Freitag, 8. Dezember 2017

Brief 350 vom 7./8.12.1942


Mein liebstes Mädel !                                                                    7.12.42    
    
Ich mußte heute feststellen, daß ich Dir in Gedanken Unrecht getan hatte. Heute erreicht mich Dein Brief vom 28.11., dem Du Deinen Brief vom 7.11., dem Tage meiner Abreise beigelegt hattest. Ich schrieb Dir schon kürzlich, ob Du mir denn erst am 8.  den ersten Brief geschrieben hast und wie Du das mit den Blumen für Deinen Vater gemacht hast. Mit der Übersendung dieses Briefes findet ja alles seine Aufklärung. Wie ich leider feststellen muß, machst Du Dir Gedanken, ob auch meine Feldpostnummer, die ich Dir angab, richtig ist. Es war von mir leichtsinnig, daß ich auf den ersten Briefen immer noch den Dienststempel mit der alten Nummer verwendet habe. Das ist inzwischen geändert. Der Fehler liegt aber beim Postverteiler, denn er hat sich nicht weiter der Sache angenommen. Aus meinen weiteren Schreiben hast Du ja gesehen, daß die Anschrift stimmt. Ich bin froh, daß ich Dich gleich wieder beruhigen kann. Meinen heutigen Brief nimmt ein Kamerad mit, der in Urlaub fährt. Lasse Dich durch die Feldpostnummer auf dem heutigen Dienstsiegel irritieren.  Am heutigen Tag ist schon wieder ein Monat vergangen. Man kann es fast nicht glauben, daß die Zeit so schnell verfliegt. An solchen feststehenden Daten kann man erst messen, was eigentlich ein Tag ist. Wie schnell verrinnt er und bedenkt man dabei wieder, daß man schon über 2 ½ Jahre von daheim weg ist, dann sieht man erst, wie lange Zeit es her ist, seit man aus der früheren gewohnten Umgebung herausgerissen ist. Wenn man dann über sein Schicksal nachdenkt, dann kann einem zu allem die Laune vergehen. Wie ich Dir schon mitteilte, habe ich hier eine Änderung durchgemacht, die an und für sich kränkend gewirkt hat. Doch was will das beim Kommis heißen.  Man achtet ja den einzelnen Menschen nicht weiter, wenn man es wohl immer wieder schreibt und sagt. Ich hatte doch bislang mit den Kameraden von unserer Dienststelle im Offizierskasino gegessen. Durch die Umstellung, die wir hier hatten, wurde ich trotzdem auch hier im Kasino der Offiziere bzw. der Beamten aufgenommen. Ende der vergangenen Woche wurde mir nun mitgeteilt, daß das nicht mehr ginge, weil Platzmangel herrschen würde. Wenn auch über diese Frage streiten ließe, ist es nicht schön, daß man mich erst dort einführte und mit jetzt quasi einen Tritt versetzt. Es stimmt durchaus, ich werde auch woanders satt. Gestern haben wir mit unserem Chef noch am Nachmittag beim Kuchen zusammengesessen.  Das war sozusagen die Henkersmahlzeit. Ab heute früh bin ich den Unteroffizieren zugeteilt. Dort ist es aber so fein eingerichtet, daß wir als Menschen dritter Sorte angesehen werden, weil dort noch Kameraden von der Feldpost essen, die mit den Unteroffizieren nicht zusammensitzen sollen und darum erst nach Abfertigung dieser abgefüttert werden. Es ist direkt eine Freude, wenn man sieht, was für eine Eintracht innerhalb der Wehrmacht herrscht.  Zu allem kommt mein Arbeitskamerad in diesen Tagen auch von hier fort und der neue wird wohl vor lauter Wissen und Selbst Beweihräucherung noch überschnappen. Es ist aber meist so, daß dann alles zusammenkommt, wenn sich etwas einfindet. Ich gebe zu, es ist mir bisher gut gegangen. Ich werde weiterhin auf meine Rechnung kommen. Es gibt einmal Zeiten, da hängt einem alles zum Hals heraus. Du weißt ja, daß nicht gleich einer von denen bin, der schimpft über solche Dinge. Wenn es einem aber zu bunt wird, dann muß man seinem Herzen Luft machen. Ich habe das in reichlichem Maße schon hier getan. Das geht aber noch soweit, daß Du vor Tagesende auch noch etwas mit abbekommst. Du kennst mich ja und weißt, daß ich schon mit dieser Sache fertig werde und daß Du Dir keine Gedanken machen brauchtest. Aber dieser Ärger muß irgendwo hinaus. Man sagt wohl, Papier ist geduldig. Das stimmt in diesem Fall auch, doch die Wirkung beim Leser ist doch meist nicht so teilnahmslos wie beim Papier. Ich könnte ja nach Beendigung dieses Briefes einfach hergehen und ihn zerreißen. Ich möchte aber andererseits, daß Du auch an diesen Dingen teilhast, damit Du siehst, daß es nicht immer nach Wunsch geht. Das trifft ja auch für Dich öfter zu und auch Du hast Deinen Ärger ab und zu. Du kannst dann in diesem Fall auch immer zu mir kommen und mir davon erzählen.

