Samstag, 25. Juli 2020

Brief 627 vom 30.4.45


Du meine gute Annie, liebstes Mädel !                                        30.4.45                                                      

Eine Zusammenfassung der Dinge, die ich in letzter Zeit durchlebt habe, konnte ich  Dir vor wenigen Tagen abgeben. Ich dachte, daß es das letzte Mal für längere Zeit gewesen war, daß ich Dir schreiben könnte. Ich bin aber nun noch einige Tage auf freiem Fuß geblieben und erfuhr durch das Radio, daß Konstanz im Zuge der Kampfhandlungen in die Hand der Feinde gefallen ist.
Daß Ihr französische Besatzung dort habt, ist zwar weniger erfreulich, aber kann man sich einen Wächter aussuchen, den man wünscht, wenn man gefangen ist? Ich hoffe nur, daß Ihr von schweren Kämpfen verschont worden seid, denn die allgemeine Lage war doch einmal so, daß für uns der Krieg als verloren betrachtet werden muß.
Daß wir nach diesen langen Kriegsjahren zu einem solchen Ergebnis kommen mußten, das ist ein tiefes Unglück. Was hilft es aber, daß wir uns durch vieles Nachdenken  darüber das Leben noch schwerer machen als es schon ist. Es wäre mir ein Trost, wenn ich die Möglichkeit hätte, Euch in dieser Zeit eine Stütze sein zu können, aber leider sind wir so weit von einander entfernt. Wo wir nun hinkommen, wenn ich mich in die Gefangenschaft begebe, das sich nun nicht mehr länger hinausziehen läßt, das weiß ich nicht. wir sind eben gezwungen, uns in das auferlegte Schicksal zu fügen. Es sind vorwiegend schwere Gedanken, die mich beschäftigen.  aber, wie gesagt, alles Zermartern des Hirns hat keinen Zweck, denn man kann ja trotz allem nichts mehr ändern. 
Am vergangenen Freitag hatte ich mich hier auf der Polizei gemeldet. Dort wurde mir gesagt, daß ich heute noch einmal wiederkommen soll, um die Abwicklung aus der Wehrmacht durchführen zu lassen.  Ich soll mich auf einige Tage einrichten mit Verpflegung und auch mit Wäsche.  Das ist leicht gesagt, denn ich habe ja nirgends einen Anspruch auf Verpflegung usw.  Aber es wird schon gehen. Ob es nun tatsächlich nur auf einige Tage ist, das kann man nicht sagen. Man begegnet solchen Anweisungen immer mit großer Vorsicht. Sollte es sich tatsächlich nur auf einige Tage beziehen, dann ist es schließlich auch recht.  Von vorneherein will ich mich aber auf das Schlimmste gefaßt machen. Man kann sich hinterher mit etwas leichter eher abfinden, als wenn es umgekehrt der Fall wäre.
Bei meinem Gang zur Polizei hatte ich treuliche Begleiter. Erna mit Ursula und Elsa Legler waren mitgegangen, um zu erfahren, ob ich gleich wegkam. Als das nun anders kam, als wir geglaubt hatten, da sind wir anschließend noch zu Alice gegangen, die sich recht darüber gefreut hatte, daß ich diesen ersten Schritt unternommen hatte. Tante Agnes, die sich wohl noch größere Sorgen gemacht hatte, war ebenso froh. Ich muß mich nur immer wieder fragen, wie es kommt, daß man soviel Anteil nimmt an meinem Schicksal Ja, nun habe ich die ganze Zeit von mir erzählt und glaube mir, meine Gedanken sind immer bei Euch, meine Lieben. Anweisungen möchte ich gerne geben über dies und jenes, und doch hat das keinen Sinn, denn ich weiß erstens nicht, was sich alles bei Euch zugetragen hat, und dann ist es ja ungewiß, ob dieser Brief je in Deinen Besitz kommt.
Ich habe aber nun einmal das Bedürfnis, mir Verschiedenes vom Herzen herunter zuschreiben, weil ich weiß, daß ich Dir damit manches leichter machen könnt, wenn Du Gewißheit über die Ereignisse bekommst, was sich in meiner Umgebung ereignet hat. Ich kann mir das ja selbst ganz gut erklären, denn mir wäre es ebenfalls eine Beruhigung, wenn ich Nachricht von Dir hätte, ob Ihr nun wohlauf seid oder was sonst geschehen ist.
Wenn man diese schönen Frühlingstage draußen sieht und dann all dieses Geschehen betrachtet, dann könnte man fast verzweifeln. Was hat man sich früher an solchen Dingen aufrichten können. Heute hinterläßt das wenig Eindruck. Ob man sich daran später wieder einmal unbeschwert erfreuen kann? Was wäre das für eine Erholung, wenn man gemeinsam einen unserer Waldspaziergänge unternehmen könnte. Doch das müssen wir alles in den Hintergrund stellen. Noch bin ich gesund.  Erna und Ursula sowie die Eisenbahnsträßler auch.
Was in Mockau los ist, das wissen wir nicht. Obwohl Dein Vater wieder in Volkmarsdorf gewesen ist, hat er sich um  keinen von uns gekümmert. Aber das ist wohl eine abgeschlossene Sache. Ich wünsche Euch meine Drei, eine recht gute Gesundheit. Hoffentlich übersteht Ihr alles gut, und wenn es das Schicksal uns gestattet, dann sehen wir uns vielleicht doch einmal gesund wieder.
Vorerst ist alles noch recht dunkel. Wenn wir auch innerlich zerbrochen scheinen, so wollen wir nach außen hin den Kopf hochhalten, denn warum sollen wir unser Unglück anderen zur Schau tragen.
In aufrichtiger Liebe zu Euch allen bin und bleibe ich stets Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 626 vom 27.4.45


