Donnerstag, 27. Oktober 2016

Brief 184 vom 26.10.1941


Meine liebste, beste Annie !                                                                                                26.10.41              

Heute habe ich nun Dienst und setze mich am Nachmittag ins Büro, um meine Post zu erledigen. Erstens will ich die eingegangenen Briefe von Dir beantworten, die ich heute erhalten habe. Deine Schreiben vom 21., 22. und 23. haben mir doch erst etwas Sorgen gemacht wegen des Gesundheitszustands der Kinder. Aus Deinem letzten Brief konnte ich erfreulicherweise lesen, daß das Schlimmste vorüber sei. Das hat sich ja schnell bei beiden zusammengezogen. Daß Jörg die Sache schneller überstanden hat, kommt wohl daher, weil er nicht so starkes Fieber hatte. Hoffentlich hat sich bei Helga die stärkere Krankheitserscheinung wieder so weit gegeben, daß sie wieder aufstehen kann. Es muß aber doch irgend so was ins der Luft liegen, denn man kann das doch nicht nur als Zufall bezeichnen, wenn sich so ähnliche Symptome zeigen, die auf eine solche schlimme Krankheit schließen lassen. Vielleicht waren die Abwehrkräfte im Körper noch stark genug, um sich dagegen zu wehren. Ich freue mich jedenfalls, daß Du immer so besonnen handelst und nichts Falsches unternimmst. Daß Du den Rat des Arztes zu Hilfe gezogen hast, ist bei einem derart plötzlichen und bösartigen Auftreten einer Verstimmung immer ratsam. Wenn sie meist auch nicht viel machen können, so ist es für einen selbst eine Beruhigung und man glaubt bei der persönlichen Verantwortung, man hat sein möglichstes getan. Daß Dir das nicht einerlei war, beide als Patienten da zu haben, ist mir ganz und gar verständlich. Ich bin nur froh, daß ich Dich immer bei den Kindern weiß und daß Du Dir die größte Mühe gibst, sie ordentlich und gesund zu erhalten. Dies ist mir eine große Beruhigung. Wenn bei beiden die Krankheit im Abebben ist, wollen wir zufrieden sein und wollen gleichzeitig hoffen, daß sich später nicht etwas Ähnliches zeigen wird.  Wegen mir brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen, denn ich habe mich wieder gefangen und habe meine nötige Ruhe, die ich auch zu solchen Sachen brauche, wieder gewonnen. Ich habe Dir ja schon geschrieben, daß der Kriegsverwaltungsrat im Urlaub ist und daß nun der Inspektor ihn vertritt. Es ist schon so, wie Du richtig vermutetest, daß der Kriegsverwaltungsrat nichts machen will, weil dieser Mann mir im Range höher steht. Er vergißt zwar, daß ich länger hier bin und dadurch auch gewisse Rechte erworben habe. Aber solche Sachen lassen mich jetzt wieder kalt.  Dieser Inspektor und ich, wir genießen uns beide mit Vorsicht. Er will mir gern mit seiner Erfahrung kommen, weil er meint, er sei der letzte. Ich sage mir aber, daß ich solche Vorschläge nicht brauche. Du wirst Dir denken können, wie sich das bei mir auswirkt, wenn ich einmal meinen dicken Kopf aufsetze. Aber ich glaube, daß er hier nötig ist, sonst tanzt mir dieser Mann auf der Nase herum. Ich bin ja im Großen und Ganzen mit den anderen auch verträglich und verstehe mich mit diesen soweit gut. Dies kommt aber daher, weil jeder auf den anderen Rücksicht nimmt.  Wenn dieser Mann dann denkt, daß dieses Rücksichtnehmen einseitig gestaltet sein muß, dann hat er sich eben geirrt. Es wird sich dann ja alles geben, wenn wir die versprochenen neuen Geschäftsräume bekommen. Aber wie gesagt, ich fühle mich innerlich wieder stark genug, um solchen Anfechtungen standzuhalten. Daß sich das mit meinem Rücken an dem Tag noch so ausgewirkt hat, konnte ich Euch doch nicht merken lassen, denn denke einmal, was für einen schönen Tag wir uns dann verdorben hätten. Man kann doch nicht immer gleich so pimplig sein. Wie Du nun schon aus meinen vorhergehenden Briefen gelesen hast, hat sich das doch so ziemlich wieder gelegt. Daß Du nach dem Tode Deiner lieben Mutter die innerliche Kraft gefunden hast, um alles wieder selbst meistern zu können, ist mir auch eine große Beruhigung. Ich weiß wohl, daß noch nicht alles deswegen vorbei ist. Aber wenn sich wieder solche trübe Stimmungen zeigen, so bist Du doch selbst in der Lage, sie wenigstens wieder zu überwinden.  Mit dem Garten kannst Du ja kurz treten, nachdem das meiste dort erledigt ist. Wenn sich Helga nach ihrem Aufstehen wieder Pudding wünscht, dann muß ich aber hier doch noch einmal ernsthaft zusehen, daß ich welchen bekomme. Dann hast Du doch wieder etwas Spielraum und kannst dann ab und zu einmal einen zwischenhinein kochen, was sonst nicht möglich wäre.  