Sonntag, 27. März 2016

Brief 114 vom 28./30.3.1941


Meine liebe Annie!                                                                  Karlsruhe, den 28.3.1941      

Heute will ich nun wieder einen Sonntagsbrief starten. Nachdem ich gestern Nachmittag Deinen lieben Brief vom 26. erhalten habe, kann ich den gleich noch mitbeantworten. Gestern früh erhielt ich einen Brief von Deinen Eltern, den ich Dir zur Kenntnisnahme beifüge. Außerdem lege ich auch die gesandten Briefmarken dazu. Ich hatte mir hier die Wiener Marken in den letzten Tagen besorgt, so daß vorerst die Leipziger Messemarken von Wichtigkeit sind. Die kann man über Wasserdampf sicher wieder gut auseinander machen. Zu den übrigen Ausführungen Deines Vaters brauche ich ja keine Stellung zu nehmen, weil vieles ja nicht gerade von besonderer Wichtigkeit ist. Wegen des Briefes von Kurt habe ich ja in meinem letzten Brief zu den in Deinem Brief erwähnten Punkten Stellung genommen. Interessant ist ja, wenn er Dir schreibt, Du sollst ihm von den Kindern mitteilen. Das hast Du ja in Deinem Brief ganz gut getan, ich denke, daß er sich über den Brief freuen wird.
Für den übersandten Zahnschein Danke ich Dir. Ich muß nachher hingehen. Soweit ich bis jetzt merke, hat sich die Geschichte wesentlich gebessert. Ich denke, daß eine Operation, wie der Zahnarzt erst meinte, nicht notwendig sein wird.
Was die Zwiebeln anbelangt. so ist es schon recht, wenn Du noch einige Tage wartest. Ich rate Dir, bis die Dinger angewachsen sind, Bretter darüber zu legen, denn meist springen die aus dem Boden raus.
Gestern Abend waren wir im Theater. Das Programm sende ich Dir wieder mit. Ich hatte mir vom Badischen Staatstheater mehr vorgestellt. Vom Bau war ich also etwas enttäuscht. Die Kräfte waren teilweise sehr ansprechend, wenn ich auch nicht behaupten kann, daß ich restlos befriedigt war. Die ganze Klasse ist dann noch geschlossen in eine Wirtschaft gegangen. Bis ich dann daheim war, war es auch schon 12 Uhr vorbei. Doch heute bin ich deswegen früher aus dem Bett heraus, um Dir noch meinen Brief zu schreiben.
Heute ist mein Stoff nicht so weitläufig. Ich denke, dir am nächsten Mal mehr schreiben zu können. Den Kindern danke ich noch für ihren Gruß. Seid Ihr alle meine Lieben recht herzlich gegrüßt und geküßt. Nimm Du, wie das immer der Fall ist, selbst Deine Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst

Meine liebe Frau,                                                             Karlsruhe, den 30.3.41

Dein liebes Päckchen mit dem Brief vom 27. fand ich gestern Abend vor;  und Deinen lieben Brief vom 28. bekam ich heute früh. Ich Danke Dir für alles, Du hast mir damit wieder eine rechte Freude gemacht. Den Kuchen habe ich heute früh probiert. Ich kann nur immer wieder sagen, Deine Kuchen schmecken mir immer ausgezeichnet. Auch für die Butter und die Wurst herzlichen Dank. Die Kostproben vom Gebäck waren auch in Ordnung, da kann ich mir denken, daß sie Vater ebenso gern gegessen hat.
Wie Du gemerkt haben wirst, habe ich die Wiener Marken mir besorgt. Ich wäre Dir aber dankbar, wenn Du die Leipziger nochmals bekommen kannst, daß Du da welche kaufst, weil die hier nicht mehr erhältlich waren.  Ich möchte sie gern noch ungestempelt haben. Du kannst sie ja bei Deinen Briefen mit verwenden. Soweit ich unterrichtet bin, kosten die keinen Aufschlag.
Heute früh habe ich an Tommi einen Brief geschrieben und vorhin an Nannie. Ich habe bei ihr auch die Streitfrage angeschnitten, damit in dieser Beziehung einmal Klarheit herrscht. Gegen Mittag bin ich dann mit der Straßenbahn bis Hagsfeld gefahren und die restlichen  4 km  gelaufen, damit ich Kurts Wunsch erfülle. Ich wollte in Blankenloch in einer Wirtschaft zu Mittag essen, doch man sagte mir dort, ja da müssen sie sich vorher anmelden. Da ist es also bei ¼ Wein geblieben. Nach 1 Uhr bin ich dann zu den Leuten gegangen. Die waren gerade fertig mit essen als ich hinkam. Das war mir insofern unangenehm, als man mir gleich den Suppenteller hinstellte und mir Essen geben wollte. Ich habe dies dankend abgelehnt mit der Begründung, daß ich gerade vom Mittagessen komme. Es war zwar gelogen, doch das hätte gerade so ausgesehen, als ob ich es auf das Mittagessen abgesehen hätte. Ich habe mich  dann schließlich doch noch dazu bewegen lassen, wenigstens eine Suppe zu essen, womit die Leute sich dann zufrieden gaben. Ich habe dann tapfer den vorgesetzten französischen Wein getrunken, den der Mann aus dem Elsaß besorgt hat und sogar einen Aperitif. Zuletzt wurde mir dann noch Brot und selbstgemachte Wurst vorgesetzt, der ich dann anstandshalber habe zusprechen müssen. Gegen 5 Uhr bin ich dann wieder gegangen.  Die Schwester der Frau Frick war dann noch gekommen und hat sich auch sehr interessiert. Als ich dann ging - ich wollte mit dem Zug heimfahren, doch der ist mir gerade vor der Nase weggefahren, so daß ich wieder meine 4 km zurücktippeln mußte - haben mir die Leute noch Wurst eingepackt, die mir bestimmt für die kommende Woche reicht. So wie ich dort gehört habe, soll Kurt in Nantes bzw. in dieser Gegend liegen. Ein Mann, der zur Herrichtung seiner Landwirtschaft Urlaub bekommen hat, soll gesagt haben, die Verpflegung sei zwar gut doch etwas knapp. Es wird so eine Art französischer Küche sein, die sie bekommen. Wie Kameraden von Kurt geschrieben haben und wie er es auch mitgeteilt hat, soll er ziemlich krank gewesen sein. Er soll mit 42 Grad Fieber gelegen sein. Er hat dann wieder zum Dienst gehen wollen, doch der Arzt hatte ihn wieder ins Bett geschickt. Auch beim ersten Appell soll er mit seinem Gewehr Wache gehabt haben und sei gleich wieder aufgefallen. Der Frau hat er einen Kostümstoff kaufen sollen. Da es diesen nicht mehr gegeben hat, hat er ihr Seide gekauft. Auch Gummi hatte er seinem Päckchen beigefügt, die Leute haben sich darüber sehr gefreut. Er hat ihnen inzwischen schon drei Mal geschrieben. Übrigens einige Tage vor seiner Abfahrt soll er noch fest gelernt haben in dem Wörterbuch, welches ich ihm seinerzeit einmal gegeben haben. Es war insofern doch gut, daß ich dort war, als daß ich meinen Bruder auch von einer anderen Seite kennen gelernt habe als er sich sonst gibt. Auch hat man eben manches gehört, von dem er uns nichts schreibt.
In unserem Lehrgang ist vorgestern wieder einer abgerückt, nachdem man ihm gesagt hat, daß er, wenn er nur bis 5. April dableiben kann, zur Notprüfung nicht zugelassen wird. Wenn nicht gerade besondere Umstände eintreten, glaube  ich aber nicht, daß ich schon vorher abberufen werde. Gestern wurde von uns in Organisation und Bürokunde eine schriftliche Arbeit verlangt, die ganz unvermutet und aus heiterem Himmel kam. An sich ist diese Sache nicht weltbewegend, doch ich hatte, trotz keiner Vorbereitung, immerhin etwas schreiben können. Ich werde ja sehen, wie  die Sache aussieht, wenn sie wieder zurückkommt. In manchen Gebieten muß ich mich noch tüchtig dahinter klemmen, um zu einem gewissen Ergebnis zu kommen. Bis zum 23.4. ist der Lehrgang zu ende und dann kommen anschließend die Prüfungen. Man kann also sagen, daß das meiste schon wieder hinter uns liegt.
Wegen Jugoslawien muß man abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Die Haupttreiber sind ja die Engländer, die sich wieder der Serben bedienen. Der König ist ja bei diesem Spiel nur die Marionette. Die Militärs und die englischen Hintermänner haben ja den Hauptanteil an diesem Aufstand. Wenn es jetzt bunt kommt, wird es eben auch besetzt werden müssen.
Die gewünschten Marken habe ich Dir beigefügt. Heute früh habe ich noch meine schmutzige Wäsche gepackt, die ich morgen an Dich absende, denn Du wäschst ja doch dieser Tage.
Mit der Gartenarbeit brauchst Du nicht zu überstürzen. Du wirst schon damit fertig werden.
Ich grüße und küsse Euch heute wieder recht herzlich.  Mein liebes Mädel sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Richte auch an Vater viele Grüße aus.

