Mein
liebes, gutes Kerlchen !
1.12.42
Die Anrede setzt wohl im allgemeinen kein weibliches Wesen
voraus. Aber nachdem Du jetzt außer der Mutter auch in mancher Beziehung auch
den Vater vertreten und damit Deinen Mann stellen mußt, ist diese Anrede wohl
nicht ganz abwegig. Vor allem habe ich sie noch in einer verkleinernden Form
gebracht. Nun nicht etwa um Deine Verdienste von vorneherein zu schmälern,
sondern um ihr eine zärtliche Form zu geben, die du doch wohl verdient hast. Zum Schreiben bin ich gestern nicht
gekommen. Wie ich Dir schon kürzlich mitteilte, kommt mein Arbeitskamerad, der
Inspektor Türk, von unserer Dienststelle zu einer uns unterstellten Einheit.
Ein Nachfolger ist inzwischen eingetroffen. Meine Befürchtungen haben sich
leider bestätigt. Dieser neue Oberinspektor hat einen Spleen. Dem ist das in
den Kopf gestiegen, daß er zu einem solchen hohen Stab versetzt worden ist. Dem
paßt es beispielsweise nicht, daß ich im Offizierskasino mit esse, weil ich
doch noch nicht den erlauchten Dienstgrad erreicht habe, der diese Ehre
rechtfertigt. Tatsächlich bin ich auch hier der einzige in diesem Rang. Ich
mache mir aber nichts daraus und denke, nur immer frei weg. Im übrigen macht es
mir keine Schwierigkeiten, mich in diesen Kreisen zu bewegen. Hemmungen sind in
diesem Fall auch nicht angebracht. Ich selbst würde mir auch nichts daraus
gemacht haben, wenn ich mit den Unteroffizieren zusammen beim essen gewesen
wäre. Daß aber ausgerechnet so ein Stinker herkommen muß, um darüber zu meckern,
das ist nun nicht gerade schön. Daß dienstlich auch so eine Atmosphäre
herrscht, ist zwar bedauerlich. Ob sich das im Laufe der Zeit geben wird,
scheint mir zweifelhaft. Ich werde aber die Umstände wieder so nehmen, wie sie
sind. Ich bin schon mit anderen Kulis fertig geworden, dann wird es auch mit
diesem Scheich in irgendeiner Form gehen. Wie gesagt, wie lange, das weiß ich
noch nicht. Du brauchst Dir keine Gedanken deshalb zu machen, ich werde mich
schon durchbeißen. Das wäre doch gelacht. Ich stelle dies lediglich fest und
bedauere, daß der andere Kamerad weggeht.
Deinen Standpunkt wegen des Nähens teile ich voll und ganz. Man ist ja
nicht davon abhängig und schließlich macht man das noch freiwillig. Ich habe
mich direkt üb der Ton gefreut, in dem Du mir das mitgeteilt hast. Etwas rar muß man sich schon machen, dann
wissen sie erst, was sie an einem haben.
Was Deine Anfrage wegen der Granatsplitter anbelangt, so habe ich Dir
schon einmal darüber geschrieben. Ich bin der Ansicht, daß sie frisch sehr gut
schmecken. Ich will damit nicht sagen, daß sie nicht gut wären. Hier war es nun
so, daß sie bald sieben Wochen nach ihrer Fabrikation verzehrt wurden. Dann hat
die Holzwolle auch noch den Geschmack mit beeinträchtigt. Ich möchte Euch aber
vonden wenigen Sachen, die Ihr noch zuhause habt, nichts nehmen, denn wir haben
hier wirklich mehr wie reichlich zu essen. Ich weiß wohl, daß Du gern etwas
schicken willst. Darum möchte ich Dir es nicht direkt verbieten, um Dir die
Freude nicht zu verderben. Mir fällt jetzt erst etwas für Weihnachten ein. Ich
denke, daß es nun schon reichlich spät ist und andererseits ist überhaupt die
Frage, ob es zu bekommen ist. Ich
könnte für meinen Füllhalter einen Ständer brauchen. Ich weiß nicht, ob Du sie
kennst. Nebenan habe ich einen unter Aufwendung all meiner künstlerischen
Kenntnisse einen hingemalt. Es gibt aber auch andere. Das wäre mein Wunsch für
Weihnachten, der sehr verspätet eintrifft. Mir ist dieser Gedanke aber erst
gekommen, nachdem ich meinen Füllhalter viel brauchte und ihn immer wieder
zuschrauben muß, weil ich ihn nicht trocken werden lassen will. Du willst gern einmal wissen, wie mein
Zimmer aussieht. Diesen Wunsch hast Du geäußert, als Du noch nicht gewußt hattest,
daß mir meine Bude abgebrannt ist. Ich bin seit meiner Ankunft nun in den
verschiedensten Zimmern gewesen. Die erste Nacht in einem Ordonanzzimmer. Die
zweite Nacht im Büro der Schreiber. Bis heute früh hatte ich wirklich keinen
netten Raum, in dem ich es noch lange ausgehalten hätte. Das Schicksal hat es
anders gewollt. Wir sind alle wieder aus unseren vorübergehenden Unterkünften
hinausgeworfen worden, weil diese Zimmer zu Bürozwecken benötigt werden. Jetzt
haben wir ein Schreiberzimmer freigemacht. Da bin ich mit unserem Inspektor
vorläufig untergebracht, bis unsere Quartiere fertig sind. Das kann noch eine
Woche gehen, vielleicht auch noch etwas länger. Wenn ich dann einmal endgültig
untergekommen bin, dann will ich Dir gern Deinen Wunsch erfüllen. Ich werde
mich dann wieder einmal künstlerisch betätigen müssen. Ich halte es für am besten, wenn wir uns aus
dem Streit wegen Alices Vater heraushalten, wir erreichen nichts dabei. Daß wir
dabei aber unsere eigene Meinung haben, das kann uns ja keiner nehmen. An sich
wäre ja dank des fleißigen Briefeschreibens die Bindung zu ihr nicht so groß
und so fest, da‘ man etwa dadurch in Gewissenskonflikte kommt. Wir lassen sie
machen, denn ich denke, daß Du meine Meinung teilst. Deine Zeitungssendungen sind auch inzwischen alle angekommen. Ich
bin reichlich mit Stoff für die nächsten Tage versehen. Helga wird froh sein,
wenn Du ihr eine Kappe gekauft hast, die sie auch beim Baden verwenden kann.
DAß unser Junge so allein keinen richtigen Geschmack am Bad hat, das kann ich
mir bei seiner Einstellung vorstellen. Auch wenn er keine Fortschritte beim
Schwimmen lernen macht. Man muß weiter bedenken, daß Helga zwei Jahre älter
ist. Daß er so leicht friert, kommt auch daher, daß er sich nicht genügend
bewegt. Aber ich hoffe, daß das mit der Zeit noch kommt, wenn er vielleicht mit
Schulkameraden mehr zusammen ist. Denn hinter denen will er doch nicht
zurückstehen. Über ungeheizte Zimmer
kann ich mich bis jetzt noch nicht beklagen. Die waren bis jetzt immer schön
warm. Im Gegenteil, im Büro muß ich zeitweise die Tür offen halten, weil es zu
warm ist. Hoffentlich können sie die Heizung durchhalten. Ich brauche bis jetzt
nicht zu frieren und ich denke auch nicht, daß das viel anders werden wird.
Gedanken mußt Du Dir deshalb nicht machen. Viele Grüße und viele Küsse sendet
Dir und den Kindern mit vieler Liebe. Dein Ernst.
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