Du mein über alles geliebter Schatz, meine gute Frau !                                                           27.4.45   
Abgesandt 15.1.46 angekommen 26.1.46

Als ich den letzten Brief an Dich abgehen ließ, da standen wir zwar schon in Erwartung der Dinge, von denen man im Unterbewußten sagen konnte, wie sie kommen würden.
Das Schicksal hat sich leider auch so erfüllt, wie es die trüben Voraussehungen uns erscheinen ließen. Alles hat einen Verlauf genommen, wie wir ihn uns am Anfang dieses harten schweren Ringens nicht hatten träumen lassen. Aber wenn wir auch noch so mit dem Schicksal hadern wollten, wir ändern nichts mehr an den Tatsachen. Das, was mich die ganzen langen Jahre des Krieges aufrecht erhalten hat, das ist es auch, das mich davon abhielt, all dem ein Ende zu setzen, was nun weiter über uns hereinbrechen wird. Ich habe immer noch den Hoffnungsschimmer, doch einmal zu Euch, meine Lieben, zurückkehren zu dürfen. Dies wird mir, bei dem ungewissen, was mir ab heute bevorsteht, immer Trost in unserem Schmerz sein. Was nun noch an Nachrichten in Deine Hände gekommen ist, das weiß ich nicht. Ich will darum ganz kurz zusammenfassend berichten, was sich an wichtigen Dingen ereignet hat.
Ich kam zur Marscheinheit von der Kaserne in die Brendser Schule. Dort stellte ich die Frage, wie es sich mit meinem früheren Beamtenverhältnis gestaltet. Nach Rücksprache mit dem Bataillon wurde mir erklärt, daß ich Reserveoffiziersbewerber werden müßte, und daß eine Versetzung zu einer anderen Kompanie in die Kaserne notwendig würde.
Das Einrücken unserer Feinde brachte nun manche Verwirrung in den gesamten Verwaltungsapparat, und man hatte wenig Sinn für diese Dinge. Für mich trat nur das eine in Erscheinung, daß ich von dieser Marscheinheit wegkam und damit einem schnellen Zugriff entzogen war. Den Ablauf der Kampfhandlungen in dem Raum von Leipzig erfuhrst Du ja zu einem Teil aus den Nachrichten, die die Zeitungen brachten. Wie sich alles im Einzelnen abgespielt hat hier zu schildern, das ist wohl für den Moment überflüssig. Wesentlich hervorgehoben zu werden, erscheint mir, daß ich Dir sage, daß man hier alles hin und hergezogen hat, und daß einem alles so vorkam, als würde irgendwie Verrat getrieben. Andererseits drohte man mit den schlimmsten Strafen. Es war eine Stimmung allgemein spürbar, die erkennen ließ, daß man sich verraten und verkauft vorkam. Schließlich wurden wir zu kleinen Einheiten auseinandergezogen, und die Einheit, zu der ich kam, erhielt die Aufgabe, zur Verteidigung von Leipzig mit eingesetzt zu werden. Ein Unterfangen, das einem von Anfang an sinnlos vorkam, weil von außen her keine Vorbereitungen für einen solchen Fall getroffen waren. Ausrüstungen und Waffen waren im Vergleich zu dem, was uns von Feindesseite entgegengestellt werden würde, derart mangelhaft, daß einem der Widerspruch zwischen Maßnahmen und Handlung immer klarer vor Augen kam.
Daß die Bevölkerung selbst eine fast bedrohliche Haltung einnahm, das will ich nur so nebenbei mit bemerken.
Wir bekamen dann eine Stellung in Seehausen zugewiesen, die zwischen Mockau und Tekla liegt. Dort haben wir uns dann so schlecht und recht eine Stellung gebaut, doch für eine Verteidigung der Stadt Leipzig konnte dies nie und nimmer von entscheidender Bedeutung sein. Schließlich ist man ja Soldat und man erfüllt seine Pflicht so, wie es schlechterdings von einem verlangt werden kann. Die Widersprüche, die von außen her auf alle einwirkten, die kamen dann auch insoweit auf die Kameraden zur Auswirkung, daß sich jeder sagte, wir stehen hier auf einem Posten, die von einer bestimmten Seite die Selbstaufopferung verlangt, aber die selbst nicht bereit ist, dieses persönliche Opfer zu bringen.
Am 19. war dann alles soweit, daß wir unsere Stellung auf unserem Stützpunkt kampflos verließen. um bei einem Einsatz in der Stadt mitzuwirken. Als wir uns in der Mitte der Stadt befanden, fing von allen Seiten die Schießerei an. Ich denke, daß ich mich die ganzen Jahre hindurch nicht als Feigling benommen habe, und ich hätte bestimmt den Mut besessen, in einem ehrlichen Kampf ein Ende zu finden.  Aber wie ich Dir schon kurz andeuten konnte, hat hier alles einen derartigen Verlauf genommen, daß einem alles widersinnig erschien.
