Donnerstag, 11. Juni 2015

Brief 13 vom 11.06.1940


Meine liebe Annie!                                                   Ung. Hradisch, den 11.6.1940                                                             

Gestern habe ich Dir mitgeteilt, was man mit uns vor hat.
Morgen kommt das vor uns ausgebildete Marschbataillon fort. Wir werden dann später nach Vollendung unserer Division zugeteilt, die wahrscheinlich irgendwo in Frankreich kämpft. Es ist uns angekündigt worden, daß wir jetzt mit großen Märschen zu rechnen haben und daß wir daraufhin durchgebildet werden.
Wir waren gestern in einer Schule und zwar im hiesigen Realgymnasium. Die Reinlichkeit bei den Tschechen scheint nicht gerade eine hervorragende Rolle gespielt zu haben. Die Aborte sind verschmiert und schmutzig. Wir müssen uns eben mit diesen behelfsmäßigen Zuständen abfinden, denn wir sollen morgen sicher wieder umziehen.
Heute bin ich von 18 Uhr bis morgen 18 Uhr auf Wache, damit ich das auch einmal kennen lerne. Ich habe mich dazu freiwillig gemeldet. Wir müssen dabei während der ganzen Zeit umgeschnallt lassen, ebenso die Gasmaske. Es wird einem eben dabei nicht zu leicht gemacht; das gehört ja auch zur Abhärtung.
Bei unserer neuen Einheit haben wir wieder andere Vorgesetzte, an die wir uns wieder gewöhnen müssen. Unser letzter Feldwebel in Göding hat zu uns immer gesagt, so dumme Kerle wie uns hätte er noch nie gehabt. Obwohl wir mit ihm nun 14 Tage beieinander waren, hat er sich von uns 3 - 4 Mal verabschiedet und man hat ihm angemerkt, daß es ihm nicht einerlei war, daß wir wieder fort sind. Man sieht also daraus, daß er mit den Leistungen von uns alten Knaben zufrieden war.
Hier sind wir mit Leuten zusammen, die teilweise schon 8 Wochen und länger gedient haben und die zum Teil erst 23 - 28 Jahre alt sind. Es wird sich nun zeigen, ob wir diesen Jungen auch gewachsen sind.
Ich will es jedenfalls nicht bezweifeln und ich für meinen Teil werde wie bisher mein äußertest tun; mehr kann man nicht verlangen. Ob die einzelnen Blindgänger, die ja überall dabei sind, auffallen, soll mir gleich sein. Vorerst wird es, wie ich Dir ja gestern schon schrieb, immer wieder Appelle geben, bis alles in Ordnung ist. Hier wird sehr darauf gesehen, daß jeder seine Sachen hat was ihm zukommt. Auch hier haben wir bis jetzt gutes und reichliches Essen, wir hoffen, daß es auch so bleibt.
Hier sind sehr ausgedehnte Kasernenanlagen, die von dem Tschechen noch gebaut worden sind und scheinbar erst kurz vor der Übernahme durch uns fertig geworden sind. Auch sonst  der Ort, wie wir ihn bis jetzt gesehen haben, macht einen geordneteren Eindruck wie Göding.
Wenn wir ja einmal Ausgang erhalten sollten, so werden wir das ja feststellen. In Göding sind wir ja nie fortgekommen, außer einmal, wo wir im Kino waren.
Wenn sich bei Euch irgendetwas ereignet, gerade so wie die Bombardierung bei Euch, so schreibe mir das bitte, denn es ist mir nicht recht, wenn ich es von anderen erfahre. Ich bin dann beruhigter, wenn ich so etwas von Dir gleich erfahre.
Ich muß nun immer  wieder feststellen, daß Du dich des Gartens in ganz intensiver Weise annimmst. Ihr werdet jetzt fest Erdbeeren haben, auch die Johannisbeeren werden langsam reifen. Sag  mal, trinkst du eigentlich den Wein, wie wir es besprochen hatten? Weiter möchte ich Euch bitten, geht zum Baden, wenn es nur irgendwie möglich ist. Schickt mir bitte ja kein Obst, denn das wäre ja doch nur verdorben, bis es hierher kommt, vor allem, wo man nicht weiß, wie lange man hier ist.
Helga hat sich aber sehr angestrengt mit ihrem Schreiben und sie hat nicht einmal viel Fehler, vor allem, wenn man berücksichtigt, daß sie es ganz aus sich heraus geschrieben hat.
An Deine Eltern werde ich heute auch schreiben, damit sie meine neue Anschrift erhalten. Ebenfalls werde ich sicher noch an Nanni schreiben.
Das Wetter ist seit dem Regentag, den ich Dir von Göding gemeldet hatte, hier immer schön gewesen. Der Himmel ist hier fast den ganzen Tag blau, fast wie im Süden. Eigenartigerweise haben wir hier schon zeitiger dunkel wie bei Euch und zwar zwischen 9 und 1/2 10 Uhr abends; doch geht nun diese Zeit der Tag schon um die gleiche Zeit früher an, wie er im Verhältnis zu Euch aufhört.
Auf Posten nichts neues. Soeben bin ich von meinem Streifendienst zurück und es ist jetzt Mitternacht. Der Mond und die Sterne haben auf uns geschienen und wir haben unsere Runden gezogen. Ausgerüstet mit Gewehr und 10 scharfen Patronen. Leuchtpistole und dazugehörige Munition. Geschlafen habe ich noch nicht, doch bis zur nächsten Streife um 4 Uhr werde ich mich noch etwas auf die Pritsche legen. Sie ist zwar hart und umgeschnallt muß man dabei auch lassen, aber man kann sich dabei etwas ausstrecken. Ihr werdet jetzt sicherlich schlafen und werdet kaum ahnen, daß ich noch munter bin.
Ihr braucht aber den Schlaf sicher auch, denn auch an Euch werden am Tage viel Anforderungen gestellt. Schlaft Ihr gut weiter. Sei Du vielmals und recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Küsse die Kinder vielmals von mir.

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