Mein
liebes, gutes Mädel !
13.10.42
Nun
sind wir wieder einmal umgezogen. Der Start erfolgte nicht erst am Montag
sonder wir haben uns bereits am Sonntag ins Zeug gelegt und haben es zum großen
Teil geschafft. Es ist keine Kleinigkeit, wenn man so mit allem Drum und Dran
abrückt. Wir haben einen eigenen LKW, auf den wir alle verladen hatten. Das hat
zwar allerhand Wege gekostet, vor allem wenn man einziehen muß und es ist noch
nichts fertig. Wie es bei uns der Fall ist.
Ich rege mich über diese Dinge nicht mehr weiter auf, aber die anderen
waren alle aus dem Häuschen und sind es heute noch. Mir macht das so gut wie
nichts mehr aus. Ich denke nur an unseren Umzug von Mirgorod nach Kschen. Das
war doch noch ein größerer Unterschied. Hier ist es so, daß zwanzig Mann zu
befehlen haben und keiner übernimmt die Verantwortung für etwas. Wie ich Dir
schon mitteilte, sind wir im Rathaus untergekommen. Dort wohnen wir im 5.Stock.
Höher geht es nicht mehr, kann man da sagen. Wenn auch in allernächster Nähe
der Ausblick nicht besonders schön ist, so ist der Überblick als ganz schön zu
bezeichnen. Er erinnert mich in mancher Beziehung an zuhause. Nur mit dem
Unterschied, daß hier eine ausgedehnte Stadt vor einem liegt, was bei uns nicht
der Fall ist. Ein großer Teil der Stadt liegt auf einem Höhenrücken. Die Stadt
streckt sich dann weiter durch ein Tal und geht wieder auf den
gegenüberliegenden Höhenrücken. Wenn man sich verschiedenes wegdenkt, kann man
meinen, man sei zuhause. Vor allem sind es einige Dinge, die einem die
Erinnerung daran wach halten lassen. Das ist an sich der gegenüberliegende
Höhenrücken, denn bei entsprechender Beleuchtung sieht man das Leuchten der
verfärbten Blätter des Waldes. Abends aber ist es die Sonne, die hinter diesem
Berge zur Neige geht. Die verschiedenen Kirchtürme wirken zum Teil etwas
fremdländisch, aber sie geben dem Stadtbild etwas Leben und ein besonderes
Gepräge. Bauten, die in der Neuzeit geschaffen wurden, haben wohl etwas
Modernes an sich, aber vieles ist zerstört und zeugen vom Krieg und den
Kämpfen. Die Unterkunft als solche
teile ich noch mit einem Sonderführer, der wenig davon erbaut ist, ein Zimmer
mit noch einem anderen teilen zu müssen. Ich bin in diesen Dingen nicht so
kleinlich. Die Räume sind für uns alle sehr groß, so daß wir für die Zeit, wenn
es kalt wird, allerhand Bedenken haben. Eine Dampfheizung ist wohl vorhanden,
die ist aber von dem Elektrizitätswerk abhängig, weil es eine Fernheizung ist.
Der Strom geht aber nicht immer, so daß wir auch mit der Wärme nicht ganz
zurecht kommen werden. Vorsichtshalber sind schon kleine Kanonenofen eingebaut
worden. Auf das müssen wir uns am meisten einstellen. Die Beleuchtung klappt
auch noch nicht. Wasser haben wir auch noch keines. Man sieht an allem, daß
noch alles im Bau begriffen ist und wir zu zeitig gekommen sind. An Schreiben
ist abends nicht zu denken. Im Büro ist es das gleiche. Die Räume sind noch
nicht sauber und im ganzen Haus wird noch gebaut, gestrichen, Leitungen
gezogen, Lampen montiert und alles steht noch herum und macht einen unfertigen
Eindruck. Im Büro ist es gleich kalt wie in der Wohnung. Das ist alles andere, nur nicht gemütlich.
Im Kasino kann man sich noch etwas aufwärmen. Das ist noch der einzige
Aufenthaltsort, an dem man nicht gerade mit
? braucht. Wenn erst einmal
alles in seinem Gleis ist, dann wird es auch gehen, aber es ist anzunehmen, daß
das noch einige Tage dauern wird. Es ist immer dasselbe, man muß sich erst
einrichten und wenn der Apparat angelaufen ist, dann findet man wieder alles in
Ordnung. Da kann man erst sehen, was der Mensch die Gewohnheit nötig hat. Ich
selbst habe mich, wie schon öfter habe feststellen müssen, vielmals in andere
Verhältnisse gewöhnen müssen. Ich denke, daß mir das auch hier wieder gelingen
wird. Die anderen maulen zwar immer, es wird ihnen aber nicht viel helfen. Ich grüße Dich vielmals und sende Dir und
den Kindern recht viele Küsse. Dein Ernst.
Mein
herzlieber Schatz !