Brief 113 vom 26.3.1941


Mein liebes gutes Mädel!                                                 Karlsruhe, den 26. 3. 41 

Gestern war wieder ein voller Posttag. Dein ausführlicher Brief vom 23./24 erreichte mich. Außerdem erhielt ich einen von Kurt und dann bekam ich noch einen vom Tommi. Über alle habe ich mich sehr gefreut.
Deine Schilderung über den Verlauf des vergangenen Sonntags ist sehr lebhaft und ich bin froh, daß ich Dir dazu geraten habe. Bei Deinem einsamen Leben brauchst Du genau so nötig eine Abwechslung, um Dich einmal zu zerstreuen wie andere Menschen auch. Dies war ja eine willkommene Angelegenheit und wie ich aus Deinen Zeilen lese, hat es nicht nur den Kindern gefallen, sondern auch Dir.
Der Ausspruch von Jörg gegenüber Vater wegen es Geldes ist ja wieder treffend.
Am Samstag wart Ihr also doch noch im Wald, um nachzusehen, ob es schon Tee gibt.  Nützlich habt Ihr Euch dadurch gemacht, daß Ihr Tannenzapfen mit heimgenommen habt.
Die Angelegenheit wegen der Kriegssteuer wird sich insofern erledigen, als die beiden anderen Kollegen an ihre Frauen bzw. an das Amt geschrieben haben, daß dieser Abzug nach Auskunft eines Steuerinspektors vom Landesfinanzamt zu Unrecht gemäß des Einkommensteuergesetzes als Aufwand zu betrachten ist. Du brauchst vorerst einmal nichts weiter unternehmen, bis ich Dir wieder Bescheid gebe. Die Abgabe der Bescheinigung über die Kinderzuschläge geht in Ordnung. Die habe ich bisher immer jedes Jahr abgeben müssen.
Kurt schreibt mir, daß mein Brief 17 Tage gegangen sei. Da ist es gut möglich, daß Euer Päckchen auch eine Zeit auf der Post liegt. Dies ist aber in erster Linie dadurch zu erklären, daß durch die Verlegung des Truppenteils bei den zuständigen Postleitstellen die Nummern wieder durchgegeben werden mußten. Nach meiner Ansicht ist es also dort, wo wir neulich ausgeknobelt hatten.
Er empfiehlt mir, die Familie Frick in Blankenloch ein paar Mal zu besuchen. Dies läßt sich nun insoweit schlecht machen, weil ich  nur sonntags Zeit habe. Außerdem kann ich mich dann nicht jeden Sonntag zu den Leuten hinsetzen. Weiterhin erreicht mich sehr eigenartigerweise auf ziemlichen Umwegen die Einladung zum Schlachtfest zu kommen. Die Leute haben Kurt geschrieben, sie hätten meine Adresse hier nicht gewußt, aber er solle mir mitteilen, daß ich zum 20. zum Schlachtfest eingeladen sei. Er schreibt mir dann wörtlich: “Wenn sie Dir etwas anbieten, so kannst Du es ruhig nehmen, die Leute kennen das schon gar nicht anders und würden es vielleicht übel nehmen und falsch auslegen“. Ich habe heimlich dazu lachen müssen wenn ich daran denke, wie mir die Frau erzählt hat, was sie für Mühe gehabt hat, Kurt so weit zu bringen, daß er etwas genommen hat. Was meinst Du dazu. Soll ich am kommenden Sonntag hinaus gehen. Ich dachte mir, daß ich so nach dem Essen um 2/ 3 Uhr hinausginge. Ich hatte die Absicht gehabt, die Leute nochmals aufzusuchen, als Kurt geschrieben hat. Etwas unangenehm ist es mir dabei, weil die Leute vielleicht denken, man kommt nur zum Schlachtfest und will sich etwas holen. Er schreibt weiterhin, daß er gerade wieder so eine Woche hinter sich habe. Ihr Dienst würde meist aus Wachdienst bestehen, der neben der weiteren Ausbildung laufen würde. Der Dienst sei ganz gut zu ertragen, auch sei es in den Steinbaracken ganz wohnlich.
Und nun zum Brief von Dr.  Thomas. Meinen zweiten Brief vom 4. hat er nachgesandt bekommen.  Durch die Umstellung etwas aus dem Geleise gekommen sei er sich nun schuldbewußt vorgekommen, weil er nicht geschrieben habe. Er ist jetzt 35 km westlich von unserem letzten Standort.  Nach längerem Herumkramen in meinem Gehhirnkasten bin ich nun darauf gekommen, daß es Bethune ist. Ein uns bekannter Inspektor ist mit ihm versetzt worden, so daß es ihm nicht ganz so einsam ist. Die Stadt hat nur 20 000 Einwohner und bietet in keiner Hinsicht etwas, außer dem Soldatenheim. Er bearbeitet jetzt Arbeitseinsatz, Wirtschafts- und Devisenfragen, außerdem noch Ernährung und Landwirtschaft. Die Kameraden sind nicht uneben und der Kommandant sei ganz sympathisch. Von Überarbeitung könnte keine Rede sein, aber man muß sich eben den Verhältnissen anpassen. Die Entscheidung über seine Versetzung ist von Brüssel gekommen. Da die ganze Entscheidung dort liegt, geht schon daraus hervor, daß alle unsere Bonzen, wie der Kommissar und seine Trabanten, 14 Tage bis 6 Wochen Urlaub erhalten haben und dann müssen sie sich wieder zur Verfügung stellen. Das freut mich ja am meisten, daß auch diesen Herrschaften die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Dann schreibt er noch, daß er bedauert, daß unsere alte Dreierkameradschaft aufgeflogen ist. Graser hat dann unsere alte Wohnung aufgegeben. Dies hatte ich Dir ja auch im vorletzten Brief mitgeteilt. In seiner neuen Tätigkeit scheint er sich genau so starr in die Arbeit gekniet zu haben, wie er es früher bei uns getan hatte. Daher kommt auch, daß er nur eine Postkarte hat schreiben können.
So, wie ich die Dinge jetzt übersehen kann, muß ich bei meiner Rückkunft sehen was man höheren Orts über mein Schicksal bestimmt hat.
Wegen meiner Zahngeschichte war ich gestern beim Arzt. Ich hatte eine dicke Backe bekommen. Es wäre dies eine gute Gelegenheit gewesen, um mich fotografieren zu lassen, Damit man sehen kann, wie ich hier zugenommen habe. Der hat mir nun den Zahn aufgebohrt. Ich muß am Freitag wieder hin. Weiterhin ist ein anderer Zahn plombiert worden. Wenn die Schwellung zurückgeht, ist es gut. Andernfalls muß man das Zahnfleisch oben aufschneiden, um zu der Entzündung zu kommen, weil der Heilungsprozeß zu lange dauern würde. Ich will hoffen, daß sich dies vermeiden läßt, weil dies die andere bzw. weitere Behandlung neue Kosten verursachen würde. Wie es mir scheint, geht die Schwellung auch langsam zurück. Wollen wir das Beste hoffen.
Am Donnerstagabend sind wir Gäste der Gemeindeverwaltungsschule. Wir sind eingeladen in das badische Staatstheater, gespielt wird „Rigoletto“ von Verdi.  Man tut also etwas für unsere Entspannung.
Gestern haben wieder zwei Mann Bescheid erhalten, daß sie sich bis spätestens 5.4. bei ihrem Truppenteil zu melden hätten. Nach den neuen politischen Erfolgen kann es ganz gut sein, daß dieser Kurs noch auffliegt. Ich will zwar nicht vorher unken und lasse lieber die Dinge an uns herantreten. Es ist eben alles so ungewiß, daß man sich nicht mehr im Voraus einrichten kann.
Heute ist wieder ein regnerischer Tag, an dem man wenig Lust hat raus zugehen. Bald ist es aber wieder Zeit zum Essengehen und dann kommt ja anschließend gleich wieder der Unterricht. Heute ist nun schon Mittwoch und wie bald sind die paar Wochen noch herum, bis es zu der Prüfung geht. Ich hoffe nur, daß es mir noch zum Osterurlaub reicht.
Für heute will ich wieder einmal schließen. Euch allen sende ich viele herzliche Grüße und bin immer Dein Ernst.

