Montag, 26. Oktober 2015

Brief 72 vom 25./26./28.10.1940


Mein liebes Mädel!                                                                  O.U., den 25.10.1940   

Eine Woche bin ich schon wieder hier. Wie schnell doch die Zeit vergeht. An jedem kleinen Ereignis bleibt man aber doch hängen um festzustellen, ob einem die Tage schnell oder langsam vergehen, ob sich in diesem Zeitraum wichtiges oder weniger wichtiges ereignet hat und ob man diese Zeit auch nutzbringend verwendet hat oder nicht. Doch durch diese Feststellungen kommt man wohl zu keinem Ergebnis, ehe man sich´s versieht, ist wieder eine Woche vergangen.
Trotz allem und solcher kleinen Selbsttäuschungen kommt dann einmal das Gefühl, daß man doch ein Gefangener seines Schicksals ist und daß man dem nicht entgehen kann. Wie wir auch in unseren Schreiben übereinstimmend festgestellt hatten, kommen durch den schnellen Flug der Zeit weitere Urlaubstage und später auch wieder einmal das gänzliche Zusammensein in Aussicht.
Soeben erhalte ich Deinen lieben Brief vom 21./22., für den ich Dir wieder herzlich danke. Sei bitte vorsichtig bei der Gartenarbeit und überanstrenge Dich nicht. Ich habe dies ja in früheren Briefen wiederholt betont und denke deshalb, daß Du meine Mahnung beachten wirst. Jörg war ja auch mit fleißig und ich freue mich, daß er sich zu Deiner Unterstützung so gut anstellen läßt. Er kann aber auch mit Recht stolz sein, wenn Du ihm das Wegtragen Deiner Briefe beauftragst.
Den von Dir erwähnten Vortrag über den Schlieffen-Plan habe ich nicht gehört, er hätte mich aber zweifellos interessiert. Ich habe zwar auch noch nie behauptet, daß Du dumm seiest, im Gegenteil, aber ich finde, daß Dir das Studium der Schulungsbriefe nichts schaden kann. Die eine Befürchtung habe ich nur, daß ich mich dann bald verstecken muß.  Ich denke, daß Du mir aber freundlicherweise Auskunft geben wirst, wenn ich einmal etwas zu fragen habe.
Ich sende Dir heute eine Postkarte mit, die Dich sicher auch interessieren wird. Es ist dies eine Wachsbüste, die hier im Museum steht, die Unterschrift lautet: der Wachskopf. Er verkörpert oder besser gesagt, er soll den Menschen aus dieser Gegend darstellen und heißt deshalb auch noch „Das Mädchen von Lille“. Es ist doch eine feine Arbeit, findest Du nicht auch? Die Karte wurde mir vom Direktor des Museums selbst verehrt.
Ich habe heute noch verschiedene Schriftstücke beigefügt, die Dich auch interessieren werden und die Du mit aufheben willst.
Am kommenden Sonntag werde ich sicherlich wieder Hörer des Wehrmachtskonzerts sein, so daß wir auf diese Weise uns mit unseren Gedanken treffen können. Es ist doch schön, was für uns alles getan wird.
Recht viele herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.


Meine geliebte Frau!                                                           O.U. , den 26.10.1940

Jetzt ist es plötzlich kalt geworden, so daß ich ab heute den Pullover anziehen muß. Es ist ja auch kein W under, denn es sind ja nur noch wenige Tage, die uns vom November trennen. Es ist geradezu phantastisch, wie schnell die Tage vorbei rutschen. Wir in unserer Lage können ja schließlich nur froh darüber sein, daß man nicht lange Gelegenheit hat, darüber nachzudenken.
Heute Nachmittag habe ich wieder Bereitschaftsdienst. Ich bin also sozusagen in diese Tretmühle vollständig eingegliedert. Der Dienst geht in der alten Ordnung weiter nur mit der kleinen Abänderung, daß der Chef und ein Kamerad auf Urlaub sind. Denen wird es auch nicht anders gehen wie mir, eines Tages stehen sie wieder hier und machen ein langes Gesicht.
Ich muß Dir heute auch noch eine betrübliche Mitteilung machen, meine wiederholten Bemühungen, Gummiband zu erstehen, sind leider fehlgeschlagen. Falls ich aber einen derartigen Artikel doch noch entdecken werde, werde ich nicht versäumen, mich dessen käuflich zu bemächtigen. Du wirst denken, was für geschwollene Redensarten. Das stimmt, das ist ja auch sonst nicht meine Art, aber man muß doch auch einmal sehen, wie das klingt, damit man wieder den Unterschied herausmerkt.
Letzte Nacht war hier ziemlich bedeutender Flugbetrieb, immerhin erheblich mehr, als ich ihn sonst gewohnt bin. Man kann ja nicht immer unterscheiden, um welche Flieger es sich handelt, doch was ich bis jetzt feststellen konnte, waren es unsere, die die klaren Nächte für ihre Flüge ausnutzen.
Für uns ist es jetzt so ziemlich aus mit den Sonntagsreisen. Morgen ist zwar wieder eine Fahrt nach Paris, aber es wird bei diesem kurzen Aufenthalt auch nicht mehr geboten werden können wie bei meinem seinerzeitigen Besuch. Ich werde mich also morgen wieder auf die faule Haut legen und Radio hören. Im Übrigen wird sich schon noch eine Beschäftigung finde. Am Morgen muß ich sowieso wieder einmal kräftig baden.
Ich habe den Eltern heute auch noch geschrieben, so daß diese Briefschuld auch wieder bereinigt ist. Den Durchschlag habe ich beigefügt. Ich weiß heute nicht mehr viel zu berichten und möchte deshalb schließen.
Sei Du recht herzlich gegrüßt und nimm viele Küsse entgegen von Deinem Ernst.





