Sonntag, 31. Mai 2015

Brief 9 vom 31.05.1940


31.5.40                                                                                                                                                                             
Meine liebe Annie und Kinder!

Es ist nach 2 Uhr und endlich hat man wieder ein paar Minuten für sich.
Gerade wollte ich mich hinsetzen zum Schreiben, als es hieß „Postempfang“. Es kam das Päckchen mit Eurem Sonntagsblumengruß, sowie das Päckchen mit den Briefbogen. Das ist für mich nun die einzige Sonntagsfreude. Ich habe aus Deinen Briefen so richtig unsere Verbundenheit entnommen, wenn Du mir von den Spaziergängen  erzählst, die wir auch früher miteinander unternommen haben.
Ich freue mich aber, daß Ihr diese Spaziergänge weiter unternehmt, könnt Ihr Euch doch am besten an das erinnern, wo wir gemeinsam gewesen sind. Haltets nur weiter so.
Gestern habe ich Dir nicht geschrieben, weil ich zu abgespannt war. Früh hatten wir unseren Marsch, wobei wir richtiges Marschwetter hatten.
Mittags hatten wir jetzt die letzte Impfung bekommen. Am Nachmittag war wieder Revierreinigen.
Dann wurden wir noch zum Bataillon abkommandiert zum Stubenreinigen. Es waren 15 Zimmer zu machen. Ich war jedenfalls am Abend abgespannt.
Heute früh hatte ich Flurdienst, dann war Unterricht. Um 12 Uhr waren wir soweit fertig, doch dann mußte ich für unsren Unteroffizier die Stiefel putzen. Jetzt kann ich mich nun im Geiste wieder Euch widmen.
Nach Deinen Mitteilungen habe ich Deine Briefe bis zum 28.5. alle erhalten. Ich hoffe, daß Du auch alles von mir bekommen hast. Zuerst kam ja das Päckchen mit den Tabletten. Von diesen nehme ich mir meistens früh eine mit, wenn wir früh abmarschieren, damit  ich einigermaßen frisch bleibe.
Dann erhielt ich ja Deinen Brief mit den Bildern, den ich Dir auch schon bestätigt hatte. Die Bilder hatten ja bei mir eine große Freude ausgelöst. Als nächstes kam dann das Päckchen mit dem Gebäck an, was mich wiederum erfreut hat; und heute kamen wieder Deine Grüße.
Jedes mal ein Gruß der Kinder war auch dabei, der mich immer an den Ehrgeiz unserer Beiden erinnert, selbständig etwas zu schaffen. So auch die Zeichnungen unseres Sohnes. Sein Vorschlag, daß Du das Datum vom Brief weglassen sollst, damit er es schreiben kann, ist ja für Dich ohne weiteres von großer Bedeutung. Auch die Schreiben der Helga sind nicht schlecht, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie es selbständig macht.
Nun möchte ich der Reihe nach noch alles beantworten, was nötig ist.
Daß auch Euch der Abschied schwer gefallen ist, kann ich mir denken, waren wir doch alle zusammen immer eins. Ich glaube aber, daß Ihr Euch an das Getrenntsein etwas gewöhnt habt. Wenn Ihr meinen Platz daheim immer frei laßt, so bin ich doch symbolisch bei Euch.
Das war ja schön, daß Dir die Kinder den Muttertag so schön gestaltet haben. Mit den Tomaten ist es so, daß Du den Haupttrieb und 2 Nebentriebe stehen läßt und die anderen Triebe, die sich an den Blättern rausschieben, schneidest Du weg.
Wenn Jörg jetzt etwas länger schläft, so ist das ja nicht so schlimm und es kommt ihm ja nur zu gute. Auch die Spende der Kinder für Vater  und Mutter ist ja rührend.
Wenn die Möglichkeit besteht, so ist gehe nur ruhig ins Kino, damit Du auch am Zeitgeschehen teilnehmen kannst.
Wie geht es eigentlich Vater, hat er sich wieder erholt. Das ist ja sehr schade, daß wir mit dem Film so Pech gehabt haben. Ich weiß, daß ich alles in gute Hände gegeben habe und ich mache mir auch wegen dem, was daheim zu machen ist, keine Sorgen, denn Du hast ja früher schon immer Deine Pflicht getan.
Ich billige Deinen Kauf der Kartoffelhacke ohne weiteres, denn die war ja notwendig. Wenn sonst etwas notwendig ist, so schaffe das nur ruhig nach Deinem Gutdünken an, denn ich weiß ja, daß Du nichts Unnützes kaufst.
Wenn jetzt die neuen Leute oben eingezogen sind, so möchte ich noch darauf hinweisen, laß Dir nur auch da nichts gefallen.
Zeitungen oder sonstiges Lesbares brauchst Du mir nicht zu senden, denn wenn ich Dir immer schreiben will, so habe ich zum Lesen keine Zeit.
Die Blumen waren noch ziemlich frisch und waren ein freundlicher und herzlicher Gruß von Euch und aus der Heimat. Der Karton war wohl ziemlich demoliert, aber die Blumen noch in Ordnung. Jedenfalls war ich sehr erfreut über Eure Aufmerksamkeit.
Gelegenheit zum frei baden haben wir hier wahrscheinlich nicht, man säubert sich aber so gut man kann im Waschraum.
Auch an Dora werde ich noch schreiben, ebenso schreibe ich heute noch an Deine Eltern.
Nun mache die Funzel endlich aus und schlafe gut und schreibe mir bald wieder. Es grüßt und küßt Dich vielmals Dein Ernst. Grüße Vater und Kurt von mir herzlich. Dein Gebäck habe ich mir heute teilweise vorgenommen und habe mich dabei in einen Sonntag bei uns daheim rein versetzt.
Bei unserem gestrigen Ausmarsch haben wir gesehen, wie dreckig die Bevölkerung ist und wie verwahrlost die Dörfer aussehen.
Bei unserem Heimmarsch ist uns ein Mädel auf dem Rad begegnet. Die hat uns aus lauter Haß die Zunge rausgestreckt. Aber mit lautem Gelächter wurde das von uns quittiert. Sonst habe ich den Marsch aber gut überstanden.

