Dienstag, 8. Dezember 2015

Brief 88 vom 8./9.12.1940


Mein sehr liebes Mädel !                                                                      O.U., den 8.12.1940   

Es ist wieder Sonntag, das Wetter ist nicht gerade sehr einlandend, so daß ich heute eine feine Gelegenheit habe, mich nützlich zu machen. Ich habe mir das Wunschkonzert angestellt und bin nun fertig mit Päckchenpacken. Zwölf Stück habe ich wieder fertig und die werde ich morgen oder übermorgen zur Absendung bringen. Die Aufstellung wegen der anderen Päckchen, die Du mir gesandt hast, habe ich nochmals durchgesehen und mit meiner Aufzeichnung verglichen. Es ist also alles angekommen. Nun kann ich Dir noch mitteilen, daß ich am Freitag alle sechs Päckchen von Dir erhalten habe. Ich danke Dir herzlich dafür. Ich habe sie aus dem Papier gepackt und mußte feststellen, daß auf allen draufstand „für Weihnachten“. Da ich ja nun wahrscheinlich heute in 14 Tagen bei Euch oder bald bei Euch sein werde, habe ich mir gedacht, Dein Einverständnis im stillen voraussetzend, daß ich mir am kommenden Sonntag die Päckchen ganz aufmache, denn sonst müßte ich womöglich alles mit nach Hause nehmen, was eine Mordsschleppung wäre.
Wegen des Schreibens um Deine Angst bin ich Dir gar nicht böse und ich habe durchaus Verständnis dafür.  Vor allem, wenn ich mir vergegenwärtige, daß Du mit Deinen Gedanken so ziemlich allein bist, außer wenn ich berücksichtige, daß wir uns Briefe schreiben. Das ist aber alles nur Ersatz.
Die Eltern haben ja von mir inzwischen Nachricht erhalten. Der Wunschzettel von Jörg ist sehr einfach, aber drastisch. Man weiß gleich, was er will. Man muß sich zu helfen wissen. Ich werde versuchen, ihm hier noch einige französische Soldaten zu erstehen, damit es für ihn interessanter wird.
Das Wunschkonzert ist doch wieder fabelhaft. Der Lommel ist doch eine Type. Gestern war ich wieder einmal im Kino der Soldaten. Es war zwar ein leichter aber netter Film. Ich muß mich noch sehr halten, damit ich mich nicht bald wieder ins Bett legen muß.
Nach dieser großen Packerei bin ich etwas fertig und bin für heute so ziemlich am Ende meiner Kunst. Ich grüße und küsse Euch, meine Lieben, recht herzlich. Dir mein liebes Mädel, sende ich besonders herzliche Grüße und Küsse. Dein Ernst.


Mein liebstes Mädel !                                                                 O.U., den 9.12.1940

Eigentlich hätte ich Deinen lieben Brief vom 5.12. schon am Samstag erhalten sollen, doch er wurde mir erst heute früh zugestellt. Ich habe mich sehr darüber gefreut, auch über die Zeilen von Helga und die Bilder von Jörg. Inzwischen ist ja auch das Schreiben vom Nikolaus an die Kinder angekommen, worin er schreibt, warum er in diesem Jahr keine Zeit hat.
Daß Dich mein Brief vom 28.11. so gefreut hat, ist mir gleichzeitig eine Beruhigung im Hinblick auf Deine letzten Schreiben. Um diese Jahreszeit ist es wahrhaftig nicht schön auf der Messe, und wenn man daheim eine warme mollige Stube hat, so freut man sich doppelt darauf bei diesem Wetter. Ich weiß noch sehr wohl, wie Du immer aufgeatmet hast, wenn Du bei nassem oder kaltem Wetter in die warme Küche kamst. Bei uns war es ja sonst immer sehr heimelig, so am Abend. Ich freue mich jedenfalls darauf, bald mit Dir wieder zusammensitzen zu können.
Eins muß ich feststellen, Du tust ja sehr viel für Deine Fortbildung. Du hast Dich jetzt an Goethe rangemacht, ja, wenn ich ehrlich sein soll, so habe ich Dir mitzuteilen, daß auch ich noch nicht den Faust gelesen habe. Wir waren also bis dahin gleich dumm, und jetzt bist Du also gescheiter wie ich. Das ist also auch ein Zeichen des Krieges. Da muß ich mich also erheblich anstrengen, um das alles nachzuholen, was ich während dieser Zeit versäumt habe. Wenn Du mir derartige Mitteilungen machst, so interessiert mich das wirklich sehr.
Daß Du für Weihnachten schon alles beieinander hast, entspricht durchaus Deiner gewohnten Vorsorge. Den Baum wirst Du zwar auch allein besorgen müssen, doch ich denke, daß Dir dies nichts ausmacht. Heute habe ich die schriftliche Bestätigung erhalten, daß ich vom 22.12.40 bis 1.1.41 Urlaub habe. Ich denke, daß mir jetzt kaum noch jemand daran dreht. Die Fragen und die Wünsche von Helga und Jörg sind ja ganz und gar kindlich, doch man sieht, daß bei Jörg die Bescheidenheit keine große Rolle zu spielen hat.
Am Abend erhielt ich noch Deine beiden Briefe vom 4. und 5./6.12. Auch dafür danke ich Dir recht sehr. Deine Schilderung hat mich köstlich gefreut. Das sieht dem Strolch doch wieder ähnlich. Na und wie ich sehe, ist es ja ohne Rute abgegangen und seine Geschenke haben auch Freude bereitet. Dieses Ereignis  wäre auch für dieses Jahr vorüber. Ich hätte mich zwar gefreut, wenn ich hätte auch dabei sein können.
Dann fangen ja Helgas Ferien mit meinem Urlaub an, bloß bei mir dauert er nicht so lange. Ja, Deine schnelle Stellungnahme zur Urlaubsfrage freut mich sehr, doch junge Frau, ich muß Dir mitteilen, Du kommst leider etwas zu spät, denn das ist ja alles schon überholt. Ich brauche also zu Deiner  Stellungnahme keine Stellung mehr zu nehmen. Morgen gehen die gestern gepackten Päckchen weg. Ich habe erst Briefmarken besorgen müssen. Es sind vorwiegend Konserven, dann noch Schokolade, Seife und für Vater etwas Tabak. Ich habe noch 5 kg Kaffee (er ist ungebrannt) gekauft, und nun steht mir auch noch 2 kg gebrannter Kaffee zu. Diesen werde ich auch noch absenden. Das Lager unserer Kantine wird aufgelöst, so daß dies wahrscheinlich der letzte Kaffee sein wird. Was ich dann noch da habe, bringe ich dann mit. Ich habe deshalb diese Sachen alle ab gesandt, damit die Schlepperei nicht gar zu groß ist. Recht herzliche Grüße und viele Küsse sende ich Euch allen. Dir mein liebes Mädel, sei besonders herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

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