Dienstag, 22. März 2016

Brief 112 vom 23.3.1941


Mein liebes Mädel                                                   Karlsruhe, den 23. März 1941   

Am heutigen Sonntag habe ich nun drei Deiner Schreiben , die inzwischen eingegangen sind, zu beantworten. Es sind diese die vom 19./ 20., 21. und die Karte vom 22.3. Für alle Danke ich Dir vielmals. Die Angelegenheit wegen des heutigen Tages war ja durch mein letztes Schreiben erledigt. Ich würde es bedauern, wenn bei Euch auch so schlechtes Wetter gewesen ist, wie es heute hier herrscht. Seit gestern regnet es, heute früh hatte es ein wenig nachgelassen, aber am Nachmittag fing es wieder ziemlich heftig an und jetzt schneit es, was vom Himmel runter will. Mir gegenüber ist ebenfalls eine Kaserne. Da waren die Menschen geströmt, obwohl andere Kasernen viel Reklame gemacht haben und viel bieten wollten. Seit aber das Sauwetter einsetzte, sind auch die Menschen weggeblieben, so daß alles aufgehört hat. Ich werde von eurem Erfolg hören und wie es Euch gefallen hat.
Ich habe mich gefreut, als Du mir mitteiltest, daß sich Helga mit ihren Schulaufgaben Mühe gibt. Sie kann ja wenn sie will. Ich habe es auch an ihren Briefen gesehen. Warum soll sie sich auch keine Mühe geben, wenn sie die Fähigkeiten dazu besitzt. Sie soll nur brav lernen.
Wegen des Kalkes weiß ich nicht, wo Du schon gestreut hast. Der Kalk wird nicht schlecht. Ich denke, wenn Du unter die Komposterde welchen mischst und diese dann bei den Bohnen und bei den Tomaten und Gurken mit verwendest, wird das bestimmt nicht schaden.
Nach Möglichkeit kannst Du die Marken von der Wiener Messe zweimal besorgen. Einmal kann man sie ja für Kurt aufheben.
Mit den Kohlen hast Du Dir ziemlich viele Mühe gemacht. Da kann ich mir denken, daß sich Vater gefreut hat, als Ihr mit den Kohlensäcken schon vor seiner Haustür standet. Nach solchen arbeitsreichen Tagen hast Du Dir Deine Müdigkeit auch redlich verdient.
Die Angelegenheit wegen der Abzüge werde ich noch weiter verfolgen. Ich gebe Dir dann entsprechend Bescheid, wenn ich wieder näheres weiß.
Wir hatten gestern schon 5,20 Uhr die Schule aus. Als ich dann heimkam fand ich Dein liebes Päckchen vor. Den Kuchen habe ich mir heute früh vorgenommen und am Nachmittag habe ich mir ebenfalls ein Stückchen zu Gemüte geführt. Er schmeckt wieder ausgezeichnet, man merkt eben sofort was von daheim ist. Für morgen habe ich noch etwas über die Hälfte.  Es ist möglich, daß noch ein Teil für Dienstag übrig bleibt.  Gestern Abend war ich im Film „Mein Leben für Irland“. Es war ein sehr ausdrucksvoller Film.
Heute bin ich den ganzen Tag Daheim gewesen und habe Zeitung gelesen und gelernt mit Ausnahme von 12 - 14 Uhr. Da bin ich gleich mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren und habe zu Mittag gegessen. Ich habe mir zur Feier des Tages einmal Rotwein (französischen) geleistet. Wegen des schlechten Wetters habe ich mich auch bei der Heimfahrt gleich wieder auf den Strom geschwungen. Ich bin also sozusagen fast nicht aus dem Bau raus gekommen. Ich denke viel an Euch und den letzten Sonntag. Gefreut hat es mich jedenfalls, daß ich vergangenen Sonntag daheim war, wo schönes Wetter geherrscht hat, wo ich heute doch denken muß, daß es heute ziemlich ungewiß war. 
Ich habe heute ein Bitte an Dich. Besorge mir doch bitte einen Zahnschein.
Ich habe seit gestern wieder einmal mit den Zähnen zu tun. Aus diesem Grund will ich morgen einen Zahnarzt aufsuchen, damit die Geschichte wieder in Ordnung kommt. In einer Art bin ich froh drum, daß es jetzt kommt. Denn wenn ich wieder raus muß, ist es mir nicht gerade angenehm, wenn ich mich an ein Lazarett wenden muß. So wird alles wieder fertig gemacht und das wird für eine Weile wieder halten.
Weil die Kinder aus Anlaß des heutigen Tages ihre Sparkasse plündern mußten und weil sie sich so gern die Soldaten ansehen wollten, will ich ihnen auch etwas für diesen Tag beisteuern. Ich lege Dir für sie 1,-RM bei mit der Bitte, sie zu teilen.
Anschließend will ich noch an Graser schreiben. Er braucht noch eine Vollmacht für meine Frontzulage, die will ich ihm gleich mit senden.
Dieser Sonntag ist wenig ereignisreich und recht trüb verlaufen. Ich sage mir, daß es ja nicht ewig hier dauert. Da fällt mir gerade noch ein. Wie ich gehört habe, sollen Sonntagsurlaub, die über einen Umkreis von 50 km hinausgeht, nicht mehr gegeben werden. Dies würde bedeuten, daß ich praktisch an Ostern nicht kommen könnte. Ich werde mich dieser Tage nochmals genau erkundigen, wie die Dinge richtig liegen. Wenn dies tatsächlich so sein würde, dann müßte ich versuchen mit einer Schülerkarte zu fahren, dafür müßte ich Dir noch einen Schein übersenden, den Du dort bei der Polizei abstempeln lassen müßtest. Ich werde also auf jeden Fall nach hause kommen, auch wenn ich den vollen Fahrpreis bezahlen müßte.
Ich grüße und küsse Euch meine Lieben recht herzlich. Bis zu Deinem nächsten Brief, der ja bald eintreffen wird, grüßt und küßt Dich Dein Ernst.

Freitag, 18. März 2016

Brief 111 vom 18./19./20.3.1941


Mein liebes Mädel,                                                                                          Karlsruhe, den 18.3.41           