Ich glaube, daß sich das schon machen läßt. Übrigens Spätzle mit saurem Rahm und Gulasch würde ich auch ganz gern einmal wieder essen. Das ist aber eine Angelegenheit, die man für später aufheben muß. Mit dem Jungen von den Leimenstolls war es dann höchste Zeit. Ich hatte doch auch früher schon einmal gesagt, daß die Frau mit ihm zur Krüppelberatung gehen sollte. Der Dr. Endler in Singen ist ja Spezialist. Mit den Büsings scheint die Sache in ein entscheidendes Stadium zu kommen. Solange sich die Leute anständig benehmen, und die anderen Leute in Ruhe lassen, können die treiben, was sie wollen. Nur eines dürfen sie nicht vergessen, die Gemeinschaft dürfen sie nicht stören.  Daß Dich die Zeitungssendung gefreut hat, ist mir Veranlassung, Dir morgen wieder welche zusammenzupacken und an Dich abzusenden. Die zweite Sendung hast Du sicherlich auch schon erhalten. Also weiterhin viel Spaß damit.  Ich denke schon, daß das ganze, in die Zusatzversorgung gezahlte Geld zurückerstattet wird. Die 86,-RM können wir schon gebrauchen, wenn wir die ganz zurückbekommen. Ich denke, daß ich davon einen Teil mit abbekomme oder brauchst Du alles ganz allein.  Wie ich Dir bei meinem Urlaub schon sagte, habe ich hier ja auch meine Kameraden. Ihrer Veranlagung entsprechend sind sie auch ganz nett zu mir. Ich kann mich aber nicht des Eindrucks erwehren, daß es früher bei uns in Lille schöner war. Schöner natürlich den Umständen entsprechend. Denn ich muß immer wieder sagen, am schönsten ist es doch zuhause. Da ich nun nicht mit nach Paris gefahren bin, so habe ich mir gedacht, ich sehe einmal nach Lille hinüber. Vielleicht treffe ich noch den Tommi, bevor er nach dem Truppenübungsplatz fährt und gleichzeitig gucke ich nach Graser, wie es ihm geht. Ich bin dann gestern mit unserem Wagen am Nachmittag hinübergefahren. Das Wetter war herbstlich und sonnig, so daß einen das richtig aufgefrischt hat. Den Tommi habe ich leider nicht mehr angetroffen und von Graser dachte ich erst, er sei zu jemand gefahren, denn ich sah unterwegs so verschiedene über den Acker stolpern. Ich bin dann aber doch noch mit rangegangen und konnte dann feststellen, daß er daheim war. Er war sehr erfreut und wir haben uns dann schön zusammengesetzt. Da ich bei Graser nichts zu essen bekommen konnte, bin ich ins Soldatenheim gegangen. Dort gab es dann zum Abend gebratene Makkaroni und ein Stück Butterbrot.  Hinterher habe ich noch eine Tasse Kaffee getrunken und dann habe ich für alles 65 Pfennig bezahlt. Das ist doch nicht gerade teuer. Später haben wir uns wieder bei Graser getroffen und sind dann noch eine Weile zusammengesessen. Lorenz kam dann auch noch. Sie haben mich gleich begrüßt und zu uns gesetzt. Wie mir Graser aber sagte, hat sich wieder gezeigt, was das für ein Gauner ist. Er hat mit jedem immer noch Geschäfte gemacht und hat ihnen Kraftwagen ausgeliehen, obwohl das verboten ist. Bei der Gerichtsverhandlung ist er dann nicht zugegen gewesen, weil er nach Paris gefahren ist. Entschuldigt hat er sich auch nicht. Dann hat ihn das Gericht, als er wieder zurückkam, schnappen lassen und hat ihn für 5 Tage in den  Kerker gesetzt. Hinterher hat er noch eine Geldstrafe von 1000 RM bezahlen müssen und nun ist er wieder frei. Das macht dem aber nichts aus, denn er verdient das ja bald wieder. Das sind für den weiter nichts als Geschäftsunkosten.  Ich habe dann Graser gesagt, ich will mir eine Pistole kaufen. Er soll mir sagen, wie ich das unternehmen muß. Daraufhin sagte er zu mir, daß er mir zu einer verhelfen würde. Das hat er dann auch gleich getan. Jetzt habe ich also eine eigene Pistole. Ich muß mir dazu nur ein Magazin noch kaufen. Das kostet aber höchstens 2 - 3 RM. Damit habe ich dann immerhin rund 20 RM gespart. Jetzt bin ich doch nicht mehr auf die Gutmütigkeit der anderen angewiesen. Es ist doch anders so, als wenn man immer wieder denken muß, daß man die Waffe nur leihweise trägt. Ich habe mich jedenfalls mächtig darüber gefreut, daß ich nun etwas Eigenes habe. Den Revolver gebe ich dann sobald als möglich wieder zurück.  Ich bin dann gestern Abend noch bis gegen 2 Uhr mit Graser zusammen gewesen und wir haben so die verschiedenen Verhältnisse besprochen. Heute früh sind wir dann erst gegen 10 Uhr aufgestanden und mußten feststellen, daß es nur so goß. Ich bin um 12 Uhr zurück gefahren, so daß ich um 1 Uhr meinen Dienst hier pünktlich antreten konnte.  Nun habe ich aber heute eine Rekordleistung vollbracht. Ich bitte Dich, sei mir nicht böse darum, wenn ich Dir so viel geschrieben habe. Ich mache jetzt aber bestimmt Schluß. Sei Du recht herzlich und vielmals gegrüßt. Den Kindern wünsche ich, daß sie bald wieder gesund werden. Gib ihnen auch einige herzliche Küsse von Deinem Ernst.
Den Durchschlag meines Briefes an das Brautpaar lege ich Dir mit bei. Hoffentlich habe ich es richtig getroffen.  Ich habe mir jedenfalls Mühe gegeben den beiderseitigen Empfindungen gerecht zu werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen