Mittwoch, 9. März 2016

Brief 110 vom 9.3.1941


Mein liebes Mädel,                                                           Karlsruhe, den 9. März 1941              

Dein liebes Päckchen mit dem Brief vom 5.3. habe ich gestern erhalten. Weiterhin war Dein lieber Brief vom 7.3. auch schon Da, so daß ich reichlich Lektüre vorfand. Ich habe mich über alles recht herzlich gefreut. Den Kuchen habe ich heute früh angeschnitten und die Wurst habe ich heute Abend probiert. Es schmeckt alles ausgezeichnet. Außer Brot habe ich mir bis jetzt nur ¼ Butter kaufen müssen. Für die übrige Verpflegung, abgesehen vom Mittagessen, hast Du bis jetzt gesorgt.
Am Freitag hatte ich mir so während es Unterrichts überlegt, daß ich vielleicht am Sonntag zu Euch fahren könnte und war schon fest entschlossen, am Samstagmittag wegzufahren. Ich habe es mir aber nun so überlegt, daß ich am nächsten Samstag heimkommen will, weil es da aus verschiedenen Gründen praktischer ist. Da werde ich meine Wäsche mitbringen und ich kann dann auch gleich das Geld mitnehmen, weil ja dann gerade Zahltag ist. Ich würde dann am Montag früh, wie am letzten Mal, wieder abfahren. Wenn wir dann nächsten Monat Ferien bekommen sollten, so wäre die Zeitspanne nicht so groß. Ich hoffe, daß Du mit meinem Vorschlag einverstanden bist. Mit welchem Zug ich ankomme, weiß ich noch nicht bestimmt, das kommt darauf an, wie ich hier wegkomme. Bis ich dann nach hause komme, sind dann auch schon wieder vier Wochen von dem Kurs herum.
Gestern Abend habe ich nach dem Abendbrot erst in Ruhe meine Post gelesen, später wurde ich dann von der Frau aufgefordert, mit „Mensch ärgere Dich nicht“ zu spielen. Daran siehst Du, daß ich nicht mehr viel geschafft habe. Nachdem es gestern Abend geregnet hatte, schien heute morgen, wie gestern auch, die Sonne. Doch heute ist es schon den ganzen Tag schön geblieben. Es war direkt ein wunderbarer Frühlingstag. Nach dem Frühstück habe ich noch ein klein wenig gearbeitet, dann bin ich durch den sogenannten Hardtwald bis zum Schloß gelaufen, von dort ist es dann nicht mehr weit bis zu der Wirtschaft, wo ich Mittag zu essen pflege.  Bekanntlich gab es heute Eintopf, der wirklich sehr mager ausfiel.  Zu dieser Zeit wurden im ganzen Reich Sonntage zu sogenannten Eintopfsonntagen erklärt  Ich habe mich schließlich damit begnügt und habe mich auf den Weg gemacht nach Durlach. Das gehört mit zu Karlsruhe, ist aber doch etwa 6 km vom Stadtzentrum entfernt. Das war bei dem schönen Wetter ein ganz netter Spaziergang. Dort bin ich auf den Turmberg gegangen. Weil ja Karlsruhe im flachen Gelände liegt, hat man von dieser Höhe einen ganz schönen Überblick über die ganze Gegend. Bei dem Wetter hat man dann die Berge von der Pfalz und des Elsaß sehen können. Es war dann aber so viel Betrieb, daß ich mich bald verzogen habe. Ich habe dann den Heimweg angetreten. Als ich wieder an der Straßenbahn war, bin ich dann für 10Pfennig nach hause gefahren. Da habe ich mich nach dem kargen Mittagessen an Deinem Kuchen gestärkt.  Ich habe dann noch etwa eine Stunde gelernt. Gegen ½ 6 Uhr bin ich dann ins Kino gegangen. Es hat mir dann gereicht zu meiner normalen Zeit Abendbrot zu essen. Jetzt zum Feierabend kann ich mich nun noch Dir widmen.
Nun will ich noch auf Deine beiden Briefe eingehen soweit es nötig ist. Die Briefmarken für mich brauchst Du nicht besorgen, denn wie mir die Eltern mitteilten, wollen sie für mich welche an Dich absenden. Es würde sich nur darum drehen, daß für Kurt noch welche besorgt werden. Ich glaube, daß dies aber auch noch die kommende Woche genügen wird. Ich halte es nicht für angebracht, daß Du deswegen noch Geld von der Sparkasse abhebst. Die Sache mit der Bescheinigung hat sich ja erledigt.
