Samstag, 5. Dezember 2015

Brief 87 vom 4./6.12.1940


Meine liebe Annie!                                                                      O.U., den 4.12.1940

Es ist wieder Nachmittag und es wird nun wieder Zeit, daß ich mich an meinen heutigen Brief mache. Wir haben heute Abend unser Pflichtessen, so daß ich beim Essen bis etwa gegen 9 oder 1/2 10 Uhr festgehalten bin, dann werde ich mich ungesäumt nach Hause begeben und mich ins Bett legen. Es kann sein, daß ich vorher noch einige Päckchen vorbereite, doch das hängt ganz davon ab, wie ich Lust dazu habe. Das Päckchen Nr. 10 mit vier Tafeln Schokolade habe ich heute an Dich aufgegeben. Ebenso habe ich zwei Zeitungen an Dich ab gesandt, mit den Artikeln, die ich kürzlich schon erwähnte.
Deine beiden Briefe vom 29. und 30.11. habe ich heute bekommen und dafür danke ich Dir wieder. Deinen Wunsch wegen des Weihnachtsurlaubs habe ich Dir ja inzwischen beantwortet. Die Päckchen werde ich alle in Empfang nehmen. Auch mit den anderen Päckchen hast Du es recht gemacht. Ob der Pullover für Vater richtig ist, muß ich Deinem Urteil überlassen.
Im Keller wart Ihr zur Abwechslung auch wieder einmal Aus unserer Mästerei könntest Du schon Mist erhalten, doch gibt es nur 1 Kg-Päckchen und ob die Post sie annimmt, ist fraglich. Wie ich Dir schon geschrieben habe, hat sich vom Winter noch nicht viel gezeigt. Das Wetter ist sehr wechselhaft und teilweise sogar ungesund.
Von der Zeitungsnotiz habe ich Kenntnis genommen und bin sehr erfreut von der Stadtverwaltung auch etwas zu bekommen.
Seit heute haben wir für unseren Wagen wieder einen französischen Fahrer  bekommen. Es ist also alles da für uns.
Deinen Wunsch, Dir etwas von unserem Dienst zu berichten, werde ich gerne nachkommen, soweit dies angänglich ist.
Ich möchte für heute schließen und Dir meine herzlichsten Grüße und Küsse übermitteln. Helga und Jörg gib wieder einen herzlichen Kuß. Dein Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                    O.U., den 6.12.1940

Gestern habe ich einen Brief auslassen müssen, was mir eigentlich leid getan hat. Da ich Deinen Brief vom 1.12. erhielt, in dem Du mich nach meinen sehr guten Bekannten  fragst und mir einen stillen Vorwurf machst, daß Du doch so wenig weißt, obwohl wir uns viel schreiben. Vorerst möchte ich Dir noch erklären, warum ich gestern nicht  schreiben konnte.
Letzte Woche teilte ich Dir doch schon mit, daß ich mich nicht ganz wohl gefühlt habe. Ich dachte auch, ich hätte es überstanden, doch als ich am Montag im Theater war, mußten wir feststellen, daß nicht geheizt war und daß es durchzog. Das hat mir den Rest gegeben und zwar so, daß ich mich gestern ins Bett legen mußte und heute bin ich erst am Nachmittag aufgestanden. Ich hatte mich ganz elend erkältet, was sich dann in der Kreuzgegend zusammen gezogen hatte. Ich hoffe nun, daß ich es überhauen habe und werde mich in den nächsten Tagen sehr schonen, damit mein Weihnachtsurlaub durch eine Krankheit nicht in Frage gestellt wird.
Doch nun zu Deiner Frage. Ich hätte sie Dir lieber mündlich beantwortet, doch ich möchte versuchen, Dich davon zu überzeugen, daß die Dinge anders aussehen, wie Du sie Dir vorgestellt hast. Brieflich ist dies nicht gerade sehr einfach und es entsteht gern ein falsches Bild von dem, was man sagen will. Ich kenne hier die Familie Laureyns und die Familie Gaugnie. Bei Gaugnie ist vielfach ein Ehepaar, das ein Geschäft hat. Dort habe ich auch schon verschiedentlich gekauft. Dr. Thomas hat sich nun wiederholt verpflichtet gefühlt, die Leute einzuladen, weil er doch fast jeden Abend sich dort aufhält und weil ihm diese Leute öfter Besorgungen abgenommen haben. Aus dieser Einladung heraus haben diese Familien wieder ihrerseits eine Verpflichtung abgeleitet. Da Dr. Thomas, Graser und ich gewissermaßen das Kleeblatt sind, gehören wir also auch dazu. Wie Du also schon herausmerken wirst, ruht der größere Teil der Bekanntschaft beim Tommy, denn auch der unterhält sich ja auch fast ausschließlich mit ihnen, während Graser und ich stille Teilhaber sind. Ich profitiere nur insoweit, daß ich mich schon sehr an die Sprache gewöhnt habe und bisher auch schon viel lernte. Aus dieser Bekanntschaft haben weder wir, noch die Leute irgendwelche Vorteile bekommen, was Du Dir ja bei meiner Einstellung, die Du ja kennst, und die immer noch unverändert ist, auch selbst erklären kannst.
Ich kann Deine Frage wohl verstehen und ich bin Dir deswegen in keiner Weise böse. Ich hoffe ja auch, daß ich Dir bald persönlich alle noch offenstehenden Fragen beantworten kann. Ich bin auch überzeugt davon, daß Du den Kopf nicht hängen lassen wirst.
Ich möchte mich heute nicht gleich übernehmen und bitte Dich, mit diesem Schreiben vorlieb zu nehmen. Ich grüße Euch alle recht herzlich und sende Euch viele kräftige Küsse. Dein Ernst.

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