8.12.42  Mein lieber Schatz ! 

Ich schreibe heute an diesem Brief weiter, denn es hat sich nicht gelohnt, ihn jetzt wegzuschicken, weil ein Kamerad auf Urlaub fährt und ihn dann mitnimmt. Ich habe mich von der gestrigen schlechten Gemütsstimmung etwas erholt und will versuchen, in etwas  ?   Ton zu schreiben. Wie weit mir das gelingt, kann ich zwar noch nicht sagen. Von den Erlebnissen des Tages gibt es weiter nichts zu berichten. Vom Wetter schon eher. Nachdem ich jetzt nicht mehr im Hause esse, komme ich am Tage mehrmals auf die Straße. Gestern Abend fing es an zu tauen, daß man denken konnte, den Schnee würde es wegputzen. Heute früh hatten wir die wunderbarste Schlittschuhbahn. Zum Laufen dagegen war es weniger schön. Gegen Mittag fing es wieder an mit schneien, so daß man nichts mehr vom gestrigen Tauwetter merkt.  Dieser Tage sah ich mir die Marmeladenvorräte an, die ich von zuhause mitbekommen hatte. Ich dachte erst, daß ich sie wohl kaum brauchen würde, wo ich hier bisher so gut in Verpflegung stand. Durch die Wendung, die es jetzt gegeben hat, sieht das nun anders aus. Ich hatte erst Bedenken, daß sie vielleicht verderben würde, wenn man sie dauernd im Koffer aufbewahrt. Sie war aber gan einwandfrei. Jetzt werde ich mir sie wieder zusetzen, denn so kräftig, wie bisher, ist das Essen nicht. Man wird wohl satt und man verhungert nicht dabei, aber es kann nichts schaden, wenn man noch etwas zusetzt.  Brot bekommen wir immer noch in ausreichendem Maß, so daß man sich immer helfen kann. Mir kommt nach der bisherigen Völlerei der Unterschied schon merklich vor. Ich kann einesteils wohl auch froh sein, denn ich hätte sicherlich einen Schmerbauch beim nächsten Urlaub mit nach hause gebracht. Hätte noch Herzverfettung bekommen und wäre kurzatmig geworden. Du siehst, es wird bei der Wehrmacht für die Gesundheit gesorgt und darauf gesehen, daß die Frauen daheim ihren Mann bei Gelegenheit im früheren Idealzustand abgeliefert bekommen. Die Jahre, die man in der Zwischenzeit auf den Buckel bekommen hat, darf man nicht mitrechnen.  Vorhin war ich beim Abendessen. Als ich zurückkam, fand ich Deine Briefe vom 26. und 27. vor. Die haben mich wieder sehr erfreut.  Vorweg will ich erst einmal die Zeichnung unseres Jungen. Wenn er sie abgezeichnet hat, dann ist das schon allerhand, denn man muß sich wundern, wie er das auch sich heraus macht. Hat er es aber ganz ohne Vorlage gemacht, dann muß ich ihm direkt mein großes ob aussprechen. Den Nikolaus hat er wirklich sehr fein gemacht. Ich kann mir nicht erklären, von wem er das aus unserer Familie hat.  Der Stern und die Weihnachtsbäume haben mir viel Spaß gemacht.  Wenn die Kinder für diese Bilder etwas zahlen, dann kann ich mir das erklären. Er versteht es jedenfalls, seine Kunst zu verwerten. 3 Sendungen mit Zeitungen erhielt ich auch noch von Dir, die ich mir aber erst später zu Gemüte führe, wenn ich etwas mehr Ruhe habe.  Deine Sorge wegen der Rasierklingen kannst Du Dir dadurch nehmen lassen, daß ich Dir schon vor einigen Tagen schrieb , daß ich welche bekommen habe. Einen Rasierpinsel hatte ich hier bekommen. Ich kann mich also täglich wieder verschönern wie es bisher der Brauch war. Für die nächste Zeit bin ich wirklich versorgt.  Mein Weihnachtspäckchen habe ich nun auch noch unserem Inspektor mitgegeben, der in Urlaub fährt. Es sind nur Kleinigkeiten für den täglichen Bedarf und ein wenig Süßigkeiten.  Ich konnte zu meinem Leidwesen nichts weiter erhalten. Sei bitte damit zufrieden und bedenke, daß hier aber auch nichts zu kaufen ist. Ich hätte gern noch etwas Essbares erworben, aber es war nicht möglich. Zigarren, die ich erst noch mitsenden wollte, habe ich vorerst zurückgehalten. Ich will zusehen, ob ich dafür etwas eintauschen kann, denn das ist für mich wichtiger wie die Raucherei für die alten Herren. Bekomme ich nichts dafür, dann kann ich sie immer noch abschicken. Meinen Weihnachtsbrief schreibe ich noch in diesen Tagen. Ich hoffe, daß er auch noch rechtzeitig ankommt. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und bedanke mich nochmals für die beiden lieben Briefe, die ich heute von Dir erhielt. Unseren beiden Lausebengels gibst Du aber jedem einen herzlichen Kuss. Dich selbst küsst, im Geiste leider, Dein Ernst.

Brief 349 vom 6.12.1942


Meine liebste, beste Frau !                                                        6.12.42          

