Freitag, 8. Dezember 2017

Brief 345 vom 29.11.1942


Mein liebes , gutes Mädel !                                                       29.11.42       

Schon ist wieder ein Sonntag herangekommen. Man glaubt bald nicht, wie die Zeit verfliegt. Advent haben wir auch schon. In kurzer Zeit ist nun Weihnachten und dann bald ist das Jahr zuende. Es ist ja gut, daß die TAge so schnell vergehen. Es hat nur den Nachteil, daß wir dabei auch älter werden. Was nutzen aber alle diese Betrachtungen, wenn man am Schluß immer wieder sich in sein Schicksal ergebend feststellen muß, es hilft nichts, wir müssen weitermachen, denn wenn wir einmal den Glauben verlieren, dann sind wir selbst verloren. Darum heißt es aber auch, sich erneut aufzuraffen, um dem Gesamten wieder zu dienen.  An Frau Diez hast Du nun die Kleiderkarte geschickt, damit sie für unsren Strolch etwas für Weihnachten kauft. Es ist schon eigenartig, wie man heute mit solchen Käufen zu Werke gehen muß. Es war aber recht, daß Du dieses Wertobjekt durch Einschreiben gesandt hast, denn das Risiko ist doch zu groß. Gefreut hat es mich, als ich in Deinem Brief las, daß Du jetzt unserem Stromer gegenüber andere Saiten aufgezogen hast wenn er nicht pariert. Es hat keinen Zweck, daß Du erst lange predigst. Du machst Di dabei mehr kaputt, als was Du bei ihm damit erreichst. Daß er darüber erstaunt war, das kann ich mir denken, denn das ist er von Dir nicht gewohnt gewesen. Er hat immer mit Deinem Langmut gerechnet. Es geht auch nicht, daß so ein kleiner Schlawiner einen solchen Dickkopf aufsetzt und ihn durchzusetzen versucht. Wenn das einreißt, dann wären doch die Erwachsenen die tyrannisierten. Man sieht ja auch immer an dem Erfolg die schnelle Wendung in seinem Wesen, das ist ja immer wieder entscheidend. Daß er dann selbst seinen Fehler einsieht, das ist noch ein gutes Zeichen für seinen Charakter. Sie haben doch bei Dir allerhand Freiheit. Wenn ich wieder lese, wie Du ihm extra die Badewanne heraufgeholt hast, damit er nur mit seinen Schiffen spielen kann, so ist das doch allerhand Entgegenkommen. Wenn es auch nicht viel ist, so haben die Kinder mit ihren Margarinemarken etwas geleistet. Sie sehen, daß ihre Tätigkeit doch wieder belohnt wurde, wenn sie außerdem auch noch einige Pfennige dafür erhalten haben. Es ist doch auch für sie nicht umsonst gewesen. Mir ist es auch immer eine Freude, wenn ich lesen kann, daß Dir irgendeine Kleinigkeit immer wieder Spaß macht. So jetzt vor allem der Primelstock. Ich glaube, daß er ganz schön aussieht. Solch ein Blumenstock ist immer dankbar, denn bis alle Knospen aufgeblüht sind. Ich habe Dir damit auch eine Freude machen wollen und gleichzeitig sollten sie ein Andenken an den letzten Urlaub sein. Wie ich lese, erfüllen sie beide Aufgaben ganz und gar aus, denn Du und ich, wir denken immer wieder zusammen daran und Dir bereiten sie Freude, wenn Du sie siehst und ich freue mich darüber, daß Du Deinen Gefallen daran hast. So kommt jeder auf seine Rechnung.  Den Brief, den Dein Vater an Euch geschrieben hat, hat er mir nicht zugehen lassen.  Er  hat mich auch interessiert. Ich sende ihn Dir anliegend wieder mit zurück. Er hat mit diesem Brief gewissermaßen einen Strich unter einen Lebensabschnitt ziehen wollen. Daß nach dieser Heirat das nicht mehr so weitergeht wie es früher war, ist ja erklärlich. Das hat auch der ganze Sturm gezeigt, den die ganz Geschichte hervorgerufen hatte, als er uns so unvermittelt davon schrieb. Er ist nun wieder im Ehehafen gelandet. Ob zwar alle Reibungen damit endgültig behoben sind, kann man noch nicht beurteilen. Schließlich hängt er ja auch von dieser Frau mit ab.
Dein Schränkchen wird nun bald in Ordnung sein. Es braucht eben alles seine Zeit bis Vater es fertiggemacht hat. Eins steht fest, er vergißt es nicht. Das ist seine Art, tagelang nach einer Kleinigkeit zu suchen, um dann selbst freudig das Ergebnis seines Bemühens an das Tageslicht zu befördern.  Bei uns ist das Wetter sehr wechselhaft. Seit es geschneit hat, hat es wohl mehrere Male getaut. Dann hat es zum Abend wieder gefroren und meist am folgenden Tage wieder geschneit. Dabei ist die Schneedecke aber nie weggegangen. Heute früh hat es wieder geschneit, das ist weniger schön, denn der Schnee liegt auf dem Glatteis, das ist sehr gefährlich. Ich selbst habe zwar darunter nicht zu leiden, denn ich komme ja aus dem Bau so gut wie nicht heraus. Höchstens, wenn man einmal nach Feierabend etwas durch die Straßen läuft, um noch etwas frische Luft zu schnappen. Da kann man aber langsam laufen.
