Freitag, 30. Oktober 2015

Brief 73 vom 29./30./31.10.1940


Meine liebe Annie!                                                                O.U., den 29.10.1940      

Deinen sowie Helgas Brief mit den Zeichnungen von Jörg vom 24./25. bekam ich heute Mittag. Ich habe mir alles gleich nach dem Mittagessen vorgenommen und auch schon verdaut. Ich danke Euch recht herzlich für Eure lieben Nachrichten. Ihr habt Euch wieder sehr angestrengt.
Ich möchte gleich vorwegnehmen, daß ich heute ein Päckchen mit Kakao, Schokolade und dem größten Teil des gekauften Gummis abgesandt habe. Hoffentlich kommt alles gut an. Zum weiteren möchte ich Dir nun mitteilen, daß ich mich nun nach schwerem Ringen zu einem Mantel für Dich entschlossen habe. Es bestand gestern ein Hörfehler. Es war nicht exotisches, sondern äthiopisches Yemen. Du brauchst nicht gleich deswegen lachen, denn diesen Konversationen in französischer Sprache kann man nicht immer leicht folgen, jedenfalls freue ich mich, daß ich schon im Vergleich zum Anfang meines Aufenthalts erhebliche Fortschritte in meinen Sprachkenntnissen gemacht habe. Diese Feststellung stammt nicht allen von mir, sondern dies ist mir auch schon von kompetenter Seite bestätigt worden. Ich freue mich aber nicht allein deswegen, sondern auch darum, daß ich mich jetzt endlich durchgerungen habe, mich für ein Stück zu entscheiden. Es ist ja so, daß Du nicht selbst dabei bist, und Dir soll es auch passen und gefallen. Sei froh darüber, daß ich Dich dieser Sorge enthoben habe, es war nicht so leicht, denn so etwas kauft man ja nicht jedes Jahr. Hoffentlich hast du auch Gefallen daran. Ich würde ihn Dir ja gerne jetzt schon zukommen lassen, denn so hättest Du doch einen Nutzen davon.
Die Beschränkungen, die bestanden haben, sind ja nun grundsätzlich aufgehoben; einige Artikel ausgenommen. Päckchen bis zu 1 kg kann man ja jetzt in beliebiger Anzahl senden, ebenso kann man mehr wie 20 Pfd. mit in Urlaub nehmen, ausgenommen selbstverständlich Plünderungsgut.
Am Nachmittag erhielt ich nun noch Deinen Brief vom 26., so daß ich heute von Euch reichlich mit Post bedacht worden bin. Dieser Vorfall mit der Bertel zeugt ja ohne weiteres von der Geistesgröße dieser Menschen. Eine ähnliche Heldin ist ja auch die Frau Synkovis. Das ist doch die geschiedene Frau von dem Schmidt, der einmal bei Schupps gewohnt hat. Von einer vorteilhaften Beeinflussung der dieser Frau anvertrauten Kinder bin ich keineswegs voll überzeugt, denn sie hat sich ja lange nicht einmal um ihre eigenen Kinder gekümmert. Du kannst auch in entsprechender Form Helga davon unterrichten, daß diese Frau nicht in jeder Beziehung Autorität ist. Du siehst ja, in welcher protzigen Weise sie auf die Massenabfertigung hinweißt. Dein Handeln war auch hier wieder richtig und ich kann es nur unterstützten.
Ich freue mich darüber, wie Du unsre Kinder auf so gute Literatur hinlenkst und daß sie auch Gefallen daran haben.
Am Abend habe ich mich noch einmal wegen Franzosenhemden erkundigt und habe für Kurt und für mich zusammen 5 Stück bestellt. Ich werde in diesen Tagen einige Kleinigkeiten für Euch wieder fertig machen, denn ich denke, Du wirst mir dies nicht übel nehmen. Ich sitze jetzt bei mir im Zimmer und schreibe noch den Brief an Dich fertig. Vorhin, als ich auf dem Balkon stand, sah ich wieder unsere Sterne, denn wir haben wieder ganz klare Nacht. Mein Kamerad Thomas hat mich heute wieder gebeten, Dir einen Gruß auszurichten, was ich hiermit getan habe.
Gute Nacht und mache nun auch die Funzel aus. Schlafe gut und sei von Deinem Mann recht herzlich gegrüßt und geküßt Dein Ernst. Unserer Helga und unserem Jörg jeden einen herzlichen Kuß.