Heute regnet es was nur runter will und unser Dienst wird im Trockenen abgehalten. Wir hatten das gar nicht erwartet.
Wie ich Dir schon oben geschrieben habe, hat mich Dein Schreiben sehr erfreut und Eure Bilder muß ich immer und immer wieder ansehen. Die hast Du aber wirklich fein gemacht.
Unsere Kinder sind so richtig wie sie leiben und leben. Das frischt immer wieder etwas auf, wenn man sich so etwas immer wieder ansehen kann. Helga hat aber fein geschrieben und auch alles richtig und Jörg hat sich mit seiner Malerei sehr angestrengt.
Das Gebäck habe ich probiert und schmeckt wieder ausgezeichnet. Daß aber unsere 2 solche Opfer bringen und ihre Sparbücher sogar leeren, um ihrem Vater etwas zu schenken, zeugt schon von großer Liebe zu ihrem Vater. Ich danke Euch nochmals für alles, doch ich bitte Euch, behaltet das, was Ihr für Euch auf die Marken bekommt, denn wir werden ausgezeichnet versorgt.
Aus Deinem Brief habe ich weiter ersehen, aus welchem Grund Kurt wieder heimgekommen ist. Ja, bei der Infanterie muß viel getippelt werden und das stellt auch große Anforderungen an die Füße. Er muß eben warten, bis er wieder gerufen wird. Ist er wieder in der Zahnfabrik?
Auch  Deinen Brief an Siegfried billige ich in jeder Weise, doch daß wir unseren Standpunkt vorher geschrieben haben, war schon in Ordnung.
Mit dem Garten hast Du Dir aber große Mühe gegeben. Ich will aber immer wieder betonen, übernimm Dich nicht dabei. Daß Du mir so viel über den Garten  schreibst, entspricht ganz und gar meinen Wünschen; steckt doch ein ganzer Teil unseres gemeinsamen Schaffens darin.
Was so in Deinem Brief noch einzeln zu beantworten wäre, behalte ich mir auf den Sonntag vor, weil ich da annehme, mehr Zeit dazu zu haben. Heute  schreibe ich nur das, was mir gerade in den Sinn kommt.
Ja, das mit Bautzens ist so typisch, so wie sie immer waren. Doch lassen wir die Leute so, wir ändern sie doch nicht. Ihre Adresse kannst Du mir ja einmal mitteilen, dann werde ich eine Karte schreiben.
Ob ich an Lämmels eine schreiben soll, ist mir noch nicht ganz klar.
Der Brief von Deinen Eltern hat mir diesmal bedeutend besser gefallen, wie die letzten, weil er mehr auf diese Stimmung gepaßt hat. Ob wir Helga nach Leipzig schicken, ist mir selbst noch nicht ganz klar. Ich weiß nicht, ob du sie jetzt missen kannst und wie sich Helga mit der ganzen Reise abfindet. Gib mir darüber noch Bescheid, dann werden wir sehen, was wir machen.
Mit der heutigen Abendpost erhielt ich von Deinen Eltern den beigefügten Brief, ich habe mich darüber gefreut, auch über das Gebäck und die Bonbons.
Eines muß ich aber gleich feststellen, mit solcher Sorgfalt und Liebe, wie Du alles verpackt hast, war es nicht eingepackt. Ich werde auch schreiben, daß ich Sonderverpflegung nicht brauche, weil ich ja genügend zu essen bekomme. Ich werde mich selbstverständlich dafür bedanken.
Hast Du übrigens mein Päckchen erhalten, was ich am 24. abgesandt habe. Ich habe also jeden Tag geschrieben, außer am 28.5., was ich Dir ja schon begründet habe.
Morgen haben wir zur Übung einen 20km Marsch zu machen. Mal sehen, wie ich davon wieder zurückkehre. Ich glaube aber, daß mir das nicht viel ausmachen wird. Heute ist man ziemlich human mit uns umgegangen, wir haben bei diesem Regenwetter unsere Übungen im Zimmer machen können. Wir haben es dankbar angenommen.
Wenn ich wieder so die vergangenen Tage überblicke, haben wir doch in dieser Zeit viel gelernt und es wird auch noch vieles kommen. Den Brief der Eltern füge ich nächstens bei, wenn ich ihn beantwortet habe.
Morgen haben wir auch wieder Löhnungsappell, das ist ein wichtiger Tag und der muß vermerkt werden. Auch an Gerhard werde ich wahrscheinlich bald wieder schreiben.
Schlafe gut mein liebes Mädel und bleibt alle gesund und seid vielmals gegrüßt und geküßt von Eurem Ernst.


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