Meine liebe Annie Karlsruhe, den 25.2.1941
Gestern bin ich um 2 Uhr hier eingetroffen.
Nachdem ich mein Gepäck aufgegeben hatte, ging ich zur
Schule raus. Ich schneite so mitten in die Stunde herein und habe gleich
mitgetan. Wie es mir scheint, ist der Unterricht etwas anders aufgezogen. Ich werde mich aber erst einmal hinein
fühlen und dann nach den gegebenen Unterlagen weiterarbeiten. Gegen 5 Uhr war
ja dann die Führerrede, die wir gemeinschaftlich angehört haben. Anschließend ging ich dann auf die Suche
nach meinem Zimmer. Wie Du schon aus dem Absender ersiehst, habe ich ja eins
gefunden. Es ist mir von der Hausmeistersfrau der Schule empfohlen worden. Wie
ich dann gemerkt habe, ist diese Frau eine Verwandte. Die Leute waren etwas
überrascht, als ich so spät vorsprach, doch bis ich mein Gepäck vom Bahnhof
geholt hatte, war das Zimmer hergerichtet. Das Zimmer ist soweit sauber und es
ist mir die Möglichkeit gegeben, das Wohnzimmer zu benutzen, wenn ich lernen
will. An Miete habe ich 25,- zu bezahlen, wie es mit den Sonderleistungen
steht, muß ich erst noch feststellen.
Ich bin gestern Abend zeitig zu Bett gegangen, und heute früh um 8 Uhr
aufgestanden. Ich werde noch verschiedene Formalitäten erfüllen und mich noch
wegen einer Eßgelegenheit umsehen. Doch darüber werde ich dir dann berichten in
meinem Brief, den ich Dir zum Sonntag schreiben werde. Teile mir doch bitte
noch die Adresse von Kurt mit, damit ich mich danach umsehen kann. Auf meiner
Herfahrt erlebte ich noch eine Überraschung. In Hornberg stiegen die Eheleute
Fritz ein, die ihren Urlaub in Straßburg mit einem anschließenden Abstecher zu
ihren Verwandten im Schwarzwald beendet hatten und nun nach Lille wieder
zurückkehrten. Denen habe ich gleich noch einen kurzen Gruß mitgegeben. Ich werde aber anschließend gleich noch an
Thomas und den Graser schreiben, damit die meine Adresse auch haben. Hoffentlich kannst Du nun alles lesen. Ich
habe mir jedenfalls Mühe gegeben und noch manches ausgeschrieben, was ich sonst
nicht mache. Liebes Mädel, ich danke
Dir bei dieser Gelegenheit nochmals für Deine liebe Aufnahme Daheim und auch
für alles Liebe, was Du mir wieder während dieser kurzen Tage getan hast. Sage
unsern zwei Stromern recht herzliche Grüße und gib jedem einen herzhaften Kuß.
Du selbst sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Meine liebe Frau! Karlsruhe den 27.2.41
Ob Dich dieser Brief
erst am Sonntag erreicht oder schon eher, muß man abwarten, weil mein Wissen
über die Postverbindung noch nicht im klaren ist. Vorgestern früh hatte ich
mich angemeldet und mir auch meine Lebensmittelkarten beschafft. Ich habe bis
zum 9. März sogenannte Urlaubskarten bekommen. Später erhalte ich also die
normalen. Ich habe es so gehalten, das Frühstück zuhause einzunehmen, mittags
esse ich in der Wirtschaft und abends habe ich auch bis jetzt Daheim gegessen.
Wie sich das auf die Dauer in dieser Weise und mit den Marken durchführen läßt,
wird sich ja mit der Zeit herausstellen. Im Übrigen sage ich mir, es geht auch
hier nicht ewig. Für das Mittagessen muß man mit Getränk durchschnittlich RM
1,50 rechnen. Man muß schon sparsam leben, wenn man mit dem Betrag von RM
4,--täglich auskommen soll. Bis jetzt habe ich es so gehalten, daß ich früh
gegen 8 Uhr aufgestanden bin. ½ 9 Uhr etwa wird gefrühstückt. Von 9 - 11 Uhr
lese ich meine Sachen nochmals durch, oder ich erledige meine Post.
Anschließend gehe ich dann in die Stadt zum Mittagessen. Von 2 - 7 Uhr ist dann
Unterricht. Damit ich dann noch etwas
frische Luft schöpfe, laufe ich bei schönem Wetter nach hause. Wenn ich es
gemütlich mache, bin ich gegen ½ 8 Uhr Daheim. Hier habe ich mir zum Abend, wie
auch zum Frühstück, Tee bestellt. Dann habe ich immer noch etwas Zeit, um
anschließend meine Sachen ein bißchen durchzugehen. So sehr streng gehe ich bis
jetzt noch nicht dran, denn wie ich Dir gestern schon auf der Karte mitteilte,
habe ich noch keinen großen Schneid zum Lernen. Ich hoffe aber, daß er, wenn
die Sache ernster wird, schon von selbst kommt. Wie solide ich geworden bin,
kannst Du daraus ersehen, daß ich mich immer gegen 10 Uhr schlafen lege. Ich
schlafe dann auch gut bis gegen Morgen durch. Es ist nun schon wieder eine
Woche her, seit ich bei Euch eintraf. Wenn die kommenden Wochen genau so schnell
vergehen, soll es mir recht sein. Dieses Schulbanksitzen ist für einen
erwachsenen Menschen nichts Angenehmes. Leider ist es aber so, daß man ohne
diese Tierquälerei nicht vorwärts kommt. Ich werde die Zähne schon
zusammenbeißen, wenn es mir hart ankommt.
An einem der kommenden Abende werde ich mir einen Film „Sieg im Westen“
ansehen, der hier z.Zt. läuft, damit man nicht ganz verbiestert. Was machen
unsere zwei Stromer. Die sind ja auch schon über den Abschied hinweg. Jörg soll
folgen und parieren. Es kommt mir immer etwas fade vor, wenn ich solche
Meinungen im Brief schreibe, ich denke aber, daß sie insoweit einen Zweck
haben, daß er merkt, daß ich seine Schwächen nicht vergessen habe. Helga beißt
ja noch unentwegt ihre Fingernägel ab und hat, wie ich bei meinem letzten
Besuch feststellen mußte, auch verschiedene Untugenden angenommen. Na, wir
wissen selbst, daß wir auch einmal Kinder waren und auch nicht alle Tage brav
sein konnten, drum sieht man auch über diese Schwächen hinweg, soweit sich dies
vertreten läßt. An Deine Eltern werde
ich dieser Tage noch eine Karte schicken, daß ich hier bin. Außer an Nannie und
Kurt brauche ich ja keine Mitteilung schicken. Sei Du recht herzliche gegrüßt
und geküßt und gib unseren Stromern wieder einen herzhaften Kuß und lasse bald
von Dir hören. Bis zu meinem nächsten Brief grüßt Dich nochmals herzlich Dein Ernst.
An Vater ebenfalls herzliche Grüße und sage ihm, daß ich
seine Marmelade jetzt zu meinem Frühstück verwende. Ich erwarte ja noch die
Päckchen, die Du mir nach Lille gesandt hast, so daß ich dann vorerst etwas
anderes zu essen hätte.
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