Kurz und gut, durch eigenartige Umstände kam ich von der Truppe ab. Einige Hausbewohner nahmen mich erst einmal auf, doch bald kam denen die Angst, daß irgendwelche Vergeltungen an ihnen geübt würden, weil sich in ihrem Haus ein Landser aufhielt, und es kam sogar soweit, daß wir uns entfernen mußten, weil von Seiten der Hausbewohner die Polizei angerufen worden war, daß wir uns dort aufhielten.
Das hatte mir einen solchen Stoß gegeben, daß ich hätte schier verzweifeln können am deutschen Menschen. Denn all die vergangenen Jahre hat man sich in aller Welt in Dreck und Unbill herumtreiben lassen, und dafür bekam man nun diesen Eselstritt. Ich wandte mich dann nach Mockau zu Deinem Vater. Dort wurde ich anfänglich erst gut aufgenommen, aber Lotte befand sich in Bezug auf ihre eigene Person in einer solchen Auflösung, daß ich schon Bedenken bekam.  Doch mein Entschluß, weiter zu ziehen wurde dann ohne weiteres erleichtert, als sich nach Deines Vaters Reden die Hausgenossen darüber unterhielten, daß sich Landser im Haus aufhielten, und daß sie das auf keinen Fall zulassen könnten. Die Flucht mußte ich darum fortsetzen, denn die Fortgänge der Ereignisse in der dortigen Gegend ließ ein weiteres Aufschieben kaum zu. Wir gingen in Richtung auf den Park von Abtnauendorf. Dort trafen wir noch auf eine größere Einheit, die anscheinend aber auch nicht mehr gewillt war, sich in ernsthafte Kampfhandlungen einzulassen. Es erschien uns aber geraten, trotz allem Abstand zu halten nach all dem, was schon hinter uns lag.
Wir verzogen uns in eine Gartenlaube, und dort nächtigten wir auch zunächst. Am folgenden Tag ging ich dann nochmals in die Wohnung Deines Vaters, um zu hören, was sich alles zugetragen hat. Überall hingen weiße Fahnen aus den Fenstern. Dein Vater war teils erschüttert, aber ich weiß nicht, ich vermißte doch die persönliche Anteilnahme. Die fremde Frau hat eben doch einen solchen ungünstigen Einfluß auf ihn, daß eine Bindung, wie sie zu Lebzeiten Deiner lieben Mutter bestand, nicht mehr oder kaum noch zu spüren ist. Ich bekam dann schließlich von ihm eine Zivilhose und eine Mütze. Von anderer Seite erhielt ich noch eine Jacke, so daß ich erst einmal die Schale wechseln konnte. 
Nachdem ich erkannt hatte, daß ein Verbleiben dort für mich nicht gerade zweckmäßig sei, weil ich doch nicht gern gesehen bin, erschien es mir ratsam, mich an Erna und an Kühns zu wenden in der Hoffnung, daß ich wahrscheinlich von dort aus ein Weiterkommen finden würde, weil ich erst einmal eine Abklärung der Dinge abwarten wollte. Als ich dort ankam, fand ich für alles ein solches Verständnis, daß ich wirklich gerührt war über derart viel Anteilnahme. Siegfried war ja inzwischen wieder abgerückt, und Erna hatte sich bei Kühns eingerichtet. Verpflegung stand mir ja von keiner Seite mehr zur Verfügung, doch ohne viel Aufhebens wurde ich dort aufgenommen. Da die Wohnverhältnisse aber doch ziemlich knapp sind, reifte in mir der Entschluß, mich bei Leglers umzutun, ob ich dort erstens etwas anderes anzuziehen bekommen kann.
Am folgenden Tag ging ich nun zu Elsa Legler und fand hier das gleiche freundschaftliche Verständnis, wie bei Kühns. Nach all dem, was mir vorher begegnet war, tat einem das in diesem Zusammenbruch so wohl, daß es noch treue Freunde gibt. Sie bat mich dann auch, Unterkommen bei ihr zu nehmen, was ich mir erst vorbehielt, weil ich mich doch erst noch mit Erna besprechen wollte. Unter Berücksichtigung der Verhältnisse hielt auch sie es für ratsam, daß ich mein Exil bei Leglers aufschlagen soll. Wie vorbehaltlos ich hier nun aufgenommen wurde, das war wirklich rührend, und wird mich wohl zur dauernden Dankbarkeit verpflichten. Sie hat mir von dem, was ihnen für ihre Ernährung zur Verfügung stand, gegeben, wie wenn ich meinen Anteil dazu beigetragen hätte.
Mein Einwand, daß ich das nicht annehmen könnte, weil ich ja keine Möglichkeit sehe, ihr das in irgendeiner Form ersetzen zu können, wies sie zurück mit dem Bemerken, daß wir schon durchkommen würden. Man sieht aus allem daß einem gute Freunde eher helfen als die nächsten Verwandten. Von Erna abgesehen.  Alice konnte ich schlecht aufsuchen, weil ja dort alles überbelegt war, und Onkel Krall hat durch den Eintritt dieses Zusammenbrechens innerlich so viel gelitten, daß sein Widerstand und sein Lebenswille gebrochen war. Am 23. ist er, bei vollem  Bewußtsein, und wie mir Tante Agnes bei ihrem Besuch hier mitteilte, mit seinen Gedanken an Siegfried und an mich gestorben.
