Donnerstag, 9. Februar 2017

Brief 224 vom 7.2.42


Meine liebe gute Frau !                                                  7.2.42                                                   

Die Ereignisse der vergangenen Zeit und besonders die letzten Tage haben mich ziemlich durcheinander gebracht, so daß ich keine Lust, keine Stimmung, um nicht gleich zu sagen, keine innerliche Kraft hatte, Dir zu schreiben.
Du muß nun nicht denken, daß sich wunder welche schweren Dinge ereignet haben. Aber ich war physisch nicht in der Lage, meiner Pflicht, die ich mir auferlegt habe, nachzukommen. Alles kann ich nicht schreiben, was mich am Schreiben verhinderte, doch das was sich schriftlich erledigen läßt, will ich versuchen, Dir klar zu machen. 
Seit Anfang dieser Woche habe ich mich nicht ganz wohl gefühlt. Worauf das zurückzuführen war, konnte ich mir nicht erklären. Ich hatte mich erst sehr über die neueste Urlaubssperre geärgert. Durch das Auftreten des einen Typhusfalles ist nun die ganze Stadt in Aufregung versetzt worden. Ich habe am Sonntag mit einem meiner Kameraden eine Sauftour unternommen, nur um über diesen Ärger hinweg zu kommen. Wie das immer so ist, das hilft wohl für den Moment, aber später sind die gleichen Schwierigkeiten wieder da.  Am Mittwoch war es mir dann überhaupt miserabel zumute, denn ich hatte am Morgen einen starken Durchfall bekommen. Er hielt dann auch den ganzen Tag über an, so daß ich am Nachmittag dem Dienst fern blieb, um mich zu schonen. Ich bekam gegen Abend etwas Fieber. Meine Kameraden erkundigten sich dann am anderen Morgen nach mir, weil ich weder zum Abendbrot noch zum Frühstück kam.  Ich sagte, ich will abwarten, wie sich die Dinge im Laufe des Tages entwickeln würden.
Bei Verschlechterung des Zustandes würde ich einen Arzt aufsuchen. Die hatten dann Bedenken und sagten, daß sie wenigstens dem Kameraden Meldung machen würden, wie es mit mir steht. Kurz vor dem Mittagessen kam dann ein anderer Kamerad von mir und sagte, daß er Befehl vom Spieß hätte, sich mit mir beim Arzt untersuchen zu lassen. Ich bin dann auch nachmittags zum Arzt. Der hat dann auch nichts weiter getan, als von mir eine Stuhlprobe verlangt.  Als ich diese gestern früh abgab, sagte er zu mir, ich soll mich solange ins Revier legen, bis das Ergebnis der Untersuchung bekannt wird.  Jeder, der ein bißchen Durchfall hat, wird gleich als Typhusverdächtiger angesehen. Interessant ist, daß alle einem nur mit Respekt begegnen, weil sie meinen, sie würden angesteckt werden. Heute Abend soll nun das Untersuchungsergebnis ankommen. 
Dem Arzt und dem Pflegepersonal habe ich schon arg zugesetzt. Ich glaube, daß sie mich gern wieder gehen lassen. Die Verpflegung hier ist unter aller Sau. Wenn die noch gut wäre, könnte man sich es noch überlegen, ein wenig Kranker zu spielen. Es besteht für mich in Bezug auf die Unterbringung bestimmt kein Grund zur Klage. Ich habe mein eigenes Zimmer, die Soldaten und der Arzt können mir im Hinblick auf meine Dienststellung nichts anhaben.  Fieber und Puls werden eifrig gemessen. Beides ist aber normal.
Der Arzt hat ja mehr Angst, wie es eigentlich notwendig ist.  Dies rührt aber sicherlich daher, wie ich annehme, daß er in dem einen Fall die Sache nicht richtig erkannt hat und nun alles, was ihm einigermaßen danach aussieht, unter seine Fuchtel nimmt.  Dieser ärztlichen Entscheidung muß man sich unterwerfen, ob man will oder nicht. Ja, das wäre die Sache. 
Ich darf nicht daran denken, daß ich heute schon ziemlich daheim wäre, wenn nicht der ganze Rummel dazwischengekommen wäre. Jetzt sitze oder liege ich hier herum und muß die Zeit verstreichen lassen, ohne etwas zu erreichen. Meine mitgenommene Energie habe ich schon ziemlich ausgelassen. Ich hoffe fest, daß ich heute aus diesem Bau herauskomme.  Daß ich nicht früher geschrieben habe, hat seinen Grund darin, daß ich Dich nicht mehr beunruhigen wollte als notwendig war. Außerdem habe ich Dir ja gleich am Anfang geschildert, daß ich einfach nicht die physische Kraft dazu aufbringen konnte.  Heute, wo ich mich wieder gefangen habe, ist mir das alles leichter, das zu schreiben. Man braucht eben so seine Zeit, bis man sich über gewisse Dinge hinwegsetzt. Ich glaube, daß ich es soweit geschafft habe. 
Deinen lieben Brief vom 1. habe ich gestern ausgehändigt erhalten. Als Ausgleich hast Du nun auch einen langen Brief gestartet. Ich habe mich sehr darüber gefreut, da ich gerade wieder in meine trübe Stimmung hinein einen so ausführlichen Brief von Dir erhielt. Daß auch die fragwürdigen Früchte so geschmeckt haben, freut mich. Bei uns stehen sie im Laden als „Grapefruit“ und hier nennt man die Dinger „Pampelmous“. Wenn ich hier aus diesem Bau wieder herauskomme, werde ich mir davon noch einige zu Gemüte ziehen. 
Gestern habe ich ein Päckchen ab gesandt mit 2 Pfund Butter. Ich hatte sie in Urlaub mitbringen wollen. Bis ich aber hier wegfahren kann, ist so ungewiß. Ich habe sie deshalb zusammengepackt und abgeschickt, damit sie nicht schlecht wird. Hoffentlich kommt sie auch an, denn es wäre schade darum, wenn sie verloren ginge, wo Du doch so was brauchen kannst. 
Eben kam unsere Putzfrau vorbei und wollte mir ein Rebhuhn bringen. Ich habe sie aber zurückgeschickt, weil ich hoffe, daß ich nachher noch raus komme. Eine Pampelmuse, die sie mir mitbrachte, habe ich aber gleich verzehrt, denn ich hatte einen festen Appetit darauf und Durst hatte ich auch. Wie einem doch manchmal ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man es am wenigsten ahnt.  Dem Unteroffizier bin ich jetzt abgerückt und bin jetzt heimgegangen zum essen. Das Untersuchungsergebnis konnte noch nicht erlangt werden. Mir geht es soweit wirklich gut. Es fehlt mir absolut nichts. Aber diese Gefangenschaft wegen nichts gefällt mir nicht.  Morgen schreibe ich Dir mehr. Für heute viele Grüße und recht herzliche Küsse sendet Dir Dein Ernst.

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