Am heutigen Nikolaustag habe ich fest an Euch gedacht und als Dank dafür bekam ich Deinen liebe Brief vom 23., über den ich mich sehr gefreut habe. Du bist heute mit den Kindern im Theater gewesen. Ich denke, daß Du Dich über alles hast freuen können, vor allem wird unsere Helga sehr stolz gewesen sein, daß sie diesmal etwas mehr in den Vordergrund gerückt ist. Ich bin überzeugt, daß sie sich angestrengt und ihre Sache gut gemacht hat, denn da kennt ihr Eifer keine Grenzen. Ich hoffe, daß mein Brief, den ich für den heutigen Tag gedacht hatte, rechtzeitig angekommen ist, dann passt er doch in den Rahmen hinein und trägt zur Hebung der Stimmung mit bei. Es ist mir ja selbst ein Vergnügen, den Kindern diesen kleinen Spaß zu machen, der von ihnen wohl auch so gewertet wird.  Ich hatte am Anfang gleich zwei Luftpostbriefe geschrieben. Ist der zweite so lange gegangen? Wie ich sehe, hat Dir mein Brief auch zugesagt und Du nimmst auf diese behelfsmäßige Weise an meinem Erleben teil. Der Ausschnitt aus dem „Schwarzen Corps“ ist sehr treffend. ER zeigt in diesen wenigen Bildern, wie so eine Fahrt in Wirklichkeit aussieht. In Berlin sind die Züge überfüllt, daß kein Mensch mehr Platz bekommt. Auf den Gängen liegen dann die Landser herum. Die Schlafgelegenheit ist sehr treffend. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Platz man auskommen kann, um sich „hinzulegen“. Meist muß man sich aber mit dem Sitzen begnügen. Auch das ist schon sehr vornehm, denn viele müssen eben wegen Zugüberfüllung stehen. Jeder will und muß zur Zeit wieder an Ort und Stelle sein. Trotz allem hört man fast kein krummes Wort. In Karlsruhe, wo schon ein ganze Schwung von Soldaten aus dem Osten  zusammenkommen, sagte einer: “Wenn man bedenkt, daß man wieder 22 Monate hinaus muß, war der Urlaub doch ein bissel kurz.“ Das kann man aber auch verstehen und wir hoffen alle, daß es bis zum nächsten Mal nicht so lange dauern wird.  Bis jetzt habe ich den Kopfschützer noch nicht notwendig gehabt. Wie es aber weiter wird, weiß ich nicht.  Besser wäre es schon, ich würde den Kopfschützer nur so oft brauchen wie meinen Fliegenschleier. Ich freue mich, daß Du Dich so schnell daran gemacht hast und daß Du so sehr um mich besorgt bist. Vielen Dank, mein lieber Schatz, für Deine Mühe, die Du Dir wieder gemacht hast.  Mit dem Kameraden konnte ich bis jetzt zufrieden sein, denn er hat sich immer in anständiger Form gezeigt. Von dem Neuen kann ich das nicht im entferntesten erhoffen. Ich werde mich aber schon durchbeißen. Ich habe ja schon weniger angenehme Sachen durchgestanden, dann werde ich auch mit dieser aus irgendeine Weise zu Rande kommen. Daß Euch das mitgesandte Bild eine kleine Freude gewesen ist, ist ja schön. Ich mache zwar ein komisches Gesicht darauf. Im Vertrauen kann ich Dir dazu aber verraten, daß es mir in diesem Moment nicht zum Fotografieren zumute war, denn da drückte mich etwas und die Möglichkeit zum Austreten lag noch in weiter Ferne. Wenn man genau hinsieht, kann man es vielleicht merken, doch das ist nur Eingeweihte. Andere brauchen das wohl auch nicht zu wissen.  Du mußt nun deshalb nicht lachen und genau hinsehen, das könnte Dir den ganzen Eindruck, den ich bisher Dir auf diesem Bild gemacht habe, verderben. Ich muß feststellen, daß Ihr wieder allerhand Alarm habt. Kann man denn da nichts dagegen machen. Das gehört doch bald einmal abgestellt. Man muß eben die Geduld, aber auch den Humor nicht dabei verlieren. Laßt es Euch aber nicht so hart ankommen. Ich bin ja schon immer froh, wenn ich lese, daß nichts ernstliches passiert ist.  Die Geschäftstüchtigkeit unseres Jungen ist ja wirklich interessant. Bisher habe ich mir zwar immer sagen lassen, die Malerei sei eine brotlose Kunst. Bei unserem Jungen scheint dies wohl nicht ganz zuzutreffen. Sie ernährt zwar noch nicht ihren Mann. Er versteht es aber, sie an den Mann zu bringen. Das ist auch schon etwas wert. Anscheinend versteht er sein Geschäft. Daß er auch immer gleich einen passenden Namen für seine Erzeugnisse hat, ist sehr zweckmäßig. Die Kunstsachverständigen, die diese Sachen abnehmen, brauchen sich dann nicht groß Gedanken darüber zu machen, was es darstellen soll. Er weiß jedenfalls, die anderen dafür zu interessieren, das ist wohl sehr wesentlich.  Ich glaube, daß das Erfragen meiner Anschrift durch das Amt auf meine Reklamation zurückzuführen ist.  Als ich auf dem Amte war, hatte ich doch gesagt, daß es auffallend sei, wie wenig Interesse man an den Leute hätte, die schon jahrelang nicht mehr ihren Dienst an ihrem alten Posten versehen.  Das ist wohl die Auswirkung davon. Es ist bestimmt nicht notwendig, daß die Leute sich in Unkosten stürzen, wenn man aber ab und zu erfährt, was sich so im Laufe eines größeren Zeitabschnitts ergeben hat, dann verliert man nicht ganz und gar den Kontakt.  Daß sich Dein Vater immer wieder in anständiger Weise unserer Gräber annimmt, danke ich ihm sehr. Ich finde dies sehr anständig und ich fühle mich in gewisser Weise ihm gegenüber verpflichtet.  Geld nimmt er bekanntlich keines. Ich habe hier für etwa 15,-RM Zigarren. Davon kannst Du ihm welche zu seinem Geburtstag übersenden, denn zu Weihnachten reicht es ja nicht mehr. Ich muß sie hier teuer bezahlen, ich denke aber, daß ich sie für unsere Raucher in der Familie immer mitkaufe, denn die bekommen doch nicht zuviel. Meine Zigaretten gebe ich schon immer an die Kameraden hier ab, die darauf luchsen. Wenn Du Vater welche gibst, dann mußt Du aber vorsichtig damit umgehen, denn die kosten die meisten 30 Pfennig das Stück.  Für die Zeitungsausschnitte danke ich Dir. Ich habe sie gelesen und gefreut haben sie mich, wie Du Dich wahrscheinlich selbst darüber gefreut hast. Aber eine Liebe ist die andere wert. In unserer Zeitung stand dieser Tage auch ein netter Artikel, den ich für Dich extra aufgehoben habe. Er wird Dich bestimmt auch freuen, denn ich finde ihn originell.  Für heute noch einen herzlichen Sonntagsgruß‘, verbunden mit einem kräftigen Sonntagskuss für Dich und die Kinder. Dies für heute von Deinem Ernst.

Brief 348 vom 4./5.12.1942


Mein liebes, gutes Mädel !                                                               4.12.42      