Gestern ist er beerdigt worden. Alice und Tante Agnes kamen nun gestern zu mir.
Ich konnte mein Beileid ausdrücken. Aus Leglers Garten konnte ich einen Blumenstrauß hinüberschicken lassen. Das letzte Geleit hätte ich ihm gerne gegeben, aber ich bin doch ein Gefangener. Alice und Tante Agnes hatten sich in so lieber Weise meiner erinnert. Sie brachten mir zu Essen mit. Bei solchen Beweisen des Gedenkens und der Liebe könnte einem direkt das Herz aufgehen. Ich war insoweit froh, daß ich doch bei Elsa Legler einen kleinen Teil der Schuld abtragen konnte.  Alice und Tante Agnes letztere in sehr mütterlicher Weise, baten mich nun mit Rücksicht auf Euch, Ihr Lieben, daß ich mich den Behörden stellen solle. Sie hatten Ankündigungen eingezogen über den mutmaßlichen Verlauf, was mit einem geschieht. Ich habe mich nun auch zu diesem Entschluß durchgerungen und will mich heute Nachmittag melden.
Was mit uns nun passiert, das weiß ich noch nicht. Ob wir nun weggeschafft werden oder was vorgenommen wird, das ist mir unklar. Ich muß aber etwas tun, sonst zerre ich an meinen Nerven doch mehr, als ich durch ein weiteres  Erbleiben in dem hier gewiß sehr netten Kreis gutmache. Ob und wann Dir dieser Brief jemals zugeleitet werden kann, das weiß ich nicht. Dir soll dies ein Gruß und gleichzeitig eine Rechtfertigung sein über das, was sich nun alles in meiner Umgebung zugetragen hat. Meine Gedanken gelten immer Dir und den Kindern. Wie wird sich alles bei Euch abgewickelt haben? Mein Wunsch wäre, daß Siegfried vielleicht bei Dir gelandet ist und Dir während  der Ereignisse eine Stütze war. Ob sich dieser Wunsch nun erfüllt hat, das hängt nun im Dunkel.
Hoffentlich seid Ihr aus allem erst einmal gesund herausgekommen.  Wie Ihr nun unter der Besatzung lebt und was sich unter ihr zuträgt, das kann ich von hier aus leider nicht erkennen. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben sich die Franzosen breitgemacht.
Gern würde ich Euch schützen, aber ein Herauskommen ist ja nicht möglich. Alles, was nun Euch und Euer persönliches Wohlergehen betrifft, das macht mir Gedanken.
Jetzt, wo Ihr mich braucht, jetzt muß ich fern von Dir und den Kindern sein. Daß Du alles allein ausfechten mußt, das tut mir so unendlich weh. 
Wie ich schon sagte, wann wir uns wiedersehen können, das steht im Dunkel. Wie Du mit allem verfahren sollst, das weißt Du ja im Wesentlichen aus meinen früheren Schreiben. Ich hoffe aber auch, daß die Kinder ihrem Mutterle in dieser Notzeit eine Stütze sein werden, damit Ihr alles besser überstehen könnt. Sobald sich nur irgendeine Möglichkeit bietet, daß ich mich zu Euch durchschlagen kann, dann bin ich auf dem Wege zu Euch, des kannst du versichert sein. Ich hoffe nur, wenn mir das Glück vergönnt ist, daß ich Euch alle gesund antreffe. Wenn wir zusammen sind, werden wir schon einen Weg wieder finden, der uns weiterführt. Sollte ich lange von Euch fort sein müssen, dann behaltet mich in Treuem Andenken, wie ich es stets tun werde. Ring und Uhr lasse ich hier zurück. Ich will nicht haben, daß man mir dies abnimmt, und daß diese Dinge in Hände fallen, die darauf kein Anrecht haben. Ich könnte dies nur in verbissener Wut hinnehmen.
Darum möchte ich gleich einer solchen Maßnahme von vornherein aus dem Weg gehen.
Sollte dieses Unterpfand unserer Verbundenheit eher bei Dir sein als ich, dann denke daran, daß ich eines Tages mir dies holen werde. Bis dahin widmet mir Eure Gedanken.
All mein Sinnen und Trachten gilt immer und ewig nur Dir und den Kindern. Haltet treu zusammen, ich bin im Geiste jederzeit bei Euch. Ich hoffe, daß ich dann später Euer Vaterle sein kann, wie ich es bei unserem Zusammensein stets habe sein dürfen.
Bleibt tapfer und aufrecht und vergeßt nicht, daß ich immer bei Euch weile. Wenn auch alles jetzt schwer ist, ich hoffe es für Euch ertragen zu können. Darum laßt Euch noch einmal umarmen und recht herzlich küssen. Meine innigen Grüße gelten Euch Dreien und auch Vater. Wir wollen uns von der Not nicht niederdrücken lassen.
Trotz allem bin ich nicht ganz mutlos und bleibe stets Euer treues Vaterle und stets

