Freitag, 8. Dezember 2017

Brief 346 vom 1.12.1942


Mein liebes, gutes Kerlchen !                                                     1.12.42   
    
Die Anrede setzt wohl im allgemeinen kein weibliches Wesen voraus. Aber nachdem Du jetzt außer der Mutter auch in mancher Beziehung auch den Vater vertreten und damit Deinen Mann stellen mußt, ist diese Anrede wohl nicht ganz abwegig. Vor allem habe ich sie noch in einer verkleinernden Form gebracht. Nun nicht etwa um Deine Verdienste von vorneherein zu schmälern, sondern um ihr eine zärtliche Form zu geben, die du doch wohl verdient hast.  Zum Schreiben bin ich gestern nicht gekommen. Wie ich Dir schon kürzlich mitteilte, kommt mein Arbeitskamerad, der Inspektor Türk, von unserer Dienststelle zu einer uns unterstellten Einheit. Ein Nachfolger ist inzwischen eingetroffen. Meine Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Dieser neue Oberinspektor hat einen Spleen. Dem ist das in den Kopf gestiegen, daß er zu einem solchen hohen Stab versetzt worden ist. Dem paßt es beispielsweise nicht, daß ich im Offizierskasino mit esse, weil ich doch noch nicht den erlauchten Dienstgrad erreicht habe, der diese Ehre rechtfertigt. Tatsächlich bin ich auch hier der einzige in diesem Rang. Ich mache mir aber nichts daraus und denke, nur immer frei weg. Im übrigen macht es mir keine Schwierigkeiten, mich in diesen Kreisen zu bewegen. Hemmungen sind in diesem Fall auch nicht angebracht. Ich selbst würde mir auch nichts daraus gemacht haben, wenn ich mit den Unteroffizieren zusammen beim essen gewesen wäre. Daß aber ausgerechnet so ein Stinker herkommen muß, um darüber zu meckern, das ist nun nicht gerade schön. Daß dienstlich auch so eine Atmosphäre herrscht, ist zwar bedauerlich. Ob sich das im Laufe der Zeit geben wird, scheint mir zweifelhaft. Ich werde aber die Umstände wieder so nehmen, wie sie sind. Ich bin schon mit anderen Kulis fertig geworden, dann wird es auch mit diesem Scheich in irgendeiner Form gehen. Wie gesagt, wie lange, das weiß ich noch nicht. Du brauchst Dir keine Gedanken deshalb zu machen, ich werde mich schon durchbeißen. Das wäre doch gelacht. Ich stelle dies lediglich fest und bedauere, daß der andere Kamerad weggeht.  Deinen Standpunkt wegen des Nähens teile ich voll und ganz. Man ist ja nicht davon abhängig und schließlich macht man das noch freiwillig. Ich habe mich direkt üb der Ton gefreut, in dem Du mir das mitgeteilt hast.  Etwas rar muß man sich schon machen, dann wissen sie erst, was sie an einem haben.  Was Deine Anfrage wegen der Granatsplitter anbelangt, so habe ich Dir schon einmal darüber geschrieben. Ich bin der Ansicht, daß sie frisch sehr gut schmecken. Ich will damit nicht sagen, daß sie nicht gut wären. Hier war es nun so, daß sie bald sieben Wochen nach ihrer Fabrikation verzehrt wurden. Dann hat die Holzwolle auch noch den Geschmack mit beeinträchtigt. Ich möchte Euch aber vonden wenigen Sachen, die Ihr noch zuhause habt, nichts nehmen, denn wir haben hier wirklich mehr wie reichlich zu essen. Ich weiß wohl, daß Du gern etwas schicken willst. Darum möchte ich Dir es nicht direkt verbieten, um Dir die Freude nicht zu verderben. Mir fällt jetzt erst etwas für Weihnachten ein. Ich denke, daß es nun schon reichlich spät ist und andererseits ist überhaupt die Frage, ob es zu bekommen ist.  Ich könnte für meinen Füllhalter einen Ständer brauchen. Ich weiß nicht, ob Du sie kennst. Nebenan habe ich einen unter Aufwendung all meiner künstlerischen Kenntnisse einen hingemalt. Es gibt aber auch andere. Das wäre mein Wunsch für Weihnachten, der sehr verspätet eintrifft. Mir ist dieser Gedanke aber erst gekommen, nachdem ich meinen Füllhalter viel brauchte und ihn immer wieder zuschrauben muß, weil ich ihn nicht trocken werden lassen will.  Du willst gern einmal wissen, wie mein Zimmer aussieht. Diesen Wunsch hast Du geäußert, als Du noch nicht gewußt hattest, daß mir meine Bude abgebrannt ist. Ich bin seit meiner Ankunft nun in den verschiedensten Zimmern gewesen. Die erste Nacht in einem Ordonanzzimmer. Die zweite Nacht im Büro der Schreiber. Bis heute früh hatte ich wirklich keinen netten Raum, in dem ich es noch lange ausgehalten hätte. Das Schicksal hat es anders gewollt. Wir sind alle wieder aus unseren vorübergehenden Unterkünften hinausgeworfen worden, weil diese Zimmer zu Bürozwecken benötigt werden. Jetzt haben wir ein Schreiberzimmer freigemacht. Da bin ich mit unserem Inspektor vorläufig untergebracht, bis unsere Quartiere fertig sind. Das kann noch eine Woche gehen, vielleicht auch noch etwas länger. Wenn ich dann einmal endgültig untergekommen bin, dann will ich Dir gern Deinen Wunsch erfüllen. Ich werde mich dann wieder einmal künstlerisch betätigen müssen.  Ich halte es für am besten, wenn wir uns aus dem Streit wegen Alices Vater heraushalten, wir erreichen nichts dabei. Daß wir dabei aber unsere eigene Meinung haben, das kann uns ja keiner nehmen. An sich wäre ja dank des fleißigen Briefeschreibens die Bindung zu ihr nicht so groß und so fest, da‘ man etwa dadurch in Gewissenskonflikte kommt. Wir lassen sie machen, denn ich denke, daß Du meine Meinung teilst.  Deine Zeitungssendungen sind auch inzwischen alle angekommen. Ich bin reichlich mit Stoff für die nächsten Tage versehen. Helga wird froh sein, wenn Du ihr eine Kappe gekauft hast, die sie auch beim Baden verwenden kann. DAß unser Junge so allein keinen richtigen Geschmack am Bad hat, das kann ich mir bei seiner Einstellung vorstellen. Auch wenn er keine Fortschritte beim Schwimmen lernen macht. Man muß weiter bedenken, daß Helga zwei Jahre älter ist. Daß er so leicht friert, kommt auch daher, daß er sich nicht genügend bewegt. Aber ich hoffe, daß das mit der Zeit noch kommt, wenn er vielleicht mit Schulkameraden mehr zusammen ist. Denn hinter denen will er doch nicht zurückstehen.  Über ungeheizte Zimmer kann ich mich bis jetzt noch nicht beklagen. Die waren bis jetzt immer schön warm. Im Gegenteil, im Büro muß ich zeitweise die Tür offen halten, weil es zu warm ist. Hoffentlich können sie die Heizung durchhalten. Ich brauche bis jetzt nicht zu frieren und ich denke auch nicht, daß das viel anders werden wird. Gedanken mußt Du Dir deshalb nicht machen. Viele Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern mit vieler Liebe. Dein Ernst.

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