Drei Briefe in zwei Umschlägen habe ich heute von Euch bekommen. Von Dir einen Gruß und von unseren beiden Stromern je einen. Das war eine nette Überraschung. Ich habe mich gefreut, wie Helga voller Stolz von ihrem Auftreten im Theater erzählt. Das muß ihr doch mächtige Freude machen. Es ist ja nun schon übermorgen. Im Gedanken werde ich bei Euch sein. Sie ist sicher wieder mit großem Eifer dabei. Da ist ja nicht viel notwendig, um einem Kind eine Freude zu bereiten. Wenn man dann von ihr weiter liest, wie sie sich mit ihren neuen Schuhen gefällt und was sie wiederum stolz ist, als sie mir von ihren neuen Schwimmkünsten berichten kann, dann hat man selbst seinen Spaß daran. Von dem Weihnachtsgeschenk für Dich haben sie mir auch schon berichtet. Dir mache es nichts aus, wenn Du es schon wüsstest, schreibt sie mit kindlicher Naivität. Unsere Beiden müssten einmal hier sein, dann könnten sie sich manchmal an Pudding dick essen. Wir bekommen öfter welchen und dazu noch eine solche Portion, daß man sie nach dem an sich kräftigen und reichlichen Mittagessen kaum noch verzwingen kann.  Jetzt haben doch unsere beiden Lauser auch etwas vom Radio.  Nachdem sie schon eher etwas Verständnis haben, bleiben sie einmal beim Radio sitzen, wenn ein Märchen spiel gegeben wird, vor allem, wo man die Sachen jetzt deutlicher hört und nicht auf jedes Wort spitzen muß. Das Lied „Wovon kann der Landser denn schon träumen?“ habe ich kürzlich über Mittag bei uns im Rundfunk gehört. Ich dachte gleich an Euch daheim. Ich weiß noch, wie Du mich beim Urlaub das erste Mal darauf aufmerksam gemacht hast und dann fest mitgesungen hast. Für unseren Jungen ist das so das richtige Geschäft, für die Lehrerin das Brot zu holen. Soviel wie ich ihn einschätze, ist er ja nicht darauf aus, vom Unterricht wegzukommen, sondern es klommt ihm mehr darauf an, vor den anderen Schülern ausgezeichnet zu sein. Das macht ihn ja sehr stolz, genau so wie seine Noten im Schönschreibheft. Mich freut es aber auch, und ich bin stolz auf sie, wenn sie so fleißig in der Schule mitmachen. Ich will zwar nicht fest behaupten, daß sie diesen Fleiß von Dir geerbt haben, aber ich kann mir nicht erklären, wieso sie es von mir hätten. Ich war doch nicht übermäßig fleißig. Ein Faulpelz zwar auch nicht, doch wenn ich mich so zurückerinnere, habe ich doch nicht mehr gelernt, als was unbedingt sein musste. Mir scheint es zwar, als ob sie das auch so machten. Wenn das so ist, dann haben sie etwas mehr drauf wie ich. Stilistisch und auch in der Form geben sie sich alle Beide ganz gut. Sie sollen nur beide so weitermachen, dann kann man sich schon fest darüber freuen.  Ihr macht mich direkt neugierig. Ihr seid ja ganz geheimnisvoll, wie Ihr von Weihnachten schreibt. Daß Du vom Weihnachtsmann so mit Beschlag belegt bist, hatte ich nicht gedacht. Er muß Deine Hilfe aber ziemlich nötig haben. Ich bin ja gespannt, was Ihr da im Schilde führt. Aber Du weißt ha, ich bin nicht so wissbegierig, um schon vorzugreifen. Im Gegenteil, ich lasse mich gern von Euch überraschen. Ich bin Dir bestimmt nicht böse, wenn Du einmal so stark von anderer Seite in Anspruch genommen bist. Zudem haben die Kinder ihr Teil beigetragen, Dich zu entlasten.  Heute habe ich wieder einer sehr schönen Theatervorstellung beigewohnt. Ich habe mich für einige Stunden entspannt und es war wirklich schön. Es wurde, wie Du aus dem beiliegenden Theaterzettel siehst „Tosca“ gegeben. Meinem Kameraden Türk, mit dem ich immer die Vorstellungen besuche, hat es auch gut gefallen. Als ich nach hause kam, fand ich Euren Brief vor, so daß ich nochmals aus dem Einerlei, was man hier tagtäglich hat, schön abgelenkt wurde.  Ich danke Euch allen vielmals für Eure Zeilen. Den Kindern antworte ich bald wieder.  Dir und ihnen sende ich recht viele Grüße und gleichviel Küsse.
Dein Ernst.

Meine liebe Frau !                                                                     5.12.42      

Wieder ist der Ofen aus. Wir alle haben keine Post erhalten. Das war nach dem Auftakt von gestern eine sehr betrübliche Tatsache.  Man kann sie nur feststellen, aber weiter hilft es nichts. Ich wundere mich, wie man sich mit seinem Schicksal abfindet. Wenn ich zurückdenke an die ersten Monate meiner Militärzeit. Wie war man da jedes mal ungeduldig, wenn einmal an einem Tag keine Post dabei war. Am liebsten hätte man allem und jedem die Schuld zugeschrieben. Man hat sich darüber geärgert und hat im Stillen geflucht und geschimpft. Es hat alles nichts genutzt, stellt man dann am Ende wie ein Weiser fest. Man muss sich nur schön gedulden und abwarten können. Es wird schon wieder etwas geben, wenn es lange genug gedauert hat. Wenn es gut geht, gibt es dann gleich einen Schwung miteinander, geht es schlecht, dann wartet man eben noch ein paar Tage. Das heimliche Murren kann man sich dabei aber doch nicht so ganz abgewöhnen. Es ist aber durch die Länge der Zeit etwas leiser, etwas ruhiger geworden. Ganz wird es wohl nicht zu vertreiben sein.  Von hier kann ich Dir auch wieder eine Neuigkeit berichten. Man hat mich aus dem Offizierskasino , in dem ich jetzt immer gegessen habe, in das ich mich aber wohlgemerkt nicht hineingedrängt habe, hinauskomplimentiert. Es sind tatsächlich jetzt mehrere Herren dazugekommen. Man begründet es nun damit, daß ja kein Platz mehr sei und ich soll nun im Unteroffizierskasino mitessen. Mir ist das im Grund genommen gleichgültig, wo ich satt werde. Ich habe schon seit einiger Zeit gemerkt, daß ich manchen Herren nicht angenehm bin. Ich habe ihnen zwar nichts getan, aber sie glauben, mehr wie ich zu sein. Wenn sie das glauben, lassen wir ihnen den Willen. Mit solchen Mätzchen kann man mir meine Ruhe nicht nehmen. Einesteils mit Schrecken und andererseits mit Freude habe ich festgestellt, daß wir schon wieder Wochenende haben. Die Zeit verfliegt ungemein schnell. Hier kann man es im allgemeinen gebrauchen. Es ist doch immer am besten, man liegt im Bett und kann schlafen. Dann stört einem nichts mehr. Vor einigen Tagen hatte ich auch damit einige Schwierigkeiten, denn ich hatte den Hexenschuss im Kreuz, das war schon nicht mehr heilig. Es war fast so wie im letzten Jahr, wo ich mich mit den Kartoffelsäcken verhoben hatte. Ich konnte mich fast nicht mehr bewegen. Ein scheußliches Gefühl. Ich konnte zeitweise weder sitzen noch liegen. Inzwischen hat es sich soweit wieder gegeben, daß ich mich soweit bewegen kann, daß es nicht auffällt. Es war sehr schmerzhaft, aber ich habe, wie gesagt, das meiste überstanden. Ohne daß man es merkt, kommt man zu solchen unangenehmen Sachen.  Für unsere beiden Strolche habe ich zwei Puppen gekauft. Sie sind zwar nicht besonders. Es ist nur interessant, saß sie entsprechend der natürlichen Tracht gekleidet sind. Für deutsche Verhältnisse sind sie wohl teuer, aber ich denke, daß sie sich darüber freuen werden. Ob zwar unser Junge sich noch daran ergötzt, weiß ich nicht. Im anderen Fall kann er Helga das Paar überlassen. Zum Weihnachtsfest kommen sie zwar nicht mehr rechtzeitig an, sie werden sich aber auch später noch darüber freuen.
Ich schicke sie an Dich ab. Dir überlassen ich dann alles weitere.  Dir mein lieber Schatz sende ich recht herzliche Grüße und bitte Dich, unseren beiden Stromern von ihrem Vater einige herzliche Küsse zu übermitteln. Sie sollen auch weiterhin und lieb mit ihren Briefen an mich denken wie bisher. Dir sende ich wieder recht viele herzliche Küsse. Dein Ernst.

