Meine liebe Annie! O.U., den 4.12.1940
Es ist wieder Nachmittag und es wird nun
wieder Zeit, daß ich mich an meinen heutigen Brief mache. Wir haben heute Abend
unser Pflichtessen, so daß ich beim Essen bis etwa gegen 9 oder 1/2 10 Uhr
festgehalten bin, dann werde ich mich ungesäumt nach Hause begeben und mich ins
Bett legen. Es kann sein, daß ich vorher noch einige Päckchen vorbereite, doch
das hängt ganz davon ab, wie ich Lust dazu habe. Das Päckchen Nr. 10 mit vier
Tafeln Schokolade habe ich heute an Dich aufgegeben. Ebenso habe ich zwei
Zeitungen an Dich ab gesandt, mit den Artikeln, die ich kürzlich schon erwähnte.
Deine beiden Briefe vom 29. und 30.11.
habe ich heute bekommen und dafür danke ich Dir wieder. Deinen Wunsch wegen des
Weihnachtsurlaubs habe ich Dir ja inzwischen beantwortet. Die Päckchen werde
ich alle in Empfang nehmen. Auch mit den anderen Päckchen hast Du es recht
gemacht. Ob der Pullover für Vater richtig ist, muß ich Deinem Urteil
überlassen.
Im Keller wart Ihr zur Abwechslung auch
wieder einmal Aus unserer Mästerei könntest Du schon Mist erhalten, doch gibt
es nur 1 Kg-Päckchen und ob die Post sie annimmt, ist fraglich. Wie ich Dir
schon geschrieben habe, hat sich vom Winter noch nicht viel gezeigt. Das Wetter
ist sehr wechselhaft und teilweise sogar ungesund.
Von der Zeitungsnotiz habe ich Kenntnis genommen
und bin sehr erfreut von der Stadtverwaltung auch etwas zu bekommen.
Seit heute haben wir für unseren Wagen
wieder einen französischen Fahrer
bekommen. Es ist also alles da für uns.
Deinen Wunsch, Dir etwas von unserem
Dienst zu berichten, werde ich gerne nachkommen, soweit dies angänglich ist.
Ich möchte für heute schließen und Dir
meine herzlichsten Grüße und Küsse übermitteln. Helga und Jörg gib wieder einen
herzlichen Kuß. Dein Ernst.
Meine liebe Annie! O.U., den 6.12.1940
Gestern habe ich einen Brief auslassen
müssen, was mir eigentlich leid getan hat. Da ich Deinen Brief vom 1.12.
erhielt, in dem Du mich nach meinen sehr guten Bekannten fragst und mir einen stillen Vorwurf machst,
daß Du doch so wenig weißt, obwohl wir uns viel schreiben. Vorerst möchte ich
Dir noch erklären, warum ich gestern nicht
schreiben konnte.
Letzte Woche teilte ich Dir doch schon
mit, daß ich mich nicht ganz wohl gefühlt habe. Ich dachte auch, ich hätte es
überstanden, doch als ich am Montag im Theater war, mußten wir feststellen, daß
nicht geheizt war und daß es durchzog. Das hat mir den Rest gegeben und zwar
so, daß ich mich gestern ins Bett legen mußte und heute bin ich erst am
Nachmittag aufgestanden. Ich hatte mich ganz elend erkältet, was sich dann in
der Kreuzgegend zusammen gezogen hatte. Ich hoffe nun, daß ich es überhauen
habe und werde mich in den nächsten Tagen sehr schonen, damit mein
Weihnachtsurlaub durch eine Krankheit nicht in Frage gestellt wird.
Doch nun zu Deiner Frage. Ich hätte sie
Dir lieber mündlich beantwortet, doch ich möchte versuchen, Dich davon zu überzeugen,
daß die Dinge anders aussehen, wie Du sie Dir vorgestellt hast. Brieflich ist dies
nicht gerade sehr einfach und es entsteht gern ein falsches Bild von dem, was
man sagen will. Ich kenne hier die Familie Laureyns und die Familie Gaugnie.
Bei Gaugnie ist vielfach ein Ehepaar, das ein Geschäft hat. Dort habe ich auch
schon verschiedentlich gekauft. Dr. Thomas hat sich nun wiederholt verpflichtet
gefühlt, die Leute einzuladen, weil er doch fast jeden Abend sich dort aufhält
und weil ihm diese Leute öfter Besorgungen abgenommen haben. Aus dieser
Einladung heraus haben diese Familien wieder ihrerseits eine Verpflichtung
abgeleitet. Da Dr. Thomas, Graser und ich gewissermaßen das Kleeblatt sind,
gehören wir also auch dazu. Wie Du also schon herausmerken wirst, ruht der
größere Teil der Bekanntschaft beim Tommy, denn auch der unterhält sich ja auch
fast ausschließlich mit ihnen, während Graser und ich stille Teilhaber sind.
Ich profitiere nur insoweit, daß ich mich schon sehr an die Sprache gewöhnt
habe und bisher auch schon viel lernte. Aus dieser Bekanntschaft haben weder
wir, noch die Leute irgendwelche Vorteile bekommen, was Du Dir ja bei meiner
Einstellung, die Du ja kennst, und die immer noch unverändert ist, auch selbst erklären
kannst.
Ich kann Deine Frage wohl verstehen und
ich bin Dir deswegen in keiner Weise böse. Ich hoffe ja auch, daß ich Dir bald
persönlich alle noch offenstehenden Fragen beantworten kann. Ich bin auch
überzeugt davon, daß Du den Kopf nicht hängen lassen wirst.
Ich möchte mich heute nicht gleich übernehmen
und bitte Dich, mit diesem Schreiben vorlieb zu nehmen. Ich grüße Euch alle
recht herzlich und sende Euch viele kräftige Küsse. Dein Ernst.
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