Meine liebe Annie!                                                                   O.U., den 28.10.1940

Für Deine Briefe vom 22. und 23./24., die ich heute erhielt, danke ich Dir recht sehr. Du hast wieder recht lieb geschrieben, so daß ich mich recht gefreut habe. In meinem letzten Brief hatte ich so etwas geschrieben von Fliegern usw., daß man meist nicht wüßte, was es für welche wären. Ja, das war wahr wahrscheinlich eine Herausforderung, denn in der Nacht vom Samstag auf Sonntag hat unsere Flak ganz nett geballert, so daß bald klar war, wer da oben war.
Es war eine ganz klare Nacht und von meinem Fenster aus sah man wunderbar den großen Wagen. Es ist doch schön, wenn man so etwas Gemeinsames hat, was einem so gewissermaßen persönlich gehört. Heute früh war ganz dichter Nebel und am Vormittag hat es sich dann aufgeklärt, so daß jetzt in mein Arbeitszimmer die Sonne ganz warm herein scheint. Gestern früh war ich, wie ich Dir schon schrieb, zum Baden, was mir ganz ausgezeichnet gefallen hat. Doch vorher, so gegen 8 Uhr, war ich schon mit dem Auto in einem Vorort, wo Markt abgehalten wird. Ich hatte gehört, daß es dort noch Gummi zu kaufen gibt. Ich habe auch welchen mitgenommen, war aber außerordentlich überrascht über die hohen Preise. Es ist dies zweierlei, ich denke, daß Du Verwendung dafür hast. Eines bitte ich Dich aber, behandle ihn als Luxus, denn das Quantum, was ich Dir sende, kostet bald 5,-RM. Ich weiß zwar nicht, was man bei uns dafür zahlte, doch wie schon gesagt, ich finde es außerordentlich teuer.
Zum Mittagessen sind wir mit unserem Wagen nach Roubaix gefahren. Auf der Heimfahrt hatten wir noch etwas zu erledigen, so daß wir gegen 5 Uhr erst wieder daheim waren. Ich habe mir noch den Rest des Wehrmachtskonzerts mit angehört und bin dann nach dem Essen noch ins Kino gegangen. So war auch dieser Sonntag wieder vorbei.
Heute habe ich wieder einige Artikel gekauft. Ich werde noch in diesen Tagen alles fertig machen und wieder absenden. Kaffee, Kakao, Schokolade und Seife. Gestern habe ich auch noch Bonbon erstanden, die ich den Päckchen für Euch mit beifügen werde. Die ganze Mantelangelegenheit hat mich  in den vergangenen Tagen  nicht schlafen lassen. Ich habe mich in den verschiedensten Geschäften umgesehen und glaube, daß ich mich heute endgültig entscheiden werde. Es wird also höchstwahrscheinlich  einer aus Yemen sein. Dies ist eine exotische Rehart und hat eine ganz fabelhafte Zeichnung. Die Farbe selbst wird Dich auch interessieren, sie ist schwarz und die Zeichnung hat einen Schatten ins grau. Ich werde ihn heute eine Frau einmal anziehen lassen, die etwa Deine Figur und auch fast Deine Haarfarbe hat um danach zu beurteilen, ob er für Dich auch das Richtige sein wird. Schließlich kauft man ja so ein Stück im Leben nicht sehr oft, und dann hat man doch den Wunsch, daß es Dir paßt. Ich werde Dir morgen wahrscheinlich berichten.
Im Garten hast Du wieder tüchtig gearbeitet, wofür ich Dir wieder bestens danke. Bezüglich des Baumes beantworte ich Deine Frage dahingehend, daß noch ein Leimring darum gehört. Leim ist noch in einer Blechschachtel ohne Aufschrift im Keller vorhanden. Pergamentpapier (Ersatz) kannst Du beim Stadler kaufen. Wegen Filzschuhen für Dich werde ich versuchen, hier für dich noch welche zu kaufen.
Ich möchte nun für heute wieder schließen und Euch allen recht herzliche Grüße und Küsse, Du mein liebes Mädel, wie immer ganz besonders herzliche Grüße und Küsse senden von Deinem Ernst.

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