Brief 347 vom 2./3.12.1942


Mein liebstes Mädel !                                                                     2.12.42. 
   
Die letzte Post habe ich am Sonntag erhalten. Ich hoffe, daß ich morgen am Donnerstag etwas von Dir bekomme. Wenn man einige Tage beim Postverteilen übergangen wird, so empfindet man das schon ziemlich. Daß man nicht an jedem Tag drankommen kann, das ist verständlich, weil die Post nicht immer so gleichmäßig anliefern kann. Drei oder vier Tag merkt man dann schon eher. Ich bin aber schon längeres Warten gewohnt, Du hast es ja auch schon zu spüren bekommen. Eigentlich hätte ich heute nichts zu berichten. Von der neuerlichen Zusammenlegung habe ich Dir schon berichtet. Mit unserem Inspektor bin ich in einem Schreibzimmer, welches wir ausgeräumt haben, vorläufig einquartiert. Es geht wohl ziemlich eng zu, aber wir haben uns eingerichtet, weil es besser ist, als in dem uns zur Verfügung gestellten Bau, der noch nicht eingerichtet ist. Und in dem die übereifrig eingezogenen anderen Herren gefroren haben wie die Schneider. In meinem Zimmer wird noch der Sonderführer untergebracht. Das wird sich noch einige Tage hinziehen, denn da muß erst noch gestrichen werden. Ich habe es mir noch nicht angesehen, es soll aber sehr notwendig sein, daß an dem in Aussicht genommenen Zimmer noch verschiedenes hergerichtet wird. Das geht schon daraus hervor, daß man das ohne unseren Antrag bewilligt hat.  Für Euch habe ich nun nicht weiter zu Weihnachten. Ich kann weiter nichts senden wie etwas Geld. In diesen Tagen werde ich es an Dich absenden. Ich dachte mir, daß die Kinder jedes 20,RM erhalten. Was Du davon noch beschaffen kannst und willst, liegt ganz und gar bei Dir. Der Rest mit 60.RM ist dann für Dich bestimmt. Ich bedauere sehr, daß ich mit keiner Überraschung aufwarten kann, wie ich es immer so gern gemacht habe, aber unter den schwierigen Verhältnissen, die hier bestehen, kann ich es leider nicht anders einrichten.  Die Jahre vorher ging es immer noch, denn da konnte ich immer noch etwas kaufen. Wo soll man hier aber etwas kaufen, das ist bei dem großen Warenhunger der Bevölkerung ganz ausgeschlossen.  Erstens kriegt man nichts, wenn es einem tatsächlich gelingen sollte, etwas zu kaufen, dann werden dafür derartig unverschämte Preise verlangt, daß es eine Sünde und eine Schande wäre, das Geld dafür hinauszuwerfen. Ich denke deshalb, daß ich es zweckmäßiger Euch in bar zugehen lasse, dann kannst Du etwas dafür kaufen, wenn er Bedarf für etwas vorliegt und wenn etwas zu bekommen ist. Nehmt darum diese Geldgabe, die ich trotz allem ungern mache, weil sie sehr nüchtern wirkt, hin in dem von mir vorgesehenen Sinn und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Umstände. Was ich Euch für Weihnachten sonst mitzuteilen habe, das schreibe ich Dir in einem besonderen Brief.  Was es heute zum Mittagessen gegeben hat, muß ich Dir noch schreiben. Ich weiß zwar, daß es bei Euch daheim nicht den Anklang gefunden hätte, wie bei mir. Ich glaube, Du kannst Dir denken, was es gegeben hat. Stroh und Lehm. Das war wirklich sehr gut zubereitet und zum Erbsenbrei gab es noch eine schöne Buttersoße. Ich habe mich fest rangehalten und bin auch vollauf auf meine Rechnung gekommen. Ich bilde mich hier bald so zu einem Vielfraß aus. Das ist schon nicht mehr schön, wenn das so weitergeht. Ich glaube, daß ich beim nächsten Urlaub mit einem Schmerbauch nach hause komme, wenn ich so weitermache. Man muß aber sehen, daß alles sehr gut zubereitet ist. Und daß wir von allem reichlich bekommen. Manchmal denke ich mir, das kann man sich daheim gegenüber nicht verantworten, denn die Zuteilungen sind doch wesentlich größer wie die bei Euch. Ich würde gern manchmal etwas davon zurücklegen und es Euch zuschicken, aber das geht an sich schlecht, weil es einem verdirbt. Mit der Butter, die ich noch bekommen sollte, bin ich Euch etwas voreilig gewesen, denn die ist inzwischen schon von anderen abgeholt worden. Ich werde aber trotz allem aufpassen, um für Euch etwas zu erhalten.  Recht viele herzliche Grüße und gleich viele Küsse sendet Dir, mein liebes Mädel, Dein Ernst.