Meine liebe kleine Frau!                                                         O.U. , den 30.10.1940

Wie es nun scheint, sind nun Unterredungen im Gange, wonach auch die Abschließung eines Friedens mit Frankreich abgezielt wird. Es wäre ja erfreuliche, wenn diese Episode durch einen Friedensvertrag abgeschlossen würde. Ich glaube, daß er für Frankreich doch gerecht sein würde und diesem Lande, trotzdem es unterlegen ist, nicht diese Kraft entzieht, die man dem deutschen Volke entzogen hat und jetzt auch wieder entzogen hätte, wenn  wir in der gleichen Lage wären, wie Frankreich. Warten wir auch hier die Entwicklung der Dinge ab. Für uns gibt es ja nun noch einen Gegner, wenn sich auch noch kleine nichtssagende Vasallenstaaten mit ihm verbünden. Über den Ausgang dieser Kraftprobe sind wir uns ja alle sehr klar.
Eine Änderung in meinem Tagesprogramm ist insoweit eingetreten, als ich, seit ich wieder zurück bin, mein Frühstück immer daheim einnehme. Veranlassung dazu hat mir eigentlich der von Dir gebackene Kuchen gegeben, den ich doch irgendwie verzehren mußte. Er ist nun inzwischen alle geworden und jetzt habe ich mich über den Honigkuchen hergemacht, den Ihr mir noch mitgegeben hattet. Wir kochen uns einen Tee und dazu essen wir das, was wir haben. Ob ich später wieder den alten Stundenplan aufnehme, muß ich erst einmal abwarten. Mein anderer Kamerad aus Freiburg ist ja noch im Urlaub, so daß ich dann erst sehe, wie ich es weiter mache, wenn er zurückkommt. Jetzt gehe ich dann zum Mittagessen und werde heute Nachmittag weiterschreiben, vielleicht bekomme ich bis dahin auch noch einen Brief von Dir.
Übrigens heute kaufe ich noch 4 Flaschen Öl. Ich denke, daß Du dafür schon Verwendung haben wirst. Leider kann ich es Dir nicht schon jetzt zukommen lassen, weil es zu schwer ist. Ein Päckchen mit Schokolade, Kaffee, Bonbon und dem restlichen Gummi ist wieder startbereit und geht morgen an Dich ab.
Meine Fahrschule werde ich demnächst wieder aufnehmen, denn unser Garagist hat mich schon danach gefragt, ob ich weiter machen wollte, was ich ja nicht verneint habe.
Soeben habe ich Deinen Brief vom 26./27. erhalten. Ich danke Dir recht herzlich dafür. Du schilderst mir, wie Du den Sonntag verbracht hast. Inzwischen hast du ja meinen Brief vom Sonntag auch erhalten und weißt ja, wo ich am Sonntag war.  Heute erhielt ich auch noch ein Bild von unserer Reise nach Paris. Ich füge es Dir bei. Es ist zwar nicht sehr schön, doch als Andenken wird es schon gehen.
Ich habe heute eigentlich nicht viel mehr zu berichten. Ach so, auf das Zeugnis von Helga bin ich ja gespannt, es kann ja sein, daß ich mich täusche, doch ich habe so das Gefühl, wie wenn sie etwas nachgelassen hätte, denn sie war doch in ihrer Ansicht über ihr Verhältnis zur Schule ziemlich gleichgültig. Es ist ja auch dann so recht, wenn sie nur ordentlich ist. Es gibt ja schließlich immer einmal Zeiträume, wo die Spannkraft etwas nachlässt, um dann später wieder in der alten Form zur Geltung zu kommen. Warten wir also ab.
Meine Lieben daheim, ich grüße Euch recht herzlich. Dich mein liebes Mädel aber wieder besonders und füge gleichzeitig noch viele Küsse hinzu. Dein Ernst.
Helga und Jörg einen Kuß von ihrem Vater.