Brief 625 vom 4.4.45


Mein liebes, gutes Mädel !                                                                     4.4.45

An den Tag vor einem Jahr erinnere ich mich deshalb noch so gut, weil ich damals bei Euch in Urlaub war und die Kinder darauf aufmerksam machte, daß das Datum vier Vieren aufwies. Damals sah man zwar noch anders in die Zukunft. Man hoffte auf den Frieden. Alles hat sich anders entwickelt, wie uns das erzählt wurde und wie wir uns das vorgestellt haben. Aber sprechen wir von etwas anderem. Ich war gestern Nachmittag mit Siegfried zusammen. Wir haben die Stätten unserer Jugendzeit aufgesucht und sind durch die verschiedenen Straßen gegangen. Er hatte es ermöglicht, daß ich von hier freikam. Ich bin dann noch zur Dienstausgabe zurückgegangen und anschließend hatte ich die Genehmigung, daß ich die ganze Nacht von hier wegbleiben durfte. Wir sind dann gleich nach der Dienstausgabe losgezogen und sind quer durch die Stadt in die Nordstraße gelaufen. Als wir dort ankamen, war Ursula schon auf dem Damm und wartete auf uns. Erna hat dann gleich mit dem Essen aufgewartet.
Es kommt mir immer etwas peinlich vor, wenn ich da mitessen muß, aber das läßt sie sich nicht nehmen. Wir sind dann noch nett zusammengesessen, haben von früher gesprochen und von dem, was sich in der letzten zugetragen hat.
Wir haben unsere Bilder angesehen, so daß die Zeit ziemlich schnell verflog. Ich sollte ja zur Nacht in der Nordstraße bleiben. Freundlicherweise wurde mir das Zimmer von den Nachbarn zur Verfügung gestellt. Erna hatte alles frisch bezogen, ein Schlafanzug war auch da; es fehlte also an nichts. Heute früh habe ich mich dann um 7 Uhr auf die Straßenbahn geschwungen, nachdem ich erst noch Kaffee trinken mußte. Ich hatte dann noch mit Erna ausgemacht, daß ich heute zu Papa gehen will, damit er nicht vergrämt wird.
Vergessen hatte ich noch anzufügen, daß ich am Nachmittag mit Siegfried Alice programmgemäß besuchte, die sich recht gefreut hatte, als wir Beide auftauchten. Daß Tante Agnes mit dem Onkel nicht minder erfreut waren, das kannst Du Dir wohl denken. Als ich heute früh zum Dienst hier zurückkam, fand ich Deinen lieben Brief vor Nummer 24 vom 18.3. Der war von der Adresse in Dobichau  nachgesandt worden. Ich hatte nicht geglaubt, daß das so klappen würde. Es ist zwar aus der Kette der übrigen Briefe herausgerissen, und man muß sich den Zusammenhang etwas zurechtlegen.  Du wunderst Dich in Deinem Schreiben darüber, daß das Papa und Lotte so aushalten.
Ich nehme an, daß ich Dir nach meinem Besuch wieder ähnliche Dinge berichten kann.
Ich wundere mich nicht, weil diese Frau, wie mir Erna jetzt erst bestätigte, ihm Sand in die Augen streut. Es ist nur so, daß er es nicht merkt, und daß er glaubt, sie würde alles für ihn opfern unter Hintansetzung ihrer Person.
Manchmal scheint er es zu fühlen oder will es sich nicht merken lassen. Du fragst mich, ob ich nicht hätte in Hamburg eher wegreisen können. Das wäre durchaus möglich gewesen, aber ich dachte, daß ich mir das nicht entgehen lasse, und nach Leipzig zu dem Haufen hier komme ich noch schnell genug. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit auch noch etwas umsehen können, wenn auch die Alarme dabei etwas hinderlich waren. Daß jetzt in Konstanz viele Verwundete liegen, das ist vielleicht für Euch von Vorteil, und Ihr braucht dann in diesem Falle mit Bombardierungen weniger zu rechnen. Interessant ist, daß die Schweizer sich in ihre alte Heimat retten, weil Ihnen der Boden bei uns anscheinend zu heiß wird. Man kann es ihnen nicht verwehren, aber man könnte da den Eindruck gewinnen, daß die Ratten das Schiff verlassen, weil es leckt.
Wie sich die militärische Lage in dem hiesigen Raum weiter entwickelt, wird sich bald herausstellen. Was man mit uns plant, ist ja keinem von uns bekannt. Man hat keinen Einfluß auf diese Dinge, denn wir sind ja doch nur Werkzeug. Also machen wir in bewährter Weise weiter mit.  Dich und die Kinder grüße ich recht herzlich. Bleibt mir nur gesund, denn meine Aufgabe besteht doch mehr oder weniger darin, für Euch zu schaffen und zu leben. Ich küsse Dich und die Kinder innig und bleibe, wie das schon immer war, Euer Vaterle und Dein Ernst.         Bitte neue Post an die Adresse Deines Vaters in Zukunft richten.