Meine liebste Annie !                                                                        3.12.42            
Was ist das nur mit der Post. Auch heute ist nichts für mich eingegangen. Ich hatte bestimmt mit etwas gerechnet, nachdem ich seit Sonntag keine Post mehr erhalten habe. Ich weiß, Du kannst nichts daran ändern, denn an Dir liegt es bestimmt nicht. Im ersten Moment will man dann auch nicht schreiben, weil man etwas verärgert ist, aber das wäre dann ja die Schuld Dir zuzuschieben und das ist doch nicht der Fall. 
Heute über Mittag habe ich mir einmal meine neue Unterkunft angesehen, Bis jetzt sieht es sehr gewitterig aus. Es ist direkt ein Saal, in dem 20 Mann untergebracht werden können. Bevor diese Räume nicht hergerichtet sind, ziehe ich dort nicht ein, denn dieser Bau ist lausig kalt.  Nach neuer russischer Weise stehen die Öfen gleich beim Fenster.  Der Abzug wird zum Fenster hinausgelegt. Ich kann Dir sagen, das ist ein herrliches Bild, wenn aus jedem Fenster ein Stück Ofenrohr in die Luft ragt und es qualmt dann lustig darauf los. Die ganze Front ist schon verrußt und verbessert dann das Bild in eindrucksvoller Weise.
Ich bleibe vorerst in meiner augenblicklichen Notunterkunft, bis sich die Lage wieder klärt.  Das Wetter bei uns ist hier ziemlichen Schwankungen unterworfen. Viel unter den Nullpunkt geht es ja nicht, aber die Unterschiede sind doch fühlbar. Heute fing es wohl einmal zu regnen an, bald darauf schneite es aber wieder. Die Straßen sind teilweise sehr glatt. 
Ich bin heute nicht in der richtigen Briefschreibstimmung. Ohne Gruß wollte ich Dich aber nicht lassen. Darum bitte ich Dich, schon schließen zu dürfen. Bleibe gesund, mein Schatz und grüße die Kinder. Du selbst sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Brief 346 vom 1.12.1942


Mein liebes, gutes Kerlchen !                                                     1.12.42   
    
Die Anrede setzt wohl im allgemeinen kein weibliches Wesen voraus. Aber nachdem Du jetzt außer der Mutter auch in mancher Beziehung auch den Vater vertreten und damit Deinen Mann stellen mußt, ist diese Anrede wohl nicht ganz abwegig. Vor allem habe ich sie noch in einer verkleinernden Form gebracht. Nun nicht etwa um Deine Verdienste von vorneherein zu schmälern, sondern um ihr eine zärtliche Form zu geben, die du doch wohl verdient hast.  Zum Schreiben bin ich gestern nicht gekommen. Wie ich Dir schon kürzlich mitteilte, kommt mein Arbeitskamerad, der Inspektor Türk, von unserer Dienststelle zu einer uns unterstellten Einheit. Ein Nachfolger ist inzwischen eingetroffen. Meine Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Dieser neue Oberinspektor hat einen Spleen. Dem ist das in den Kopf gestiegen, daß er zu einem solchen hohen Stab versetzt worden ist. Dem paßt es beispielsweise nicht, daß ich im Offizierskasino mit esse, weil ich doch noch nicht den erlauchten Dienstgrad erreicht habe, der diese Ehre rechtfertigt. Tatsächlich bin ich auch hier der einzige in diesem Rang. Ich mache mir aber nichts daraus und denke, nur immer frei weg. Im übrigen macht es mir keine Schwierigkeiten, mich in diesen Kreisen zu bewegen. Hemmungen sind in diesem Fall auch nicht angebracht. Ich selbst würde mir auch nichts daraus gemacht haben, wenn ich mit den Unteroffizieren zusammen beim essen gewesen wäre. Daß aber ausgerechnet so ein Stinker herkommen muß, um darüber zu meckern, das ist nun nicht gerade schön. Daß dienstlich auch so eine Atmosphäre herrscht, ist zwar bedauerlich. Ob sich das im Laufe der Zeit geben wird, scheint mir zweifelhaft. Ich werde aber die Umstände wieder so nehmen, wie sie sind. Ich bin schon mit anderen Kulis fertig geworden, dann wird es auch mit diesem Scheich in irgendeiner Form gehen. Wie gesagt, wie lange, das weiß ich noch nicht. Du brauchst Dir keine Gedanken deshalb zu machen, ich werde mich schon durchbeißen. Das wäre doch gelacht. Ich stelle dies lediglich fest und bedauere, daß der andere Kamerad weggeht.  Deinen Standpunkt wegen des Nähens teile ich voll und ganz. Man ist ja nicht davon abhängig und schließlich macht man das noch freiwillig. Ich habe mich direkt üb der Ton gefreut, in dem Du mir das mitgeteilt hast.  Etwas rar muß man sich schon machen, dann wissen sie erst, was sie an einem haben.  Was Deine Anfrage wegen der Granatsplitter anbelangt, so habe ich Dir schon einmal darüber geschrieben. Ich bin der Ansicht, daß sie frisch sehr gut schmecken. Ich will damit nicht sagen, daß sie nicht gut wären. Hier war es nun so, daß sie bald sieben Wochen nach ihrer Fabrikation verzehrt wurden. Dann hat die Holzwolle auch noch den Geschmack mit beeinträchtigt. Ich möchte Euch aber vonden wenigen Sachen, die Ihr noch zuhause habt, nichts nehmen, denn wir haben hier wirklich mehr wie reichlich zu essen. Ich weiß wohl, daß Du gern etwas schicken willst. Darum möchte ich Dir es nicht direkt verbieten, um Dir die Freude nicht zu verderben. Mir fällt jetzt erst etwas für Weihnachten ein. Ich denke, daß es nun schon reichlich spät ist und andererseits ist überhaupt die Frage, ob es zu bekommen ist.  Ich könnte für meinen Füllhalter einen Ständer brauchen. Ich weiß nicht, ob Du sie kennst. Nebenan habe ich einen unter Aufwendung all meiner künstlerischen Kenntnisse einen hingemalt. Es gibt aber auch andere. Das wäre mein Wunsch für Weihnachten, der sehr verspätet eintrifft. Mir ist dieser Gedanke aber erst gekommen, nachdem ich meinen Füllhalter viel brauchte und ihn immer wieder zuschrauben muß, weil ich ihn nicht trocken werden lassen will.  Du willst gern einmal wissen, wie mein Zimmer aussieht. Diesen Wunsch hast Du geäußert, als Du noch nicht gewußt hattest, daß mir meine Bude abgebrannt ist. Ich bin seit meiner Ankunft nun in den verschiedensten Zimmern gewesen. Die erste Nacht in einem Ordonanzzimmer. Die zweite Nacht im Büro der Schreiber. Bis heute früh hatte ich wirklich keinen netten Raum, in dem ich es noch lange ausgehalten hätte. Das Schicksal hat es anders gewollt. Wir sind alle wieder aus unseren vorübergehenden Unterkünften hinausgeworfen worden, weil diese Zimmer zu Bürozwecken benötigt werden. Jetzt haben wir ein Schreiberzimmer freigemacht. Da bin ich mit unserem Inspektor vorläufig untergebracht, bis unsere Quartiere fertig sind. Das kann noch eine Woche gehen, vielleicht auch noch etwas länger. Wenn ich dann einmal endgültig untergekommen bin, dann will ich Dir gern Deinen Wunsch erfüllen. Ich werde mich dann wieder einmal künstlerisch betätigen müssen.  Ich halte es für am besten, wenn wir uns aus dem Streit wegen Alices Vater heraushalten, wir erreichen nichts dabei. Daß wir dabei aber unsere eigene Meinung haben, das kann uns ja keiner nehmen. An sich wäre ja dank des fleißigen Briefeschreibens die Bindung zu ihr nicht so groß und so fest, da‘ man etwa dadurch in Gewissenskonflikte kommt. Wir lassen sie machen, denn ich denke, daß Du meine Meinung teilst.  Deine Zeitungssendungen sind auch inzwischen alle angekommen. Ich bin reichlich mit Stoff für die nächsten Tage versehen. Helga wird froh sein, wenn Du ihr eine Kappe gekauft hast, die sie auch beim Baden verwenden kann. DAß unser Junge so allein keinen richtigen Geschmack am Bad hat, das kann ich mir bei seiner Einstellung vorstellen. Auch wenn er keine Fortschritte beim Schwimmen lernen macht. Man muß weiter bedenken, daß Helga zwei Jahre älter ist. Daß er so leicht friert, kommt auch daher, daß er sich nicht genügend bewegt. Aber ich hoffe, daß das mit der Zeit noch kommt, wenn er vielleicht mit Schulkameraden mehr zusammen ist. Denn hinter denen will er doch nicht zurückstehen.  Über ungeheizte Zimmer kann ich mich bis jetzt noch nicht beklagen. Die waren bis jetzt immer schön warm. Im Gegenteil, im Büro muß ich zeitweise die Tür offen halten, weil es zu warm ist. Hoffentlich können sie die Heizung durchhalten. Ich brauche bis jetzt nicht zu frieren und ich denke auch nicht, daß das viel anders werden wird. Gedanken mußt Du Dir deshalb nicht machen. Viele Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern mit vieler Liebe. Dein Ernst.