14.10.42 211
In
unseren Umzugstagen haben wir ordentlich Betrieb gehabt. Für uns selbst wird es
hoffentlich bald soweit sein, daß wir unseren alltäglichen Betrieb haben. Durch
solche Änderungen kommt man ganz aus dem Geleise. Unseren Behelfsofen haben wir
heute angezündet, weil es zu kalt zum längeren Sitzen ist. Ich habe Dir früher
einmal geschrieben, daß wir beim Backen von Puffern bei meiner letzten Einheit
so eine schöne Räucherbude hatten. Dieses Ofenanzünden erinnerte mich sehr stark an dieses
Intermezzo. Im Büro hatten wir gestern Abend kein Licht. Mit noch anderen
Kameraden hatte ich die Gelegenheit wahrgenommen und bin mit ihnen ins Kino
gegangen. Seit längerer Zeit wieder zum ersten Mal. Ich kannte den Film schon,
denn ich sah ihn in Frankreich zweimal, aber es hat mir trotzdem gefallen. Er
wurde schon von langen Jahren in Deutschland gespielt und heißt „Kora Terry“.
Dann habe ich auch die Wochenschau gesehen in der von dem Landungsversuch in
Tobruck die Rede war. Ich hoffe, in nächster Zeit ab und zu einmal hingehen zu
können, denn das Kino ist nicht weit von uns.
Es hat mir sehr gut gefallen, vor allem, wenn man einige Wochen nichts
gesehen hat. Im Anschluß an das Kino sind wir zum Essen gegangen. Als wir aber
nach hause kamen, da war es aus mit dem Licht. Wo jetzt alles erst eingerichtet
wird, da muß man mit Pannen immer rechnen. Es ist reichlich unangenehm, wenn
man im dunklen fünf Stockwerke hinauftappen muß und dann ist im Zimmer auch
alles dunkel. Heute früh erhielt ich
nun Deinen Brief vom 4.10 ausgehändigt, für den ich Dir recht herzlich danke.
Wie ich lese, hast Du Dich über die Schuhe der Kinder wieder einmal hergemacht.
Ich weiß, daß sie allerhand Zeug zusammenreißen. Ich bedauere nur, daß ich
nichts mehr für sie kaufen kann. Das wäre doch immerhin eine Erleichterung für
Dich, wenn ich diese Sachen gleich kaufen könnte. Daß Du durch die Besuche und die Gartenarbeiten die ganze
Schusterei aufschieben mußtest, das kann ich mir denken, denn da ist ja viel
von Deiner Zeit darauf gegangen. Aber
ich bin froh, daß Du durch die Besuche einige Ablenkung hattest. Ich denke, daß
sie Dich auch aus dem täglichen Einerlei herausgehoben haben, das ist für mich
immerhin eine Beruhigung gewesen, denn Du hast damit eine Kleine Abwechslung
gehabt, die Dir nichts schaden konnte. Vor allem, wenn ich noch lesen konnte,
daß der Besuch Deines Vaters nicht ganz so aufregend verlief, wie wir alle
anfänglich dachten. Von Deinem Vater
erhielt ich gestern einen Brief, den Du in Durchschrift ja auch erhalten hast. Auch aus diesem, sowie aus dem Schreiben an
Dich, das er mir im Durchschlag zugehen ließ, muß ich entnehmen, daß es ihm
eine Freude und eine Erholung war, als er zu Besuch bei Dir weilte. Mit Freude habe ich auch davon Kenntnis
genommen, daß Helga in der Schule bei ihrer Lehrerin das Vertrauen genießt, daß
sie ihr in der unteren Klasse mithelfen darf. Ich denke, daß es sie auch mit
besonderem Stolz erfüllt. Daß es Helga gefällt, da mit behilflich zu sein, das
kann ich mit gut denken. Ich glaube
auch, daß ihr das dann bei der neuen Lehrerin mehr Spaß macht, wenn sie auf
diese Weise ausgezeichnet wird. Ich kann darum auch ihre Bitten verstehen, wenn
sie gern dort mitmachen will. Ich kann nur eines sagen, daß die Lehrerin wohl
sagt, sie will erst Deine Genehmigung haben, ob Helga länger in der Schule bleiben
darf. Es ist aber so, es kann einem an diesem oder an jenem Ort etwas
passieren. Hoffen wollen wir aber, daß weder dort als auch zuhause etwas zustößt. Ich muß schon sagen, daß es auch
mich gewundert hat, daß Ihr am hellen Mittag Alarm hattet. Man sollte es kaum
glauben, aber es muß schon so sein. DAß daheim die Aussichten auf den Winter
allgemein anders beurteilt werden, ist auch für uns hier alle eine Beruhigung.
Man macht sich doch hier auch Sorge, wenn die Ernährung so knapp ist, daß es
gerade für die heranwachsenden Kinder fast zu wenig ist. Hoffen wir, daß die
angekündigte Besserung anhält und sich durchsetzt. Dir und den Kindern wünsche
ich heute Gesundheit und ich hoffe, auch einmal persönlich die Grüße und Küsse
übermitteln zu können. Bis dahin bin ich immer wieder Dein Ernst.
Durch die Umgruppierung haben wir eine neue Feldpostnummer
bekommen, die ich zu berichtigen bitte.
E P Nr. 37 700