Montag, 26. Oktober 2015

Brief 71 vom 23./24.10.1940


Meine liebe Annie!                                                                         O.U., den 23.10.1940 

Die alte Bummelei bei der Post hat sich während meines Urlaubs nicht geändert. Ich habe heute keinen Brief von Dir bekommen, doch Du weißt ja, daß ich gewohnt bin, mich auf den anderen Tag zu vertrösten, denn dann bekomme ich ja meistens doppelte Post. Ich habe Dich aber trotzdem heute nicht zu kurz kommen lassen, denn ich habe heute wieder zwei Päckchen an Dich abgesandt und zwei weitere für Dich fertig gemacht. die morgen zur Absendung kommen. Sie enthalten Schokolade, Kaffee, Leder, Handschuhe, eine Taschenlampenbatterie, Seife und Seifenflocken und noch einige Kleinigkeiten, die Du so verwenden kannst. Über den Kaffee habe ich Dir ja gestern schon geschrieben. Wir können jetzt 1 kg Päckchen senden in unbeschränkter Anzahl, doch hat die Frankierung schon hier zu erfolgen. Was ich hier für Euch kaufen kann, werde ich tun, denn ich glaube gerne, daß Du solche Sachen gebrauchen kannst.
Wie ich hier erfahren habe, war die Auskunft, die wir dort auf der Post bekommen haben, nicht ganz richtig. Es dürfen monatlich  Beträge in Höhe des Wehrsoldes bis zu 50,-RM übersandt werden, was nun nicht bedeuten soll, daß Du mir jeden Monat unbedingt 50,-RM schicken mußt. Du weißt ja, wie ich es meine, denn ich dachte mir, es würde Dich interessieren, weil wir uns deswegen besonders erkundigt hatten. Da ich gerade beim Geld und ähnlichen Dingen bin, kann ich Dir mitteilen, daß wir jetzt Frontzulage bekommen. Heute habe ich etwas über 60,-RM Nachzahlung bekommen, weil diese Zahlung rückwirkend genehmigt war. Ich hatte ja schon damit gerechnet und werde diesen Betrag für Deinen Mantel mit verwenden.
Vorhin habe ich wieder einmal im Kino, es wurde der Film "Mutterliebe" gespielt, den wir daheim auch zusammen gesehen hatten. Er hat mir heute genau so ausgezeichnet gefallen wie damals.
Von unserem Essen muß ich Dir noch eine Besonderheit erzählen. Wir hatten gestern als Vorspeise Artischocken. Es war mir ja ganz neu, wie das Zeug gegessen wird. Man bricht dieser Pflanze, die vorher gekocht worden ist, die einzelnen Blätter weg und macht das weiche davon weg. Am Ende bleibt dann noch ein Teil der jungen Frucht übrig. Diesen Teil  und die weichen Teile, die man sich vorher vorbereitet hat, ißt man dann, nachdem man alles mit einer Soße aus Essig und Öl übergossen und vermischt hat. Man hat einen großen Teller voller Abfall und vorher sehr viel Arbeit, bevor man zum Essen kommt. Ich dachte mir, man muß alles einmal mitgemacht haben und es ist ja gleich, wovor einem schlecht wird.
Es ist wieder spät geworden, doch jetzt lege ich mich ins Bett und werde die Zeitung noch fertig lesen; dabei warte ich noch die letzten Nachrichten ab und werde dann schlafen. Schlafe Du wieder gut und wache wieder gesund auf. Euch alle grüße ich recht herzlich, unseren beiden Lausern gib jeden einen herzlichen Kuß. Dir sende ich wieder meine besonderen herzlichen Grüße. Dein Ernst.
Vor einer Woche mußte ich nun von Euch wieder fort. Oh, wie schnell verfliegt doch die Zeit. Man sieht daraus, daß es im Urlaub allein nicht nur schnell vergeht, sondern auch sonst. Ich tröste mich wieder damit, daß es im gleichen Tempo zum nächsten Urlaub geht.