Fahrplanmäßig bin ich gestern wieder hier eingetroffen. Das Wetter war bis über den Schwarzwald schön sonnig und als ich hier ankam, hatte sich alles überzogen und es war kalt. Ich habe gleich die Straßenbahn genommen und fuhr zur Schule, wo ich auch rechtzeitig ankam. Der Unterricht hat mich dann auch nicht stark mitgenommen, obwohl es mir auf der Hinfahrt in der Bahn einmal ganz hundeelend geworden war. Soweit es ging, habe ich während der Zugfahrt geschlafen oder besser gesagt, gedämmert, das hat mir dann einigermaßen wieder geholfen. Vom Essen habe ich mich die ganze Zeit ferngehalten. In der ersten Pause bin ich dann in eine Gastwirtschaft gegangen und habe einen Steinhäger getrunken und anschließend für den Durst einen Apfelsaft. Das erstere war gut, ich denke, daß ich den Saft nicht hätte trinken sollen. Dann habe ich mich über die Hälfte eines Brotes hergemacht, auch das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Es ist mir nicht gerade wieder schlecht geworden, doch ich habe gemerkt, daß es reichte. Am Abend bin ich gleich mit der Straßenbahn wegen des Gepäcks nach hause gefahren.  Gegessen habe ich dann nichts mehr, sondern ich habe nur noch meinen Tee getrunken und etwas Zeitung gelesen. Kurz nach 9 Uhr habe ich mich in die Falle gelegt.
Heute früh bin ich ¾ 8 Uhr aufgestanden und ich fand, daß sich der Magen ausgeruht hatte.  Deinen Streuselkuchen habe ich heute angeschnitten. Er schmeckt ausgezeichnet. Man darf sich davon nur nicht zuviel nehmen, weil er tüchtig stopft.
In der Zwischenzeit ist keine Post bei mir eingetroffen. Auch ist während dieser zwei Tage alles beim alten geblieben.  Gestern haben wir auch unsere Arbeiten zurückbekommen. Die ganze Arbeit ist nicht beanstandet worden. Nur in einem Falle habe ich etwas vergessen gehabt, doch ist dieser Fehler nicht gerade von weittragender Bedeutung. Der Lehrer hat gesagt, daß die meisten Arbeiten mit 2 bis 3 zu bewerten seien. Die einen mehr nach 2 und die anderen mehr zur 3 hin. Ich glaube, daß ich mich unter die erste Gruppe zählen darf, ohne mich einer Selbsttäuschung hinzugeben. 
Ich glaube, daß ich Dir für heute wieder das meiste berichtet habe. Sei Du und die Kinder recht herzlich gegrüßt und geküßt und nimm Du selbst nochmals herzliche Grüße entgegen von Deinem Ernst.  

Meine liebe Frau,                                            Karlsruhe, den 19. März 1941
Bis heute Abend habe ich zwar noch keine Post von Dir bekommen, doch ich denke bis morgen welche von Dir zu erhalten. Zweierlei Gründe drängen mich heute gewissermaßen zu schreiben. Heute früh bekam ich von Richard Graser kurz Nachricht. Dieser erinnerte mich daran, daß ich genau vor einem Monat in Lille abgefahren bin.  Ich hatte schon bei meiner Abfahrt das Gefühl, daß sich verschiedenes ändern würde. Wie ich nun aus der Postkarte ersehen kann, ist meine Ahnung auch eingetroffen. Er schreibt nun, daß er bei einer FK (Feldkommandantur) sei. Es wird die Kommandantur sein, die in Lille verblieben ist. Thomas sei zu einer KK (Kreiskommandantur) versetzt worden. Wohin die anderen unserer Dienststelle gekommen sind, weiß ich zwar nicht, doch entnehme ich aus seinen Zeilen, daß außer ihm niemand mehr in Lille geblieben ist. Weiterhin lese ich aus seinem Schreiben, daß man nur auf die Abreise unseres Chefs gewartet hat, denn unser Haus ist sicher schon von jemand anderes in Besitz genommen worden und Graser hat eine andere Wohnung inne. Er behauptet, daß in seiner neuen Dienststelle ein etwas mehr militärischer Schwung herrsche und daß es ihm sehr gut gefallen würde. Er selbst sei an diesem Abend O.v.D.  (Offizier vom Dienst) für welchen Bereich geht zwar nicht aus seinem Schreiben hervor. Insoweit ist er nicht ganz aus der Gewohnheit heraus gekommen, denn ein neuer Chef hat die Wohnung vom Stadtkommissar übernommen. Er teilt mir dann noch mit, daß er über meine Zukunft noch nichts habe erfahren können.
Ich werde ihm im Laufe der Woche wieder antworten. Ich werde ja sehen, wie sich die Dinge dann weiter entwickeln, jedenfalls weiß ich über einige Kleinigkeiten Bescheid.

                                                                                                    20.3.41
Heute früh kam nun Dein lieber Brief von gestern an.  Herzlichen Dank Dafür. Die Kohlenangelegenheit ist somit auch erledigt, nachdem er es sich anders überlegt hat. Du hast nun wohl eine Lauferei gehabt, aber die Sache ist wenigstens mit zwei Gängen erledigt worden. Also auch beim Rotkopf sind jetzt Franzosen. Da kannst Du Dir ungefähr einen Begriff machen, wie es etwa ist, wenn man einer fremden Sprache unkundig ist. Mir wäre es in diesem Fall nicht gerade schwer gefallen, denn Charbon für Kohle oder Bois für Holz hätte ich schon noch gewußt. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, daß Du Dich dabei amüsiert hast. 
Auch bei uns ist es sehr kalt geworden seit einigen Tagen. Meine Vermieterin wacht schon mit Argusaugen darüber, ob ich daheim bleibe, oder aber ich, wie es gestern der Fall war, am Abend noch zum Lernen gehe, damit sie nicht heizen braucht. Am morgen gehe ich ja meist auch gleich nach dem Frühstück zum Lernen, da fängt sie schon gar nicht mehr an zu feuern. Wenn das so weiter geht, muß ich wohl nachhelfen.
Als ich am Abend heimkam, fand ich noch Deine Karte vom 19. vor, außerdem war noch ein Brief von Nannie eingetroffen, den ich Dir gleich zur Kenntnisnahme mitschicke. Du kannst ihn mir ja wieder mit deinem nächsten Schreiben zurücksenden. Zum Besuch der Kaserne habe ich nichts einzuwenden, auch wenn unsere Kerle einmal reiten wollen. Ich würde sogar sagen, geht zum Mittagessen hin, wenn es Euch Spaß macht. 
Doch habe ich nur die Befürchtung, daß Ihr vielleicht nichts mehr bekommt oder wer weiß wie lange anstehen müßt. Die Entscheidung darüber , wie Ihr es machen wollt, überlasse ich ganz Deinem Ermessen. Du hättest an diesem Tag einmal nicht kochen brauchen, der Vorteil wäre für Dich dabei gewesen.
Du sagtest mir bei meiner Anwesenheit, daß von dem Kursgeld eine Steuer abgezogen worden sei. Soviel ich mich erinnere, handelt es sich um Kriegssteuer. Ich bin mir nur nicht ganz gewiß. Es würde mich nun interessieren, für was dieser Betrag abgezogen worden ist und wie die Gehaltsverrechnungsstelle diesen Abzug begründet. Die anderen Konstanzer haben mich schon gefragt, ob ich auch diesen Abzug bekommen habe, und dann erklärt, daß sie bereits nach Konstanz geschrieben haben, daß dieser Abzug nicht zulässig sei. Ich will nun erst abwarten bis ich die Antwort bekomme und mich auf die verlassen. Wenn die Verrechnungsstelle nicht von sich aus auf Deine Anfrage etwas tut, dann werde ich mir aus dem Gesetz die entsprechenden Unterlagen herausschreiben und dann selbst schreiben. Du wirst es schon entsprechend diplomatisch behandeln.
Bei uns im Kurs geht es jetzt Tempo, Tempo. Überall werden die einzelnen Gebiete in Riesenschritten überflogen. Man hat direkt Mühe mitzukommen. Um mich aber einmal zu entspannen, gehe ich morgen Abend doch ins Kino. Man sieht ja weiter nichts wie Buchstaben und Paragraphen.
Mit der mitgenommenen Verpflegung komme ich nur sehr langsam vorwärts. An Deinem Kuchen habe ich morgen und auch noch am Samstag zum Frühstück zu essen. Die Leberwurst ist auch noch nicht verzehrt. So ein Riesenesser bin ich nun einmal nicht.  Du schickst mir also nicht gleich wieder so Riesenpakete, mit denen ich Mühe habe fertig zu werden.
Ich habe jetzt noch einmal an Thomas geschrieben. Antwortet er mir darauf nicht - ich habe doch seine neue Feldpostnummer - so läßt er es bleiben. Du weißt ja, daß ich niemandem bisher hinterhergelaufen bin. Ebenso will ich auch noch Deinen Eltern wieder schreiben, Damit ich meine Post wieder in Ordnung bringe. Sei recht herzlich gegrüßt, gib unseren beiden Strolchen jedem einen Kuß und nimm auch Du viele Küsse entgegen von Deinem Ernst
Übrigens den Tee braucht ihr nun nicht unbedingt am Samstag zu holen. In der nächsten Woche wird sich auch noch eine Gelegenheit finden.  Heute Nachmittag haben wir übrigens unseren Unterrichtsplan bekommen. Darin steht, daß ab Karfreitag den 11.4. bis einschließlich Osterdienstag den 15.4. Ferien sind. Am 16.4. fängt der Unterricht wieder an. Nach diesem Plan könnte ich dann also erst am Karfreitag hier abfahren und würde dann am Nachmittag bei Euch etwa gegen ½ 5 Uhr eintreffen. Grüße bitte auch noch Vater herzlich von mir.  