Meine liebe Annie!                                                                 O.U. den 31.10. 1940

Wenige Tage dauert es nun noch und dann bin ich schon 4 Monate in Lille, wie viele werden mir noch bevorstehen, oder wird es einmal ganz plötzlich gehen, daß man von hier weg und vielleicht wieder nach Hause kommt. Morgen ist nun schon der 1.November und bei Euch wird so halber Feiertag sein, die Franzosen haben hier morgen und auch Sonntag, was uns zwar nicht stört, zu arbeiten.
Für heute bin ich zu unserem Fahrbereitschaftsleiter zum Abendessen eingeladen worden, so daß es möglich ist, daß es etwas später wird. Ich kann Dir ja morgen darüber schreiben.
Das Wetter ist hier jetzt sehr wechselhaft, vor einigen Tagen war es ziemlich kühl am Morgen, tagsüber klärte es sich dann gut auf, so daß es mir in der Sonne schön angenehm war. Heute ist es sehr windig und warm dazu. Wir würden dazu sagen, es sein föhnig. Das trifft ja hier nicht zu, denn Föhn kommt ja von den Bergen, doch davon ist weit und breit nichts zu sehen.
Bei solchem Wetter ist es dann auch kein Wunder, wenn die Platanen in unserer Straße und vor dem Haus die Blätter verlieren. Es ging manchen Leuten scheinbar nicht schnell genug, weil überall jetzt die Bäume zugestutzt werden. So bieten sie den Winter über einen trostlosen Anblick. Etwa wie ein Mensch, dem man die Hände abgehackt hat und der nun anklagend die Stümpfe in den Himmel reckt. Die ärmere Bevölkerung ist zwar für diese unerwartete Holzernte sehr dankbar gewesen, denn es wurde alles mitgenommen, was nur irgendwie brennbar erschien. Mir kommt so dabei der Gedanke, wie wir früher selbst in schwieriger Lage Woche für Woche gegangen sind, um unseren Bedarf an Brennmaterial im Wald zu sammeln. Ja, es ist gut, finde ich, wenn man die schwierigen Zeiten nicht vergißt, denn daran kann man ja immer wieder erkennen, wie man sie überwunden hat und daß man sie auch gemeistert hat.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, doch das betrübt mich insoweit nicht sehr, weil ich dann dafür am anderen Tag zwei bekomme, denn Du schreibst ja jeden Tag an mich.
Nächste Woche  bekomme ich die bestellten Hemden. Die für Kurt werde ich dann auch gleich heimschicken, dann liegen sie mir hier nicht herum. Ich muß feststellen, daß die Preise für Waren aller Art hier unverhältnismäßig gestiegen sind. Am Anfang hat man immer erst gedacht, mit seinem Geld könnte man die halbe Welt aufkaufen, jetzt liegen die Dinge ja schon ganz anders. Zudem hat man immer wieder neue Wünsche vor allem auch, weil jetzt keinerlei Beschränkung für uns mehr besteht. Ich habe mir gedacht, daß ich für Helga zu Weihnachten einen Stoff zu einem Winterkleid kaufe und für Jörg werde ich zusehen, daß ich einen anständigen Anzug bekomme. Hast Du besondere Wünsche? Na, wie steht´s damit, raus mit der Sprache.
Für heute bin ich wieder am Ende meiner Weisheit angelangt. Euch allen daheim sende ich wieder meine herzlichsten Grüße. Dir, meine liebe Frau, sende ich die noch dazu nötigen Küsse. Dein Ernst.

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