Brief 624 vom 2.4.45


Du mein liebster Schatz !             2.4.45                                                                                                                                
Daß ich eine solche Osterüberraschung gestern noch erleben würde, das hätte ich mir bestimmt nicht träumen lassen, als wir hier nach Leipzig herüberrückten. Ich hatte an alles eher geglaubt, als daß ich daran gedacht hätte, daß Siegfried es mit seinem Urlaub noch schaffen würde. Es hat mich jedenfalls aufrichtig gefreut, als ich ihn gestern Abend noch, wenn auch etwas verspätet, begrüßen konnte.
Ich teilte Dir ja gestern in meinem Brief mit, daß wir zur Feldbestellung reif geworden sind. Wir hatten nun hier den ganzen Tag Zirkus. Raustreten und Antreten und Sachenfassen und Papiere in Ordnung bringen und Schießen usw. usw. Zu guter Letzt habe ich dann doch ein Dienstende, aber unsere Soldbücher waren noch nicht fertig gestellt, weil sie vorbereitet werden mußten. An ein Ausgehen ohne Soldbuch ist schlecht zu denken, wenn man keine Schwierigkeiten haben will. Unter vielen Schwierigkeiten ist es mir dann doch gelungen, nachdem ich erst noch den Hauptmann habe darum angehen müssen, eine Bescheinigung zu erlangen, die mir das Ausgehen ermöglichte. Ich bin dann gleich in die Stadt gefahren, weil ich annahm, daß die Wohngemeinschaft zwischen Erna und Papa mit Lotte noch besteht. Als ich hinkam, war außer der Familie Weiß niemand da, die mich ja inzwischen kennengelernt hatte, und bei der ich mich dann bis zur Ankunft von Siegfried und Erna aufhielt. Das Fräulein sagte mir dann bei meiner Vorsprache, daß Herr Michel da sei. Ich sagte daraufhin, daß ich das wüßte, war aber in dem Glauben, daß damit Papa gemeint sei. Erst im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, daß es sich um Siegfried handelte. Als ich das erfuhr, wurde ich schon etwas unruhiger Meine Geduld wurde aber insofern auf eine Probe gestellt, als die ganze Familie erst gegen 9 Uhr von Alice zurückkam. Wir fanden dann aber immer noch Gelegenheit, uns bis nach 11 Uhr etwas auszusprechen, denn vor Mitternacht mußte ich  wieder in der Kaserne sein. Von Erna wurde ich, wie ich das nicht anders von ihr kennengelernt hatte, gastlich aufgenommen. Das heißt, sie hat das getan, was in ihren Kräften stand.
Ich freute mich, daß ich Gelegenheit hatte, ihr gestern mehr als 5 Pfund Mehl auszuhändigen, die ich gegen Tausch von einigen Zigaretten von einem Kameraden erhalten hatte. Da ich wiederholt bei ihr gegessen hatte, habe ich das als kleine Entschädigung betrachtet.
Erst hatte ich die Absicht, diese Marken Dir zu schicken, aber das ist gegenwärtig so eine unsichere Sache, ganz abgesehen davon, daß diese Marken im Laufe dieser Woche verfallen. Ich denke, daß Du dafür Verständnis haben wirst, wenn ich auch genau weiß, daß Dir damit sicherlich wieder etwas geholfen worden wäre. Siegfried erwähnte im Laufe unseres Gesprächs, daß er, wenn er wieder zurückfährt, versuchen will, bei Euch vorbeizukommen, und daß er auf der Herreise schon in Lindau gewesen sei. Wenn ihm das gelingt, dann bitte ich Dich, daß Du ihm von den Zigaretten immerhin soviel mitgibst, daß er auf der Rückfahrt keinen Mangel hat. Auch von unseren Schnäpsen setze ihm etwas vor. Aber das bedarf ja groß keiner weiteren Anweisung, denn ich weiß, daß Du ihm auch das tun wirst, was in Deinen Kräften steht.
Bei meinem Besuch erhielt ich auch Dein Schreiben vom 13.3. Nummer 20 ausgehändigt, das mich zu allem hin noch recht erfreut hat. Was Deine Frage anlangt wegen unseres Jungen, ob ich es ratsam hielte, wenn Du mit ihm wegen des Bettnässens zum Arzt gingst so wäre das schon zu erwägen. Schließlich könnte er doch einen Rat geben. Wenn es einem unsinnig erscheint, dann kann man ihn befolgen oder auch man kann es bleiben lassen. Wenn inzwischen keine Besserung eingetreten ist, dann fasse das nur ruhig einmal ins Auge.  Über eins habe ich mir gerade gestern Gedanken gemacht. Es war von einem Aufruf der deutschen Volkserhebung im Westen die Rede.  Ich bitte Dich, soweit für Dich keine Veranlassung vorliegt, Dich an solchen Schießereien nicht zu beteiligen, weil ich der Ansicht bin, daß das eine Angelegenheit der Männer, aber nicht der Frauen und Kinder ist. Ob Dich dieser Brief noch erreichen wird, kann ich ja nicht sagen, denn die Entwicklung nimmt jetzt einen derartig schnellen Verlauf, daß man sich nicht mehr traut, länger als bis morgen in die Zukunft zu sehen. Haltet Euch nur immer, wie Ihr es Eurer Würde gegenüber vertreten könnt, seid aber auch dessen eingedenk, daß wir noch immer da sind.  Heute werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach in die Brendiser Schule marschieren, um dort über die weiteren Dinge zu beraten.
Warten und Warten und immer wieder Warten, das ist eben mit das oberste Gesetz beim Barras, an das wir uns in den langen Jahren gewöhnt haben.
Ich hoffe aber, daß wir heute Ausgang bekommen, und daß ich dann Alice besuchen kann, weil das ja in unmittelbarer Nachbarschaft der Schule liegt. Siegfried hat mich gebeten, bei Kurt Kühn vorbeizukommen, wo sich heute die ganze Familie aufhalten wird. Kühn ist auch zufällig anwesend, so daß sich das für Beide ganz gut trifft.  Es wird sich für mich sicherlich noch Gelegenheit finden, daß ich nach Mockau hinauskomme, wann und wie, das weiß ich heute noch nicht. Zu berichten wäre, daß Papa und Lotte gestern in der Nordstraße Abschied genommen haben und wieder in ihre Wohnung zurückgegangen sind, weil ihnen sonst die Wohnung abgesprochen worden wäre. Das wäre so das, was sich hier an Neuigkeiten erzählen läßt. Bis morgen, denn da hoffe ich wieder schreiben zu können.
Ich grüße dich und die Kinder immer und immer wieder recht herzlich, wie ich Euch im Geiste auch herzlich umarme und Euch jedem einen herzlichen und lieben Kuß aufdrücke.
Ich bin und bleibe immer Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 623 vom 20.3.45