Brief 345 vom 29.11.1942


Mein liebes , gutes Mädel !                                                       29.11.42       

Schon ist wieder ein Sonntag herangekommen. Man glaubt bald nicht, wie die Zeit verfliegt. Advent haben wir auch schon. In kurzer Zeit ist nun Weihnachten und dann bald ist das Jahr zuende. Es ist ja gut, daß die TAge so schnell vergehen. Es hat nur den Nachteil, daß wir dabei auch älter werden. Was nutzen aber alle diese Betrachtungen, wenn man am Schluß immer wieder sich in sein Schicksal ergebend feststellen muß, es hilft nichts, wir müssen weitermachen, denn wenn wir einmal den Glauben verlieren, dann sind wir selbst verloren. Darum heißt es aber auch, sich erneut aufzuraffen, um dem Gesamten wieder zu dienen.  An Frau Diez hast Du nun die Kleiderkarte geschickt, damit sie für unsren Strolch etwas für Weihnachten kauft. Es ist schon eigenartig, wie man heute mit solchen Käufen zu Werke gehen muß. Es war aber recht, daß Du dieses Wertobjekt durch Einschreiben gesandt hast, denn das Risiko ist doch zu groß. Gefreut hat es mich, als ich in Deinem Brief las, daß Du jetzt unserem Stromer gegenüber andere Saiten aufgezogen hast wenn er nicht pariert. Es hat keinen Zweck, daß Du erst lange predigst. Du machst Di dabei mehr kaputt, als was Du bei ihm damit erreichst. Daß er darüber erstaunt war, das kann ich mir denken, denn das ist er von Dir nicht gewohnt gewesen. Er hat immer mit Deinem Langmut gerechnet. Es geht auch nicht, daß so ein kleiner Schlawiner einen solchen Dickkopf aufsetzt und ihn durchzusetzen versucht. Wenn das einreißt, dann wären doch die Erwachsenen die tyrannisierten. Man sieht ja auch immer an dem Erfolg die schnelle Wendung in seinem Wesen, das ist ja immer wieder entscheidend. Daß er dann selbst seinen Fehler einsieht, das ist noch ein gutes Zeichen für seinen Charakter. Sie haben doch bei Dir allerhand Freiheit. Wenn ich wieder lese, wie Du ihm extra die Badewanne heraufgeholt hast, damit er nur mit seinen Schiffen spielen kann, so ist das doch allerhand Entgegenkommen. Wenn es auch nicht viel ist, so haben die Kinder mit ihren Margarinemarken etwas geleistet. Sie sehen, daß ihre Tätigkeit doch wieder belohnt wurde, wenn sie außerdem auch noch einige Pfennige dafür erhalten haben. Es ist doch auch für sie nicht umsonst gewesen. Mir ist es auch immer eine Freude, wenn ich lesen kann, daß Dir irgendeine Kleinigkeit immer wieder Spaß macht. So jetzt vor allem der Primelstock. Ich glaube, daß er ganz schön aussieht. Solch ein Blumenstock ist immer dankbar, denn bis alle Knospen aufgeblüht sind. Ich habe Dir damit auch eine Freude machen wollen und gleichzeitig sollten sie ein Andenken an den letzten Urlaub sein. Wie ich lese, erfüllen sie beide Aufgaben ganz und gar aus, denn Du und ich, wir denken immer wieder zusammen daran und Dir bereiten sie Freude, wenn Du sie siehst und ich freue mich darüber, daß Du Deinen Gefallen daran hast. So kommt jeder auf seine Rechnung.  Den Brief, den Dein Vater an Euch geschrieben hat, hat er mir nicht zugehen lassen.  Er  hat mich auch interessiert. Ich sende ihn Dir anliegend wieder mit zurück. Er hat mit diesem Brief gewissermaßen einen Strich unter einen Lebensabschnitt ziehen wollen. Daß nach dieser Heirat das nicht mehr so weitergeht wie es früher war, ist ja erklärlich. Das hat auch der ganze Sturm gezeigt, den die ganz Geschichte hervorgerufen hatte, als er uns so unvermittelt davon schrieb. Er ist nun wieder im Ehehafen gelandet. Ob zwar alle Reibungen damit endgültig behoben sind, kann man noch nicht beurteilen. Schließlich hängt er ja auch von dieser Frau mit ab.
Dein Schränkchen wird nun bald in Ordnung sein. Es braucht eben alles seine Zeit bis Vater es fertiggemacht hat. Eins steht fest, er vergißt es nicht. Das ist seine Art, tagelang nach einer Kleinigkeit zu suchen, um dann selbst freudig das Ergebnis seines Bemühens an das Tageslicht zu befördern.  Bei uns ist das Wetter sehr wechselhaft. Seit es geschneit hat, hat es wohl mehrere Male getaut. Dann hat es zum Abend wieder gefroren und meist am folgenden Tage wieder geschneit. Dabei ist die Schneedecke aber nie weggegangen. Heute früh hat es wieder geschneit, das ist weniger schön, denn der Schnee liegt auf dem Glatteis, das ist sehr gefährlich. Ich selbst habe zwar darunter nicht zu leiden, denn ich komme ja aus dem Bau so gut wie nicht heraus. Höchstens, wenn man einmal nach Feierabend etwas durch die Straßen läuft, um noch etwas frische Luft zu schnappen. Da kann man aber langsam laufen.
