Dienstag, 9. Juni 2015

Brief 12 vom 9./10.6.1940


Meine liebe Annie!                                                                                  Göding, den 9.6.40

Morgen müssen wir nun um 5 Uhr von hier fort. Das ist der letzte Brief von hier.
Vorerst fahren wir nach Ung. Hradisch, das ist etwa noch 30 km NW von hier, dort werden wir wahrscheinlich zusammen gestellt. Wir nehmen an, daß wir irgendwo als Besatzungstruppe verwendet werden, ob dies aber stimmt, wird sich ja zeigen.
Ich schicke heute noch einige Sachen zurück, die nur hinderlich sind. Das Besteck habe ich mir hier gekauft gehabt und die Bürste darf ich nicht verwenden.
Die Wäsche ist ordentlich durchgeschwitzt und bedarf der gründlichen Reinigung.
Es ist eigenartig beim Kommis; heute früh sind wir fast den halben Vormittag rumgesessen und als wir unsere Sachen gefaßt hatten, ging wieder alles nicht schnell genug. Doch unseren Appell haben wir hinter uns und auch alles andere wird sich wieder finden.
Unsere Erkennungsmarke haben wir gefaßt. Meine lautet 4./Inf.Ers.Vatl.460 A 815.
Eiserne Portionen haben wir auch gefaßt, es sieht also schon ernst aus.
Gestern hatten wir noch die Gasprobe machen müssen und ärztliche Massenuntersuchung ist auch schon vorbei. Ich werde Dir wieder umgehend schreiben. Unsere Märsche habe ich soweit überstanden.
Die angeschlossenen Schecks kannst Du einreichen und evtl. bei einem Zigarettenhändler einlösen oder direkt einsenden, das überlasse ich Dir aber ganz allein, ob Du Lust dazu hast.
Heute von 4 Wochen waren wir auf dem Haldenhof, da war es aber doch schöner wie hier. Das war doch ein schöner Tag, den wir uns da geleistet hatten.
Was machen unsere Bäume, tragen die eigentlich etwas oder ist alles runtergefallen?
Helga hat sich aber wieder fest angestrengt mit ihrem Schreiben, auch Jörg. Gib beiden einen festen Kuß von mir.
Herzlich grüßt und küßt Euch alle in Liebe Euer Vater und Ernst.
An die Kommismanieren habe ich mich auch schon gewöhnt; aus der Flasche kann ich jetzt trinken und essen kann ich mit dem Taschenmesser. Ja, da staunst Du, wie man da das Heikelsein aufgibt.
Gute Nacht und schlafe gut.


 Mein liebe Annie!                                                                                  U.H., den 10.6.1940

Wir sind in einer tschechischen Schule untergebracht und zwar behelfsmäßig.
Wir wurden hier zu einem Ers.Marsch-Batall. zusammengestellt, das dann in Frankreich eingesetzt werden soll. Wir werden demnächst sehr viel marschieren müssen, doch werden wir vorher  noch verschiedene Appelle über uns ergehen lassen müssen.
Meine Anschrift lautet jetzt:
Schütze E.R. 3/J.E.B. 470(IV) Ung. Hradisch.
Das andere alles wie sonst. Ich habe heute Mittag die beiliegende Karte geschrieben, doch ich möchte Dir gleich meine neue Anschrift mitteilen, damit Du weißt, wo ich stecke. Ich habe deshalb einem 20 Pfennig gegeben, damit er meine Stiefel mit putzt und ich Dir dafür schreiben kann.
Sei herzlichst gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst .
Küsse die Kinder von mir und grüße Vater von mir, denn Kurt wird ja schon wieder fort sein bis mein Brief ankommt. Dora hat doch demnächst Geburtstag, schreibe ihr nur noch. Die Schokolade, die Du mir mitgegeben hast, habe ich erst heute angefangen mit essen, bin ich da nicht sparsam?

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