Dienstag, 1. März 2016

Brief 107 vom 25./27.2.1941


Meine liebe Annie                                                                  Karlsruhe, den 25.2.1941   

Gestern bin ich um 2 Uhr hier eingetroffen.
Nachdem ich mein Gepäck aufgegeben hatte, ging ich zur Schule raus. Ich schneite so mitten in die Stunde herein und habe gleich mitgetan. Wie es mir scheint, ist der Unterricht etwas anders aufgezogen.  Ich werde mich aber erst einmal hinein fühlen und dann nach den gegebenen Unterlagen weiterarbeiten. Gegen 5 Uhr war ja dann die Führerrede, die wir gemeinschaftlich angehört haben.  Anschließend ging ich dann auf die Suche nach meinem Zimmer. Wie Du schon aus dem Absender ersiehst, habe ich ja eins gefunden. Es ist mir von der Hausmeistersfrau der Schule empfohlen worden. Wie ich dann gemerkt habe, ist diese Frau eine Verwandte. Die Leute waren etwas überrascht, als ich so spät vorsprach, doch bis ich mein Gepäck vom Bahnhof geholt hatte, war das Zimmer hergerichtet. Das Zimmer ist soweit sauber und es ist mir die Möglichkeit gegeben, das Wohnzimmer zu benutzen, wenn ich lernen will. An Miete habe ich 25,- zu bezahlen, wie es mit den Sonderleistungen steht, muß ich erst noch feststellen.  Ich bin gestern Abend zeitig zu Bett gegangen, und heute früh um 8 Uhr aufgestanden. Ich werde noch verschiedene Formalitäten erfüllen und mich noch wegen einer Eßgelegenheit umsehen. Doch darüber werde ich dir dann berichten in meinem Brief, den ich Dir zum Sonntag schreiben werde. Teile mir doch bitte noch die Adresse von Kurt mit, damit ich mich danach umsehen kann. Auf meiner Herfahrt erlebte ich noch eine Überraschung. In Hornberg stiegen die Eheleute Fritz ein, die ihren Urlaub in Straßburg mit einem anschließenden Abstecher zu ihren Verwandten im Schwarzwald beendet hatten und nun nach Lille wieder zurückkehrten. Denen habe ich gleich noch einen kurzen Gruß mitgegeben.  Ich werde aber anschließend gleich noch an Thomas und den Graser schreiben, damit die meine Adresse auch haben.  Hoffentlich kannst Du nun alles lesen. Ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben und noch manches ausgeschrieben, was ich sonst nicht mache.  Liebes Mädel, ich danke Dir bei dieser Gelegenheit nochmals für Deine liebe Aufnahme Daheim und auch für alles Liebe, was Du mir wieder während dieser kurzen Tage getan hast. Sage unsern zwei Stromern recht herzliche Grüße und gib jedem einen herzhaften Kuß. Du selbst sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Meine liebe Frau!                                                                      Karlsruhe den 27.2.41

Ob Dich dieser Brief erst am Sonntag erreicht oder schon eher, muß man abwarten, weil mein Wissen über die Postverbindung noch nicht im klaren ist. Vorgestern früh hatte ich mich angemeldet und mir auch meine Lebensmittelkarten beschafft. Ich habe bis zum 9. März sogenannte Urlaubskarten bekommen. Später erhalte ich also die normalen. Ich habe es so gehalten, das Frühstück zuhause einzunehmen, mittags esse ich in der Wirtschaft und abends habe ich auch bis jetzt Daheim gegessen. Wie sich das auf die Dauer in dieser Weise und mit den Marken durchführen läßt, wird sich ja mit der Zeit herausstellen. Im Übrigen sage ich mir, es geht auch hier nicht ewig. Für das Mittagessen muß man mit Getränk durchschnittlich RM 1,50 rechnen. Man muß schon sparsam leben, wenn man mit dem Betrag von RM 4,--täglich auskommen soll. Bis jetzt habe ich es so gehalten, daß ich früh gegen 8 Uhr aufgestanden bin. ½ 9 Uhr etwa wird gefrühstückt. Von 9 - 11 Uhr lese ich meine Sachen nochmals durch, oder ich erledige meine Post. Anschließend gehe ich dann in die Stadt zum Mittagessen. Von 2 - 7 Uhr ist dann Unterricht.  Damit ich dann noch etwas frische Luft schöpfe, laufe ich bei schönem Wetter nach hause. Wenn ich es gemütlich mache, bin ich gegen ½ 8 Uhr Daheim. Hier habe ich mir zum Abend, wie auch zum Frühstück, Tee bestellt. Dann habe ich immer noch etwas Zeit, um anschließend meine Sachen ein bißchen durchzugehen. So sehr streng gehe ich bis jetzt noch nicht dran, denn wie ich Dir gestern schon auf der Karte mitteilte, habe ich noch keinen großen Schneid zum Lernen. Ich hoffe aber, daß er, wenn die Sache ernster wird, schon von selbst kommt. Wie solide ich geworden bin, kannst Du daraus ersehen, daß ich mich immer gegen 10 Uhr schlafen lege. Ich schlafe dann auch gut bis gegen Morgen durch. Es ist nun schon wieder eine Woche her, seit ich bei Euch eintraf. Wenn die kommenden Wochen genau so schnell vergehen, soll es mir recht sein. Dieses Schulbanksitzen ist für einen erwachsenen Menschen nichts Angenehmes. Leider ist es aber so, daß man ohne diese Tierquälerei nicht vorwärts kommt. Ich werde die Zähne schon zusammenbeißen, wenn es mir hart ankommt.  An einem der kommenden Abende werde ich mir einen Film „Sieg im Westen“ ansehen, der hier z.Zt. läuft, damit man nicht ganz verbiestert. Was machen unsere zwei Stromer. Die sind ja auch schon über den Abschied hinweg. Jörg soll folgen und parieren. Es kommt mir immer etwas fade vor, wenn ich solche Meinungen im Brief schreibe, ich denke aber, daß sie insoweit einen Zweck haben, daß er merkt, daß ich seine Schwächen nicht vergessen habe. Helga beißt ja noch unentwegt ihre Fingernägel ab und hat, wie ich bei meinem letzten Besuch feststellen mußte, auch verschiedene Untugenden angenommen. Na, wir wissen selbst, daß wir auch einmal Kinder waren und auch nicht alle Tage brav sein konnten, drum sieht man auch über diese Schwächen hinweg, soweit sich dies vertreten läßt.  An Deine Eltern werde ich dieser Tage noch eine Karte schicken, daß ich hier bin. Außer an Nannie und Kurt brauche ich ja keine Mitteilung schicken. Sei Du recht herzliche gegrüßt und geküßt und gib unseren Stromern wieder einen herzhaften Kuß und lasse bald von Dir hören. Bis zu meinem nächsten Brief grüßt Dich nochmals herzlich Dein Ernst.
An Vater ebenfalls herzliche Grüße und sage ihm, daß ich seine Marmelade jetzt zu meinem Frühstück verwende. Ich erwarte ja noch die Päckchen, die Du mir nach Lille gesandt hast, so daß ich dann vorerst etwas anderes zu essen hätte.

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