Mittwoch, 9. März 2016

Brief 110 vom 9.3.1941


Mein liebes Mädel,                                                           Karlsruhe, den 9. März 1941              

Dein liebes Päckchen mit dem Brief vom 5.3. habe ich gestern erhalten. Weiterhin war Dein lieber Brief vom 7.3. auch schon Da, so daß ich reichlich Lektüre vorfand. Ich habe mich über alles recht herzlich gefreut. Den Kuchen habe ich heute früh angeschnitten und die Wurst habe ich heute Abend probiert. Es schmeckt alles ausgezeichnet. Außer Brot habe ich mir bis jetzt nur ¼ Butter kaufen müssen. Für die übrige Verpflegung, abgesehen vom Mittagessen, hast Du bis jetzt gesorgt.
Am Freitag hatte ich mir so während es Unterrichts überlegt, daß ich vielleicht am Sonntag zu Euch fahren könnte und war schon fest entschlossen, am Samstagmittag wegzufahren. Ich habe es mir aber nun so überlegt, daß ich am nächsten Samstag heimkommen will, weil es da aus verschiedenen Gründen praktischer ist. Da werde ich meine Wäsche mitbringen und ich kann dann auch gleich das Geld mitnehmen, weil ja dann gerade Zahltag ist. Ich würde dann am Montag früh, wie am letzten Mal, wieder abfahren. Wenn wir dann nächsten Monat Ferien bekommen sollten, so wäre die Zeitspanne nicht so groß. Ich hoffe, daß Du mit meinem Vorschlag einverstanden bist. Mit welchem Zug ich ankomme, weiß ich noch nicht bestimmt, das kommt darauf an, wie ich hier wegkomme. Bis ich dann nach hause komme, sind dann auch schon wieder vier Wochen von dem Kurs herum.
Gestern Abend habe ich nach dem Abendbrot erst in Ruhe meine Post gelesen, später wurde ich dann von der Frau aufgefordert, mit „Mensch ärgere Dich nicht“ zu spielen. Daran siehst Du, daß ich nicht mehr viel geschafft habe. Nachdem es gestern Abend geregnet hatte, schien heute morgen, wie gestern auch, die Sonne. Doch heute ist es schon den ganzen Tag schön geblieben. Es war direkt ein wunderbarer Frühlingstag. Nach dem Frühstück habe ich noch ein klein wenig gearbeitet, dann bin ich durch den sogenannten Hardtwald bis zum Schloß gelaufen, von dort ist es dann nicht mehr weit bis zu der Wirtschaft, wo ich Mittag zu essen pflege.  Bekanntlich gab es heute Eintopf, der wirklich sehr mager ausfiel.  Zu dieser Zeit wurden im ganzen Reich Sonntage zu sogenannten Eintopfsonntagen erklärt  Ich habe mich schließlich damit begnügt und habe mich auf den Weg gemacht nach Durlach. Das gehört mit zu Karlsruhe, ist aber doch etwa 6 km vom Stadtzentrum entfernt. Das war bei dem schönen Wetter ein ganz netter Spaziergang. Dort bin ich auf den Turmberg gegangen. Weil ja Karlsruhe im flachen Gelände liegt, hat man von dieser Höhe einen ganz schönen Überblick über die ganze Gegend. Bei dem Wetter hat man dann die Berge von der Pfalz und des Elsaß sehen können. Es war dann aber so viel Betrieb, daß ich mich bald verzogen habe. Ich habe dann den Heimweg angetreten. Als ich wieder an der Straßenbahn war, bin ich dann für 10Pfennig nach hause gefahren. Da habe ich mich nach dem kargen Mittagessen an Deinem Kuchen gestärkt.  Ich habe dann noch etwa eine Stunde gelernt. Gegen ½ 6 Uhr bin ich dann ins Kino gegangen. Es hat mir dann gereicht zu meiner normalen Zeit Abendbrot zu essen. Jetzt zum Feierabend kann ich mich nun noch Dir widmen.
Nun will ich noch auf Deine beiden Briefe eingehen soweit es nötig ist. Die Briefmarken für mich brauchst Du nicht besorgen, denn wie mir die Eltern mitteilten, wollen sie für mich welche an Dich absenden. Es würde sich nur darum drehen, daß für Kurt noch welche besorgt werden. Ich glaube, daß dies aber auch noch die kommende Woche genügen wird. Ich halte es nicht für angebracht, daß Du deswegen noch Geld von der Sparkasse abhebst. Die Sache mit der Bescheinigung hat sich ja erledigt.
Ich kann mir denken, daß Dir die Beantwortung der Fragen der Kinder wegen des Weihnachtsmanns usw. etwas unangenehm war, es ist aber nun einmal so, daß man sie darüber unterrichten muß. Ich kann mir gut denken, daß Helgas Kinderglaube dadurch erschüttert worden ist, doch es ist ja so im Leben, daß man auch gewisse Härten, die einmal auftreten, überwinden muß. Wenn es noch notwendig sein sollte, werde ich bei meinem Urlaub nochmals mit ihr reden.
Meine Vermieterin ist eine alte Witwe, bei der noch eine verheiratete Tochter wohnt. Der Schwiegersohn ist seit einigen Monaten wieder hier und arbeitet. Vorher war er beim Militär. Sonst wohnen noch andere Untermieter hier, und zwar ein Ehepaar, der Mann ist beim Militär. Soviel ich weiß, ist er in Tübingen und kommt jeden Sonntag nach hause.
Die Kohlenangelegenheit ist genehmigt. Es ist schon recht so, wie Du es gemacht hast. Da kann ich mir denken, daß auf der Bezugsscheinstelle die Antragstellung nicht leicht gemacht wird.
Wenn Jörg so fleißig ist, gehört ihm ja auch ein besonderes Lob. Das gefällt mir auch, wenn sie Dir mit ihrem Ausziehen und schnellen Fertigmachen eine Freude gemacht haben. Das ist ja interessant, jetzt kennt Dich auf einmal Paula wieder. Das sieht ihr ja ähnlich, wenn sie etwas braucht oder besser gesagt, etwas wissen will. Hat sie nicht hochnäsig getan. 
Morgen werde ich wieder Lebensmittelkarten für mich holen, Damit sie nicht verfallen. Von den Urlaubermarken hab ich noch ziemlich viel übrig. Was ich nicht verbrauchen kann, werde ich dann bei meiner Ausreise Dir überlassen.
Mit dem Brief an Nannie bin ich im großen ganzen einverstanden. Du kannst ja noch ein bißchen ausfeilen, damit er noch ein wenig geläufiger wird. Ich weiß ja, daß es nicht leicht ist, an jemand zu schreiben, den man eigentlich gar nicht weiter kennt, doch ich muß sagen, daß Du den richtigen Ton ziemlich gefunden hast.
Von meinen Kameraden habe ich bis heute noch keine Nachricht, meine beiden Briefe, die ich an Thomas geschrieben habe, sind aber auch nicht zurückgekommen. Wenn ich bis Ende der Woche noch keinen Bescheid erhalte, werde ich einmal an Frau Graser nach Freiburg schreiben.
Sei Du liebes Mädel, recht herzlich gegrüßt und geküßt und ich hoffe, daß wir uns für den nächsten Samstag gesund wiedersehen. Den beiden Trabanten gibst Du auf meine  Rechnung einen Kuß und sage ihnen, sie solle sich nur fein brav halten. Bis zum Wiedersehen nochmals herzliche Grüße sendet Dir Dein Ernst.  
(Paula ist die Schwester meiner Großmutter, die eine Straße unterhalb unserer wohnte. Meine Eltern und sie haben nicht mehr miteinander geredet, was für uns, meinen Bruder und mich, immer etwas merkwürdig war, wir haben immer weg geschaut, wenn wir sie trafen; erst nach dem Tod meines Onkels, Kurt, das war sozusagen der Anlaß, sind wir uns wieder näher gekommen. Paula und Albert, die Eltern des z.Zt. noch auf dem Feldberg lebenden Kurt, sind auch diejenigen, die uns Kindern die Apfelschalen gegeben haben und uns, meinen Bruder und mich, Piranjas, genannt haben, während ihre Hunde Schlagsahne bekamen. Sie haben uns andererseits auch nach dem Krieg insofern geholfen, als sie uns manchmal mit nach Allensbach zum Hamstern von Milch mitnahmen, weil sie dort jemanden kannten, außerdem hat dieser Albert, der nebenbei Jäger war, Bleßhühner geschossen und uns manchmal eines abgegeben oder wir durften bei ihnen mit dem Tranfett dieser Bleßhühner gebackene Kartoffelpuffer essen. Dieses Mißverhältnis zu den Hagenauers (wie ich schon mal erzählte, waren sie der Anlaß, daß wir an den Bodensee kamen) hing damit zusammen, daß diese Großtante sehr viel klatschte und immer einen gegen den anderen aufhetzte.)

