Samstag, 23. Mai 2015

Brief 3 vom 23.05.1940


Mein liebe Frau!                                                                 Göding, den 23.5.40

Gestern habe ich Dir geschrieben und ich bin bemüht, Dir laufend Nachricht zukommen zu lassen.
Heute ist wieder schönes Wetter und die Kastanien und der Flieder blühen, so daß man auch hier merkt, daß der Frühling eingezogen ist.
Wir haben zwar etwas mehr zu schwitzen, doch die Welt sieht dabei ganz anders aus. Eines habe ich aber festgestellt, daß die Sprüche, die ich früher von anderen gehört habe, stark übertrieben sind. Wenn es nicht schlimmer kommt, komme ich ohne weiteres bei allem mit, ohne daß ich noch nebenbei etwas lernen muß. Ich habe mir es jedenfalls schwerer vorgestellt.
Heute früh war es mir zwar etwas schwummerig, aber wenn man sich ein bißchen zusammenreißt, so geht das schon. Verschiedene sind wieder heimgeschickt worden wegen verschiedener Leiden, andere sind schon wegen ihrer Leiden ins Revier gekommen.
Heute Mittag hatten wir Eintopf zum Essen und zwar so eine Art Spätzle mit Kartoffeln und Fleisch. Es war nicht schlecht, doch der Sodageschmack liegt mir noch auf der Zunge.
Ich leiste mir am Tage immer eine Tafel Schokolade, die wir hier in der Kantine kaufen können, damit es immer ein bißchen Abwechslung gibt. Man muß eben sehen, wie man sich das Leben den Umständen entsprechend einigermaßen angenehm gestaltet.
Übrigens, von Deinem selbstgebackenen Gebäck habe ich noch einiges da liegen und nehme mir hin und wieder etwas davon.
Ist unser Junge auch brav und was macht unsere Helga. Sind beide gesund und wie geht es ihnen? Was machst Du und wie geht Dir`s. Ich hoffe in dieser Woche noch von Dir Nachricht zu erhalten.
Für diesmal will ich es kürzer machen, es kann aber möglich sein, daß es mir heute Abend noch zu einem Gruß im Bett langen wird.
Es ist wieder Abend geworden. Der Dienst ist für heute zu Ende. Heute Abend hat es etwas für Euch seltenes zum Abendessen gegeben und zwar Heringssalat mit Gurkenstücken drin. Das war sehr Appetit anregend. Ich  will Dir den Mund aber nicht wässrig machen.
Ich werde noch an Gerhard und ans Geschäft schreiben, damit die zufrieden sind.
Ein neues Lied haben wir auch wieder gelernt und zwar „Monika“. Das wird jetzt mit großer Begeisterung von uns gesungen. Gute Nacht meine liebe Annie und sei Du herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst. Küsse die Kinder für mich und sage Ihnen, daß sie Dir parieren sollen, damit ich mir um sie keine Sorgen machen brauche. Grüße auch Vater.  .

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