Meine liebe Annie!                                                                   O.U., den 24.10.1940

Deinen lieben Brief vom 19.10. habe ich heute nun bekommen, meine Voraussicht von gestern ist also ganz zwangsläufig eingetroffen. Da kannst Du erst einmal sehen, mit welchem Scharfsinn ich zu Werke gegangen bin. Ich glaube, du hast jetzt bald eine Gemäldegalerie beieinander, wenn Du  Dir schon wieder Bilder hast vergrößern lassen. Als ich übrigens hier bei dem Gongnie die Bilder  von Dir zeigte, bin ich nicht schlecht blamiert worden. Erst sagten alle, daß Du sehr gut aussehen würdest und manche meinten, daß man sich wundern müßte, daß Du mich überhaupt gewollt hast. Ist das nicht stark? Denen werde ich es aber bei Gelegenheit heimzahlen, oder meinst Du nicht auch?
Schön ist es, daß Dich das Buch, was ich mitbrachte, interessierte und Dir auch über den Sonntag mit hinweggeholfen hat. Ich verstehe ja durchaus, daß es Dir im Allgemeinen lieber ist, wenn Du zu tun hast. Vor allem, wenn man sich nicht durch etwas anderes ablenken kann.
Bezüglich des Mistes möchte ich dir mitteilen, mache Dir nicht noch besonders Arbeit und überanstrenge Dich nicht. Überlege es Dir vorher, ob du einer solchen schweren Arbeit auch gewachsen bist.
Froh bin ich, daß Dir diese Unterwäsche so gute Dienste jetzt leistet. Auf diese Weise ist Dir doch auch wieder geholfen.
Nun trafen heute noch Deine beiden lieben Briefe vom 18. und 21. ein. Es tut mir leid, daß Du solche Lauferei mit dem Briefe hattest. Da kann man aber wieder einmal sehen, was für blödsinnige Weiber die lieben Kolleginnen sind. Es freut mich aber, wie ordentlich Du diese Sache wieder in die Hand genommen und erledigt hast.
Der Helga muß ich auch heute wieder mein Lob aussprechen über ihren schönen Brief, den sie mir heute wieder mitgeschickt hat. Ich werde ihr bald darauf antworten, sie soll sich bitte noch etwas gedulden.
Der Zeitungsausschnitt hat mich sehr interessiert. Da werden wir Männer aber wieder einmal tüchtig rausgehauen. Übrigens habe ich heute weitere zwei Päckchen an Dich abgesandt, so daß an Dich insgesamt sechs Stücke unterwegs sind. Ich will hoffen, daß dich alles gut erreicht.
Nun teilst Du mir noch mit, daß Du meinen ersten Brief erhalten hast, was mich ungemein freut. Inzwischen sind ja weitere bei Dir eingegangen.
Wegen des Mantels für Dich habe ich mich nun schon verschiedentlich umgesehen. Es ist dabei so, daß man, je mehr man sich unterrichtet, desto unschlüssiger wird man als vorher. Ich hatte mir hier verschiedene schwarze angesehen und zwar Yemen. Es sieht sehr schön aus und auch sehr gut gezeichnet. Gestern hatte ich schwarzes weibliches Fohlen und heute braunes Fohlen angesehen. Den braunen hätte ich sofort gekauft, wenn er nicht zu kurz für Dich gewesen wäre. Er war 3/4 lang und würde sich wahrscheinlich gut ausnehmen. Für den mir heute angebotenen Mantel hätte ich das Geld vollständig beieinander gehabt, ich werde jetzt sehen, was sich nun noch bietet. Ich werde Dich weiter auf dem Laufenden halten. Für die Deinem Brief beigefügten 5,-RM danke ich dir bestens, ich habe sie richtig erhalten.
Heute Abend war ich im französischen Kino. Ich war wieder restlos enttäuscht, aber man kann auch bei dieser Gelegenheit seine Studien machen.
Ich grüße Euch alle daheim und besonders unsere Kinder, denen Du auf meine Rechnung wieder einen Kuß gibst. Ganz besondere Grüße und Küsse erhältst Du auch heute wieder von Deinem Ernst.

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