Brief 109 vom 4./6.3.1941


Mein liebes Mädel!                                                                               Karlsruhe 4.3.41            

 gestern früh erhielt ich auch noch Deine Postkarte vom Sonntag, ebenso sind die 60,-RM eingetroffen. Du hast also schon vorausgeahnt, wie viel ich etwa brauchen werde. Meine Miete habe ich nun bis zum Ende dieses Monats bezahlt und mit dem Rest werde ich gut auskommen. Gesundheitlich geht es wieder einigermaßen. Ich war, wie ich ja oben schon erwähnte, gestern wieder im Kurs. Ich werde mich die nächsten Tage noch etwas schonen und dann wird es wieder gehen und alles wieder in Ordnung sein.
Wegen des Briefes der Frau Frick habe ich Dir ja geschrieben. Ich sende ihn Dir heute wieder zurück. Wie mir die Frau sagte, sollen sie wahrscheinlich nach Brest, das liegt in der nordwestlichsten Ecke Frankreichs.  Brest ist früher französischer Kriegshafen gewesen. Ob das stimmt, wird sich ja später erweisen. Am Sonntag hatte ich noch eine Karte an die Eltern und eine an Nannie geschrieben, Damit sie wissen, wo ich jetzt bin.
Das Wetter ist hier gegenwärtig sehr unbeständig, heute will es offenbar schön werden, zwar ist es etwas frisch draußen.
Bis jetzt stehe ich noch nicht schlecht mit meinen Marken. Doch diese verfallen ja nicht, weil es noch Urlaubermarken sind. Ich werde sie mir vorerst aufheben, falls ich sie sonst einmal brauche. In der nächsten Woche habe ich dann auch die gewöhnlichen Marken wie ihr sie bekommt. 
Unseren beiden Stromern gib wieder einen herzlichen Kuß (selbstverständlich jedem einen), sage ihnen wiederum, sie sollen parieren, denn sonst gibt es keinen mehr. Dir wünsche ich alles Gute und Danke Dir nochmals für die gesandten Sachen. Ich sende Dir gleichzeitig recht herzliche Grüße und Küsse Dein Ernst.  

Meine liebe Annie!                                                        Karlsruhe , den 6. März 1941

Ich Danke Dir recht herzlich für das Päckchen vom 3. dieses Monats, das ich gestern Abend in meiner Behausung vorfand. Ich glaube fast, Du hast den Eindruck, dass ich nahe am Verhungern bin. Erst im letzten Paket schicktest Du mir Wurst und Butter mit. Im gestrigen war wieder welche beigefügt, außerdem noch Käse und Pralinen. Ich möchte Dich herzlich bitten, doch nicht soviel Sachen zu schicken, denn bis jetzt habe ich noch keine Not leiden müssen. Für den Kuchen zeichnest Du ja insoweit nicht mehr verantwortlich, als er schon seine Hin- und Rückreise nach Frankreich angetreten hatte um nunmehr den Empfänger doch noch zu erreichen. Ich Danke Dir nochmals recht herzlich für alles gesandte. Ich freue mich, daß Du es hast möglich machen können, an Kurt noch ein kleines Päckchen zum Geburtstag zu senden.
Du bist also auch an den Tagen nicht auf der Höhe gewesen, wo auch ich nicht richtig beieinander war. Das nennt man Sympathie. Ich freue mich aber, daß es Dir wieder soweit ordentlich geht. Von mir kann ich auch sagen, daß ich es diesmal wieder hinter mir habe. Also aus diesem Grund brauche ich nun nicht heimzukommen.  Wie ich aber gehört habe, soll in der Osterwoche in der Zeit vom 10.- 16.4 Unterrichtsferien sein. In dieser Zeit werde ich ja nach hause kommen.
Neben der Wäsche hast Du Dich auch noch an die Gartenarbeit gemacht und Brombeeren ausgeputzt. Ich glaube schon, dass Du mir wenig Gelegenheit geben wirst, um Dir eine Rüge zu erteilen. Bis jetzt hast Du ja das andere alles ordentlich gemacht. Heute Abend lag ein Brief von Deinen Eltern vor und in der Schule bekomme ich einen von Kamerad Graser ausgehändigt. Als ich ihn daheim aufmachte, enthielt er vier Briefe von Dir, die Du an mich gesandt hattest. Es war sonst nichts weiter dazu geschrieben als „Herzlichen Gruß Dein Richard“.   Diesen Richard Graser haben wir auf unserer Fahrt (Vater, Jörg und ich) in Freiburg besucht.  Wie ich dann aus dem Absender sehen konnte, hat er jetzt eine andere Feldpostnummer. Wahrscheinlich ist er woanders hingekommen. Von Thomas habe ich ja noch keine Nachricht. Ich habe ihm bis jetzt zwei mal geschrieben. Gespannt bin ich ja, was aus unserer Dienststelle geworden ist. Es wird aber so sein, daß sie erst mit ihren eigenen Sachen zu tun haben.
Über den Inhalt des Briefes an die Eltern weißt Du ja Bescheid. Das kann schon stimmen, daß ich mit Briefeschreiben dran bin, doch das hat sich gerade überschnitten mit meiner Abreise in Lille. Das ist für mich auch nicht weiter tragisch. Wegen des Falles Erna wird es wohl am besten sein, Du schreibst ihnen die Angelegenheit so, wie Du sie kennst, fügst aber gleichzeitig hinzu, daß sie Siegfried den Standpunkt klar machen können, doch sollen sie ihm Zeit geben, damit er sich alles nochmals überlegen und durchdenken kann. Im Übrigen ist es doch so, daß es nicht unsere Sache ist, in die wir uns hineinmischen wollen. Beide Teile müssen erst sehen wie sie alles wieder ins reine bringen. Bald ist wieder Sonntag und auch hier werden sie Wochen schnell vergehen. In den letzten Tagen trafen immer noch einige ein, die am Kurs teilnehmen wollen. Wir sind ja etwas über 40 Mann. Gleichzeitig läuft ja noch ein Lehrgang, an dem etwa etwas über 40Mann teilnehmen. In den vergangenen Tagen sind aus diesem Kurs 3 Mann telegrafisch wieder zur Truppe einberufen worden. Es ist anzunehmen, daß dies mit den Ereignissen in Bulgarien zusammenhängt. Es ist ja gut möglich, daß meine Kameraden doch runter gekommen sind.
So langsam gewöhne ich mich nun wieder an das Lernen, wenn es mir auch noch keine ausgesprochene Freude macht, kann ich aber jetzt  doch sagen, daß es schon besser geht wie am Anfang. Ich habe mich mit einem Kameraden der etwa in meiner Nähe wohnt, zusammengetan, mit dem gehe ich fast jeden Morgen, soweit es die Zeit zuläßt, den Stoff einmal durch.  Ich habe dabei festgestellt, daß in manchen Fächern die Sache schon wieder ganz gut geht. Bei dieser Gelegenheit merke ich aber auch, wo es fehlt.
Ich habe Dir heute die Bescheinigung mit beigelegt, daß ich hier den Kurs angetreten habe. Du kannst sie ja dann ja an Frl. Bucher weiterbefördern. 
Das Wetter ist hier seit einigen Tagen ziemlich beständig, was einem nicht gerade unangenehm ist. Aber daß ich am Sonntag raus gehe, glaube ich kaum, denn am Vormittag werde ich bestimmt lernen. Vielleicht gehe ich gegen Abend einmal ins Kino, doch das kommt ganz auf die Stimmung an.
Vorgestern hatte ich nach dem Mittagessen noch etwas Zeit, dann bin ich noch in die Ausstellung „Kunst an der Front“ gegangen, die hier stattfindet. Es sind teils sehr schöne Bilder dabei, die meisten behandeln ja das Kriegsthema. Unter anderem sind auch Bilder von Dünkirchen dabei. So z.B. die versenkten Dampfer, die ich auch fotografiert habe.
Was treiben unsere Strolche? Jeden morgen, wenn ich aufstehe, lachen sie mich an. Ich habe doch unsere Bilder auf meinem Nachttisch wieder aufgestellt. Hoffentlich gehorchen sie Dir einigermaßen, Damit Du nicht gar zuviel dazwischenfunken mußt.
Ich grüße Euch Drei recht herzlich und bitte Dich, gib jedem wieder einen Kuß von mir. Du selbst nimm aber recht herzliche Grüße und Küsse entgegen von deinem Ernst. Grüße bitte auch Vater von mir. Hast Du ihm schon die Zigarren gegeben?  