Meinem liebsten Schatz !         20.3.45          

Ob ich heute sonst noch dazukomme, Dir zu schreiben, das kann ich noch nicht sagen.
Wir haben jetzt Schießdienst. Ich habe meine Übung durchgeschossen und bin nun schon ein so guter Schütze geworden, daß ich in die Scharfschützenklasse eingereiht worden bin. Das ist noch nie vorgekommen. Ich kann es mir selbst nicht erklären.
Es ist aber einmal so, da ist nichts mehr daran zu machen. Ich habe auf 200 Meter Entfernung auf eine Scheibe 7, 9 und 11 getroffen, das ist wirklich mir selbst erstaunlich.
Wie dem auch sei, jetzt habe ich hier Absperrdienst und die freie Zeit, die mir hierbei zur Verfügung steht, die verwende ich gleich zum Briefeschreiben an Dich. Ich habe zwar kein besseres Papier bei mir, doch das ist wohl nicht so bedeutsam. Heute Nachmittag werden wir unsere Sachen packen, denn es geht nun sicherlich doch von hier fort.
Wie ich höre, nach Dommitzsch an der Elbe. Das liegt unweit von Torgau. Wie ich Dir gestern Abend noch kurz schrieb, hatte ich in der vergangenen Nacht Streife gehabt.
Was uns aber nicht hinderte, heute früh gleich Dienst zu machen.  Das ist mir aber alles nicht weiter schlimm, wenn ich bedenken muß, daß von Dir immer noch keine Post eingetroffen ist. Ich weiß gar nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll.
Ich versuche mir immer einzureden, daß die schlechten Verhältnisse schuld seien, aber dann sage ich mir, daß doch einer von Deinen Briefen einmal nach hier durchkommen müßte. Wenn ich mir auch schon seit Wochen Gedanken um Euch mache, so beginnen die Sorgen um Euch doch langsam Form anzunehmen und sich zu verdichten, denn das kann ja bald nicht möglich sein, daß in einem Zeitraum von vier Wochen nur ein Brief nach hier kommt. Ich weiß nicht, was ich von allem halten soll. Manchmal komme ich mir ganz ratlos Vor. Ja heute vor vier Wochen, da waren wir den letzten Urlaubstag zusammen. Es kann einem leicht weh ums Herz werden, wenn man daran denkt. Man hat doch niemand weiter, mit dem man hier zusammenlebt. Man hat Kameraden und hat keine. Wenn ich mich auch mit manchen verstehe, so kann mich das nicht befriedigen, weil zu allen das persönliche Verhältnis fehlt. Man gewinnt zu keinem innere Wärme.
Ganz abgesehen davon, drückt die gesamte Lage auch auf die Stimmung. Manchmal habe ich es regelrecht satt. Wenn meine Gedanken nicht immer bei Euch sein könnten, dann könnte man es richtig satt bekommen. So macht man aber in diesem allgemeinen Wirrwarr mit und hofft auf ein günstiges Ende. Es ist zwar traurig, wenn man eine derartige Einstellung an den Tag legt, aber alle Umstände, die auf mich hier einwirken, können gegenwärtig keine andere Stimmung hervorrufen. Dann soll man Deinem Vater noch gut zusprechen. Es ist manchmal viel verlangt. Bei dieser Sachlage und bei diesen Zeitverhältnissen komme ich aber auch nicht dazu, ihm einen Brief zu schreiben.
Das Wetter ist jetzt einigermaßen erträglich. Noch regnet es nicht, aber die wenigen trockenen Tage, die wir jetzt hatten, werden wahrscheinlich bald durch Regen  abgelöst werden.
Ich wünsche mir, daß mein Hoffen, das Euch alle gesund wähnt, bald durch einen Brief von Dir bestätigt wird. Lasse es darum bitte bei diesen Zeilen bewenden. Du kannst versichert sein, daß ich immer in Gedanken bei Euch weile und daß diese Euch immer umkreisen. Hoffentlich können sie Euch auch zum Schutz dienen. Ich küsse Dich, Helga und Jörg recht recht innig. Seid auch recht herzlich gegrüßt von Eurem Vaterle und von Deinem Ernst.