Es ist mir wohl verständlich, daß Du auf Nachricht die ersten Tage von mir gewartet hast. Da es mir nicht möglich war, unterwegs zu schreiben, das hatte ich Dir gleich in meinen ersten Briefen erklärt. Du weißt ja, daß ich Dich nicht unnötig warten lasse und daß ich schreibe, wenn es sich irgendwie machen läßt.  Jetzt bekommst Du wieder laufend meine Briefe und die Verbindung ist wenigstens auf diesem Wege wieder hergestellt. Besser wäre es schon, wenn man nicht von der Schreiberei abhängig wäre. Trotz allem bin ich aber immer froh, wenn ich Dir schreiben kann. Auf diese Weise nimmt man am Familienleben teil, auch wenn man noch so fern der Heimat ist.  Für Kurt ist es in der Hinsicht gut, daß er befördert wurde, weil er nun Kriegsbesoldung empfangen kann. Es wäre schon besser, wenn er seiner Friedenstätigkeit nachgehen kann, dann hätte er mehr davon, aber auf diese Weise bekommt er doch wenigstens noch etwas. Es ist doch eine Kleinigkeit. Denn trotz der Kriegsbesoldung erhält er nun seinen Wehrsold weiter.  Wir sollten heute Nachmittag zu unserem Chef kommen, um mit ihm den ersten Advent zu feiern. Das wurde dann aufgehoben, nachdem der Kasinooffizier für den Sonntagnachmittag einlud. Wie üblich, gingen wir zum Kaffeetrinken. Es war fast weihnachtlich. Die Lichter oder besser gesagt, das elektrische licht, wurde ausgemacht und wir wurden in das Frühstückszimmer geführt. Dort brannten auf jedem Tisch vier Kerzen. Jeder Tisch war mit Kiefernzweigen geschmückt und im Zimmer selbst war ein Adventskranz aufgehängt, auf dem auch vier Kerzen brannten. Ich muß sagen, das Ganze war sehr schön gemacht und es war einem direkt feierlich zumute. Dann gab es schönen Rührkuchen und dazu Bohnenkaffee. Milch und Zucker waren auch da. Es fehlte tatsächlich an nichts. Wenn noch die Familie dabei gewesen wäre. Es hat allen gut gefallen und jeder ist auf seine Rechnung gekommen.  wenn man überhaupt davon reden kann, denn gekostet hat es wie immer nichts. Wir sind auch länger beieinander gesessen. Ich habe oft an Euch gedacht und auch daran, wie wir früher um diese Jahreszeit uns einen Kranz gemacht hatten. Ich bin dann in den Wald gegangen und habe einen Arm voll Tannenreisig geholt. Damit haben wir ja eine von Dir in Leipzig bereits begonnene Tradition fortgesetzt. Seitdem haben wir doch in jedem Jahr unseren Kranz gehabt. Als ich den im Zimmer sah, mußte ich so sehr daran denken. Es war schön früher. Erst in Leipzig. Das erste Mal, als ich noch in der Kirchstraße wohnte. Du kamst abends noch mit dem Kranz unter dem Arm. Später in der Wohnung der Juliusstraße. Dann in der Rundbergstraße in Konstanz. Als wir dann verheiratet waren, hattest Du auch in unserer Wohnung einen zurechtgemacht.  Dann, als die Kinder da waren, wurden sie auch in der Vorweihnachtszeit mit dem Adventskranz bekannt. Es hat sich eine liebe Gewohnheit die ganze Jahre hindurch erhalten und wir haben immer unsere Freude daran gehabt. Die Kinder hatten dann ihren Adventskalender. Ich weiß noch gut, wie Helga die Fensterchen aufmachte und als man es für Jörg hilfsweise machen mußte. Auch aus diesem Alter sind nun Beide schon heraus und bedürfen in dieser Beziehung keiner Hilfestellung. Alle Beide hatten ihren Spaß daran, wenn etwas anderes in den Fenstern zu sehen war. Ich denke, daß es ihnen auch jetzt noch Freude macht. In diesen Tagen ist nun auch Nikolaustag. Ich hoffe, daß mein Brief Euch noch rechtzeitig erreicht, denn das gehört doch in die Vorweihnachtszeit hinein.  Wir wollen trotz allem diese uns lieb gewordenen Gewohnheiten nicht aufgeben. Es ist für die Kinder ja immer eine schöne Erinnerung an ihr Elternhaus, wenn sie später einmal an ihr Kindheit zurückdenken.  Für heute möchte ich nun schließen. Dir wünsche ich noch viel Freude mit den Kinder in der Zeit vor den Weihnachtstagen und am Weihnachtstage selbst. Freue Dich mit ihnen.  DAß Du auch dabei an mich denkst, dessen bin ich gewiß. Ich wünsche Euch allen recht gesunde Tage und versichere auch Euch, daß ich in Gedanken ganz bei Euch bin. Recht viele Grüße und ganz feste Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.


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