Donnerstag, 3. März 2016

Brief 108 vom 02.03.1941


Meine liebe kleine Frau                                                        Karlsruhe, den 2.3.41       

Deinen Brief vom 24./26.2. sowie den vom 27.3. und die Karte habe ich bestens Dankend erhalten. Ich werde Dir also alles der Reihe nach beantworten.
Das Paket, welches Du am 28.2. an mich ab gesandt hast, ist bereits gestern schon hier eingetroffen. Auch Dafür Danke ich Dir vielmals. Vorweg nehmen möchte ich, daß ich Deine Kurzschrift ebenfalls gut lesen kann. Es sind nur einige Sachen, die etwas störend wirken. Du schreibst (es folgen einige Beispiele der Kurzschrift). Dies sind aber nur kleine Schönheitsfehler, die sich ja ohne weiteres beheben lassen. Deine Mitteilung von dem Eintreffen der Päckchen hat mich gefreut. Doch jedes Mal schreibst Du mir, daß der Schlafanzug nicht Dabei gewesen sei. Das stimmt auch, denn ich hatte ihn ja erst in die Wäsche gegeben, als ich dort wegfuhr. Diese Wäsche werden meine Kameraden noch nachsenden, wenn sie fertig ist.  Wenn Du von den verschiedenen Sachen etwas gebrauchen könntest, so ist mir das sehr recht. Nach Deinem Schreiben zu urteilen hat Helga ihre Häkelarbeit in der Schule recht gemacht. Das ist ja erfreulich. Überrascht war ich aber über das Vogelbild von Jörg.  Ich hatte erst geglaubt, es sei durchgepaust und dann nachgemalt.  Du schreibst mir daß dies nicht der Fall ist. Ich muß beiden mein Lob aussprechen und ihnen sagen, sie sollen nur so weitermachen. 
Nun muß ich Dir von einer unangenehmen Geschichte berichten, die mir passiert ist. Am Donnerstagabend bekam ich leichte Rückenschmerzen. Ich hatte sie nicht weiter beachtet. Am folgenden Morgen merkte ich, was los war. Es ist die gleiche Geschichte, die ich in Frankreich mit den Nieren auch schon einmal hatte.  Ich dachte, das beste ist, wenn ich doch nicht sitzen kann, ich fahre zu Kurt raus, dann ist der Tag nicht vergeudet. Mit dem Laufen ging es ganz gut, da hatte ich keine Scherereien. Ich bin dann nach Blankenloch gefahren, mußte aber feststellen, daß Kurt mit seiner Truppe schon am Dienstag in Marsch gesetzt wurde. Ich habe mich dann nicht allein bei den Leuten aufgehalten und bin dann, nachdem ich im Ort zu Mittag gegessen hatte, 5 km marschiert bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle, so daß ich bald wieder hier war. Um nicht weiter denken zu müssen, bin ich dann ins Kino gegangen „Sieg im Westen“. Danach habe ich mich heimbegeben. Meine Wirtsleute waren sehr nett und hatten mir eine Medizin besorgt, Damit ich bald wieder flott werden sollte. Am Samstag aber war es noch unvermindert, so daß ich mich für den Unterricht kaum konzentrieren konnte. Ich bin in die Schule gefahren, habe mich dort entschuldigt und nachdem ich gegessen hatte, habe ich mich nach hause begeben. Die Leute haben mich gleich ins Bett schicken wollen. Ich konnte das zwar nicht, weil man ja hier fremd ist.  Am Abend haben dann die Schmerzen nachgelassen und gleich nach 7 Uhr bin ich dann in die Falle gegangen. Heute habe ich bis etwa gegen 10 Uhr geschlafen und nun merke ich, daß es mir bedeutend besser geht und ich glaube hoffen zu können, daß morgen wieder alles in Ordnung ist. Mit dem Essen habe ich seit gestern Mittag ausgesetzt, was mir auch ganz gut getan hat. Beunruhigen brauchst Du Dich deswegen nicht mehr, denn es geht ja alles wieder. Wenn es nicht besser geworden wäre, hätte ich mich morgen auf die Bahn gesetzt und wäre heimgekommen. Dies ist aber nicht mehr nötig, was mich auch wieder beruhigt. Was nun das Schreiben von Kurt anbelangt, so schrieb er einmal an Nannie. Ich finde, Du machst es am besten, wenn Du ihr in der Duzform schreibst und kannst ihr ruhig sagen, daß Du erst bei mir angefragt hast, wie Du es halten sollst. Vor allem muß Du einen Ton anschlagen wie Du ihn mir gegenüber anwendest, dann wirst Du bestimmt das Richtige treffen. Wenn Du ihr damit ein wenig über trübe Gedanken hinweggeholfen hast, so denke ich mir, daß auch Du innerlich die Genugtuung hast, einem einsamen Menschen geholfen zu haben. Vielleicht schreibt Helga einen Gruß dazu und Jörg malt ihr ein Bild. Wenn Du noch ein Bild von den Kindern hast, was sie noch nicht kennt, so wird sie ihre Freude daran haben. Du weißt ja auch, was sie an uns getan hat. Du hast schon ganz andere Sachen gemeistert, ich bin davon überzeugt, dies wird Dir auch gelingen. Den Briefträger hast Du ganz richtig abgefertigt, wenn er so geheimnisvoll tun will.
Mein Besuch bei Kurts Wirtsleuten war insofern interessant, als sie mir verschiedenes sagten, warum er diesen und jenen Dienst machen mußte. Du weißt doch, daß er sich nicht getraut, etwas zu sagen. So hat er gleich am Anfang ein verrostetes Gewehr bekommen, beim Appell ist er natürlich gleich damit aufgefallen, dann hat er einen Mantel erhalten, der vor Dreck stand. Beim Antreten war es ihm dann gleich gegangen wie mit dem Gewehr. Er ist eben einer der Pechvögel, die immer auffallen. Dafür hat er auch verschiedene Male Wache schieben müssen.  Du brauchst davon Vater nichts zu sagen, Du weißt ja wie er dann gleich darüber urteilt. Sie haben mir auch gesagt, daß er seit dem 12.11. bis zu seiner Abreise zweimal abends ausgegangen sei und dies nur deshalb, weil er gemußt hat. Sie haben ihn sehr gern gehabt und zu seinem Geburtstag, den sie nur unter schwierigen Umständen erfahren haben, schicken sie ihm ein Päckchen.  Wie sie mir weiter erzählten, soll er sehr ungern gegangen sein.  Ich habe ihm heute zu seinem Geburtstag geschrieben und ihm auch gut zugesprochen. Vergiß doch bitte nicht, ihm auch zum Geburtstag zu schreiben. Feldpost-Nummer 19655. Die Frau sagte mir noch, daß sie Dir geschrieben hätte. Ich nehme an, daß Du diesen Brief inzwischen erhalten hast. Die deutsche Gemeindeordnung war in einem der Bücher enthalten, das Du mir hast mit zugehen lassen. Wir brauchen also nirgends mehr betteln. Die Bescheinigung wegen des Antritts des Kurses werde ich wahrscheinlich am Montag erhalten, ich sende sie Dir dann umgehend zu. Daß Dir dieser „Lange„ unsympathisch erscheint ist wirklich keine Seltenheit, denn er ist sozusagen der bestgehassteste bei der ganzen Stadtverwaltung.  Wegen der Unterlagen von meinem Kameraden Graser sende ich Dir den Brief der Frau Graser mit, aus dem Du ersehen kannst, daß es noch andere Leute gibt, als die der Stadt Konstanz. Ich schreibe ihr heute eine Karte für die prompte Zusendung.  Nun hast Du Deinen Rock also in Ordnung, das freut mich sehr, daß Dir dies auch gelungen ist. Wegen des Geldes denke ich mir, daß wir bis zum 15. etwa 50/60,- erhalten, denn ich muß noch die Miete bezahlen und während dieser Zeit noch leben. Du bekommst ja dieses Geld wieder am 15., dann geht ja wieder alles klar.  Für heute habe ich Dir aber genügend geschrieben. Ich denke, daß Du mit mir zufrieden bist.