Ich kann mir denken, daß Dir die Beantwortung der Fragen der Kinder wegen des Weihnachtsmanns usw. etwas unangenehm war, es ist aber nun einmal so, daß man sie darüber unterrichten muß. Ich kann mir gut denken, daß Helgas Kinderglaube dadurch erschüttert worden ist, doch es ist ja so im Leben, daß man auch gewisse Härten, die einmal auftreten, überwinden muß. Wenn es noch notwendig sein sollte, werde ich bei meinem Urlaub nochmals mit ihr reden.
Meine Vermieterin ist eine alte Witwe, bei der noch eine verheiratete Tochter wohnt. Der Schwiegersohn ist seit einigen Monaten wieder hier und arbeitet. Vorher war er beim Militär. Sonst wohnen noch andere Untermieter hier, und zwar ein Ehepaar, der Mann ist beim Militär. Soviel ich weiß, ist er in Tübingen und kommt jeden Sonntag nach hause.
Die Kohlenangelegenheit ist genehmigt. Es ist schon recht so, wie Du es gemacht hast. Da kann ich mir denken, daß auf der Bezugsscheinstelle die Antragstellung nicht leicht gemacht wird.
Wenn Jörg so fleißig ist, gehört ihm ja auch ein besonderes Lob. Das gefällt mir auch, wenn sie Dir mit ihrem Ausziehen und schnellen Fertigmachen eine Freude gemacht haben. Das ist ja interessant, jetzt kennt Dich auf einmal Paula wieder. Das sieht ihr ja ähnlich, wenn sie etwas braucht oder besser gesagt, etwas wissen will. Hat sie nicht hochnäsig getan. 
Morgen werde ich wieder Lebensmittelkarten für mich holen, Damit sie nicht verfallen. Von den Urlaubermarken hab ich noch ziemlich viel übrig. Was ich nicht verbrauchen kann, werde ich dann bei meiner Ausreise Dir überlassen.
Mit dem Brief an Nannie bin ich im großen ganzen einverstanden. Du kannst ja noch ein bißchen ausfeilen, damit er noch ein wenig geläufiger wird. Ich weiß ja, daß es nicht leicht ist, an jemand zu schreiben, den man eigentlich gar nicht weiter kennt, doch ich muß sagen, daß Du den richtigen Ton ziemlich gefunden hast.
Von meinen Kameraden habe ich bis heute noch keine Nachricht, meine beiden Briefe, die ich an Thomas geschrieben habe, sind aber auch nicht zurückgekommen. Wenn ich bis Ende der Woche noch keinen Bescheid erhalte, werde ich einmal an Frau Graser nach Freiburg schreiben.
Sei Du liebes Mädel, recht herzlich gegrüßt und geküßt und ich hoffe, daß wir uns für den nächsten Samstag gesund wiedersehen. Den beiden Trabanten gibst Du auf meine  Rechnung einen Kuß und sage ihnen, sie solle sich nur fein brav halten. Bis zum Wiedersehen nochmals herzliche Grüße sendet Dir Dein Ernst.  
(Paula ist die Schwester meiner Großmutter, die eine Straße unterhalb unserer wohnte. Meine Eltern und sie haben nicht mehr miteinander geredet, was für uns, meinen Bruder und mich, immer etwas merkwürdig war, wir haben immer weg geschaut, wenn wir sie trafen; erst nach dem Tod meines Onkels, Kurt, das war sozusagen der Anlaß, sind wir uns wieder näher gekommen. Paula und Albert, die Eltern des z.Zt. noch auf dem Feldberg lebenden Kurt, sind auch diejenigen, die uns Kindern die Apfelschalen gegeben haben und uns, meinen Bruder und mich, Piranjas, genannt haben, während ihre Hunde Schlagsahne bekamen. Sie haben uns andererseits auch nach dem Krieg insofern geholfen, als sie uns manchmal mit nach Allensbach zum Hamstern von Milch mitnahmen, weil sie dort jemanden kannten, außerdem hat dieser Albert, der nebenbei Jäger war, Bleßhühner geschossen und uns manchmal eines abgegeben oder wir durften bei ihnen mit dem Tranfett dieser Bleßhühner gebackene Kartoffelpuffer essen. Dieses Mißverhältnis zu den Hagenauers (wie ich schon mal erzählte, waren sie der Anlaß, daß wir an den Bodensee kamen) hing damit zusammen, daß diese Großtante sehr viel klatschte und immer einen gegen den anderen aufhetzte.)

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