Brief 622 vom 9.3.45

Du meine liebe kleine Annie !          9.3.45          

Immer noch habe ich keine Post von Dir. Es ist mir bald unwahrscheinlich, daß seit meiner Abreise noch keine Post bis nach Leipzig und von Dir hierher gekommen sein soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich hoffe fest, daß Euch nicht zugestoßen ist, doch erscheint es mir sonderbar, daß alle Briefe solange unterwegs sein sollen.
Zwar ist es heute nicht leicht mit dem Postverkehr, denn die Luftangriffe behindern auch diesen. Hin und wieder hören wir, die Massen der Flieger in der Nacht über uns hinweg brausen. Am anderen Tag hört man dann ja aus dem Wehrmachtsbericht, was sich wieder ereignet hat. Es ist ja keine Kleinigkeit, und es heißt jedes Mal, die Zähne zusammenbeißen. Heute habe ich einmal am Vormittag Stellung gebaut und am Nachmittag habe ich Ausbildung am Panzerschreck mitgemacht. Es war wirklich ein erträglicher Dienst. Das Wetter war recht annehmbar. Auch heute ist es wieder Abend geworden. Das sollte wohl nicht die Einstellung zum Leben sein, aber durch diesen langjährigen Landserbetrieb kommt man soweit.
Ja, wenn ich zurückdenke, dann muß ich mich wieder an die Zeit vor einem Monat erinnern, da war ich schon voller Spannung, Euch wiederzusehen. Die Überraschung war dann doch recht groß für Euch, als ich so unverhofft vor der Tür auftauchte. Auch für mich war es eine große Freude, als ich das Glück hatte, Euch alle in den Arm zu nehmen. Was waren das für herrliche Stunden. Wie unbeschwert haben wir die wenigen Tage leben dürfen.  Aber es geht doch alles so geschwind vorbei, und die Trennung ist doch recht schwer. Wenn es mir aber zu lang wird, bis ich Nachricht von Dir bekomme, dann lese ich mir Deine Zeilen durch, die Du mir so heimlich zugesteckt hast. Ich finde, die Worte sind direkt klassisch, die Du für diese Stimmung gefunden hast. Sie sind mir ein kleiner Trost dafür, daß wir uns nun wieder fern sein müssen. Hier ist bei uns eine kleine Verbesserung eingetreten. Von unserem kalten Strohboden sind wir heruntergekommen und konnten jetzt bei einem Bauern ein Zimmer beziehen. Es ist auch Massenquartier auf dem Fußboden, aber das ist ja nicht das Schlimmste; besser ist, daß wir hier ordentliche Wände und ein ordentliches Dach über dem Kopf haben. Die Wärme ist doch immerhin so, daß man sich nicht die Handschuhe anziehen muß, wenn man sich umlegt.  Ich bin jedenfalls recht zufrieden damit, wenn es auch kein Paradiesbett ist.
Eine Karte lege ich Dir auch heute wieder mit bei. Verwende sie zu Eurer Gesundheit.  Morgen werden ich wahrscheinlich nach Torgau fahren, um mich fotografieren zu lassen. Diesmal wird es nun doch soweit kommen, daß in mein Soldatenbuch ein Bild hineinkommt. Aber davon werde ich Dir morgen berichten können.  Lasse mich nun schließen, denn es ist Zeit zum Zubettgehen. Einen recht herzlichen und lieben Kuß gebe ich Dir und den Kindern. Viele Grüße füge ich bei und bin immer Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 621 vom 8.3.45


Du mein herzliebster Schatz !               8.3.45 
                                                                                       
Die Arbeit ist vollbracht, könnte ich jetzt sagen, denn es ist Abend geworden über die Schafferei, doch es ist ein schönes Gefühl, wenn man sich körperlich etwas ausgearbeitet hat. Aber es müßte eben eine andere Arbeit sein und man müßte nicht mitten im Kriege stehen.
Wir waren heute den ganzen Tag schanzen. Laufgraben haben wir im Wald gezogen. Früh waren die Pfützen leicht gefroren. Beim Ausmarsch hatten wir erst an den Händen gefroren, doch bald war es ganz schön warm geworden. Die Sonne kam dann auch heraus und ließ schon den Vorfrühling ahnen.  Die hohen Kiefern wiegten ihre Wipfel im Wind, aber trotz allem, überall spürt man den Krieg. Zur Mittagszeit sind wir in unser Quartier zurück marschiert. Auch am Nachmittag haben wir dann den gleichen Dienst verrichtet. Doch das Wetter hatte umgeschlagen, denn es kam zum Schneien. Als wir dann nach hause kamen, hatten wir Gelegenheit, uns an unserem Ofen aufzuwärmen. Es ist zwar bei uns auf der Tenne recht luftig, aber ich kann ja immer noch sagen, daß ich mit meinem Überanzug noch nicht schlecht angezogen bin. Um nun unseren von unserem Schaffen hervorgerufenen Durst zu löschen, bin  ich mit einem Kameraden in die Dorfwirtschaft gegangen, um ein Bier zu trinken.
Bei dieser Gelegenheit kann man dann im Radio noch so einiges hören, was draußen in der Welt vor sich geht. Um aber die Zeit noch nützlich anzuwenden, will ich Dir meinen heutigen Gruß noch zukommen lassen, denn Du sollst doch nicht warten müssen.
Ich will Dir auch wieder eine Karte beilegen, damit ich diese Dinge los werde. Hoffentlich bekommt Ihr alles gesund in Eure Hände. Anläßlich eines Gesprächs mit einem Kameraden hat sich ergeben, daß ich recht schnell die Nummer der Radioröhre brauche, die bei unserem Kamerad kaputt ist. Es ist unwahrscheinlich, daß ich die Gelegenheit hätte, einen Ersatz dafür zu erhalten. Wenn Du diesen Brief erhältst, dann lasse mich bitte bald die Daten wissen. Auf Post warte ich leider immer noch vergeblich, aber mein Hoffen ist immer noch ungeschwächt. Lasse Dich und die Kinder recht herzlich grüßen und vielmals herzinnig küssen von Deinem Ernst.