrieb ich Dir kürzlich in einem anderen Brief. Es wäre nicht gut, wenn sie in der Entwicklung Störungen erfahren würde. Ich denke da auch wieder an mich. Man hat das bei mir seinerzeit auch übersehen. Daß ich dadurch rachitisch geworden bin, war eine Folge davon. Sprich nochmals mit dem Arzt darüber und mit der Krankenkasse. DAß Du es an nichts fehlen läßt, das weiß ich genau, doch vielleicht würde ein solcher Aufenthalt ihr über diese Klippe hinweghelfen. Was nun die andere Frage anbelangt, ob Helga sich die Haare schneiden lassen darf, so muß ich schon sagen, daß ich, wenn ich heute mich ablehnend verhalte, daß ich später, oder besser gesagt im Laufe der Zeit, nachgeben muß, weil Ihr einem keine Ruhe laßt. Vielleicht ist der Zeitpunkt noch etwas verfrüht. Wenn sie sich die Haare schneiden läßt, dann müssen sie auch gepflegt werden Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, wenn sie sich zu einem späteren Zeitpunkt schneiden läßt. Wenn sie aber andere gewichtige Gründe hat, so mußt Du sie mir noch mitteilen. Lediglich, daß sie ein Äffchen sein will, das ist doch nicht ausschlaggebend.  Herzlich grüße ich Dich und die Kinder und sende Dir viele, viele Küsse. Dein Ernst.

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