Es ist mir wohl verständlich, daß Du auf Nachricht die ersten Tage von mir gewartet hast. Da es mir nicht möglich war, unterwegs zu schreiben, das hatte ich Dir gleich in meinen ersten Briefen erklärt. Du weißt ja, daß ich Dich nicht unnötig warten lasse und daß ich schreibe, wenn es sich irgendwie machen läßt.  Jetzt bekommst Du wieder laufend meine Briefe und die Verbindung ist wenigstens auf diesem Wege wieder hergestellt. Besser wäre es schon, wenn man nicht von der Schreiberei abhängig wäre. Trotz allem bin ich aber immer froh, wenn ich Dir schreiben kann. Auf diese Weise nimmt man am Familienleben teil, auch wenn man noch so fern der Heimat ist.  Für Kurt ist es in der Hinsicht gut, daß er befördert wurde, weil er nun Kriegsbesoldung empfangen kann. Es wäre schon besser, wenn er seiner Friedenstätigkeit nachgehen kann, dann hätte er mehr davon, aber auf diese Weise bekommt er doch wenigstens noch etwas. Es ist doch eine Kleinigkeit. Denn trotz der Kriegsbesoldung erhält er nun seinen Wehrsold weiter.  Wir sollten heute Nachmittag zu unserem Chef kommen, um mit ihm den ersten Advent zu feiern. Das wurde dann aufgehoben, nachdem der Kasinooffizier für den Sonntagnachmittag einlud. Wie üblich, gingen wir zum Kaffeetrinken. Es war fast weihnachtlich. Die Lichter oder besser gesagt, das elektrische licht, wurde ausgemacht und wir wurden in das Frühstückszimmer geführt. Dort brannten auf jedem Tisch vier Kerzen. Jeder Tisch war mit Kiefernzweigen geschmückt und im Zimmer selbst war ein Adventskranz aufgehängt, auf dem auch vier Kerzen brannten. Ich muß sagen, das Ganze war sehr schön gemacht und es war einem direkt feierlich zumute. Dann gab es schönen Rührkuchen und dazu Bohnenkaffee. Milch und Zucker waren auch da. Es fehlte tatsächlich an nichts. Wenn noch die Familie dabei gewesen wäre. Es hat allen gut gefallen und jeder ist auf seine Rechnung gekommen.  wenn man überhaupt davon reden kann, denn gekostet hat es wie immer nichts. Wir sind auch länger beieinander gesessen. Ich habe oft an Euch gedacht und auch daran, wie wir früher um diese Jahreszeit uns einen Kranz gemacht hatten. Ich bin dann in den Wald gegangen und habe einen Arm voll Tannenreisig geholt. Damit haben wir ja eine von Dir in Leipzig bereits begonnene Tradition fortgesetzt. Seitdem haben wir doch in jedem Jahr unseren Kranz gehabt. Als ich den im Zimmer sah, mußte ich so sehr daran denken. Es war schön früher. Erst in Leipzig. Das erste Mal, als ich noch in der Kirchstraße wohnte. Du kamst abends noch mit dem Kranz unter dem Arm. Später in der Wohnung der Juliusstraße. Dann in der Rundbergstraße in Konstanz. Als wir dann verheiratet waren, hattest Du auch in unserer Wohnung einen zurechtgemacht.  Dann, als die Kinder da waren, wurden sie auch in der Vorweihnachtszeit mit dem Adventskranz bekannt. Es hat sich eine liebe Gewohnheit die ganze Jahre hindurch erhalten und wir haben immer unsere Freude daran gehabt. Die Kinder hatten dann ihren Adventskalender. Ich weiß noch gut, wie Helga die Fensterchen aufmachte und als man es für Jörg hilfsweise machen mußte. Auch aus diesem Alter sind nun Beide schon heraus und bedürfen in dieser Beziehung keiner Hilfestellung. Alle Beide hatten ihren Spaß daran, wenn etwas anderes in den Fenstern zu sehen war. Ich denke, daß es ihnen auch jetzt noch Freude macht. In diesen Tagen ist nun auch Nikolaustag. Ich hoffe, daß mein Brief Euch noch rechtzeitig erreicht, denn das gehört doch in die Vorweihnachtszeit hinein.  Wir wollen trotz allem diese uns lieb gewordenen Gewohnheiten nicht aufgeben. Es ist für die Kinder ja immer eine schöne Erinnerung an ihr Elternhaus, wenn sie später einmal an ihr Kindheit zurückdenken.  Für heute möchte ich nun schließen. Dir wünsche ich noch viel Freude mit den Kinder in der Zeit vor den Weihnachtstagen und am Weihnachtstage selbst. Freue Dich mit ihnen.  DAß Du auch dabei an mich denkst, dessen bin ich gewiß. Ich wünsche Euch allen recht gesunde Tage und versichere auch Euch, daß ich in Gedanken ganz bei Euch bin. Recht viele Grüße und ganz feste Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.