Donnerstag, 10. Januar 2019

Brief 509 v0m 7./9.1.1944


Mein liebstes Mädle!               7.1.44 
     
Von gestern muß ich Dir noch berichten, daß wir ja gestern unseren ersten Übungstag von unserer Alarmeinheit hatten. Wir hatten einmal Schießen und nächsten Montag , da haben wir eine Übung im Gelände. Das Schießen ging diesmal wieder. Ich merke, daß ich zu wenig Übung habe. Wenn ich die mehr hätte, wäre ich sicherlich auch kein schlechter Schütze. Aber daran mangelt es bei mir meist. Ich habe gestern bei 3 Schüssen wieder einmal ganz ordentlich geschossen. Erst 8, dann 9 und dann als letzten Schuss 11. Das hat mir in dieser Hinsicht wieder ein wenig Auftrieb gegeben und bei mir die Hoffnung auf eine Besserung nicht ganz verschüttet.
Post ist heute wieder nicht angekommen. Was ich sehr bedauere, denn es könnte sich nun langsam wieder einmal ein regelmäßiger Posteingang zeigen. Aber das sind alles schöne Wünsche, die nicht so gleich in Erfüllung gehen.
Das Schicksal geht manchmal eigene Wege und ich muß gleich dazu setzen, es gibt auch boshafte Menschen. Ich habe schon lange eine Leipziger Zeitung bei mir in der Schublade liegen. Ich kam bisher noch nicht dazu, sie zu lesen. Der Zufall  denn ich wollte sie erst zu Verpackungszwecken benutzen  spielt mir ein Artikel in die Hand, der mich so lebhaft an Dich erinnerte. Nun wäre es ja nicht schön von mir, wenn ich etwas über Dich lese und es Dir nicht selbst zur Kenntnis gebe. Ich füge Dir den Artikel bei. Man könnte fast glauben, er hätte meine Annie gekannt, dieser Zeitungsschreiber und wollte sie nur ärgern. Du mußt nun nicht denken, daß ich gleich zu so drastischen Mitteln greife, wie dieser Mann in der Geschichte. Im Gegenteil, dieser Schreiber hat anscheinend noch nicht erkannt, welche Abwechslung in einer solchen Veränderung der Wohnung liegt. Der Mann hat wahrscheinlich noch nicht gemerkt, was Wohnkultur ist.  Solange ich mich nicht in einem solchen Zustand nach hause bewege, wie in diesen Ausführungen die Rede ist, solange brauche ich ja auch keine Befürchtungen haben, daß mir etwas dabei zustößt. Immerhin, ich glaube, daß auch Du Deinen Spaß an meine Entdeckung haben wirst. Oder bist Du mir etwa böse?
Ich werde mich überhaupt, wie Du das in letzter Zeit schon gemerkt haben wirst, auf die Schreiberei anderer Leute verlassen und damit das ersetzen, was ich selbst nicht kann oder vermiesen lasse. Ich füge Dir noch einen anderen Ausschnitt aus der Zeitung bei, der mit „Geräusche am Morgen“ überschrieben ist. Fast so ähnlich erlebe auch ich jeden Morgen. Ich hätte vielleicht das eine oder andere etwas anders geschrieben, aber das ist ja nicht so wichtig. Der Artikel ist so einigermaßen getroffen, so daß ich ihn Dir zur Erweiterung Deiner Kenntnisse über die hiesigen Verhältnisse beifüge. Auch das Bild, das ich mit dazulege, hat mich an etwas erinnert. Das ist doch richtig beobachtet. So ungefähr muß das aussehen, wenn der Briefträger zu Dir die Päckchen bringt. Meinst du nicht auch? Unsere freundlichen Nachbarn waren doch schon die ganze Zeit so besorgt um uns, daß sie sich schon an die Polizei wenden mußten, weil wir unbedingt Wehrmachtsgut verschieben mußten. Denn wo soll denn das ganze Zeug herkommen. Aber dass wir in dieser Beziehung keine Einzelerscheinung darstellen, das kann man schon daran erkennen, daß sich die Zeichner in den Witzblättern mit diesen Figuren beschäftigen.
Ich wollte Dich wieder einmal bitten, nachzusehen, ob es vielleicht wieder Inspiroltabletten gibt. Meine gehen so mit der Zeit aus. Das ist keine eilige Angelegenheit, darum kannst Du Dir damit schon Zeit nehmen.
Gestern Abend habe ich dem Kino wieder einen Besuch abgestattet. Es wurde ein recht netter Film gespielt, der „Die Gefährtin eines Sommers“ hieß. Im Laufe der Woche hatte ich mir den Film „Großalarm“ angesehen, der nichts Besonderes war. Das ganze Thema war so an den Haaren herbeigezogen. Aber es gibt eben solche und solche Filme. Wenn man dann mit Kameraden spricht, dann merkt man, daß gerade ihr Geschmack auf diese Dinge abgestimmt ist. Die wollen gerade sowas sehen und legen weniger Wert auf Filme, in denen Lebensprobleme berührt werden. Doch das ist ja meist so, auch in Kreisen, die von sich behaupten, sie hätten mehr auf dem Kasten wie andere Leute. Mich selbst stört da ja nicht, denn ich habe in dieser Hinsicht doch meine eigene Meinung.
Hier ist es wieder kälter geworden, nachd em es einige Tage vorher geregnet hat. Die Berge haben wieder Schnee. Aber trotz allem laufen die Karrenfahrer, die „carrozies“, noch barfuss herum. Mich friert es wohl schon an den Händen, aber die sind es anscheinend nicht anders gewohnt, ganz abgesehen davon, daß sie keine Schuhe haben. Heute früh hat es in den Pfützen sogar ganz dünnes Eis gehabt. Das will doch für hier schon etwas heißen. Aber die Wärme wird sich ja bald wieder bemerkbar machen.
Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Vater ebenfalls. Lasst Euch recht fest küssen von Deinem Ernst. 

Mein liebster Schatz!               9.1.44. 
     
Ist das nicht empörend? Die ganze Tage schon keine Post. Gestern habe ich schon nicht geschrieben, weil ich nicht wußte, was ich schreiben sollte und heute wird es auch nicht viel sein. Ich kann doch schließlich nicht immer schreiben, ich war im Kino und habe das und das, was ja meist sehr nichtssagend ist, gemacht. Davon hast Du ja nichts. Wenn ich Dir des langen und breiten vorjammern soll, daß ich keine Post von Dir bekomme, so können wir beide doch nichts weiter daran ändern. Ich komme mir im Moment wie leer vor. Ich denke doch, daß ich bald einmal wieder etwas von Dir erhalte, damit ich einige Anregungen bekomme und damit ich weiß, auf was ich eingehen kann. Lasse mich daher mit einem kurzen Sonntagsgruß schließen.
Bleibt mir recht schön gesund und haltet den Daumen, daß unser Briefwechsel von der Postseite etwas mehr Antrieb erhält. Ich gebe Euch allen einen kräftigen Schmatz und grüße Euch dazu vielmals und herzlich Dein Ernst.

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