Dienstag, 1. März 2016

Brief 107 vom 25./27.2.1941


Meine liebe Annie                                                                  Karlsruhe, den 25.2.1941   

Gestern bin ich um 2 Uhr hier eingetroffen.
Nachdem ich mein Gepäck aufgegeben hatte, ging ich zur Schule raus. Ich schneite so mitten in die Stunde herein und habe gleich mitgetan. Wie es mir scheint, ist der Unterricht etwas anders aufgezogen.  Ich werde mich aber erst einmal hinein fühlen und dann nach den gegebenen Unterlagen weiterarbeiten. Gegen 5 Uhr war ja dann die Führerrede, die wir gemeinschaftlich angehört haben.  Anschließend ging ich dann auf die Suche nach meinem Zimmer. Wie Du schon aus dem Absender ersiehst, habe ich ja eins gefunden. Es ist mir von der Hausmeistersfrau der Schule empfohlen worden. Wie ich dann gemerkt habe, ist diese Frau eine Verwandte. Die Leute waren etwas überrascht, als ich so spät vorsprach, doch bis ich mein Gepäck vom Bahnhof geholt hatte, war das Zimmer hergerichtet. Das Zimmer ist soweit sauber und es ist mir die Möglichkeit gegeben, das Wohnzimmer zu benutzen, wenn ich lernen will. An Miete habe ich 25,- zu bezahlen, wie es mit den Sonderleistungen steht, muß ich erst noch feststellen.  Ich bin gestern Abend zeitig zu Bett gegangen, und heute früh um 8 Uhr aufgestanden. Ich werde noch verschiedene Formalitäten erfüllen und mich noch wegen einer Eßgelegenheit umsehen. Doch darüber werde ich dir dann berichten in meinem Brief, den ich Dir zum Sonntag schreiben werde. Teile mir doch bitte noch die Adresse von Kurt mit, damit ich mich danach umsehen kann. Auf meiner Herfahrt erlebte ich noch eine Überraschung. In Hornberg stiegen die Eheleute Fritz ein, die ihren Urlaub in Straßburg mit einem anschließenden Abstecher zu ihren Verwandten im Schwarzwald beendet hatten und nun nach Lille wieder zurückkehrten. Denen habe ich gleich noch einen kurzen Gruß mitgegeben.  Ich werde aber anschließend gleich noch an Thomas und den Graser schreiben, damit die meine Adresse auch haben.  Hoffentlich kannst Du nun alles lesen. Ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben und noch manches ausgeschrieben, was ich sonst nicht mache.  Liebes Mädel, ich danke Dir bei dieser Gelegenheit nochmals für Deine liebe Aufnahme Daheim und auch für alles Liebe, was Du mir wieder während dieser kurzen Tage getan hast. Sage unsern zwei Stromern recht herzliche Grüße und gib jedem einen herzhaften Kuß. Du selbst sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Meine liebe Frau!                                                                      Karlsruhe den 27.2.41

Ob Dich dieser Brief erst am Sonntag erreicht oder schon eher, muß man abwarten, weil mein Wissen über die Postverbindung noch nicht im klaren ist. Vorgestern früh hatte ich mich angemeldet und mir auch meine Lebensmittelkarten beschafft. Ich habe bis zum 9. März sogenannte Urlaubskarten bekommen. Später erhalte ich also die normalen. Ich habe es so gehalten, das Frühstück zuhause einzunehmen, mittags esse ich in der Wirtschaft und abends habe ich auch bis jetzt Daheim gegessen. Wie sich das auf die Dauer in dieser Weise und mit den Marken durchführen läßt, wird sich ja mit der Zeit herausstellen. Im Übrigen sage ich mir, es geht auch hier nicht ewig. Für das Mittagessen muß man mit Getränk durchschnittlich RM 1,50 rechnen. Man muß schon sparsam leben, wenn man mit dem Betrag von RM 4,--täglich auskommen soll. Bis jetzt habe ich es so gehalten, daß ich früh gegen 8 Uhr aufgestanden bin. ½ 9 Uhr etwa wird gefrühstückt. Von 9 - 11 Uhr lese ich meine Sachen nochmals durch, oder ich erledige meine Post. Anschließend gehe ich dann in die Stadt zum Mittagessen. Von 2 - 7 Uhr ist dann Unterricht.  Damit ich dann noch etwas frische Luft schöpfe, laufe ich bei schönem Wetter nach hause. Wenn ich es gemütlich mache, bin ich gegen ½ 8 Uhr Daheim. Hier habe ich mir zum Abend, wie auch zum Frühstück, Tee bestellt. Dann habe ich immer noch etwas Zeit, um anschließend meine Sachen ein bißchen durchzugehen. So sehr streng gehe ich bis jetzt noch nicht dran, denn wie ich Dir gestern schon auf der Karte mitteilte, habe ich noch keinen großen Schneid zum Lernen. Ich hoffe aber, daß er, wenn die Sache ernster wird, schon von selbst kommt. Wie solide ich geworden bin, kannst Du daraus ersehen, daß ich mich immer gegen 10 Uhr schlafen lege. Ich schlafe dann auch gut bis gegen Morgen durch. Es ist nun schon wieder eine Woche her, seit ich bei Euch eintraf. Wenn die kommenden Wochen genau so schnell vergehen, soll es mir recht sein. Dieses Schulbanksitzen ist für einen erwachsenen Menschen nichts Angenehmes. Leider ist es aber so, daß man ohne diese Tierquälerei nicht vorwärts kommt. Ich werde die Zähne schon zusammenbeißen, wenn es mir hart ankommt.  An einem der kommenden Abende werde ich mir einen Film „Sieg im Westen“ ansehen, der hier z.Zt. läuft, damit man nicht ganz verbiestert. Was machen unsere zwei Stromer. Die sind ja auch schon über den Abschied hinweg. Jörg soll folgen und parieren. Es kommt mir immer etwas fade vor, wenn ich solche Meinungen im Brief schreibe, ich denke aber, daß sie insoweit einen Zweck haben, daß er merkt, daß ich seine Schwächen nicht vergessen habe. Helga beißt ja noch unentwegt ihre Fingernägel ab und hat, wie ich bei meinem letzten Besuch feststellen mußte, auch verschiedene Untugenden angenommen. Na, wir wissen selbst, daß wir auch einmal Kinder waren und auch nicht alle Tage brav sein konnten, drum sieht man auch über diese Schwächen hinweg, soweit sich dies vertreten läßt.  An Deine Eltern werde ich dieser Tage noch eine Karte schicken, daß ich hier bin. Außer an Nannie und Kurt brauche ich ja keine Mitteilung schicken. Sei Du recht herzliche gegrüßt und geküßt und gib unseren Stromern wieder einen herzhaften Kuß und lasse bald von Dir hören. Bis zu meinem nächsten Brief grüßt Dich nochmals herzlich Dein Ernst.
An Vater ebenfalls herzliche Grüße und sage ihm, daß ich seine Marmelade jetzt zu meinem Frühstück verwende. Ich erwarte ja noch die Päckchen, die Du mir nach Lille gesandt hast, so daß ich dann vorerst etwas anderes zu essen hätte.